Du magst da anders ticken. Aber in einer Demokratie spielt nun mal der Volkswille eine entscheidende Rolle. Und ich sehe da keine Sehnsucht nach einem heilen Schloßbrunnen.
Schwierig hier mit so etwas nebulösem wie "Volkswillen" zu argumentieren. Auf einer Straßenumfrage würden wahrscheinlich 90% der zufällig ausgewählten Passanten nicht mal wissen wie der Neptunbrunnen aussieht oder wo er steht. Letztlich ist es eine Fach-Diskussion, die unter Reko- bzw. Architekturfreunden geführt wird. Innerhalb dieses kleinen Zirkels spielen dann allerdings durchaus auch politisch/ideologische Motive bzw. verschiedene Weltanschauungen eine Rolle.
Es gibt eine Weltanschauung, die sich darum bemüht, historische Architektur in einem möglichst holistischen Gesamtbild zu betrachten, wobei persönliche und/oder politische Motive der Bauherren/Architekten, spätere politische Funktionen etc. in einen wertenden Kanon einfließen, der sich über die reine Ästhetik,- über mathematische Verhältnisse, goldene Schnitte, Sichtachsen, Proportionen und Beziehungen hinaus eine Kontextualisierung erlaubt. Diese soll sich mit dem Referenzpunkt zeitgenössischer Wertmaßstäbe vergleichen und man sieht sich weltanschaulich dazu ermächtigt, "historische Architektur" um zeitgenössische Elemente ergänzen zu wollen oder eine Reko gar gänzlich verhindern zu müssen, um Kongruenz zu den Wertmaßstäben der modernen Demokratien herstellen zu können.
Diese (Selbst)Ermächtigung des im architektonischen Sinne "woken" Establishments empfinden Rekonstruktionsbefürwörter als anmaßend. Den Versuch einer Herstellung von Kongruenz zu modernen Wertmaßstäben empfinden sie als Konstrukt,- als oktroyieren einer intellektuellen Metaebene, die sich ausschließlich in elitären Echokammern nährt und auf das ästhetische Empfinden der -ihrer eigenen Überzeugung nach- Mehrheit wenig bis keine Rücksicht nimmt. Für sie ist die Ergänzung/Änderung um zeitgenössische Elemente oder gar die Verhinderung einer Reko eine (weitere) art elitärer Paternalismus, der sich an den architektonischen Errungenschaften ihrer Vorfahren versündigt und einer lebensqualitätsfördernden Reperatur des Stadtraumes oft im Wege steht. Sie empfinden den Stadtraum tendenziell als eine Erweiterung ihres Wohnzimmers. Für sie ist die Ästhetik eines Gebäudes wichtiger als dessen Ausdruck. Wenn sie ein Gebäude "aufladen", dann entsteht dies meist aus positiven, sensorischen Stimuli, also aus einem (subtilen) Wohlgefühl.
Dass es zwischen diesen zwei Gruppen im "kleinen Kreis" der Berliner Architekturwelt knirscht, ist keine Neuigkeit. Da Frau Kahlfeldt selbst eher einen historisierenden Geschmack zu haben scheint, dachten viele sie würde das Pro-Reko Lager befürworten, aber dem ist offenkundig nicht so. Möglicherweise ist ihr die Sache mit dem Neptunbrunnen auch zu "heiß" um sich an dieser Sache im Amt die Finger "verbrennen" zu wollen. Seis drum, wichtig ist, dass überhaupt ein Brunnen kommt und sobald die Leitungen gelegt sind, kann ein Umzug des Neptuns auch in einigen Jahren erfolgen, wenn sich das gesellschaftliche Klima so weit geändert hat, dass dieser Wunsch im politischen Berlin größeren Anklang findet.
Auch ein sehr simpel gestalteter Brunnen kann vor einer historischen Fassade reizvoll sein, wie man z.B. in Braunschweig am Stadtschloss begutachten kann. https://www.heinze.de/architekturobjekt/zoom/12533546/