Ok, denn mal los:
Die Punkte, die nichts mit konkreten baurechtlichen oder rein bautechnischen Fragen zu tun haben, drehen sich alle zunächst
mal um die grundsätzliche Motivation für die Rekonstruktion eines am gegebenen Ort nicht mehr oder nur noch rudimentär vor-
handenen Bauwerks. Die hier im Forum und auch in anderen öffentlichen Debatten geäußerten Meinungen/Argumente, die aus-
schließlich als Pro-Reko-Argumente funktionieren, lassen sich vielleicht wie folgt zusammenfassen:
-) Rekonstruktion als Chance, nicht mehr zeitgenössisch (wobei Reko selbst in diesem Fall nicht das Label "zeitgenössisch"
trüge) bauen zu müssen, das führt zu:
-) alle Bauten, die außer der jeweilig bevorzugten Reko am selben Ort stehen könnten, hätten nicht dasselbe Recht eben dort zu
stehen, genauso wie:
-) alle Bauten, die Altbauten der jeweilig bevorzugten Epoche ersetzen haben ebenfalls nicht dieses Recht. Begründen lässt sich
dies durch:
-) die Bauten der jeweilig bevorzugten Epoche waren schöner/besser ausgeführt/standen für verlorene Werte, die so wiederbelebt
werden sollen/erfüllten ihre Funktion besser, oder etwas pragmatischer:
-) die Bauten der jeweilig bevorzugten Epoche gehören zum jeweiligen Genius Loci, der durch Rekos wiederbelebt werden muss,
u.a. deshalb:
-) sind sie eine von Einwohnern (Stichwort "Identität" oder eigentlich richtiger "Identifikation") und Besuchern begrüßte Maßnahme
und damit auch:
-) ein Wirtschaftsfaktor (Tourismus)
Die Kontra-Reko-Argumente funktionieren ähnlich, aber mit anderen Vorzeichen, zu erwähnen sind hier im Besonderen:
-) die Bestandsbauten gehören zum jeweiligen Genius Loci, der durch Rekos verfälscht wird, was sich verknüpfen lässt mit:
-) Rekos nehmen der zeitgenössischen Architektur (wobei Reko natürlich auch in diesem Fall nicht das Label "zeitgenössisch"
trüge) ihren rechtmäßigen Platz, da:
-) heute mit anderen Mitteln andere Gebäude gebaut werden können, genauso wie man zuvor Gebäude mit den Mitteln ihrer Zeit
baute - die Argumentation zeitgenössisch = zeitgemäß erfährt Unterstützung durch:
-) Nicht-Rekos sind billiger und funktioneller und damit schließlich auch:
-) ein Wirtschaftsfaktor (günstige und verfügbare Flächen)
(Falls hier jemand was ergänzen möchte, ist er natürlich willkommen.)
Eingedenk dessen mal ein paar Schnellschüsse zu #1 - #3:
@AEG/zu 6. und 7.:
Wenn wir 6. als Versagen der Kritiker der "Nicht-Moderne" oder "Außermoderne" umformulieren, wäre die gebaute Reko neben
der gebauten Reko wohl am ehesten Ausdruck des Versagens beider - das ist die idealistische Sichtweise.
Dass der Wunsch nach Rekos nun stärker ins öffentliche Bewusstsein tritt, wird sicher vom wenig geglückten Städtebau der 60er
70er begünstigt, mit dem eben auch die damals dominierenden Baustile assoziiert werden - was auch in der Theorie gar nicht mal
so verkehrt sein dürfte. Dass die oft mäßige Bauausführung dieser Zeit (wobei das ja eher die 50er treffen sollte) ebenfalls in das
Meinungsbild einfließt, ist dann allerdings nicht mehr sauber aber wohl Fakt.
Insofern die gebaute Reko als Realisierung dieses Wunsches gilt, muss man sie so ernst nehmen wie alles andere, was irgend-
wann mal als Ersatz für etwas anderes gebaut wurde. In dieser Sichtweise macht es allerdings eigentlich nur noch bedingt Sinn,
Rekos als etwas besonderes abgrenzen zu wollen.
Als Beleg für das argumentative Versagen der Kritiker der Moderne kann man Rekos natürlich sehen, wenn man es denn als
solches Versagen sieht und wenn man nur die Motivation für den Bau als Maßstab für dessen Wirkung und Funktion anlegt, was
vielleicht etwas zu kurz gesprungen sein könnte.
(Argumentatives Versagen der Kritiker der Moderne würde ich es allerdings unterstellen, wenn man den Wunsch nach Rekos als aus
einer "unverdorbenen" Zeit herrührenden Wunsch nach "wahrer" Schönheit oder dergleichen sähe - die genuin zeitgenössichen Ele-
mente in solchen Bewegungen zu verkennen/verkennen zu wollen ist schlicht unlauter, mindestens aber unreflektiert.)
@wmeinhart/zu 8.:
In Teilen sicher so. Der Ruf nach Rekos als Botschafter einer besseren alten Zeit mag ein weitgehendes Unbehagen gegenüber der
eigenen Zeit ausdrücken, das einzige Argument wird das aber kaum sein (s.o.). Ob es ein tragendes ist, ist eine weitgehende aber
spannende Frage...
So, muss das jetzt leider mal unterbrechen ohne necrokatz und mir selbst antworten zu können - das kommt aber auch noch.