Beiträge von Urbanist

    Das Nikolaiviertel war der Versuch einer strauchelnden DDR, durch teilweise Rückbesinnung auf das preussische Erbe der stetigen Abwanderung der Leistungsträger etwas entgegen setzen.

    Das finde ich nicht ganz schlüssig; schließlich hatte die DDR es in den 80ern nicht nötig der "Abwanderung der Leistungsträger" ausgerechnet die Rückbesinnung auf das preußische Erbe entgegenzusetzen, dafür gab es ein anderes, wesentlich robusteres Bauwerk.

    Ich denke dass die Rückbesinnung auf historische Architektur zu dieser Zeit in der DDR eher auf den zu dieser Zeit dominanten intellektuellen Zeitgeist namens Postmoderne zurückzuführen war, der einige Jahre zuvor auch schon in westlichen Ländern diese Entwicklung ausgelöst hatte. Während der 80er Jahre war es eine Zeit lang ein ausgeprägter kultureller Konsens, dass ein Ausweg aus der Krise der modernen Architektur die zumindest teilweise Rückwendung zur Vergangenheit sei, daher auch die politischen Mehrheiten für solche Projekte.

    Wir leben aber heute unbestreitbarer Weise in einer anderen Zeit, und zumindest in Berlin gibt es für solche Projekte offenkundig keine politische Mehrheit mehr. Vielleicht hat es damit zu tun dass die große Mehrheit der Bevölkerung andere Sorgen und Interessen hat als die Forumsmitglieder hier? Vielleicht sind die Aufgaben der Zeit auch ganz andere als die der 1980er Jahre?

    Vielleicht ist nicht die Hinwendung zur angeblich seligmachenden Vergangenheit die relevante Fragestellung, sondern wie ein funktionsgemischtes, verkehrsvermeidendes, dichtes, kleinteiliges, sozial inklusives, dekarbonisiertes und kreislaufwirtschaftsfähiges Quartier dort entsteht?

    Warum sollten die senatseigenen Gesellschaften nicht im Prinzip in der Lage sein eine Weiterführung des Nikolaiviertels zu bauen wenn es dafür Finanzierung und eine politische Mehrheit gibt?

    Dir ist bewusst dass die Idylle (?) des Nikolaiviertels als volkseigener Wohnungsbau von VE Baukombinaten überwiegend in serieller Typenbauweise errichtet wurde, also von einer noch sehr viel höher aggregierten und kollektivistischeren Variante sozialen Wohnungsbaus als das was jetzt als Bauherrenschaft zur Debatte steht?

    Aber was hat all das allgemeine Gejammer jetzt mit einer Koalitionsentscheidung zu tun?

    Glaubt hier jemand dass das alles besser werden würde wenn nur die FDP in eine Koalition aufgenommen werden würde?

    Aber vielleicht reicht manchem hier ja auch schon dass diese Partei wohl in erster Linie dafür sorgen würde dass die Immobranche dann ihre Lobby in der Regierung hätte und die SUVs weiterhin ungehindert von Zehlendorf in die Stadt fahren und dort möglichst kostenfrei abgestellt werden können.

    Die Probleme die hier beklagt werden haben ihren Ursprung in der Zeit vor ungefähr 20 Jahren, als in Folge des Bankenskandals (wer war nochmal dafür verantwortlich?) die Herren Wowereit und Sarrazin Sparpolitik und Personalabbau "bis es quietscht" betrieben haben; und jetzt quietscht es eben, wie bestellt, so geliefert.

    Dazu kommt eine grundsätzlich dysfunktionale Zweistufigkeit der Verwaltung mit Senats-und Bezirksebenen, die Kompetenzunklarheit und Behördenpingpong zur Folge hat; aber das ist ein uraltes Problem, dessen Kern darin liegt dass 1990 diese problematische Struktur als Westberliner Erblast der ganzen Stadt übergestülpt wurde und damit erst Recht zum Problem wurde.

    Die pragmatischste Lösung als Individuum ist wohl einfach wegziehen.

    Ein mal einen Fuß in der Tür (Randbebauung) gibt es absolut keinen Weg, dass schleichend immer mehr Fläche bebaut wird?

