Outsch! Was ist denn das für ein Unsinn?
Ein TLDR vorweg: Jaeschke hätte in Sachen Aussagekraft auch die Außentemperatur mit seiner Telefonnummer vergleichen können. Dennoch zieht er daraus munter Schlüsse , die so nicht zu ziehen sind. Ansonsten reiht er die wohlbekannten und widerlegten Scheinargumente der Automobilideologen aneinander. Das hält Regional Heute nicht davon ab, Außentemperatur, Telefonnummer und Trugschluss (nota bene: in Anführungsstrichen) in die Überschriften zu packen. Am Ende wird uns dann in der Konklusio untergeschmuggelt, dass die neue Gebührenordnung das Problem ist. Blöd nur, dass von einem Sonntag die Rede ist, an dem diese gar nicht greift.
Ohne unterstellen zu wollen, dass das bewusst passiert ist, bleibt festzustellen: Das ist hochgradig manipulativ.
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Aber der Reihe nach:
Was müssen wir da lesen:
22 % Prozent aller Besucher das Stadtfrühlings kommen aus dem Umland. 2019 waren es noch 40 %. 1Ein Rückgang von 18%!!!111 Schlimm, dass!! Das bedeutet ja, dass 18 % aller Menschen aus dem Umland haben sich also entscheiden, nicht mehr... also... Hä?!? das macht ja gar keinen Sinn?!?
Genau. Ohne absolute Zahlen ist das alles frei von jeder Aussage, sieht man davon ab, dass es schlimm klingt.
Muss es aber nicht sein: Denn ohne Kontext können diese Zahlen sogar einen absoluten Zuwachs an Besuchern aus dem Umland besorgniserregend klingen lassen.
Wie das funktioniert sehen wir uns mal an einem Beispiel: Nehmen wir an, 2019 wären 10.000 Menschen gekommen und dieses Jahr 18.000, so wären plötzlich 260 Menschen mehr aus dem Umland angereist.
Rechnen wir mal nach:
2019: 3.700 Menschen (= 37 % x 10.000)
2024: 3.960 Menschen ( = 22 % x 18.000).
Das ist, zugegeben, wild ins blaue geratener Kontext. Aber es geht dabei ja nur darum, zu zeigen, dass diese Prozentangaben vollkommen ungeeignet sind, die These aus der Überschrift zu stützen. Im Gegenteil.
Dennoch: Dieser Zuwachs um 80 % seit 2019 klingt erstmal unrealistisch. Nimmt man jedoch die (tatsächlichen) 57% Zuwachs zu 2023, und rechnet das in das obige Beispiel der absoluten Zahlen ein, so wären es:
2024 18.000 Menschen ( = 157% )
also im Vorjahr gewesen, '
2023 11.464 Menschen ( = 100%).
Und das wäre von den 10.000 in 2019 nicht mehr so unrealistisch weit entfernt, nämlich rd. 11,5 % über 3 Jahre, um genau zu sein.
Alles reines Gerate, meine angenommenen Zahlen können gar nicht stimmen, (s.u.) aber es bleibt, dass es durchaus sogar möglich wäre, dass uns Jaeschke da einen Zuwachs verschwiege. Wahrscheinlicher ist, dass er einen überschaubaren Rückgang dramatisiert ob nun bewusst oder unbewusst. Herausfinden können wir es nicht.
Und damit habe ich ein Problem: Dass er aus den Ergebnissen der Kundenbefragungen, die sicherlich einiges mehr an Daten hervorbrachte, ausgerechnet Zahlen präsentiert, die zwar scheinbar seine weitere Aussage untermauern, aber auf den zweiten Blick nichts wert sind, wirft bei mir den Verdacht auf, dass er da Rosinenpickerei betrieben hat..
An der Stelle möchte ich den Vorposter zur Vorsicht aufrufen: 37% um drei Prozentpunkte zu "fast 40" aufrunden, die 22 % aber nicht um ebenfalls drei Prozentpunkte zu "fast 25 " aufzurunden, mag eine kleine Nachlässigkeit sein, aber ist bereits geeignet, eine manipulative Wirkung zu erzielen.
Aber es wird noch viel wilder:
Selbst diese Beispielrechnung zu Anschauungszwecken krankt daran, dass sie die Vergleichbarkeit dieser 22 % vs. 37 % annimmt. Die es nicht gibt. Er vergleicht nämlich nicht den Stadtfrühling 2024 mit dem Modeautofrühling (sic!) 2019, sondern mit allen verkaufsoffenen Sonntagen in 2019, also auch dem vor Weihnachten. Das sorgt dafür, dass nicht erst die relativen 22 % vs, 37 % kein brauchbares Abbild der Daten zeigen. Nein: Es sorgt dafür, dass nicht einmal der Kontext in Ansätzen vergleichbar ist.
So lässt sich zum Beispiel der Fakt ignorieren, dass 2024 der Stadtfrühling ein Tag am Ende des Monats April, der durch Ostern sehr teuer war, während das neue Gehalt bei vielen noch nicht auf dem Konto war. Je älter der Monat, desto geringer die Besucherfrequenz (mit Ausnahme des Dezembers), ein in Gastronomie wie Einzelhandel bekanntes Phänomen. Und dann der Zeitraum: Die Zahlen in den Überschriften beziehen sich auf Werte von vor 5 Jahren. Vor 5 Jahren?
Ach ja. Das war ja vor der Pandemie, die insbesondere die Einkaufsgewohnheiten der Menschen massiv und nachhaltig verändert hat.
