Beiträge von Carina Wager

    Ing22:


    Ohne mich an dieser Stelle an einer weiteren Grundsatzdiskussion beteiligen zu wollen, wie sie sich schon im thread zum Hotel Silber entsponnen hat, ein paar Worte zur Korrektur/Ergänzung: Bei dem fraglichen Gebäude, das an jenem Platz stand, an dem sich heute der Glaskubus der städtischen Galerie befindet, handelte es sich nicht um das Wilhelms- sodern um das Kronprinzenpalais. Das im Krieg zwar schwer beschädigte, in seinen Umfassungsmauern aber komplett erhalten gebliebene Gebäude musste weichen, weil man an dieser Stelle den 'Planiedurchbruch' als Teil des innerstädtischen Hauptstraßennetzes für unabdingbar hielt - eine Planung, die sich schon wenige Jahre später als obsolet erweisen sollte.


    Bemerkenswert für das gestalterische Denken der Zeit (- zumindest im Stadtplanungsamt, wohl eher weniger beim überwiegenden Teil der Bürgerschaft -) ist aber, dass man dem Kronprinzenpalais jeglichen architektonischen Wert absprach. Der Stil des Historismus galt generell als pathetisch und unaufrichtig; entsprechend hatte man z.B. auch den Abriss der Marktplatzfassade des neogotischen Rathauses mit dessen "unerträglichem Pathos" gerechtfertigt.
    Diese pauschale Ablehnung einer ganzen Architekturepoche war im übrigen kein Produkt der Nachkriegsjahre, sondern galt schon während der 1920er nicht nur unter radikalen Modernisten als 'common sense':
    Theodor Fischer (u.a. Architekt des Kunstgebäudes mit dem Goldenen Hirsch am Schlossplatz und Wegbereiter der durchaus konservativ orientierten 'Stuttgarter Schule') sah im Historismus eine "Zeit des Versagens", die durch gestalterisches Unvermögen und die "Widerlichkeit des geborgten Schmuckes" geprägt gewesen sei.


    Dies nur zur Einordnung.

    Man verzeihe mir; ich als 'Frischling' hatte übersehen, dass es hier im Forum offenbar gerne gesehen wird, wenn man sich sofort in eindeutiger Weise positioniert, auf dass man von den 'alten Hasen' angemessen rubrifiziert werden kann; so ganz nach dem Motto: Bekenne dich - bist du ein zukunftszugewandter, fortschrittsgläubiger Freund alles Neuen und Modernen oder aber ein fachwerk- und butzenscheibenseliger, innovationsverhindernder Ewiggestriger?


    Insgeheim bewundere ich ja diejenigen, die zu allem und jedem sofort eine festgefügte, unerschütterliche Pauschalmeinung haben: Sei es zu Stuttgart 21, der Architektur der 50er oder über die Vertreter und Anhänger bestimmter Parteien. Das Denken in solchen Schubladen macht das Leben sicher in vielen Punkten leichter und überschauberer. Mir gelingt dies leider nur gelegentlich, weil ich die lästige Angewohnheit habe, verschiedene Denk- und Sichtweisen einzunehmen und das eigene Irren stets mit einzukalkulieren - ob's eine Folge meines schwachen Geschlechts ist?:D


    Nehmen wir nochmals das Beispiel der neuen Stadtbibliothek: In der Tat spricht mich das Gebäude bei meinem derzeitigen Kenntnisstand - (es ist noch nicht ganz fertig, ich war noch nicht drin und es fehlt auch noch der städtebauliche Kontext) - überhaupt nicht an, und mit "ambient" vermag ich das Ganze nur schwer zu verknüpfen; vielleicht eher noch mit minimal music. Ich kann aber doch trotzdem versuchen, die gedankliche Ansatzweise des Architekten einzubeziehen und zu verstehen. Mag sein, dass ich in ein paar Jahren eine deutlich andere Haltung zu dem Entwurf einnehme als heute; nichts finde ich langweiliger und bedenklicher, als wenn man über Jahre nur festgefügte Positionen vertritt und nicht auch bereit ist, eigene Urteile gegebenenfalls zu revidieren.


