^Gute Architektur sollte immer Ausdruck und Sinnbild der Zeit sein, in der sie entsteht. Wir können uns sicher darauf einigen, dass Zeitgeschichte zwar hin und wieder Redundanzen aufweist, aber keinesfalls gleichförmig ist oder stillsteht. Geschichte ist voller Brüche und Verwerfungen. Ob Politik, Religion, Gesellschaft, Krieg und Frieden. Alles um uns Menschen herum ist im Fluss und ändert sich stetig. Und solange das so ist, ändern sich auch die Menschen und mit ihnen Moden, Ansprüche, Geschmäcker und Anforderungen an Architektur.
Das Leben verursacht Brüche, die sich im Stadtbild wiederfinden. In meinen Augen gibt es kaum spannendere Beschäftigungen auf einem Stadtspaziergang, als diese Brüche zu beobachten und die Geschichte eines Ortes auf diese Weise nachzuempfinden. Wer schon einmal vor einer alten und über die Jahrhunderte gewachsenen Kirche stand und bewundernd die verschiedenen Zeitstile abgelesen hat, wird das sicher genauso nachempfinden können, wie jene, die durch die Straßen Londons, Roms oder Kölns gehen und damit zwischen den Jahrhunderten bzw. Jahrtausenden umherschauen. Wenn sich Mittelalter, Antike und Moderne gleichwertig zu einem geschichtsschwangeren Mix verbinden, dann wird die Stadtlandschaft und die Gesellschaft, die dort über so viele Jahre gelebt hat, erst richtig lebendig. Nichts davon würden wir spüren, wenn wir keinen Stein verändern oder aber wenn wir alles überbauen würden.
Der Fehler in der Debatte zuvor war übrigens nicht, dass alle eine Meinung haben. Das gehört hoffentlich zur Grundausstattung aller Menschen. Falsch ist aber, die Meinung anderer geringschätzig zu diskreditieren, nur weil sie nicht der eigenen Auffassung entspricht. Preisrichter und Jurys sind nicht korrupt oder abgehoben, weil einem die Siegerentwürfe nicht gefallen. Architekten sind nicht gierig oder faul, weil die Entwürfe nicht dem eigenen Geschmack entsprechen und Bauherren sind nicht geizig, weil die Formensprache reduziert ist oder der Zweckbau im Mittelpunkt steht. Auch Kritiker sind nicht dumm, nur weil die ausführliche und detaillierte Architekturkritik fehlt.
Diskurs gehörte bisher zum Bauschaffen in jeder Epoche dazu. Noch nie war es so leicht daran teilzuhaben wie heutzutage. Wir sollten die Möglichkeit der Meinungsäußerung aber nicht mit Mitbestimmungsrechten verwechseln. Geprägt haben die Architekturgeschichte schon immer die Entscheider, vor allem die Bauherren. Unsere Epoche wird geprägt von jenen, die Bauaufträge haben und die Bauten finanzieren. Wer das Geld freigibt, entscheidet in der Regel, was damit passiert. Formensprache, Nutzung und Aufwand werden dort entschieden. Ob ambitioniert oder konservativ, das liegt am Bauherren und der intendierten Aussage. In einigen Jahrzehnten oder Jahrhunderten wird ein Spaziergänger darin einen Ausdruck unserer Gesellschaft entdecken Und weil unsere Lebenswirklichkeit eine andere als jene der Gründerzeit, der Renaissance, der Vorkriegsmoderne, des Sozialismus oder des Mittelalters ist, wird man den Bruch sehen und eine lebendige Stadt im Wandel der Zeitalter erkennen.