Gut Ding will Weile haben.
Ich kann metaphysischen Stadtbetrachtungen und sentimentalem Vergangenheitsballast eben wenig abgewinnen. Für eine Neubauplanung finde ich es unwichtig was an der Stelle früher mal stand. Man sollte eher rationale auf Gegenwart und Zukunft bezogene Überlegungen anstellen.
Das ist aber ein ganz gewaltiger Irrtum meines Erachtens. Du kannst da ja so rangehen. Für viele ist dies aber ein steriler rationalistischer Zugang, mit dem die meisten nichts anfangen können.
Viele vermissen eben etwas von der historischen Identität Berlins. Für mich wäre ein echter Rathausplatz etwas Tolles. Natürlich geht es um eine modifizierte Orientierung am Vergangenen.
Du konstruierst hier irgendeine Sentimantalität und Gefühlsdösigkeit, die gar nicht vorhanden ist. Es ist ein durchaus rationales Bedürfnis, ein Stück legitimer Berliner Identität wiederherzustellen.
Deine sozialen Argumente sind sicherlich nicht falsch. Ich hatte dich bei diesen Leuten eingeordnet, die die DDR-Moderne so toll finden. Was ja aus westdeutscher Perspektive erst mal ein bißchen verständlich ist.
Das Marienviertel wird vielleicht etwas für die 800-Jahr-Feier Berlins. Das wäre eine tolle Sache. Ich würde dort einzelne Bauten rekonstruieren und den überwiegenden Rest historisierend bauen. Den Fernsehturm würde ich modern integrieren.
Es ist doch gerade ein typischer Berliner Witz, wenn aus einem rekonstruierten Altbauviertel der Fernsehturm herausragt. Wo gibt es so etwas sonst?
Ich denke, du verkennst die emotionale Wirkung des alten Berlin und daß es sich nun einmal um die "eigentliche" Stadt handelt, die man nicht einfach so ignorieren kann. An dieser Stadt hängen viele Menschen. Anderswo bewahrt man diese Stadt. Hier (und in Deutschland) muß sie teilweise wiederaufgebaut werden.
Diese "eigentliche" Stadt ist kein Selbstzweck, man kann sie aber nicht einfach so ausblenden. Was glaubst du, warum so viele das Marienviertel wiederhaben wollen, Bürgerinitiativen etc.? Warum man den Pariser Platz wiederaufgebaut hat usw.?
Eben weil es die Identität Berlins ausmacht. So einfach ist das.
Der Rathausplatz ist ein ganz essentieller Teil Berlins und seiner Geschichte. Ich bin mir sicher, daß früher oder später dort das alte Viertel rekonstruiert wird.
Hierfür ist das historische Bewußtsein aber noch nicht da. Dies muß sich noch entwickeln. Das ist ein natürlicher Prozeß, weshalb es mir lieber auch zu langsam als zu schnell geht mit solchen Projekten.
Wenn die ersten Hochhäuser am Alex stehen und das Schloß, wird der "städtebauliche und emotionale Druck" in bezug auf das Marienviertel steigen.
Meiner Meinung nach ist das ein natürlicher emotionaler Prozeß der Wiederrückgewinnung der Stadt durch die Berliner.
In kleineren Städten und ohne diese traumatische Geschichte und Stadtzerstörung Berlins wäre diese Identifizierung mit der städtischen Geschichte vermutlich stärker und schneller gegangen.
In Berlin braucht das eine Weile.