    Mein Impetus im letzten Beitrag war eigentlich nur, eine Diskussion darüber anzustoßen, welche Kriterien denn städtische Architektur (ich meine hier bewusst nicht den Solitär auf der grünen Wiese oder im Industriegebiet) generell erfüllen muss, um als gelungen betrachtet zu werden. Verknüpft hatte ich das mit einem gewissen Erstaunen darüber, dass offenbar auch starke Verfechter einer modernen Architektursprache wie Schwabenpfeil und madmind in Kategorien von Popularität und Gefallen denken, obwohl man (ich nehme jetzt die Perspektive radikalerer Modernisten ein) eigentlich annehmen könnte, dass sie derartig im Oberflächlichen verhaftete Begrifflichkeiten eher als spießig-verstaubt ablehnen.


    Ich gestehe freimütig, dass ich im Bezug auf Architektur teilweise eine ambivalente Haltung bei mir konstatiere, die mich in einigen Fällen schwanken lässt und die es anderen - sorry, madmind - ganz schwer macht, mich passend einzusortieren.
    Auf der rationalen Ebene bin ich durchaus ein Freund und Verfechter moderner Architektur, gehe etwa offen und teils durchaus begeistert durch die wachsende Hafencity, so oft ich in Hamburg bin und würde auch dieses Stuttgart-Forum nicht so aufmerksam verfolgen, wenn mich Neues Bauen langweilen oder gar abstoßen würde. Bei manch Kühnerem, etwa dem Centre Pompidou (danke für das Beispiel und die Reaktion, Marco!), habe ich mir eine differenzierende Haltung erarbeitet, finde derartige Entwürfe auch spannend, würde sie allerdings nicht in jedem Kontext (etwa am Karlsplatz) begrüßen.


    Auf der anderen, emotionalen Seite kann ich aber nicht verhehlen, dass mich die klassisch geprägten, mit Augenmaß weiterentwickelten europäischen Stadtbilder (etwa auch meiner neuen Heimat München) enorm faszinieren und ich mich dann immer frage, ob und wie etwas von diesem Ansprechenden auch für die Stuttgarter Innenstadt wiedergewonnen werden könnte. Bevor jetzt gleich wieder die 'Fachwerk-Butzenscheiben-Disneyland-Keule' kommt: Nein, das muss nicht automatisch heißen, historische Architekturstile sklavisch zu imitieren. Entsprechend war auch mein (durchaus fragend gemeinter) Hinweis auf allgemeingültige Gestaltungsprinzipien gemeint.


    Historische Gebäude sind nicht per se hochwertig, und man kann bei einem Bau wie dem "Haus der Wirtschaft" (oder auch dem Hotel Silber in seiner ursprünglichen, etwas schnörkelig-überladenen Form) durchaus darüber streiten, ob es sich dabei um gute Architektur handelt. In der Nachkriegszeit galt all das Gründerzeitliche, Klassizistische und Neogotische als ausgesprochen minderwertig, und mancher bedauerte offen, dass der Krieg grade davon (z.B. im Westen) so viel übrig gelassen hatte. Und doch vermitteln die redseligen Fassaden früherer Epochen für viele (und ich gestehe: auch für mich) ein besonderes Gefühl von Vertrautheit und Ästhetik, das man nicht missen möchte. Ist es nur ein Relikt kleingeistigen Spießertums, das man bei entsprechendem geistigen Horizont und genügender Aufgeschlossenheit für Neues leicht hinter sich lassen kann und muss, oder steckt doch mehr und Grundsätzlicheres dahinter? Vielleicht weiß jemand eine Antwort...

    Marco hat aus meiner Bemerkung zu Zaha Hadid sofort den generalisierenden Einwurf abgeleitet, die (spießigen) Stuttgarter wollten solch eine Koryphäe der Baukunst eben nicht haben und würden deshalb (zur Strafe) mit Dutzendware abgespeist.


    Erstens bin ich gar keine Stuttgarterin (mehr) und würde mir sowieso nie anmaßen, mit meiner unmaßgeblichen Einzelmeinung für "die Stuttgarter" zu sprechen. Zweitens sollte man Texte auch genau lesen: Ich habe weder grundsätzlich etwas gegen Hadids Architektur - im Gegenteil -, noch würde ich es generell ablehnen, dass sie in Stuttgart baut. Wäre der Entwurf der neuen Stadtbibliothek von ihr, hätten wir höchstwahrscheinlich weniger Grund zum Gram.
    Meine Aussage war vielmehr, dass ich zweifle, ob ich mich in einer Stadt, die nur aus extrovertierten Solitärbauten im Stile von Zaha Hadid o.ä. besteht, wohl fühlen würde.


