Hallo,
vor einigen Wochen bin ich im Urlaub u.a. in die Region von Kaliningrad gefahren. Aufgrund ihrer Geschichte, ihrer Abgelegenheit und des Aufwands, ein Visum zu bekommen, wird hier im Forum nicht häufig darüber berichtet. Auch dort gibt es aber natürlich deutsche Architektur.
Wer geschichtlich interessiert ist, wird vielleicht Annahmen in bezug auf Kaliningrad haben, die zur Beurteilung der jetzigen städtebaulichen Situation letztlich nicht angemessen sind. Ich selbst empfand die Stadt jedenfalls anders, als ich vorher gedacht hätte. Auch wenn ich sie innerhalb der wenigen Tage, die ich dort war, nicht wirklich kennengelernt habe, möchte ich deshalb vorab auf folgende Punkte hinweisen:
-- Königsberg war wohl nie eine Metropole, und nach dem Ersten Weltkrieg schon gar nicht. Die Stadt hatte in der Weimarer Zeit etwa 250-370.000 Einwohner, also in etwa soviel wie Wuppertal oder Bielefeld heute. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden diese Einwohner nicht einfach gegen Sowjetbürger “ausgetauscht”. Vielmehr wuchs die Bevölkerung durch Ansiedlungsprogramme auf heute ca. 420.000 (in der Verwaltungsregion insgesamt leben heute ca. 1 Mio. Einwohner).
-- Kaliningrad hat sich entsprechend seiner Geschichte gegenüber dem früheren Königsberg stark verändert. Bis unter Breschnew war es sowjetische Politik, die Spuren der deutschen Geschichte zu tilgen. Dabei gelang dies jedoch nur bedingt, nämlich in der stark kriegszerstörten Altstadt und auf (zugegeben: großen) Flächen der Innenstadt. Selbst in der Innenstadt blieben in Nebenstraßen jedoch verschiedene nutzbare Vorkriegsgebäude erhalten. Einige eher periphäre Viertel blieben teilweise (Hufen) oder sogar weitestgehend (Amalienau) intakt.
-- In den Jahren nach der Wende begann eine relativ eigenständige Entwicklung von Stadt und Region. Diese Entwicklung verläuft langsamer und ungleichmäßiger als in den Nachbarstaaten (Polen, Litauen). In den letzten Jahren zieht sie allerdings an. Dabei wird auch viel Geld aus dem GUS-Raum in Gebäude in Kaliningrad investiert. Die Wohnverhältnisse sind aber immer noch sehr bescheiden.
-- Die Einwohner Kaliningrads, obwohl sie loyal zu Rußland bleiben, entwickeln eine eigene Regionalidentität, bei auch der Wunsch besteht, an der deutschen Vergangenheit anzuknüpfen und sie eigenständig weiterzuentwickeln.
Wie ist es nun also, nach “Königsberg” zu fahren?
Wir haben uns der Stadt vom Südwesten, vom Frischen Haff aus, genähert. Schon während man die Stadt vom Wasser aus sieht, hat man schon vereinzelt kleinere Bootsstellen und verschiedene Kräne und Kleinsiedlungen am Wasser. Bis zum Stadtrand ist die Landschaft am Haff leicht hügelig, mit brachliegenden Feldern (wie fast überall in der Region) und dunklen Bäumen, die teilweise auch direkt die Straße säumen. Ähnlich wie in einer deutschen Stadt vergleichbarer Größe kommen dann verstreut diverse Gewerbeanlagen sowie ein- und mehrgeschossige Vorstadthäuser (Einzelbauten und größere Komplexe) in den Blick. Bsp. Für ein neueres Wohngebäude:

Am Fuß eines Hügels fährt man dann bei schon relativ dichter Bebauung durch das Brandenburger Stadttor (hat nichts mit Berlin, sondern mit einem Nest an der heutigen Grenze des Kaliningrader Gebiets nach Polen zu tun). Dahinter bietet sich dann erstmal ein bestürzendes Bild.

Man ist in der Stadt. Vor sich hat man eine große Straße, den Leninskij Prospekt, an dem zu beiden Seiten 6-geschossige Wohnhäuser in völlig anspruchsloser Betonbauweise stehen. Diese Straße führt vielleicht (gefühlt) 3-500 m. geradeaus, bevor sie schräg nach links abschwenkt und dann sehr breit ins Zentrum führt.

Linkerhand öffnet sich die Stadt nach etwa 600-800 m. im Bereich der früheren Altstadt. Zuerst sieht man Hafen- und dann Sportanlagen. Der Hafen:

Rechterhand erkennt man von einer Brücke über die Altstadtinsel die Börse...

... und den (erstaunlich klein dastehenden) Dom,

...hinter dem auf der anderen Seite des Pregels die ersten Ansätze zu einer “neuen Altstadt” nach russischer Oligarchenphantasie zu sehen sind.

Weiter dahinter wirkt die Stadt allerdings gleich wieder ein ernüchternd:

Die Kreuzkirche von 1930-33 steht inmitten dieser Betonlandschaft (ehem. Stadtteil Lomse) eher verloren da (heute ist sie russisch-orthodox):

Aber ich schweife ab. Denn eigentlich bin ich am ersten Abend natürlich nicht hinter dem Dom umhergehirrt, sondern ins Hotel “Kaliningrad” gefahren, das sich an der nächsten großen Kreuzung befindet. Während die Hauptstraße wieder schräg nach links abknickt, zweigt nach eine große Seitenstraße ab. Vom neuen EKZ gegenüber dem Hotel hat man das folgende Bild:

Bis zu seinem Abriß stand am Platz des Betongebäudes (“Haus der Räte”) fast bis zur Kreuzung das Königsberger Schoß. Bei seinem vor der Krise projektierten Wiederaufbau (bis 2015) wurde angedacht, das Haus der Räte stehen zu lassen/in den (verkleinerten) Schloßneubau zu integrieren und mit mehreren Hochhäusern zu einem Hotelkomplex zu ergänzen. Mir erscheint dieses Projekt zweifelhaft. Zur Zeit ist aber ohnehin unklar, ob es umgesetzt werden wird.
Auch links vom Haus der Räte gibt es übrigens viele Freiflächen. Diese sind – jetzt im Morgenlicht photographiert – zu einem großzügigen Stadtpark geformt worden:

Die Brücke, von der aus ich das obige Bild gemacht habe, führt übrigens zu der inzwischen vorbildlich restaurierten Stadthalle von 1912:

Dahinter gibt es weitere, eher schäbige Wohnblocks (Detail):

Außerdem finden sich dort, etwas überraschend, aber auch Reste weiterer Vorkriegsbebauung; etwa die Königin-Luise-Schule:

...oder die Ostpreußische Landschaft:

Je nach Zuspruch werde ich demnächst weitere Bilder in diesen Thread einstellen, als nächstes dann zum Zentrum (Hansaplatz, Landgericht, Bahnhöfe, Luisenkirche) und weiter zu Hufen und Amalienau.