FLAREplay, please!
Vorneweg
Fairerweise muss man dem Flare doch auch einiges Zugute halten! Daher erstmal ein grosses Dankeschön an Telesniuk für die handwerklich hervorragenden Fotos Sie bieten dem Flare erstmals einen deutlich angemesseneren Betrachtungsrahmen, ohne dabei eindeutig Partei ergreifen zu wollen! Zwar spielt sich Architektur zu einem nicht gerade unerheblichen Teil auf abstrakter, subjektiv-emotionaler Ebene ab - doch gleichermaßen muss Architektur ja eigentlich weitaus mehr als nur das leisten oder? Wäre ja ansonsten bissle einfach Die Emotionalisierung ist daher wichtig und richtig weil menschlich, aber weniger davon ist für den Zweck eines Forums etwas hilfreicher. Um also auf einer konkreteren und objektiv-nüchternen Ebene über Architektur zielführender streiten zu können, kann man auch den Versuch unternehmen, sich von verlockenden Parametern wie "hübsch/hässlich" etwas freizumachen, sie sind nämlich leider keine. In diesem Sinne bin ich da absolut bei sweet_meat und Schmittchen.
Städtebau
Obwohl ich überhaupt kein Fan des Projekts bin (ganz im Gegenteil!) und das Flare auch sonst keine Lobby zu haben scheint, gibt das Flare dem städtischen Raum doch wenigstens seine Fassung zurück, verdichtet es mit ausgewogen gesetzten und wohlproportionierten Baukörpern ohne dabei dem simplen Dogma eines zu schliessenden Blockrandes anheimfallen zu wollen. Das sozusagen eher "osmotische" Bewegungsmuster der Passanten an diesem heterogenen Ort mit Haupt-und Nebenstrassen, Plätzen und Vorplätzen, querverbindender Gassen und Passagen, Grünanlagen, usw.usf. darf also weiter bestehen bleiben und kann sogar weiter verstärkt werden. Mit der Nutzungsmischung kann sich das Quartier schlussendlich in attraktiver Weise weiter selbst beleben.
Leider vermisse ich allerdings eine Höhenstaffelung, das ganze Ensemble wirkt nach oben betrachtet rigorös abgesäbelt. Wenigstens ein selbstbewussteres, als solches erkennbares Attikageschoss (ist das hier eigtl. nicht vielmehr ein Technikaufbau?) oder gar ein leichter Hochpunkt hätten die Idee eines Ensembles einzelner Gebäude weiter verdeutlicht und aus der Fussgängerperspektive harmonisiert, indem all die markanten Eckgebäude hier einen ebenbürtigen Gegenspieler erhielten.
Fassade
Zu Recht echauffieren wir uns also vor allem einwenig über die Fassade, glücklicherweise ist es aber eben auch "nur die Fassade". Daher zur Beruhigung vorneweg: Dank vorgefertigter Modulbauweise liesse sich das theoretisch künftig mit vergleichsweise geringem baulichen Aufwand wieder korrigieren Taschenrechner müssen nicht gezückt werden, mir ist schon bewusst dass das nicht unbedingt gratis käme. Aber es ist zumindest kein unter die Erde gelegter Hauptbahnhof, den man wieder ausbuddeln müsste. Puh, immerhin.
Das Fassadenmodul des Flare-Living finde ich tatsächlich einigermassen charmant, da es in deutlich lesbarer Manier zeigt, dass man sich mit Themen der Ausblicke nach Draussen, des Lichteinfalls und der evtl. neugierigen Blicken nach Innen her auseinandergesetzt hat. Die versetzte Stapelung der Loggien, die markanten Schattenfugen ... es wirkt insgesamt filigran und hell, gleichzeitig plastisch und dynamisch. Damit verhält es sich also durchaus in gewisser Analogie zu den HH des Palaisquartier, aber auch zum Nitribitt-Haus. Man kann dem Projekt daher seinen Bezug zum gebauten Kontext, aber auch seinen ambitionierten Gestaltungswillen und durchaus erfrischend innovativen Ansatz wahrlich nicht absprechen.