    Würde es nicht komplett off-topic vom Tema dieses threads wegführen, könnte man an dieser Stelle trefflich eine ästhetische Grundsatzdiskussion darüber beginnen, was denn überhaupt Maßstab, Ziel und Zweck einer modernen urbanen Architektur sein sollte. Funktionalität? Zweifellos, doch dann wird's schon schwieriger:
    Selbst Schwabenpfeil als überzeugter Apologet der Moderne benutzt den eigentlich banalen Terminus "gefallen" als ein Entscheidungskriterium für seine Werturteile, und madmind vergleicht neue Architektur gar mit Popmusik, die ja (Ausnahmen bestätigen die Regel) das Populär-Gefällige (und teils auch bestürzend Kommerzielle) schon im Wort in sich trägt. Radikalere Verfechter neuer Bauformen würden da sicher einwenden, es sei bereits ein grandioses Missverständnis, wenn man an zeitgemäße Architektur überhaupt mit solchen Erwartung herangehe. Eun Young Yi argumentiert bei der Erklärung seines gestalterischen Ansatzes für die Bibliothek zum Beispiel genau mit solchen oberflächliche Ästhetik negierenden Begrifflichkeiten, wenn er von Introvertiertheit, Innerlichkeit etc. spricht.


    Die Crux bei dieser Denk- und Sichtweise ist wahrscheinlich folgende: Der gemeine Durchschnittsmensch mag sich im Stadtbild wohl nicht auf Schritt und Tritt mit den persönlichsten Befindlichkeiten und der Innenwelt der Baumeister konfrontiert sehen. Am Ende urteilen die meisten eben doch wieder in gängig-greifbaren Rubriken von "gefällt mir", "ist interessant", "abwechslungsreich", "schön".


    Keiner - sicher auch Hans Dampf nicht - erwartet ernsthaft von der heutigen Architektengeneration, dass sie nur noch Fachwerkhäuser, gründerzeitliche Stadtvillen oder neogotische Kommunalgebäude entwirft. Es lohnt sich aber meiner Ansicht nach schon, darüber nachzudenken, was uns an gewissen Straßenzügen, Platzgestaltungen oder auch nur gestalterischen Merkmalen und Grundprinzipien verschiedener Zeiten und Stile anspricht und was vielleicht eher nicht. Überdies ist vieles auch eine Frage des Kontextes: Manches Gebäude, das am einen Ort eine enorme Bereicherung darstellt, wird an anderer, sensibler Stelle schnell zum bösen Fehlgriff. Ohne gleich plumpe Imitation zu evozieren, vermag der kritisch-vergleichende Blick in die Architekturgeschichte also durchaus erhellend zu sein.

    Da allgemeines "Linken-Bashing" (meine ich nicht nur im engeren Sinne auf die Partei gleichen Namens bezogen) hier im Forum ja salonfähig ist, erlaube ich mir, mich in den "anschwellenden Bocksgesang" (copyright B. Strauss) einzureihen - allerdings etwas über die Bande gespielt:D:


    So wie man dort bezüglich des real existierenden vs. des idealen Sozialismus argumentiert ("Klar, DDR, Sowjetunion etc. war nix, aber prinzipiell wär' das System 'ne tolle Sache"), erscheint mir auch hier mancher Apologet in seiner unbeirrbaren Fortschrittsgläubigkeit widersprüchlich: "OK, 50er bis 70er haben bauästhetisch nur Schrott produziert, A1-Quartier, neue Bücherei etc. taugen natürlich auch nichts, der Rest wirkt eher mittelmäßig, aber im Prinzip ist moderne Architektur ja trotzdem was ganz tolles..."