    Das ist eben auch meine Befürchtung. Die "Randbebauung" dient doch im Wesentlichen als Türöffner, und wenn es die gibt ist die Rutschbahn in Richtung weiterer "Arrondierungen" doch eröffnet.

    Natürlich glaube ich nicht dass irgendwann das ganze Tempelhofer Feld bebaut wird, aber die Gefahr dass dort am Ende nur eine mittige Grünfläche im Format eines weiteren gewöhnlichen Stadtparks wie etwa der Hasenheide übrig bleibt ist sehr real.

    Das hat dann nichts mehr mit der Tempelhofer Freiheit zu tun, die etwas Einzigartiges ist.

    Eine zweite Hasenheide brauche ich auch nicht, die gibt es schon und ich finde sie öde genug.

    Ich frage mich eigentlich ob manche Foristen in einer Parallelwelt leben wenn sie das Tempelhofer Feld als eine Art kaum genutzte Brache beschreiben, oder ob sie sich einfach dort nie aufhalten?

    Ich wohne dort ganz in der Nähe, und zumindest im Sommerhalbjahr bin ich im Schnitt an 2 von 3 Tagen dort, ich denke also ich kenne das Feld und die Art wie es genutzt wird ziemlich gut. Und grade in den letzten 12 Monaten ist mir aufgefallen dass das Feld so voll ist wie nie zuvor, selbst an spätwintrigen Sonntagen mit schattigen Temperaturen halten sich dort Nutzende in einer Anzahl auf die noch vor einigen Jahren nur an warmen Sommerwochenenden erreicht worden wäre; das Feld ist grade in den Zeiten der Pandemie zur Rettung Hunderttausender geworden die in den hochverdichteten Quartieren nebenan in der Regel ohne Garten, oft sogar ohne Balkon leben müssen.

    Das Feld wird mit einer Intensität genutzt die an manchen Tagen mittlerweile selbst trotz seiner enormen Dimensionen das Alleinsein dort schwierig macht; ich denke der Tiergarten kommt an jedem beliebigen Tag nur auf einen Bruchteil der Besucherzahl des Tempelhofer Feldes.

    Und deswegen empfinde ich die Gewohnheit einiger hier diesen Lebensraum für Hunderttausende und die vielen, vielen verschiedenen Arten ihn zu nutzen (bekommt man von seinem Sessel oder dem eigenen Garten aus natürlich eher weniger mit) als Brache für eine Handvoll Freaks darzustellen verdammt arrogant, ignorant und elitär.

    Echt? ;)

    Ich denke es gibt schon ein paar Indizien dafür dass Covid der Katalysator und Beschleuniger für Prozesse ist, die durchaus eine Ende des Megatrends "Reurbanisierung" zur Folge haben können.

    Die Krisenerfahrung haut doch ganz schön Macken in den Lack des postmodern-romantisierenden Metropolennarrativs, demographisch geht Europa so langsam der Nachschub an großstadtgeilen Nachwuchshipstern in der Sturm-und-Drang Phase aus, die Umstrukturierung der Arbeitswelt und die fortschreitende Digitalisierung ebnen die realweltlich-physischen Fühlungsvorteile der Metropole ein, die währungspolitisch herbeigeführte Inflation der Vermögenswerte macht das Wohnen in Metropolen immer unerschwinglicher...

    Ich wäre mir nicht so sicher dass "danach" es einfach weiter mit dem Wachstum geht wie vorher, und eben deshalb gibt es auch keinen Grund ausgerechnet jetzt wo der Trend sich umkehrt das einzigartige Tempelhofer Feld zu opfern; aber die SPD ist ja eh eine Truppe von opportunistischen Spätmerkern die der Zeit gerne um 10 Jahre hinterherhinken und sich dabei total modern finden, so richtig cool 2.0 eben...:evil:

    Nur zur Erinnerung: Sowohl der Mäusebunker wie auch das Institut für Hygiene und Mikrobiologie waren Gegenstand sehr konkreter Abrissbestrebungen seitens des Eigentümers, insofern war die Unterschutzstellung dieser Bauten der Nachkriegsmoderne tatsächlich und auch "in dieser Menge" dringlich.

