Interview Helmut Jahn - KSTA 13.11.03
Die geplante "Sky-Lobby" des Köln-Tower liegt immer noch rund 40 Meter über den Domspitzen. Die Computer-Simulation verspricht einen beeindruckenden Blick über die Stadt.
„Mich reizt die Beziehung zum Dom“ erstellt 07:44h
Der Deutschamerikaner Helmut Jahn zählt zu den bekanntesten Architekten der Welt - und gilt als Spezialist für Hochhäuser. Sein jüngster Entwurf für Köln wurde vor einem Monat vorgestellt: der rund 120 Meter hohe „Köln-Tower“. Christian Hümmeler sprach in Berlin mit dem 63-Jährigen.
KÖLNER STADT-ANZEIGER: Herr Jahn, Sie haben einmal gesagt, Deutschland sei das letzte Experimentierfeld moderner Architektur.
HELMUT JAHN: Das hat sich bezogen vor allem auf die Projekte hier in Berlin, vor allem auch auf den Potsdamer Platz. Hier ist es wirklich gelungen, ein Stück neue Stadt zu bauen, das die Qualitäten einer traditionellen Stadt hat: Eine Stadt muss dicht sein, eine Stadt muss interessant sein, die einzelnen Teile müssen Identität haben - und hier sind, glaube ich, viele dieser Dinge da. Könnte es besser sein? Im besten Fall könnte es besser sein. Aber es könnte auch viel schlimmer sein.
Nicht nur hier in Berlin gibt es Stimmen, die statt neuer Architektur lieber alte Bauwerke rekonstruieren wollen - zerstörte, gesprengte, oft nur noch in der Erinnerung existierende Gebäude.
JAHN: Dass man die Frauenkirche in Dresden wieder aufbaut, ist gar keine Frage. Anders aber ist es beim Berliner Stadtschloss: Für mich ist das ein Zugeständnis, dass man nicht den Mut hat, diese wichtige bauliche Situation in einer zeitgenössischen Art und Weise zu lösen. Das ist, als würde man das Handtuch werfen.
Zeitgenössisches Bauen - das heißt, zumal in Großstädten, oft: Hochhäuser. Warum braucht man in den europäischen Städten, wo Baugrund nicht ganz so rar und teuer ist wie in den USA oder in den Metropolen Asiens, Hochhäuser?
JAHN: Das ist eine gute Frage. Hochhäuser werden eigentlich nur dann gebaut, wenn man sie braucht. Ein Hochhaus erlaubt mehr Fläche auf einem kleinen Grundstück. Es ist effizienter, bringt mehr Leben und mehr Dichte in eine Stadt. Eine Stadt kann nicht immer nur horizontal gebaut sein.
In Köln hätte man zumindest den Platz, um horizontal zu bauen - etwa auf den großen Freiflächen in Deutz, Kalk und Mülheim.
JAHN: In Chicago gibt es viel mehr Flächen, ganz nah in der Innenstadt, wo man auch niedriger bauen könnte - aber trotzdem werden Hochhäuser gebaut. Der Standort ist für die Identität eines Gebäudes - und dadurch auch der Mieter - sehr wichtig. In einer Stadt wie Köln, die einen sehr hohen Lebenswert hat - höher etwa als in Düsseldorf und Frankfurt -, kann man eine Miete bekommen, die man sonst nicht bekommen würde. Aber dazu muss ein Gebäude durch seine Größe, durch seine Architektur, durch das gesamte Erscheinungsbild eine gewisse Identität haben. Und eine gewisse Größe - es kann kein fünfgeschossiges Gebäude sein wie die Häuser drum herum.
Wie sehen Sie das Verhältnis zum Dom?
JAHN: Ich verstehe Köln natürlich: Der Dom bestimmt das Stadtbild wie in fast keiner anderen Stadt der Welt - doch das leidet ja nicht unter dem Köln-Tower. Zumal es ja schon einige Hochhäuser gibt, etwa den Turm im Media-Park. Was mich an dem Projekt sehr reizt, ist eben die Nähe zum Dom, die fast axiale Beziehung zum Dom. Es hat durchaus Einfluss auf das Gebäude gehabt, dass es mit dem Dom in eine gewisse Zwiesprache treten kann - und diese Zwiesprache hätte man an anderen Standorten nicht erreicht.
Wie soll ein solcher Dialog aussehen?
