Beiträge von gralsritter

    Theseus,



    ein Mäzen ist keineswegs -wenn auch nur moralisch- verpflichtet, sich der eignen Meinung zu enthalten und zu fördern, egal was da nach Förderung verlange bzw. von staatlicher Seit oktruiert werde.



    Zwei Beispiele:


    - Der Generaldirektor der Berliner Museen Wilhelm von Bode und sein damaliger Assitent Hugo von Tschudi begründeten 1897 die berühmte Berliner Sammlung französischer Impressionisten, die weltweit erste in einem öffentlichen Museum. Den beiden gelang dies trotz der konservativen Kulturpolitik des Deutschen Reiches und entgegen dem ausdrücklichen Wunsch Wilhelms II.
    Bode und Tschudi bedienten sich dem Förderungswillen bedeutender meist jüdischer Mäzene wie James Simon, Eduard Arnhold und einem halben Dutzend weiterer.
    Hier wurde also ganz bewußt offizielle Kulturpolitik konterkariert und das durch private Kulturförderung. Ergebnis war eine der bedeutendsten Sammlungsabteilungen der Nationalgalerie.


    - Besagter Herr Peter Dussmann schenkte Berlin vor einigen Jahren die wunderschönen Schuppmann-Kandelaber, die heute die Linden säumen. Herrn Peter Strieder, Stadtentwicklungssenator mit zuweilen Louis-XIVesken Anwandlungen, gefiel das so gar nicht. In seiner Realität hatte möglichst alles (und das sah er wohl auch wirklich so allgemein) durch möglichst kleinkarriertes (IMHO) Zeitgenössisches ersetzt zu werden. Welche schmutzige Wäsche Herr Strieder genau kannte, weiß ich nicht. Jedoch konnte er in seinem Amte walten und wüten, wie er wollte. Und so unternahm er auch den Versuch, die Aufstellung jener Kandelaber unbedingt zugunsten neuer Peitschenmasten zu verhindern.
    Glücklicherweise unterblieb dies und der deutlich mehrheitsfähigere "persönliche Geschmack" des Mäzens Dussmann setzte sich durch.

    Veenenberg,


    vielen Dank für diese wunderbare schwärmerische Beschreibung des alten Berlin. Wer Bildbände über den Vorkriegszustand durchblättert (etwa von Max Missmann), kann das hier beschriebene schmerzlich im Bild nachvollziehen. Ein schrecklicher Verlußt in der Tat.


    Jedoch muß ich beipflichten: Das alte Berlin auferstehen lassen zu wollen, ist utopisch und würde auch heutigen Anforderungen nicht gerecht. Eine Stadt muß leben und sich entwickeln. Die Frage ist, welcher Vorbilder sie sich dabei bedient. Und inzwischen werden erfeulich oft die m.E. richtigen gewählt. Kollhoff, Kahlfeldt, Kleihues jr., Patzschke, Nöfer, Graetz u.a. machen es vor, indem sie klassische Formen wählen - ob es die klassische Moderne ist oder ein wirklicher Neu-Klassizismus.


    "Spree-Athen ist tot. Spree-Chikago wächst heran." (Walter Rathenau)

    Ben,


    es ist doch aber Sinn eines Diskussionsforums, darin zu diskutieren. Sofern AeG (oder jemand anderes!) nicht in reine Polemik verfällt, geht diese Diskussion durchaus auch voran. Andernfalls könnte man diese ganze Seite schließen, da keine der hier geführten Diskussionen irgendeinen Einfluß auf die gebaute Realität haben wird.


    Zum Thema Menschenwürdigkeit/-unwürdigkeit möchte ich anfügen, daß dies ein höchst subjektives Kriterium ist. Ich fühle mich von meiner 30er-Jahre Wohnung mit sehr engem Bad, knarrenden Böden und schiefen Wänden ganz und gar nicht entwürdigt. Ganz im Gegenteil... Zwar würde ein Billy-Regal niemals plan an einer meiner Wände stehen können - ich würde aber auch niemals eines kaufen. Fänd ich viel unwürdiger...