    Sorry - das war jetzt äußerst polemisch, im Vergleich natürlich hinkend und deckt sich in dieser Verallgemeinerung auch keinesfalls mit meiner persönlichen Sichtweise. Ich wollte damit nur zum Ausdruck bringen, dass ich angesichts mancher in Stuttgart real existierenden oder vor der Realisierung stehenden Planungen die Skepsis vieler Bürger und ihren Wunsch nach Rückgriff auf traditionelle Formen zumindest verstehen kann und da und dort vielleicht auch teile. Ganz generell scheine ich aber bezüglich architektonischer Ausdrucksvielfalt ein weiteres Herz zu haben als einige andere hier, und so schätze ich die (leider in vielen Details inzwischen verunstaltete) Liederhalle ebenso wie Scharouns "Romeo und Julia" und habe z.B. auch gelernt, mich mit dem Landtagsgebäude, dem ich früher wenig abgewinnen konnte, anzufreunden.


    Ich weiß aber nicht, ob ich mich in einer komplett von Peter Zumthor, Zaha Hadid oder auch Stefan Behnisch gestalteten Stadt wohlfühlen würde. So wie radikal neue klassische Musik eingeweihte Avantgardezirkel selten verlässt - (oder hört hier jemand regelmäßig und mit Leidenschaft Wolfgang Rihm und Helmut Lachenmann?) -, wird auch aktuelle Architektur ohne jeden Traditionsbezug zumindest in zentrumsnahen Lagen dauerhaft wenig Akzeptanz finden. Sei es die klassisch gegliederte Steinfassade des Phoenixbaus, das Eckgebäude im Boschareal mit dem von Mendelsohn (Kaufhaus Schocken) entlehnten Treppenturm oder die verklinkerte, mit Bauhaus-Fensterbändern versehene EVS-Hauptverwaltung: Bei Entwürfen, die (auch hier im Forum) breiteren Zuspruch erhalten, kann man verdächtig oft feststellen: "Hat Anklänge von..., erinnert an..., verwendet klassische Materialien...", und es ließe sich jetzt sicher trefflich darüber streiten, ob das nun eine Bankrotterklärung für unsere Gesellschaft oder aber für eine jeglicher Tradition entsagen wollende moderne Baukunst ist.


    Ich bin der festen Überzeugung, dass urbane Architektur weit über ihren Gebrauchs- und Nutzwert hinaus (Nach dem Motto: Man muss Stuttgart ja nicht mögen, Hauptsache wir gelten weiterhin als modern und innovativ und es geht wirtschaftlich was) stets auch wichtige kulturelle, historische und emotionale Besetzungen erfährt, die sich nicht einfach wegdiskutieren lassen.
    Grade in Stuttgart, das stadtgestalterisch in den letzten 60 Jahren heftig gebeutelt wurde, sollte das Augenmerk auf ein gedeihliches Neben- und Miteinander von Geschichtsbezogenem (so noch vorhanden) und Neuem - je nach Ort eher ergänzend oder kontrastierend - gerichtet werden.


    Zum Hotel Silber fällt mir zuletzt noch eine Analogie ein, die damals weniger wahrgenommen und kaum diskutiert wurde, weil beim betreffenden Gebäude kein 'Nazi-Bezug' vorhanden war: Am Beginn der Königstraße beim Wlhelmsplatz hatte sich ein einzelner Altbau (das in Blickrichtung Schlossplatz linke Eckgebäude) über die Zeit gerettet; allerdings ebenfalls in einer reduziert wiederaufgebauten Form. Es wurde vor einigen Jahren recht sang- und klanglos zugunsten eines schicken, aber eben auch völlig belanglos-beliebigen Neubaus mit Glaserker ersetzt. So unbedeutend das Vogängergebäude auch gewesen sein mag - ich bedauere seinen Abriss bis heute, weil es (in etwas aufgehübschter Form) einen schönen Kontrast und Akzent gegenüber dem umliegenden Neubestand gebildet hätte...

    An anderer Stelle im Forum habe ich unlängst angemerkt, mit der Begriffskeule "grottenhässlich" vorsichtig umzugehen; hier ist allerdings so ein Fall, bei dem er mir zu meinem großen Bedauern voll und ganz angezeigt scheint.


    Die große optische Verbesserung des bunkerähnlichen Baus sehe nicht so recht, da ist mit der Urzustand mit heller Fassade schon fast am liebsten.


