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Ich mag Nürnberg trotz allem sehr gern, aber das viele verschenkte Potential macht mich fuchsig.
Absolut, wobei das bei mir sehr langsam aber stetig kippt. Ich finde keine ausreichende - wie soll ich das beschreiben - ästhetische Erholung in meiner Umgebung mehr. Immer wenn ich ein Baugerüst sehe krieg ich direkt einen Schreck und Magenschmerzen. Früher dachte ich "ui, da wird was gemacht, aufgehübscht, repariert, hergerichtet, mal sehn wie es wird". Aber nach nun bald 15 Jahren, die ich mich damit befasse hat sich der Schreckreflex durchgesetzt, oft pellt sich hinterher ein beschnittener, verunstalteter, zugeklebter oder sogar zerstörter Murks aus dem Baugerüst. Mittlerweile spreche ich vor Ort die Arbeiter an und frage was gemacht wird, weil mich das so umtreibt.
Vielleicht sehe ich das so negativ, weil ich aus dem Osten zugewandert bin, und da war ich es immer gewohnt, das eine Baumaßnahme immer eine Verschönerung oder Wiederherstellung erzeugt. In Nürnberg ist es meist das Gegenteil, ich dachte mir oft "hm, bauen die da jetzt wohl den Eckturm wieder auf? Kommen da endlich korrekte Sprossenfenster rein?" Aber dann wird eher noch mehr weg gehauen anstatt repariert. Das fühlt sich an wie Vandalismus, Zerstörung. In der Presse wird sich immer wieder über Sprayer und Schmierereien beschwert, da lach ich innerlich immer und denk mir, das was wir mit Steuergeldern an Sanierungsmaßnahmen mitfinanzieren ist doch viel verheerender für das Stadtbild. Aber ich beiße hier in meinem Umfeld auf Granit, jene, die sich nicht mit Architektur befassen verstehen das einfach nicht, die sind blind dafür.
Und wie du sagst Demian das Volksbad ist eines der wenigen Leuchtturmprojekte was Stadtbildreparatur angeht, da hab ich auch kräftig gespendet und bin froh dass das umgesetzt wird. Aber selbst das wurde mit diesen pseudosozialen Totschlagargumenten angegriffen, auch was die Opernhaussanierung angeht waren in der Presse aus Architektenkreisen "Keine Denkverbote"-Rufe zu lesen, deshalb warf ich oben diese These der Mentalität auf. Für mich fühlt sich das an wie ein Ausverkauf, wie das Leben von der Substanz, die unsere Vorfahren aufgebaut haben, die nun verbraucht ist und es keine Bereitschaft gibt zur Wiederherstellung beizutragen.
Was St. Leonhard angeht, ich habe mir dort Wohnungen angesehen, eine wirklich sensationelle Jugendstilwohnung war dabei, aber ich hab sie wegen des FSW nicht genommen. Egal was ich in Nürnberg ansteuern würde, ich hätte immer irgendwo über den FSW oder durch ein Nadelöhr einer Bahnlinie gemusst, und das fühlte sich nicht gut an. Da es ein Sanierungsgebiet/Ensemblegebiet ist besteht die Pflicht, die historischen Fassaden zu erhalten. Aber im Innern muss man zwar nicht, man kann aber modernisieren. Die Dusche muss nicht neben dem Herd stehen oder sowas, man kann auch Balkone anbauen, sprich, es könnte auch Gentrifizierung geben. Insgeheim erhoffe ich mir so einen Prozess ja vom FSW-Ausbau, das Potenzial ist noch da. Wenn in den anderen Altbauvierteln, die kein Ensemblegebiet und ohnehin schon sehr heterogen sind (Sandberg, Wöhrd, Rennweg, Hummelstein), einst jedes zweite, dritte Haus irgendwo gedämmt und verunstaltet wurde rutschen die immer weiter ab, da hier jeder machen kann wie er lustig ist. Der erste Eindruck eines Wohnumfeldes ist immer das Äußere, und das leidet unter unbeholfenen Renovierungen, die durch staatliche Förderung und Angstmacherei von Fassadenbauern und Energieberatern immer weiter verunstaltet werden.
Was Gentrifizierung angeht, für mich ist das ein linker Kampfbegriff, ich persönlich finde davon gibt es in Nürnberg viel zu wenig. Die Stadtverwaltung sagt ja immer wieder, dass sie keine entsprechende Prozesse in Nürnberg feststellen kann. Für mich ist das auch ein Beleg dafür, dass bestimmte Entwicklungsprozesse, die alle europäischen Großstädte irgendwie durchmachen, hier einfach ausbleiben. Gentrifizierung wird allgemeinhin als "Vertreibung alteingesessener Bewohner" assoziiert, gleichzeitig bedeutet sie aber auch Modernisierung, Restaurierung, Pflege und Anziehungskraft. Soetwas in Nürnberg nirgends festzustellen finde ich auch bemerkenswert, und irgendwie auch bedenklich. Die Prozesse finden also anderswo statt, vielleicht in Fürth, Erlangen, Schwabach oder so. Dort fließt auch das Geld hin, wie Dexter schon andeutete.