Ich hatte eigentlich keine Lust auf eine Endlosdebatte. Das sprengt schließlich den Rahmen dieses schönen Dokumentations-Themas. Dennoch kann ich die Beiträge meiner Vorredner nicht unkommentiert stehen lassen. Ich versuche mich aber kurz zu fassen und es bei diesem einen Beitrag zu belassen.
Ich fühle mich ein wenig an die die Debatten der 1920er Jahre erinnert. Die modernen Bauformen, geprägt von Sachlichkeit, Funktionalismus und technoiden Bauweisen hatten sich inzwischen weitestgehend etabliert. Verbreitet wurden zu jener Zeit immer mehr Meinungen, wonach es ein Segen sei, dass die „Stagnation der Stilnachahmung“ inzwischen überwunden wäre. In Abgrenzung zur historistischen Bautätigkeit (die natürlich weiterhin ihre Anhängerschaft hatte) empfand man die neue Formgebung besser geeignet Ausdruck einer zeitgemäßen Bautätigkeit zu sein, als jene sog. „Pseudostile“ der Vorkriegszeit (1. WK).
Nun muss man dieses Déjà-vu nicht allzu ernst nehmen. Ich will weder mich noch meine Vorredner in eine Kategorie sperren. Vielmehr soll dies ein recht allgemeines Statement zur von „Altbaufan“ angesprochenen zunehmenden Verbreitung von Neubauten mit historisierender Prägung sein.
Konkreter möchte ich jedoch in einigen wenigen Punkten auf meine Vorredner eingehen.
Ich finde die Vorstellungen Altbaufans, was moderne Architektur sei, an manchen Stellen arg befremdlich, beinahe beängstigend. Hier wird ja quasi dämonisiert. Der böse futuristische Neubau, gebautes Ego des Architekten und Feind der uniformen historistischen Straßenzüge. Da ist doch, ganz ehrlich, Quatsch. Nicht jeder moderne Wohnbau muss aufgrund seiner zeitgemäßen Formensprache ein spektakulärer Fremdkörper sein. Warum sollte er das auch? In Bezug auf mehrgeschossige Wohnbauten in einer Häuserzeile sind die kreativen Möglichkeiten doch schon grundsätzlich arg begrenzt. Dies gilt nicht zuletzt auch aufgrund der Ansprüche der zu erwartenden Bewohner. Wenige wollen in einem Glaspalast wohnen, so gut wie keiner in einem Bunker mit Fensterschlitzen. Wenn es große Erker gibt, dann weil der moderne Bewohner das wünscht. Und wenn es ein Penthouse mit Flachdach und Terrasse statt eines Spitzdaches gibt, dann deshalb, weil es sich dort nun mal besser wohnen lässt. Ein moderner und zeitgemäßer Bau ist keine Science-Fiction, kein Ufo auf einem fremden Planeten, er nutzt die technischen Möglichkeiten und die Formensprache der Gegenwart und erfüllt die rationalen Bedürfnisse seiner Nutzungsform. Die Wohnansprüche und das Stilempfinden unserer heutigen Zeit unterscheiden sich radikal von jenen um 1900. Warum sollte moderne Architektur also trotzdem genauso aussehen?
Ich finde es deshalb immer etwas erheiternd, wenn moniert wird, dass ein moderner Neubau sich nicht in das historische Umfeld einfügen würde. Dann wird über die notwendige Anpassung an Dachtraufe und Sockelzone philosophiert und hier von Dunkel-Ich auch von einer Würdigung der historistischen Nachbarbebauung gesprochen. Das kann doch aber alles nicht Sinn und Zweck eines Neubaus sein. Wenn man mit offenen Augen durch Leipzig geht, fallen einem auch in den sog. „Gründerzeitquartieren“* immer wieder historische Bestandsbauten auf, die eben jene Regeln verletzten. Und auch nicht jede Brandmauer ist Folge einer Kriegszerstörung. Die Homogenität vieler Straßenzüge hat oft ganz rationale Gründe – etwa darin, dass zeitgleich gebaute 4-Geschosser aufgrund ähnlich angesetzter Maße in Raumhöhe etc. eine große Chance auf einen vergleichbar hohen Dachansatz haben.
Kriterien für einen modernen Wohnhausbau sollte nun einmal doch nicht das Verhältnis zur Umgebung sein, sondern vielmehr die Erfüllung eigenständiger gegenwärtiger Ansprüche. Diesbezüglich sollte ein Neubau zunächst auch als Solitär betrachtet werden. Funktioniert er in sich und wirkt in sich stimmig und maßstäblich**, dann wird er das Umfeld auch kaum stören, sogar dann wenn die Kontraste in der Formgebung kaum größer sein könnten.***
*Historisch reicht die Gründerzeit etwa bis 1873, die von Euch gemeinten Bauten sind aber eher im Bereich der Jahrhundertwende zu datieren
** Wirken Erker etwa zu groß, dann nicht deshalb, weil die historistischen Erker nebenan kleiner sind, sondern weil der Neubau dahingehend misslungen ist, dass die Erker schlichtweg zu groß für das Haus selbst sind.
*** Ein nur bedingt passendes Beispiel, weil eben ein Klinik-Neubau, ist am Simsonplatz zu finden.