    Wenn selbst der große Wagahai (wenngleich verklausuliert einschränkend mit "nicht so recht" und "schon fast") einräumt, dass ihm der 50er-Jahre-Originalbau noch am besten gefallen hat, will das einiges heißen.
    Im Prinzip ist es ja schon wieder eine Leistung, den zeitgeschmäcklerischen Umbau eines in meinen Augen ursprünglich gelungenen Geschäftsbaues innerhalb von 40 Jahren gleich zweimal so gründlich zu versemmeln.

    Schwabenpfeil:
    Es ist eine Binsenweisheit, dass sich über Geschmack nicht streiten lässt: Dennoch (oder grade deshalb) würde mich zum besseren Verständnis interessieren, welche gestalterischen Elemente im konkreten Fall aus Deiner Sicht 'grottenhässlich' sind; dies ist ja doch ein sehr starkes Wort, das ich mir nicht mal im Falle der neuen Stadtbücherei - trotz deutlicher Gegnerschaft zu diesem Bau - anmaßen würde. Weite Teile der Architektur im Stuttgarter Westen weisen ähnliche gründerzeitliche Grundmerkmale auf wie das ehemalige 'Hotel Silber', müssten also folgerichtig ebenfalls verdammenswert sein. Was wiederum macht im Vergleich dazu das rührend schlicht gestaltete, architektonisch eigentlich höchst unbedeutende 'Louis Vuitton'-Gebäude (dieses hatte ich in der Tat gemeint) für Dich offenbar schöner, wertvoller?


    Es kann und soll nicht drum gehen, das Stuttgarter Zentrum in eine künstliche Kulissenaltstadt zurückzuverwandeln; diese irreale Forderung hat hier niemand erhoben. Das Herz einer Stadt sollte aber auch nicht nur ein Ort sein, an dem man gut parken und dann möglichst effizient seinen Shopping- und Bespaßungsbedürfnissen (sei es Club, Kino, Theater) nachgehen kann. Diejenigen, die hier immer so dezidiert auf Zukunftsfähigkeit, Wirtschaftskraft pochen, sollten sich im Klaren sein, dass weiche Standortfaktoren wie Image und Flair im Wettbewerb der Metropolen immer bedeutsamer werden. Daher sollte eine Stadt im Idealfall Plätze, öffentliche Räume aufweisen, an denen man sich gerne aufhält, die man gerne sieht und vielleicht auch anderen gerne vorzeigt.


    Ich will keinesfalls behaupten, dass moderne Architektur dies gar nicht zu leisten im Stande wäre, aber sie tut sich in sehr vielen Fällen (leider!) deutlich schwerer damit. Und offenkundig gibt es auch gewisse Schlüsselreize (Giebeldächer, Fachwerk- oder Steinfassaden, evtl. mit schmückenden Elementen und nicht zu monoton-großräumiger Strukturierung, Steinfassaden, Sprossenfenster) die bei einer beträchtlichen Zahl an Menschen ein gewisses Grundgefühl von Behaglichkeit und 'Aufgehobensein' auslösen. Und obwohl es viele hier (mit gutem Recht) anders sehen: Für einige vermittelt auch die reduziert wiederaufgebaute und mit etwas unglücklichen postmodernen Dachgauben versehene "Hotel Silber"-Fassade noch solch ein harmonisch-geordnetes Bild. Ein englischer Freund äußerte jedenfalls beim gemeinsamen Vort-Ort-Besuch in Stuttgart neulich tiefes Unverständnis über die Abrisspläne.
    Mag sein, dass dies alles schrecklich spießig-ewig-gestrig ist. Doch warum sitzt man im Sommer eben besonders gerne am Schlossplatz, am Schillerplatz, aber auch am Karlplatz oder beim Hans-im-Glück-Brunnen (letzterer übrigens eine Altstadtsimulation des frühen 20. Jahrhunderts!)?


    Ob angesichts dieser grundlegenden Erkenntnisse die Devise: Ist eh nix wertvolles mehr da, also "Stahl und Glas satt" zielführend ist, wage ich zu bezweifeln. Stuttgarts Strategie, sich nach dem Krieg konsequent ein modernes Gesicht zu geben, empfanden damalige 'Wutbürger' spätestens ab Mitte der 1970er-Jahren als lebensfeindlich, was seinen Ausdruck in Verballhornungen wie 'Kaputtgart' und "Großstadt zwischen Hängen und Würgen" fand. In der Folge entgingen (die zuvor auch als "grottenhässlich" erachtete) Markthalle sowie Teile der Calwerstraße und des Bohnenviertels dem eigentlich verfügten Abriss.