JAHN: Es gibt vor allem diese Gegensätze - der Dom ist sehr figürlich, das Gebäude ist sehr abstrakt. Der Dom ist aus Stein, das Gebäude ist aus Glas. Der Dom ist symmetrisch, das Gebäude ist asymmetrisch - die besten Beziehungen schafft man durch Gegensätze. Man sollte nicht versuchen, hier etwas Ähnliches zu bauen wie den Dom. Das ganze kommt übrigens ein bisschen daher, dass ich in Köln immer im Hyatt-Hotel abgestiegen bin und stets eine Suite hatte, die fast in der gleichen Achse liegt wie das neue Projekt. So war das etwas, über das ich schon Jahre nachgedacht habe.
Würden Sie denn mit einem Hochhaus noch näher an den Dom herangehen?
JAHN: Da stocke ich ein bisschen. Man soll da nichts sagen, was keinen Sinn macht. Ich bin oft gefragt worden, einen Entwurf zu machen, wenn jemand ein Hochhaus an einer bestimmten Stelle bauen wollte - ich habe dann auch oft gesagt, da gehört kein Hochhaus hin. Sicher, wenn man in die Nähe des Doms kommt, sind gewisse Sichtachsen wichtig. Da sollte man sich schon bewusst sein, wie weit man hier Beziehungen herstellt, die städtebaulich vertretbar sind.
Aber auch der jetzige Standort liegt genau in der Sichtachse zum Dom.
JAHN: Bei Hochhäusern geht es immer um Sichtachsen. Damit kann man alles beweisen, man kann aber auch gegenbeweisen. Wir machen etwa ein Hochhaus in München, das bewegt sich im Rahmen eines gebilligten städtischen Planes, eines Bebauungsplanes. Doch auch da gibt es Gegner von Hochhäusern, und plötzlich erscheint eine Fotomontage, auf der man von der Ludwigstraße im geheiligten Raum über dem Siegestor plötzlich die Spitze dieses Hochhauses sieht. Doch das gilt nur ein paar Meter: Wenn man dann ein paar Meter weiter fährt, sieht man es nicht mehr. Aber genau das ist eben die Dynamik einer Stadt - eine Stadt bleibt nie so, wie sie ist.
Eigentlich selbstverständlich, aber mancher wünscht sich das.
JAHN: Das sind Leute, die mehr in die Vergangenheit blicken als in die Zukunft. Eine Stadt, vor allem in einer globalisierten, internationalen Welt, muss sich einfach auch ändern können. Was ich von Köln gehört habe, spielt sich hier alles innerhalb der Stadt ab, Köln ist also sehr insular. Das ist ja eigentlich ganz gut, aber eine Stadt muss sich auch öffnen. In einer Welt, die sich mehr und mehr öffnet, kann es wahrscheinlich nicht schaden, wenn man auch sich selbst mehr öffnet. Das gilt im persönlichen Bereich, das gilt im beruflichen Bereich, das gilt im städtischen Bereich, das gilt für das ganze Land. Doch damit haben manche Leute ein Problem. Ja, früher hat es gar keine Hochhäuser gegeben. Und nun gibt es sie eben.
Mit der Höhe wächst auch das Recht der Öffentlichkeit auf qualitätvolle Architektur.
JAHN: Das ist doch eine andauernde Diskussion in jeder Stadt: Wie wird man dem Anspruch eines Gebäudes, das eben sehr hoch ist, gerecht? Dem Anspruch, dass es eben mehr ist als nur eine Anhäufung von Geschossen. Doch wenn nun nicht mehr ein politisches oder kirchliches Symbol die Spitze der Stadt ist, sondern ein kommerzielles - dann hat dieses kommerzielle Symbol auch eine architektonische Verantwortung.
Gerade kommerzielle Symbole machen oft durch auffällige Beleuchtung auf sich aufmerksam. Wie wichtig ist das Licht, die Beleuchtung bei ihren Häusern?
JAHN: Architektur funktioniert über Raum, Architektur funktioniert über Licht. Im Sony-Center hier in Berlin etwa kennzeichnet Licht einen öffentlichen Ort. Am Bonner Post-Tower ändert sich das Licht im Verlauf einer Nacht, manchmal ist es lebendiger, dann wieder weniger farbig. Das Ganze ist ein Zeitspiegel - wer das Gebäude sieht, weiß, welche Zeit es ist. Aber man soll nicht jedes Gebäude anleuchten.