Beide Faktoren haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Besucherzahlen des Stadtfrühlings, aber darüber redet Jaeschke nicht. Stattdessen: Parkplätze! Viele und kostenfrei! Und bitte keine Fahrradkundgebungen am verkaufsoffenen Sonntag.
Aber es wird noch viel wilder:
Wechseln wir mal die Perspektive: Uns wird suggeriert, dass Menschen, die unbedingt mit dem Auto kommen müssen, weniger Lust auf die Innenstadt von BS haben. Glauben wir das mal ganz kurz, müssen wir daraus zwei Dinge schließen:
Entweder sind deutlich weniger Menschen insgesamt gekommen (was irgendwie nicht so klingt, sonst hätte Jaeschke diesen Rückgang betont und nicht den Besucherschwund aus dem Umland, wir erinnern uns an die 57 % ggber dem Vorjahr)
Oder es haben sich mehr Menschen aus Braunschweig wieder auf den Weg in die eigene Innenstadt gemachet, obwohl die Verkehrssituation für MIV-Nutzende beschwerlich war.
Oder aber die Überschneidung beider Szenarien.
Daraus liesse sich nun wirklich nicht herauslesen, dass die Verkehrswende ein Schlag ins Wasser ist. Im Gegenteil lässt sich darauf auch die These aufbauen, dass die Verkehrswende denjenigen, die nicht darauf bestehen, dass Auto zu nutzen, mehr Lust auf die Innenstadt macht.
Aber, so mein Eindruck, genau das will Jaeschke nicht. Er pickt, sei es bewusst oder unbewusst, aus der Menge an Zahlen, die aus dieser Erhebung hervorgeht, die dramatischste heraus, ungeachtet ihrer Aussagelosigkeit.
Warum sollte er das tun?
Nun, ich kann mich immer weniger des Eindrucks erwehren, dass er nicht von der Ratio geleitet ist, sondern eine ideologische Agenda verfolgt. So wird er im Letzen Teil des Artikels zitiert mit „Das neu eingeführte 24-Stunden-Ticket in Teilen der Innenstadt ist schon ein erster Schritt in die richtige Richtung, reicht aber als Ausgleich für die eingeschränkten Parkmöglichkeiten durch die neue Gebührenordnung noch nicht aus"
Leider nämlich hat diese neu eingeführte Gebührenordnung mit dem verkaufsoffenem Sonntag nichts zu tun, denn eine Parkraumbewirtschaftung innerhalb der Okerumflut findet nur an Werktagen statt.
Man könnte meinen, es gehe ihm darum, die Verkehrswende aufzuhalten. Dazu passt, dass der Rest seiner Aussagen ein Potpourie aus der Mottenkisten der Automobil-Ideologie ist:
Ältere und Mobilitätseingeschränkte, also neben Kindern diejenigen, die von einer autozentrierten Stadt am stärksten benachteiligt werden, halten als Grund dafür her, dass man bloß nicht die Privilegien des Autos infrage stellen soll? Check!
Das Wort "Miteinander" als getarnte Drohung, dass man nur dann bereit für eine friedliche Auseinandersetzung wäre, wenn man nicht an den Privilegien des Autoverkehrs rüttelt? Check!
Irgendwas mit "realitätsfern" im Bezug auf Fahrradverkehr? Check!
Irgendwas mit "Vernünftige Verkehrspolitik" im Bezug auf Autoverkehr? Check!
Ich glaube, ich habe ein Bullshit-Bingo!
Blödeleien beiseite.
Die Verkehrswende ist ein Prozess, der enorm viel Fingerspitzengefühl erfordert. Dieses Poltern aufgrund vollkommen irrige Annahme ,dass die Verkehrswende der Todesstoß für die Innenstädte sei, verhärtet nur Fronten. Untermauert man das mit Zahlen, die jeden, der einmal kurz näher hinschaut, die Haare zu Berge stehen lassen, schadet man nur der eigenen Glaubwürdigkeit.
Dabei will niemand verhehlen: Die Verkehrswende ist für die Innenstädte kurzfristig eine Herausforderung. Aber ebenso gilt: Langfristig ist sie die beste Chance, die sie hat. Der innenstädtische Einzelhandel hat gegenüber dem Internet den Vorteil des Erlebnischarakters des Einkaufens zu bieten und gegenüber dem Einzelhandel auf der grünen Wiese, dass er nicht nur mit dem Auto erreichbar ist. Witzigerweise sagt Jaeschke ja selber: "Die hohe Zentralität sei bisher immer ein besonderes Qualitätsmerkmal der Braunschweiger Innenstadt gewesen und gleichzeitig das zentrale Argument für die Ansiedlung attraktiver Konzepte in Handel und Gastronomie in der Innenstadt" zitiert ihn Regional Heute.
Es ist aber nunmal nicht Zentralität, die potentielle Kunden interessiert, es ist einfache Erreichbarkeit.
Das klingt, als wäre es das Gleiche.
Ist es auch für alle Verkehrsträger, bis auf ausgerechnet das Auto, denn hier sind die Trümpfe ein direkter Autobahnanschluss und ein riesiger, ebenerdiger kostenloser Parkplatz. Da können das Gros der Innenstädte realistisch aber nicht mithalten. Und Braunschweig gehört dazu. Bedeutet für also auch Braunschweig: Für den Mensch, der kein Auto hat, sein Auto stehen lässt oder abschafft wird die Innenstadt attraktiver, weil plötzlich einfacher zu erreichen. Gleichzeitig lässt sich an Bohlweg, Hagenmarkt, Eiermarkt oder Neuer Straße sehr gut ablesen, dass Autos (fahrend oder stehend) und attraktive Umgebung einander ausschließen.