    Man verzeihe mir den Exkurs. Ich würde mich wahrscheinlich gar nicht so sehr am Beispiel 'Hotel Silber' abarbeiten, wenn ich den Fall nicht als Metapher für eine in Stuttgart nach meinem Gefühl generell wieder stärker werdende Spaltung zwischen Traditionalisten und bedingunglos Fortschrittsgerichteten sehen würde. Während sich die eine Seite für 'ihre' Stadt ein klassisches, anheimelndes Stadtbild zurückwünscht und mit einer für Außenstehende vielleicht manchmal unverständlichen Zähigkeit die letzten Ankerpunkte anderer Zeiten verteidigt, sehen auf der anderen Seite manche bedingungslos Fortschrittsgerichtete in jeder Veränderung per se fast schon einen Primärwert.


    Ich bin mir (dies zuletzt Wagahai) aber sehr wohl bewusst, dass die Realität grade in diesem Forum nicht schwarz oder weiß ist, wenngleich manche selbst auferlegte Verkürzung - ich neige ja schon genug zur Weitschweifigkeit:) - vielleicht einen anderen Eindruck erweckt haben mag. Logisch ist auch, dass Herr van Agtmael sein überreiches Füllhorn nicht ad libitum über der Stadt ausschüttet - doch Stuttgart besteht nicht nur aus Breuninger, und es werden wohl auch die pöhsen Grünen in Stadt und Land nicht ganz verhindern können, dass da und dort weiterhin Hauseigentümer und Investoren Kapital für die bauliche Weiterentwicklung Stuttgarts locker machen werden.
    Einem Herrn Behnisch wiederum sollte es prinzipiell zuzutrauen sein, seinen Entwurf gegebenenfalls auch unter Einbeziehung des Altbestandes zu adaptieren, ohne dass deshalb gleich das ganze Vorhaben unrentabel wird.

    Es scheint mir ein bisschen platt und wohlfeil, jeden, der beim Auftauchen von Abrissbirne und Bagger nicht reflexhaft "Hurra, es geht was in unserer Stadt" ruft, sofort in die dumpf-biedere Fortschrittsverweigerer-Ecke zu stecken - aber nämliches widerfährt ja auch den S21-Gegnern, die nach meiner Erfahrung zu beträchtlichen Teilen (natürlich gibt's auch andere!) ihre ablehnende Haltung sehr prononciert (etwa mit bahntechnischen oder geologischen Argumenten) begründen können. Gegen Pauschalisierungen bin ich eben generell etwas allergisch...


    Mir (und auch anderen, ähnlich argumentierenden hier im Forum) geht's doch nicht drum, pauschal zu verdammen, was in jüngerer Zeit gebaut wurde und zukünftig gebaut werden soll. Was derzeit etwa beim "Gerber-Projekt" an der Paulinenbrücke geschieht, lässt sich recht vielversprechend an; anderes, bereits Gebautes zeugt, so wie das Z-up an der Heilbronner Straße, von gelungener Individualität. Doch es gibt eben - man denke nur an den gruseligste 60er-Jahre-Bahnhofsklo-Glausbausteinfassaden reminiszierenden Büchereineubau - auch genügend Beispiele, die grade in Stuttgart eine gewisse Grundskepsis geboten sein lassen.


    Es muss in jedem Einzelfall die prüfende Frage erlaubt sein, ob es einen wesentlichen Fortschritt darstellt, wenn ein vielleicht nur mittelmäßiger Altbestand gegen eine zunächst vielleicht schick und cool wirkende, bei genauer Betrachtung aber womöglich mindestens so belanglose und noch wesentlich austauschbarer wirkende Neubebauung ersetzt wird.


    Ich möchte das nochmals an einem plakativen Exempel verdeutlichen, das sicher viele im Forum zum Kopfschütteln:nono: veranlassen wird:
    Sollte dereinst eine komplette Neugestaltung des Stuttgarter Marktplatzes ins Auge gefasst werden, würde ich dafür plädieren, die derzeitige Bebauung zwischen Schul- und Münzstraße (Haufler, Kurz etc.) zu erhalten, weil sie (farblich abgestimmt und mit einer rekonstruierten Fenstergestaltung) meiner Meinung nach mehr positive Unverwechselbarkeit und Flair auszustrahlen vermag als jeder (wahlweise disneyhaft-historisierende oder ultra-trendige) Neuentwurf.