Schon jetzt sind Ihre Fassaden zu großen Teilen durchscheinend, weil aus Glas.
JAHN: Es gibt kaum ein Material, das so viel Entwicklung zeigt und die Möglichkeit von Entwicklungen hat, wie Glas. Durch Beschichtungen, durch Einlagen im Glas - es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis man Glas macht, das nicht mehr zerbricht.
Wie kann man sich hinter einer gläsernen Fassade noch schützen? Gegen zu viel Öffentlichkeit, aber auch gegen die Witterung.
JAHN: Die Fassade des Gebäudes ist wie eine Haut. Und durch mechanische Vorrichtungen, etwa zum Sonnenschutz, versuchen wir, diese Haut zu regulieren. Das ideale Ziel wäre es, wenn die Haut eines Gebäudes wie die menschliche Haut wäre - nämlich anpassungsfähig durch ganz kleine Vorkehrungen: Man zieht eine Jacke aus, man zieht sie an, dadurch wärmt man sich oder kühlt sich ab. Man müsste also eine Fassade bauen können, die genauso anpassungsfähig ist - so, dass sie sich den äußeren Bedingungen anpasst und dann die idealen Bedingungen innen schafft. Der Punkt ist, dass man in diesem Fall Architektur auf einer wissenschaftlichen Basis verfolgt und nicht auf einer ästhetischen - und da scheiden sich eben die Geister.
Immerhin gilt Glas im Allgemeinen ästhetischer als etwa Beton.
JAHN: Es gibt auch schöne Betongebäude. Und schöne Steingebäude. Und eben schöne Glasgebäude. Es gibt aber von allem auch schlechte Beispiele. In der richtigen Hand wird alles gut geformt. Heute hat man eben die technischen Möglichkeiten. Den Dom hat man aus Stein gebaut, da hat man eben keinen Beton gehabt. Heute gibt es Kirchen von Richard Meier und Renzo Piano, die sind auch nicht mehr aus Stein - die sprechen von einer neuen Art, wie man Räume schafft für diese Zwecke.
Wie wird Architektur in 50 Jahren aussehen - wagen Sie eine Prognose?
JAHN: Anders. Anders. Anders. Wenn ich das wüsste. Ich maße mir nicht an, dass ich das wüsste. Man hat genug zu tun, wenn man sich mit den tagtäglichen Problemen herumschlägt.
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Spektakuläre Gebäude von Helmut Jahn
Er ist einer der gefragtesten Architekten weltweit: Helmut Jahn, 1940 in Zirndorf bei Nürnberg geboren, seit 1967 im nordamerikanischen Chicago lebend, baut seit 1975 hauptsächlich Großbauten rund um den Globus. Zu seinen bekanntesten Werken zählen etwa das „State of Illinois Center“ und das „United Airlines Terminal 1“, beide in Chicago.
In Deutschland entwarf Jahn unter anderem den 254 Meter hohen Frankfurter Messeturm und das Sony-Center am Potsdamer Platz in Berlin mit seinem spektakulären Zeltdach.
Im Rheinland setzte der Deutsch-Amerikaner Zeichen mit dem Neubau der Konzernzentrale von Bayer Leverkusen, dem Post-Tower in der Bonner Rheinaue sowie mit den Erweiterungsbauten am Flughafen Köln / Bonn, dem gläsernen Terminal 2 und dem noch im Bau befindlichen unterirdischen Flughafenbahnhof.
Mit seinem Büro Murphy / Jahn hat sich der 63-Jährige inzwischen auf Hochhäuser und Flughäfen spezialisiert. Stahl, vor allem aber Glas, zählen zu seinen bevorzugten Baustoffen. Sein Stil orientiert sich an der klassischen Moderne, wie kaum ein anderer beherrscht Jahn jedoch die Formensprache des High-Tech: Die Konstruktion verbirgt sich nicht mehr, sondern ist sichtbar; die Fassade löst sich auf in gläserne Transparenz. Weniger ist mehr, so sein Motto: „Perfektion erreicht man nicht dann, wenn nichts mehr hinzugefügt werden kann, sondern dann, wenn man nichts mehr wegnehmen kann.“
Sein aktuellstes Projekt für Köln ist ein „Köln-Tower“ genanntes Hochhaus zwischen Deutzer Bahnhof und Stadthaus, das 2007 fertig gestellt sein soll und eine Höhe von bis zu 120 Metern erreichen könnte. (chh)
(KStA)