Es ist ein Missverständnis, dass in einer Demokratie alle gleich viel zu sagen hätten. Aus der Tatsache, dass jeder beim Wahlgang eine Stimme hat, folgt noch nicht, dass auch jeder für sich gleich viel Gehör beanspruchen kann. Schon in der "Topik" des Aristoteles, dem ersten uns überlieferten Lehrbuch der diskursiven Argumentation, finden sich Beispiele für Behauptungen, die kein Gegenargument verdienen, sondern eine Zurechtweisung.
Wer Politiker als "Volksverräter" bezeichnet, von den im Bundestag vertreten Parteien nur als "Systemparteien" spricht und den Kampfbegriff der "Lügenpresse" wiederaufleben lässt, ist nicht gleich ein Nazi, aber er benutzt Nazi-Sprache. Man muss deshalb nicht in Panik geraten. Die Demokratie hält auch wöchentliche Versammlungen aus, in denen die Bundeskanzlerin des Landesverrats bezichtigt wird, aber niemand, der an so etwas teilnimmt, sollte erwarten, dass man ihn noch ernst nimmt.
Für alles Weitere ist der Verfassungsschutz zuständig und, bei Zuwiderhandlung gegen das Demonstrationsrecht, der Wasserwerfer. So war es schon in den Achtzigerjahren, als in Hamburg, Berlin und Frankfurt der linke Pöbel durch die Straßen zog. Auch diese Proteste hat unser Land ausgehalten, ohne größeren Schaden zu nehmen.