    Jedenfalls - dies zum Schluss - fielen mir in der Stuttgarter Kernstadt unzählige Punkte ein, an denen mir der Einsatz von Abrissbirne oder Sprengladung wesentlich sinnvoller und nötiger schiene als gerade beim Hotel Silber.

    Es ist aus meiner Sicht ein Missverständnis, wenn man nur jenen Gebäuden eine Bedeutung fürs Stadtbild zubilligt, die architektonisch höchsten Maßstäben entsprechen - (wer definiert die überhaupt?) - und alles andere automatisch für potentiell entbehrlich erklärt. Gewiss: Kontraste können reizvoll sein; doch von Bewohnern wie Besuchern werden eben überwiegend jene Orte und Plätze als positiv und mit hoher Aufenthaltsqualität wahrgenommen, die Geschlossenheit und Harmonie vermitteln.


    Dazu ein Stuttgarter Beispiel: Direkt neben der Stiftskirche, an der Stiftsstraße beim Übergang Richtung Schillerplatz steht ein kleines, zweistockiges Geschäftshaus - ein schlichter Nachkriegsbau, völlig unspektakulär, bei dem man aber seinerzeit durch Ziegeldach und Sprossenfenster etwas Altstadt zu simulieren versucht hat.


    Gut möglich, dass dieses Gebäude kaum jemand bewusst wahrnimmt. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass es vermisst werden würde, so bald es zugunsten eines - zeitgeschmäcklerisch beliebigen Neubaus (vielleicht - mal was Innovatives für Stuttgart: ein Glaskubus?) abgerissen werden würde. Warum? Weil es die kleine historische Insel rund um Schillerplatz und Stiftskirche einfach passend ergänzt. Beim "Hotel Silber" verhält es sich aus meiner Sicht ganz genauso.

    Ich möchte Superion und Ing22 vollkommen recht geben. Es gäbe in der Innenstadt zweifellos genug Optimierungsbedarf; doch plumpe Fortschrittsgläubigkeit ist grade in einer Stadt, in der das gebaute Mittelmaß (- Wolfgang Bachmann schrieb nicht von ungefähr jüngst über die 'Düsseldorfisierung' Stuttgarts -) weiterhin so sehr zu Hause ist, eben auch wenig angezeigt.


    Das Urteil darüber, was als minderwertige, abreißenswerte Architektur zu erachten ist, war im Wandel der Zeiten sowieso ständigen Schwankungen unterworfen: Man denke daran, dass die keinesfalls völlig zerstörte Markplatzseite des Stuttgarter Rathauses (1905 in gotisch-flämischer Manier erbaut) nach dem Krieg ganz bewusst in Stohrers Schuhschachtelstil neugestaltet wurde, weil man der Ansicht war, der überladene, "geborgte" Stil des Altbaus sei völlig wertlos. OB Arnulf Klett meinte 1956 bei der Einweihung des Neubaus, eine simple Rekonstruktion des Rathauses wäre sicher nach wenigen Jahren bedauert worden...


    Man kann über Aussagewert und historische Relevanz der veränderten Schauseite des Hotels Silber zweifellos geteilter Ansicht sein. Ich fürchte allerdings, dass sie selbst in ihrer reduzierten Wiederaufbauversion deutlich mehr Individualität und Korrspondenz zum Waisenhaus vermittelt als die sich identisch über zwei Blocks erstreckende Behnisch-Rasterfassade, die für mich - grade an dieser sensiblen Stelle - eine beträchtliche Belanglosigkeit ausstrahlt.

    Wäre es vielleicht möglich, dass auch in diesem Falle eher Ironie im Spiel war? Ich konnte jedenfalls keinen Beleg finden, wo Kontra-S21-Protagonisten ernsthaft einen Zusammenhang zwischen den Stuttgarter Bahnhofsprotesten und den Vorgängen in Ägypten oder Libyen herstellen.