Leider wird das Ganze spätestens am Hotel ad absurdum geführt und verkommt letztlich zur Farce. Diese Markante, aus der inneren Logik entwickelten Fassadenform des Wohnhauses dann einfach, um nicht zu sagen primitiv dem Hotelbau "überzustülpen", welches noch nicht einmal über eine Loggia oder gar eines frz. Balkons verügt, empfinde ich schlichtweg als billigdreiste Copy-Paste-Applikation. Eine Fassade ist nunmal nicht einfach nur ein Kleid das man sich überzieht, sondern Identität und Gesicht, welches unmittelbare Funktionen von Innen nach Aussen und vice versa kommunizieren soll. Dann doch lieber eine ehrlich gerasterte Lochfassade mit dafür handwerklich hochwertigen Details. Das schöne Beispiel aus Thüringen beweist hier einen deutlich höheren Level an Skill - https://de.wikipedia.org/wiki/Berghotel_Friedrichroda Ich hoffe daher sehr, dass es denkmalgeschützt ist.
Negativer Höhepunkt ist aber das schlichte weg-ignorieren der Ecksituation. Spätestens an einer Gebäudeecke zeigt sich doch architektonisches Geschick, aber hier stossen diese Module einfach unvermittelt an die Kante und laufen dann stupide ums Eck, das ist wahrlich nicht einmal Kreisliga, leider. Wenn man jetzt noch bedenkt, dass man gerade an dieser Ecke einen exponierten städtischen Raum besetzt, worauf man in der Bauhistorie normalerweise betont mit Erkern, Türmchen, besonderem Dach usw. adäquat reagiert hätte... Nun ja, aber so? Ernsthaft? Aber das wäre dann eigentlich auch schon Bezirksliga muss man ja fairerweise zugeben. Um mich jetzt nicht weiter in Rage oder gar um Kopf und Kragen zu reden, verbleibe ich hier zunächst nur noch mit dem Hinweis auf das papierne Dächlein zwischen Hotel und Mittelbau, welches spätesten bei der 11. Taube einzustürzen droht. Daher schliesse ich jetzt lieber mit meinem Fazit ab...
Fazit & These
Ich wage trotzdem mal die Vermutung, dass wir es in ein paar Jahren aber nicht mehr missen wollen, genauso wenig wie das durchaus streitbare MyZeil-Projekt etc.pp. Ach und was nimmt sich überhaupt dieser Detektiv Tudor heraus, dem Eschenheimer Tor in solch ungehobelter Weise gegenüber zu treten? Spass beiseite! Also zur Allzweckwaffe "passt sich der Umgebung nicht an" ist man ja in vielen Fällen legitimerweise geneigt zu greifen, hier wäre das jedoch genau falsch adressiert. Denn der eigentlich grösste Fremdkörper ist hier schliesslich das rekonstruierte Palais Thurn & Taxis oder etwa nicht? Empfinden wir es nun deswegen alle als störend oder gar deplaziert? Vermutlich nicht, dafür muss man noch nicht mal in die Geschichtsbücher der Stadt blicken. Eher sind wir doch um jede (positiv intendierte) Vielfalt froh, die gerade diesen Ort so spannend machen. Ich teile diese latent vorherrschende Furcht nicht, dass das Neue das Alte automatisch verdrängt, statt zu ergänzen, wenn es sich nicht explizit wegduckt.
Der gesamte Bereich um Eschenheimer Tor ist offiziell zwar ein Platz, doch strenggenommen bloß eine unsägliche Verkehrsverknotung, trotzdem knüpfen hier an all seine Eckpunkte sehr gut funktionierende, lebendige Gebäudeensembles und Strassenräume an. Ich halte mich daher weiterhin sehr gerne an diesem urbanen Ort auf und bin also guter Dinge, dass das in Zukunft dank weiterer toller Projekte in der näheren Umgebung sogar nur besser werden kann! Auch das Flare leistet hier seinen Beitrag! (auch wenn ich mir persönlich hier eher noch ein weiteres HH gewünscht hätte)