    Dase,


    ganz recht. Und wenn man Geld dafür aufwendet, Stuck abzuschlagen, hätte man das Geld auch verwenden können, ihn zu reparieren. Fachkundiges Personal dafür gab es. Und in so schlechtem Zustand war er vor allem wegen des vorangegangenen Krieges und der Wirtschaftskrise. Jeder Bau braucht einen gewissen Unterhalt. Wenn er also alle 20 Jahre mal saniert werden muß, ist das durchaus zumutbar. Und solche Sanierungen waren neben o.g. Faktoren eben oftmals in Berlin auch überfällig.


    Stuckbauten sind überigens, AeG, beiweitem nicht nur in Berlin mit seiner angeblichen Immobilien-Hai-Mentalität zu finden sondern in ganz Mitteleuropa. Auch z.B. in New York wurden bei weitem nicht alle Brownstones aus dem triassischen Sandstein gebaut, der den Namen gab. Viele sind wie in Berlin Ziegelbauten mit -taadaaa- Stuck. Berlin war mit seiner Bauweise sogar vorbildlich für nordamerikanische Architektur, vor allem in Chikago.


    (vgl.: Geraniotis, R.M., Early German Contribution to Chicago's Modernism, IN: Zukowsky, John [Hrsg.], Chicago Architecture, Vol. 1, München 1999, S. 91 et seqq.)

    für 40 stockwerke wäre nun aber die grundfläche dieses Baus auch viel zu gering. das hätte sehr unproportioniert ausgesene. mit mies' erstem kantigen entwurf wäre das was anderes gewesen.

    New Urban,


    ich bin gar nicht so ideologisch. Vielmehr spreche ich mich gegen Ideologie und für den Respekt für die Leistungen vorheriger Generationen aus. Hätte man in Berlin tatsächlich nur in den komplett zerstörten Vierteln mit diversen neuen Modellen des Städtebaus experimentiert, würde ich nichts sagen. Hätte man ein Berliner La Defense gebaut, könnte ich damit prima leben. Hätte man mit den Neubauten wenigstens den alten Stadtgrundriß respektiert, wie z.B. in Köln, selbst dann wäre ich ruhig.


    Aber hier wurde ganz bewußt architektonisches und damit kulturelles Erbe vernichtet. Und das traditionelle Aussehen ganzer Straßenzüge wurde, so man sie nicht sofort abreißen konnte, möglichst nachhalting zerstört. Das ging einfach: Man reiße ein gründerzeitliches Eckhaus mit Kuppel ab und ersetze es durch zwei Neubauriegel. Diese haben unverbunden zu sein, so daß man durch die Ecke ins Blockinnere blicken kann. Außerdem sollten sie ein wenig niedriger und in einem schrägen Winkel angeordnet sein, damit die Bauflucht gestört wird. Sie sollten einige Meter hinter die Grundstückskante zurücktreten, damit der obligatorische Jägerzaun aufgestellt werden kann. Und möglichst ist ein graubeiger Kratzputz zu wählen.



    AeG,


    ich hätte gerne gegen Ihren Beitrag argumentiert, aber soweit er unsere Diskussion betraf, war es leider eine reine Polemik. Daß Baustoffe produziert, bestellt und gekauft werden müssen, ist heute so wie damals.



    export,


    hoppla Sie haben recht. Pardon!

    AeG,


    wenn Sie selbst polemische Formulierungen verwenden ("marode[] Steinhaufen mit Gipsornamenten"), sollten Sie mich nicht anhalten, vermeintlich neutrale Begriffe zu verwenden. Solcher neutraler Begriffe bedinent sich die Politik ja gerne, um Unerhörtes zu trivialisieren. Der Widerstand bliebt durchaus nicht aus. Werfen Sie mal einen Blick in die Gemordete Stadt. Man hat es damals nur sehr geschickt verstanden, den Bürgern zu erklären, wieviel komfortabler das Leben in einem Neubau sei. Und gewiß: Vergleichen mit einem Altbau, der zuletzt im Kaiserreich renoviert worden war, mußte dies vielen so erscheinen. Im übrigen ist auch die Gleichgültigkeit eines Großteils der Bevölkerung einfach nicht zu unterschätzen.


