Beiträge von Malyan

    Ja, das stimmt - Kriegsschäden sind in Amiens in der Tat wesentlich häufiger anzutreffen als in den meisten anderen nordfranzösischen Städten, auch erinnern im ganzen Stadtgebiet viele Denkmäler an die Verteidigung von Amiens gegen die deutschen Truppen bei der Märzoffensive 1918.
    Allerdings ist es erstaunlich, mit welcher Stilsicherheit Amiens seine Wunden überwiegend geschlossen hat, arge Bausünden wie in den kriegszerstörten deutschen Städten sieht man nur ganz selten.

    Amiens

    Während meines Aufenthaltes in Paris unternahm ich einen Ausflug nach Amiens, um mir die berühmte Kathedrale anzusehen. Doch auch ansonsten ist die 135 000 Einwohner zählende Hauptstadt der nordfranzösischen Region Picardie eine reizende Stadt mit vielen architektonischen Schätzen.


    Sofort nach Verlassen des Bahnhofs steht man einem der vielleicht bizarrsten Bauwerke Westeuropas gegenüber, einem Betonwolkenkratzer, der große Ähnlichkeit mit dem Kirchturm von St.Joseph in Le Havre aufweist und wahrscheinlich wie dieser aus den 50er Jahren stammen dürfte, allerdings durchgehend aus normalen Wohnungen zu bestehen scheint. Mir ist kein einziges anderes Wohngebäude bekannt, das auch nur entfernte Ähnlichkeit mit diesem eigentlich nicht einmal hässlichen Gebilde besitzt, höchstens vielleicht die allerdings viel, viel kleineren stalinistischen Türmchen der Frankfurter Allee in Berlin. Noch absonderlicher wird der Eindruck, den dieses Ding auf den Betrachter ausübt, durch die extreme Höhendifferenz zur umgebenden Bebauung, die kaum jemals mehr als zwei, drei Stockwerke aufweist.

    Nach einem Gang durch die überraschend kleinstädtisch, geradezu ländlich wirkende Innenstadt ging es weiter zur Kathedrale, der größten der gotischen Kathedralen Frankreichs. Der Bau entstammt jener glücklichen Entwicklungsphase der französischen Kathedralgotik der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, die die wuchtige Schwere der Frühgotik bereits überwunden hat, aber auch noch nicht durch immer ausufernderes Ornament die Sprache ihrer architektonischen Struktur überwuchert. Der Raumeindruck ist überwältigend, luftig, hell und weit, ein steinernes Zeugnis des Aufbruchs, den Kunst und Geist im Europa seiner Zeit erleben. Im Chorbereich viele schöne Ausstattungsstücke vornehmlich des 15. und 16. Jahrhunderts, Schnitzarbeiten und Grabdenkmäler, die jedoch inmitten des Riesenraumes verloren wirken und die man sich besser in der Behaglichkeit einer kleinen Pfarrkiche denken kann. Spazierte anschließend noch etwas durch Amiens, das den Eindruck eines ruhigen, angenehmen Städtchens macht und mit seiner vorherrschenden roten Backsteinarchitektur an englische Städte erinnert.





































    Deutsche Kleinstädte

    Während meiner Interrail-Reise durch Deutschland, die Schweiz, Belgien, Frankreich und Spanien besuchte ich über 20 verschiedene Städte. In Deutschland konzentrierte ich mich dabei auf kleine und mittlere Städte, da ich fast alle großen Städte Deutschlands schon mehrmals besucht habe. Die deutschen Kleinstädte werde ich hier in einem gemeinsamen Thread präsentieren, die größeren Städte nach und nach in eigenen Threads. Heute fange ich mal mit derjenigen Kleinstadt an, die mir am besten gefallen hat:


    Konstanz


    Eine auf drei Seiten von schweizerischem Territorium umschlossene Enklave und mit rund 80 000 Einwohnern die größte und vermutlich schönste Stadt am Bodensee. Konstanz ist wirklich mit allen Vorzügen gesegnet, die eine Stadt in sich vereinen kann: Von atemberaubender landschaftlicher Schönheit mit dem hier noch ganz klaren, sauberen Rhein, Bodensee und Alpenpanorama, mit hier und da fast schon mediterran wirkender, wegen der urbanen Verschmelzung mit dem schweizerischen Kreuzlingen von den Bomben verschonter historischer Altstadt, außergewöhnlich mildem Klima, dazu wohlhabend, makellos sauber bis in die Außenbezirke und durch seine Universität und den dadurch bedingten hohen Studentenanteil von jungen und kultivierten Menschen bevölkert (In Kleinstädten wirkt sich das Vorhandensein oder Fehlen einer Universität natürlich viel stärker auf die Atmosphäre aus als in einer Metropole). All diese historischen süddeutschen Kleinstädte mit ihrer reizenden landschaftlichen Umgebung, ihren kulturhistorischen und architektonischen Schätzen und ihrer Sauberkeit, kurz mit all ihrer bildungsbürgerlich verfeinerten Spießigkeit wecken Lust, wieder eine Weile in einer schönen Provinzstadt zu leben.


