Ich werde mich hüten, jemandem auf Teufel komm' raus seine Bildungslücken nachzutragen. Da würde ich wohl alsbald selbst in das eine oder andere offene Messer rennen. Aber wenn aktiv Nonens dargeboten, dann noch die Meinungshoheit beansprucht und als einzig schlagkräftiges Argument die schiere Masse der Gleichgesinnten angeführt wird, werde ich mich weiterhin auf dieses hohe Ross begeben.
Ach jetzt hör aber auf. Dein einziges Argument besteht darin, das Chipperfields Stil vermeintlich 21tes Jhd. ist und man in diesem Jahrhundert nicht mehr so bauen können soll, wie früher, weil die Zeit nicht rückwärts läuft. Das dir hier mehrfach Bauten gezeigt wurden, die exakt diesen Stil schon vor Jahrzehnten verwendet haben, ignorierst du dabei geflissentlich, weil du, wie du nicht müde wirst zu betonen, über eine höhere architektonische Bildung verfügst, als die Torfköppe mit denen du dich hier abgeben musst. Das ist auch kein besseres Argument als mein dezenter Hinweis, das ich hier keine Einzelmeinung vertrete. Was die Mehrheit denkt, können wir beide genauso wenig wissen, wie was die superintelligente Architektur Elite dazu sagen würde, die nämlich nicht nur aus deiner Person besteht.
Chipperfield und Patzschkes unterscheiden sich in nichts. Beides sind Neubauten. Keine Rekonstruktionen!! Beide bedienen sich an Stilelementen, die es genau so, früher schon gegeben hat und auch in Zukunft geben wird. Daher kann keiner von beiden sagen: Ich bin die Zukunft und du die Vergangenheit. Die vorgebliche Minderwertigkeit von historisierender Architektur gegenüber vermeindlich innovativerem Minimalismus könnte nirgendwo lächerlicher sein, als an diesem Ort. Die Museumsinsel hat gar keine andere Funktion, als uns vergangene Epochen und deren Kunst und Kultur nahe zubringen. Zu der Zeit, als die alten Museen noch Neubauten waren, war der Stil auch schon historisierend und kein Hahn hat danach gekräht, wie lange es damals schon keine Alten Griechen mehr gab. Man wollte ganz bewusst die Antike kopieren und sie als Gesellschafts- und Bildungsideal für die damalige Zeit übernehmen.
Die Motive, die Museeumsinsel so zu bauen wie sie heute ist, waren damals die gleichen, wie sie heute die Rekonstruisten haben. Der Versuch, in der Formensprache und Ideenwelt einer scheinbar besseren Vergangenheit, Orientierung, Halt und Gewissheit für das eigene Zukunft zu finden. Und das hat auch ganz gut geklappt, sonst wäre die Museumsinsel heut kein Weltkulturerbe (etwas das Chipperfield niemals schaffen wird) und Berlin hätte in der Folge nicht soviele Erfinder und Nobelpreisträger hervorgebracht. Wer nicht ab und zu zurück schaut, verliert eben den Weg.
Wofür das Akanthusblatt des byzantinischen Kapitells früher einmal stand und welche Funktion es hatte, interessiert heute auch keinen mehr. Wichtig ist, wofür es heute steht und da steht es für kulturelle Höchstleitung, für längst verlorene Kunstfertigkeit, für eine Architektur, die nicht alles den Regeln der automatisierten Fertigung unterwirft. Chipperfield steht für das glatte Gegenteil, für absolute Kunstlosigkeit, für ökonomisierte Stapelbarkeit. Beliebig austauschbar, leicht abwaschbar und steril. Kalt, abweisend, herzlos. Diese Assoziationen hat bestimmt nicht jeder, aber mancher hat sie eben doch. (Ich sage jetzt extra nicht "viele haben sie", sonst gehen sie mir gleich wieder auf die Palme.)
Ich bin dagegen, dass in unserer Gesellschaft ausgerechnet jene Kräfte das Ruder übernehmen, deren größte Leistung darin besteht, sich aus dem Vorhandenen eine Gut/Böse-Tabelle zu basteln und diese in die Zukunft zu extrapolieren! Ich bin dagegen, dass Leute die Meinung diktieren, die zwar die Zukunft gestalten wollen, aber glauben, sie könnten es, indem sie sich wahllos bei den schönsten Bequemlichkeiten aller vergangenen Epochen bedienen! Ich bin dagegen, von Leuten eingeschränkt zu werden die glauben, das Leben sei eine romantische Fernsehproduktion und kommende Generationen bräuchten sich nur die Wiederholung ansehen!
Wir haben Meinungsfreiheit, deswegen brauchen sie nicht gleich so zu schreien. Sagen sie nur noch schnell, weshalb sich die Gesellschaft eigentlich dem Diktat ihrer und nicht meiner Einzelmeinung unterwerfen sollte?
Was ein guter Film ist, entscheidet ja wohl auch noch der Zuschauer und nicht der neunmal kluge Produzent. Ich habe nämlich auch keinen Bock ständig nur Wiederholungen zu sehen. Und ich muss da auch garnicht auf das Urteil künftiger Generationen verweisen. Mir geht es jetzt schon auf den Senkel, das man überall wo man hinschaut, nur immer wieder die gleichen Rechtecke sieht. Jedes einzelne Haus, das nicht nur glatte Wände hat, ist die reinste Erholung für meine Augen. Und welchen Stil es ganz genau hat, ist mir schon wieder völlig egal, solange ich nicht ständig auf Rechtecke starren muss. Und ich gehe jede Wette ein, die nächste Generation denkt da ähnlich.
P.S.: Rock'n'Roll ist nachdem er anerkannt wurde, auch schon länger wieder out. Genau wie Chipperfields Acid Techno. Momentan ist wohl Hip Hop angesagt, vielleicht kann man den Entwurf ja noch retten, wenn man die vielen nackten Wände den Sprayern überlässt.