Nach langer Abstinenz möchte ich mich mal wieder zu Wort melden und vor allem aedificator ein wenig unterstützen.
Hier wird immer wieder sehr viel über mangelnde städtebauliche Sensibilität bis hin zum architektonischen Unvermögen der Planer aus DDR-Zeiten schwadroniert. Ich finde, wir sollten diese mal selbst zu Wort kommen lassen. Einer der interessantesten und widersprüchlichsten Vertreter dürfte Walter Lucas sein. Hier Zitate des Chefarchitekten der Stadt Leipzig aus der damaligen Fachzeitschrift „Deutsche Architektur“:
„Aber Ausgangspunkt der Stadtplanung ist nicht mehr der alte Bestand, seine Verbesserung, und Ergänzung, sondern die Perspektive der künftigen Entwicklung. Bestimmend ist das Neue, dem das Alte sich einordnen oder Platz machen muß.“
„Der sozialistische Städtebau will keine Allerweltsstadt! Die Leipziger Altstadt ist ein historisches Produkt, das weiter lebt, in dem wir Inhalt und Form auf dem Wege der sozialistischen Entwicklung wandeln.“
Natürlich sprengt das Interpelzgebäude den Maßstab. Natürlich schert es sich nicht um Anschlüsse an irgendeinen Bestand. Das war aber kein Mangel, das war Programm! Die hinter dem Flachbau der Pelzauktionshalle auf einmal sichtbar gewordenen schäbigen Rückansichten der Häuser an der Nikolaistraße haben dabei doch nur den strahlenden Neubau unterstrichen.
Jetzt kann man natürlich hergehen und sagen, dass sich unser städtebauliches Verständnis geändert hat. Wir sind nicht mehr so radikal. Wir wollen die vermeintliche Vorkriegs-Idylle und unsern Kaiser Wilhelm wiederham :). Dann sollte man sich aber nicht auf dasselbe Ausschließlichkeits-Niveau der Stadtabreißer der 60er Jahre herablassen. Für seine Zeit war das Interpelzgebäude ein Meilenstein. Einerseits Zeichen für die neue Stadt der Zukunft, im wahrsten Sinne des Wortes auferstanden aus den Kriegsruinen und Trümmerlandschaften, die noch immer (20 Jahre nach Kriegsende!) das Stadtbild in weiten Teilen prägten. Andererseits in der Kontinuität der Funktion als Standort des Pelzhandels ein Bekenntnis zur Geschichte des Ortes. Das Gebäude überzeugt in seiner ursprünglichen Gestalt noch heute: Von der städtebaulichen Ausrichtung über die architektonischen Details der Schaufensterfront zum Brühl und dem Durchgang mit den futuristischen V-Stützen bis hin zum markanten Interpelz-Logo und der großen Leuchtschrift: „kostbar.begehrt.weltbekannt PELZE VOM BRÜHL“.
Für mich hat das Interpelzgebäude mehr mit dem historischen Ort und gelungener Architektur zu tun als sämtliche Neubauten, die seit 1990 am Brühl entstanden sind.
Und zum Schluss mal noch eine freundliche Zitatengegenüberstellung zum räumlich angrenzenden Thema Sachsenplatz allgemein.
Ingeborg Flagge, damals Direktorin des Deutschen Architekturmuseums, schrieb 1999:
„Standort des Leipziger Museums für Bildende Künste ist der Sachsenplatz,
ein innerstädtisches Brachland, das nach Norden und Osten ohne gebauten Rand ist. In diesem durch Kriegszerstörung verwundeten und in den Jahrzehnten danach verödeten Teil der Innenstadt galt es, mit einem Neubau eine Reparatur am Stadtorganismus durchzuführen.“
So hatte ich den Sachsenplatz irgendwie nicht in Erinnerung – habe ich mich derart getäuscht?!
Walter Lucas begründete die Ausformung des Platzes zur Zeit seiner Entstehung wie folgt:
„Erfreulicherweise setzt sich die richtige Erkenntnis mehr und mehr durch, lieber nichts zu bauen, als einen Platz ohne Rücksicht auf weitere Perspektiven mit einem falschen Gebäude zu belegen, das dann hindernd im Weg steht.“
!!!