    Die Entfernung des Berliner Altbaustucks war dennoch und gerade deshalb eine Banausentat. Wer ein intaktes und ein entstucktes Gründerzeithaus nebeneinander sieht, wird dies nicht fundiert bestreiten können. Ideologische Ergüsse sind da was anderes. Die bekomme ich ausreichend zu hören - auch von Ihnen. Also lassen Sie mir doch meine Ideologie. Wären besagte Häuser nun abgerissen und durch anderes ersetzt worden - es wäre genauso unverzeihlich, aber doch wenigstens nicht ganz so unnötig wie die Entstuckung.


    Ich kenne überigens sehr viele Altbauwohnungen, die durchaus großzügig geschnitten, mit mehreren getrennten Zimmern und einem Badezimmer ausgestattet sind.


    Beklagt wird hier nicht der Verlußt des TBC-fördernden, schabenbefallen siebten Hinterhauses eines südkreuzberger Armutsviertels sondern sagen wir des Jugendstil-Wohnhauses mit Wandvertäfelung, Kamin und Blick über den Landwehrkanal oder den Kurfürstendamm.

    Ben,


    nun mal nichts gegen Hans Kollhoff bitte! Er greift nur auf den Neoklassizismus zurück.


    Und der Neoklassizismus war einfach der Architekturstil der 30er und 40er Jahre. Vieles davon leitet sich aus dem Art Deco ab. Zugegebenermaßen haben die Nazis zur krassen Monumentalisierung der Architektur beigetragen. Was aber den Stil angeht, wird man sehr ähnliches z.B. auch in London, Washington oder New York finden - und da spricht natürlich niemand von Nazi-Architektur. Die Nazis haben kaum etwas selbst erfunden - sie haben es stets nur verstanden, vorhandenes für ihre Zwecke zu nutzen und zu mißbrauchen. Wagner konnte nichts dafür, daß der dämliche Ösi ihn mochte und die Firma Dior wird nicht gern daran erinnert, daß viele deutsche Uniformentwürfe aus Diors Feder stammten.

    AeG,


    also ist so etwas Entstuckung, Flächen- und Kahlschlagsanierung nur ein Hirngespinst? Eine Verschwörungstheorie? Nie wurde einem west-berliner Hauseigentümer eine verbilligte Feuerversicherungspolice gewährt, wenn er seine Fassade "bereinigte"?

    Ben,


    das ist eine berechtigte Frage.


    In West-Berlin wurden Bauten meines Wissens i.d.R. nur dann behalten, wenn sie direkt nach einem neuen Zweck zugeführt wurden bzw. ihre alte wichtige Funktion weiter ausübten: Der Flughafen Tempelhof z.b. wurde eben direkt weiterbetrieben oder in das Gaukommando III an der Clayallee zogen die Amerikaner ein. Hinzukam, daß die Nazibauten aufgrund ihrer massiven Bauweise oft nur minimale Kriegsschäden aufwiesen und sich überwiegend in Gebieten befanden, deren Sanierung nicht die höchste Priorität hatte.


    Was Ost-Berlin angeht: In der "DDR" bestanden ja durchaus einige Traditionslinien, wie etwa die von der Wehrmacht hin zur NVA. Vielleicht lehne ich mich etwas aus dem Fenster, wenn ich behaupte, daß der Ideologie der "DDR" die preußische bzw. deutsche Monarchie mit ihrer Elitengesellschaft viel eher im Wege stand als die gleichgeschaltete Diktatur der NS-Zeit. "Königlich" durfte dort nichts sein. Jedoch bemühte sich etwa auch niemand den Namen der "Reichsbahn" in den vielen sozialistischen Jahrzehnten mal zu ändern.

    Leider wird kaum das konservatorische und kunsthistorische Interesse jener Kreuzberger gewesen sein, welches jene Straßenzüge erhielt.


    Vielmehr hatte der Senat sehr gezeitl die angestammte sehr bürgerliche Klientel aus Kreuzberg fortzulocken, um die "Flächensanierung" Kreuzbergs etwas später vorzubereiten. Da hätte West-Berlin sein Kreuzberg fast genauso zerstört, wie Ostberlin selbiges mit Prenzlauer Berg plante und nur durch die Wende daran gehindert wurde.