    Es ist doch das alte Narrativ was deinen ganzen Beitrag prägt: "Ich mag diese Igittigitt-Brutalismusmodernemonster nun mal nicht, also sind sie auch objektiv verzichtbar und können weg, und wenn sie jetzt vermehrt unter Denkmalschutz gestellt werden, muß ja irgendwie eine ETH-Zürich Verschwörung mit der Topagentin Lüscher an der Spitze dahinter stecken, weiß doch jedes Kind dass die Welt insgeheim von Schweizern beherrscht wird..."

    Das hat aber nun mal nichts mit den fachlichen Kriterien der Denkmalpflege zu tun.

    "Tempelhofer-Feld Verweigerer"? WTF?

    Das soll wohl eine Analogie zu "Maskenverweigerer" sein nehme ich an...

    Komm doch mal am Wochenende aufs Feld und erklär den Zehntausenden die dort ein wenig den Auslauf genießen dass sie "Tempelhofer-Feld Verweigerer" sind wenn sie nicht bereit sind diesen Freiraum unter Jubelrufen der Immobilienmafia zum Fraße vorzuwerfen...

    Ich kauf mir Popcorn und guck dir dabei zu.

    Wenn ich mal meine 5 Cents dazugeben darf, dann ist doch das wirklich dystopische und anti-urbane hier der extrem aufgeweitete Straßenraum der autogerechten Stadt; solange sich an diesen Straßen- und Kreuzungszuschnitten nichts ändert wirkt das Rumkritteln an irgendwelchen Fassadendetails von Randbebauungen doch eher wie das Ignorieren des Elefanten im Raum.

    Überhaupt fällt mir in Dresden außerhalb der "Altstadt" immer wieder auf, wie extrem beim Wiederaufbau die Ideologie der autogerechten Stadt offenbar zum Zuge gekommen ist.

    Schon schade, dass die Vorgängerbauten nicht erhalten bleiben konnten, es hätte auf diesem Abschnitt ein Ensemble mit vier exemplarischen Vertretern unterschiedlicher Bauepochen werden können: Der Sockel des Upper West aus den 2010er Jahren, der Gloria-Palast aus den 1950ern, das postmoderne Geschäftshaus aus den 1980ern und der Altbau aus den 1880ern.

    So haben wir jetzt dort einen schick sanierten Altbau und jede Menge gepflegte Langeweile der 2010er, der Reiz der verschiedenen historischen Schichten der Bebauung ist verloren.

    Das finde ich auch sehr irritierend, diese demonstrative Präsenz von Autos auf den Strassen; das wirkt für ein Stadtviertel was im Jahr 2020 neu entsteht sehr altmodisch. Dafür hat man das Nahversorgungszentrum nicht in der Siedlung untergebracht, sondern schön separiert am Rande, mit ordentlich Parkplätzen zur Strasse hin und wahrscheinlich gar nicht durch die Architekten der Siedlung gestaltet, sondern wohl im Corporate Design der dort sich einmietenden Handelsketten. Von kleinteiliger Mischung keine Spur.

    Mögen die Fassaden auch noch so rationalistisch sein, für ein neues Stadtquartier der 2020er Jahre sind diese grundsätzlichen Programmierfehler enttäuschend und von unzulänglichem Standard.

    Vielen Dank für die Präzisierung. Wenn ich mir die Fotos anschaue, sieht es mir so aus, als ob es sich um eine Kernsanierung im entmieteten Zustand handelt, deswegen hatte ich ja auch von einer vollständigen Gebäudesanierung gesprochen. Wir bewegen uns natürlich im Bereich der Spekulation, aber ich glaube kaum, dass ein Investor bei einer so aufwändigen Sanierung ausgerechnet die Fassade kaum anfasst, um unter der Bagatellgrenze zu bleiben, zumal eine solche Investition wie von Dir beschrieben über die Kaufpreise mehr als wettgemacht werden kann. Uns bleibt wohl nur abzuwarten und das Ergebnis zu bewerten.