    Wenigstens in der Verachtung links- wie rechtsradikal Gesinnter sind wir völlig einer Meinung, Herr Silesia, wobei wir eventuell bei der genauen Definition und Zuordnung im Einzelnen differieren könnten.


    Wogegen ich mich jedoch ganz energisch wende und wiederum meinerseits nicht schweigen werde, sind zum einen pauschale Unterstellungen ohne (genaue) Kenntnis der Person oder Sache, so wie sie Silesia interessanterweise sofort gegen mich parat hat, zum anderen die Vorverurteilung oder Generalverdächtigung ganzer Personengruppen: Alle Schwaben sind geizig, alle Bayern tragen Lederhosen, alle Stuttgarter sind kehrwochengeile Spießer, alle Grünen sind polizistenhassende, gewaltbereite Tagediebe, alle heimatvertriebenen Schlesier und deren Nachkommen sind latent rechtsradikal, alle Stuttgart 21-Gegner sind ewig-gestrige, ahnungslose Fortschrittsverweigerer usw. usw.
    Wie praktisch, wenn man sein Weltbild so einfach in links - rechts, gut - böse, schwarz - weiß zu sortieren vermag. Doch im 21. Jahrhundert sollten wir uns von einem solchen Schubladendenken eigentlich langsam verabschiedet haben.


    Was Meinungs- und Redefreiheit betrifft, darf zum Glück jeder seine Ansichten offen und unzensiert äußern, so lange Anstand, Form und Respekt gewahrt bleiben. Doch ich bin dankbar dafür, dass unsere Rechtsprechung auch mehr oder weniger klare Grenzen definiert.
    § 130 Absatz 1 des Strafgesetzbuchs vermerkt:


    "Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
    1. zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder
    2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft."


    Jenseits aller persönlichen politischen (und sonstigen) Überzeugungen sollte man die Achtung vor dem Anderen grade in Foren wie diesen, in denen es doch eigentlich in erster Linie um die hehre Baukunst gehen sollte, nicht vergessen. Einen schönen, entspannten Abend allerseits
    wünscht die von Panikattacken völlig freie


    Carina

    Mit Verlaub: Ich möchte die durch Regents Beitrag angestoßene 'Diskussion' - wenn man sie denn als solche überhaupt bezeichnen mag - nicht so wachsweich-lapidar abgeschlossen wissen, ohne noch etwas dazu geschrieben zu haben; es ist mir wichtig genug, um mich eigens in einem Forum, an dem ich aus verschiedenen Gründen bisher nur passiv rezipierend teilgenommen hatte, zu registrieren.


    Es hat meiner Ansicht nach nichts mit übertrieben engstirniger 'political correctness' oder spießigem Spaßbremsentum zu tun, wenn man es, vorsichtig ausgedrückt, grenzwertig findet, den einstigen Folterkeller der NS-Gestapo mit einer offenbar vielen hier im Forum missliebigen Partei in Verbindung zu bringen.
    Weitaus bedenklicher als ein derartiges Verständnis von Ironie scheinen mir aber jene Ausfälle, die ein 'Silesia' in Form von niederträchtigst pauschalisierenden und zugleich persönlich diffamierenden Beleidigungen hier unwidersprochen äußern darf - übrigens nicht zum ersten Mal. Begriffe wie"Linke parasitäre Elemente", die es aus dem Forum zu entfernen gilt oder "genetischer Abfall unserer Gesellschaft" erinnern an übelste 'Stürmer'-Propaganda aus unserer unseligen jüngeren Geschichte.


    Wenn ein junger Mensch ganze Bevölkerungsgruppen, die nicht in sein politisches Weltbild passen oder vielleicht auch nur von seiner Linie abweichende Ansichten vertreten, derart undifferenziert als verachtenswert abstempelt, so finde ich dies hochgradig erschreckend, zumal er dies auch noch im Schutze der Anonymität seines Avatars tut. Dass die Ausfälle in Rechtschreibung, Interpunktion und Sprache deutliche Defizite aufweisen, lässt gewisse Rückschlüsse auf den Verfasser zu, macht den Vorgang aber insgesamt nicht besser. Ich hätte mir von der Forenleitung hierzu eine eindeutigere Stellungnahme gewünscht.


    Verlaub verweigert. Allgemeine Politdiskussionen gehören grds. nicht in einen Projektthread.