    Und noch einmal zur "Stuckabschlagsprämie", sorry: viele der erwähnten Häuser am westlichen Ku'damm wurden für Berliner Verhälnisse hochwertig ausgeführt, sind Architektenentwürfe (und entstammen nicht einer Grundrissfibel) und besitzen statt billigem Gipsstuck aufwändige und haltbare Hausteinornamente. Ausserdem sind die Bauten meist zwischen 1900 und 1910 entstanden, also zu einer Zeit, als der überladene, stillos zusammengewürfelte Schmuck der frühen Gründerjahre in vornehmeren Kreisen bzw. Gegenden bereits heftig verpöhnt war. Diese Bauten wären nie in den Genuß dieser Prämie gekommen - ganz egal, welchen Standpunkt ihre Eigentümer vertraten!


    Da wage ich doch zu widersprechen. Stuckabschlagprämie und auch generelle Abrißwut haben selbst vor West-Berlin nicht halt gemacht. Denken Sie an Schloß Charl'bg. Selbst das wäre fast "draufgegangen". Auch haben leider genug Ku'damm-Häuser ihre Alten Fassaden verloren, um Ihre Behauptung zu widerlegen. Da wurde nicht nach Stuckaturqualität unterschieden. Es war keine ästhetische Entscheidung - zumindest nicht primär. Jeder Ästeht, der zwischen gutem und schlechtem Stuck unterscheiden kann, sieht auch, daß ein komplett nach Art der 50er/60er (nicht der 20er!!) "entstucktes" Haus optisch noch weniger ansprechen muß als ein "schlechter", weil überbordender Fassadenschmuck.


    Vielmehr war es eine ideologische Entscheidung. Die gängige (und m.E. unglaublich absurde) Argumentation ging in die Richtung, die deutsche Geschichte habe auf den Nationalsozialismus und die Katastrophe zugestrebt. Das Deutsche Kaiserreich wurde quasi in die Mitverantwortung genommen für den Irrsinn eines österreichischen Ausländers. Ebenso Preußen. Der alte Rivale Englands wurde sang- und klanglos "abgeschafft", obwohl es nicht viel historisches Wissen braucht, um zu erkennen, daß Preußen von allen deutschen Staaten die geringste Affinität zum Faschismus hatte. Dennoch wurde diese oskure Reaktionskette postuliert, die ihre deutlichst sichtbare Hinterlassenschaft in der Architektur hatte. Jedoch war derartiges Denken in vielen Fällen nur vorgeschoben! Architekten wie gerade der (berüchtigte IMHO) Hans Scharoun und Konsorten nutzten den Zustand Berlins, um ihre architektonischen Utopien durchzusetzen. Nirgendwo sonst wäre ihnen dies gelungen, als in einer Stadt, die sowohl strukturell als auch moralisch derart beschädigt war. Innerhalb des S-Bahn-Rings waren nur etwa 30% der Substanz zerstört oder so stark beschädigt, daß sie nicht zu retten gewesen wäre. Dennoch wurde überall abgerissen und "verhäßlicht" - alles im Sinne der Nachkriegsmoderne, der "aufgelockerten Stadtlandschaft". Keine architektonische Strömung war so kurzlebig, wurde so schnell wieder verdammt und schaffte es doch ein so schreckliches Vermächtnis zu hinterlassen.


    Die (zurecht!) traumatisierte Nachkriegsgesellschaft meinte, sich ihrer Geschichte entledigen zu müssen. Und da dies vermittels Architekturvernichtung besonders leicht zu sein schien(siehe auch Schloßzerstörung durch die "DDR"), wurde eben diese von den scheinheiligen Architekten und Städteplanern jener Zeit propagiert. Vor anderen Kunstgattungen hatte man wenigstens so viel Respekt, sie "nur" in Depots und Lapidarien verschwinden zu lassen.

    AeG,


    da muß ich Ihnen zustimmen. Bezugnahme auf die Umgebung befürworte ich zwar grundsätzlich immer, jedoch nur, wenn es dich bei diesem Umfeld um ein Ensemble im eigentlichen Sinne handelt und nicht um eine zufällig ansammlung sehr mittelmäßiger Nachkriegsbauten.


    Ich würde hier einen selbstbewußten aber halbwegs klassischen Solität bevorzugen. Er könnte in der Silhoutte gerne aussehen wie Ihr architektonischer Avatar...