    Das Münster ist sicher einer der faszinierendsten Kathedralbauten Deutschlands mit seiner sonderbaren Stilmischung aus ottonischer Krypta, romanischem Langhaus, Westwerk und Seitenschiffen der Gotik und barockem Gewölbe. Das Westwerk (Ein gotisches Westwerk!) dürfte ein kunsthistorisches Unikum darstellen, ansonsten war dieser typisch karolingische Bauteil ja schon in der Hochromanik weitgehend verschwunden, von der Gotik ganz zu schweigen. Zugegeben sei natürlich - ich habe mich über die Baugeschichte noch nicht tiefer informiert - die Möglichkeit, dass hier eigentlich eine Doppelturmfassade geplant war, die ähnlich wie in Straßburg auf einem massiven Block ruhen sollte (Dass das seltsame, im 19. Jahrhundert aufgesetzte neugotische Mitteltürmchen den mittelalterlichen Originalplänen entspricht, kann ich mir kaum vorstellen). Während der Straßburger Fassadenblock allerdings mit einem überreichen Dekorationsgespinst überzogen ist, weist die Konstanzer Fassade einen für die hohe und späte Gotik ganz ungewöhnlich strengen, schmucklosen Stil - aus manchen Perspektiven ließe sich kaum erkennen, dass es sich hier um einen gotischen Bau handelt. Das Innere des Münsters ist dann etwas enttäuschend, trotz oder gerade wegen der vielen interessanten Einzelstücke der Ausstattung aus allen Bauphasen ergibt sich kein stimmiger Gesamteindruck. Die romanischen Säulen und Würfelkapitelle, die gotischen Fresken und Kapellen, die Renaissance-Orgelempore und das barocke Gewölbe sind kaum aufeinander abgestimmt, an jeder Stelle ein abrupter Stilbruch nach dem anderen.


    Da gebe ich noch fast den von der bayerisch-österreichischen Barockisierungspest des 18. Jahrhunderts infizierten mittelalterlichen Kirchen den Vorzug, in deren Innerem zwar so gut wie jede Spur ihrer ursprünglichen Erscheinung ausgetilgt wurde, die dafür aber ein einheitliches, reines Bild des Stils ihrer Zeit liefern. Dafür direkt an das eigentliche Münster anschließend drei wahre Perlen: Der gotische Kreuzgang, die ottonische Krypta und die Mauritiusrotunde. Die Krypta aus dem 10. Jahrhundert ist ein archaisches Relikt, eine äußerst grobschlächtige, dumpfe Kammer mit nur marginalen Zeichen bewussten architektonischen Gestaltungswillens. Unterstrichen wird dieser Charakter von einem Metalltondo mit den in Gold eingelegten Gestalten Christi und zweier Engel über dem Altar, der wie das rohe Götzenbild irgendeines primitiven, blutrünstigen Stammeskultes wirkt (Mit welcher Assoziation man vom Wesen des nordalpinen Christentums des 10. Jahrhunderts wohl nicht allzu weit entfernt ist). In der Phantasie steigen unwillkürlich Bilder bizarrer Opferriten an dieser Stelle auf. Wenn mich einmal die fatale Lust anwandeln sollte, einen historischen Roman zu schreiben, werde ich an das Konstanzer Götzenbild denken.


    Der Aufstieg von der Krypta zur Mauritiusrotunde, einer herrlichen Nachbildung des Heiligen Grabes aus dem 13. Jahrhundert, ist ein Aufstieg um mehrere Kulturstufen. Die individuellen, technisch meisterhaften und von hohem künstlerischem Reflexionsvermögen zeugenden Figurengruppen der Rotunde lassen alles rein Handwerkliche hinter sich und fallen schon in den Bereich ihrer selbst bewusster Hochkunst, in der Kunst des 13. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum höchstens mit Bamberg und Naumburg vergleichbar. Besonders gefangen nahm mich eine in sich gekehrte, grübelnde Frauengestalt, die in Denkerpose mit aufgestütztem Kopf am Betrachter vorbei in etwas Unausgesprochenes schaut. Die Farbfassung ist noch ungewöhnlich frisch und verleiht ihr eine fast unheimliche Lebendigkeit (Die Farbe könnte natürlich auch von der Restaurierung im 17. Jahrhundert stammen, scheint mir eher noch mittelalterlich zu sein).


    Aber genug der Worte - hier die Bilder:





































    Sehr schoene Fotos einer oft weit unterschaetzten Stadt. Wenn ich sogar in Reisefuehrern desoefteren lese, dass Bruessel eine graue und wenig einladende Stadt mit einem oeden Image sei, frage ich mich regelmaessig, ob ich und die Autoren tatsaechlich dasselbe Bruessel besucht haben. Bruessel vereint mE die schoensten Zuege einer mittelalterlich-fruehneuzeitlichen nordwesteuropaeischen Stadt mit Gruenderzeit-Pracht im Haussmann-Stil und modernen Monumentalbauten und gehoert fuer mich ganz klar zu den interessantesten Metropolen Europas.


    Witzig uebrigens, dass Wagahai fast durchweg nahezu genau dieselben Motive aus teilweise genau denselben Perspektiven aufgenommen hat wie ich vor etwa zwei Wochen - man koennte meine Fotoserie auch "Wagahais Bruesselthread 2.0" nennen ;)

    Spaziergänge durch Wien

    Hallo,


    nach langer Zeit als stiller Mitleser habe ich mich jetzt einmal zur Anmeldung entschlossen und starte gleich mit einem Thread, in dem ich im Laufe der Zeit meine Heimatstadt Wien vorstellen werde. Ich beginne mit Bildern, die ich heute morgen auf einem Spaziergang durch den 14., 15., 6. und 7. Bezirk aufgenommen habe - insbesondere in den 14. und 15. Bezirk verirren sich nur selten Touristen, aber sie haben dennoch ihren eigenen Reiz. Da es heute abend für vier Wochen auf West- und Südwesteuropa-Tour geht, werde ich mein Wien-Portrait erst im Mai fortsetzen können. Aber genug der Worte, hier als Einstimmung die ersten Bilder: