Viele vergessen, dass sich die Friedrichstraße bis zur U-5-Baustellte gut entwickelt hat, lasst ihr halt (baustellenfreie) Zeit. Sie braucht keine Experimente wie aktuell sondern eine natürliche Entwicklung. Bleibt zu hoffen, dass der neue Senat dies erkennt. Meine Einschätzung zur Friedrichstraße ist deshalb im Vergleich zu meinen Vorrednern eine gänzlich andere.
Die Wiedernutzung der ehem. barocken Blockstrukturen mit 22 Meter und den schon Friedrichstadt-typischen beiden Staffelungen (teilweise (!) sehr elegant gelöst) haben doch ein recht unverkennbares Bild entstehen lassen. Und mal ehrlich, der Blick an der Ecke Unter den Linden in die Friedrichstraße Richtung Süden (angefangen mit den Kolonnaden-Gängen über die Kreuzung bis zur Leipziger) ist wohl eine der metropolitansten Situationen Berlins.
Eine "Saufstraße" ist sie heute nicht mehr und da ist Klarenbachs Verweis nicht zu leugnen, dass die Veränderung (Niedergang würde ich nicht sagen) schon früher begann. Im Grunde begann ein Umbau zu einem Büro- und Dienstleistungsstandort wie wir ihn heute auch vorfinden. Zudem hat die Unterbrechung und Auslöschung im Grunde aller Traditionslinien vor Ort ein Anknüpfen an die Bilder der Friedrichstraße in der Kaiserzeit (die wir alle im Kopf haben) unmöglich gemacht.
Dass Berlin kein so eindeutiges Zentrum oder gar Downtown wie die meisten anderen Städte besitzt liegt nicht nur an Krieg und Teilung, sondern auch an der Topographie der Stadt. Berlin hat eine repräsentative Stadtmitte, aber mehrere Zentren. Und hier wird’s interessant, so wie der Alex für viele nicht mehr Zentrum ist als der Kudamm, und Kreuzberg nicht mehr Zentrum als der Prenzlauer Berg ist, so haben wir doch eine Stadtmitte mit fast einmalig logischer Abfolge (Potsdamer, Hauptbahnhof, dazwischen Regierungsviertel, die Linden als große Ost-West-Verbindung, im Bereich Friedrichstraße als Nord-Süd-Achse viel Büro und Wirtschaft und dann abfolgend der kulturelle Teil von U wie Friedrichstadtpalast bis Hackescher Markt und E wie Gendarmenmarkt, Uni, Oper, Theater, Museumsinsel, etc.
Und in diesem Gefüge kann sich die Friedrichstraße weiter entwickeln, von großem Büroleerstand weiß ich nichts, aber es ist halt (und dabei muss ich bleiben) eine Durchfahrtsstraße. Sie hat Höhepunkte wie Dussmann, Lafayette und diverse repräsentative Hauseingänge und Hallen. Negativ allerdings ist die Situation am Quartier 206, was aber hauptsächlich an der Besitzerstruktur liegt, zudem hat VW Mäcklers elegante Präsentationshalle am Lindencorso völlig banalisiert.
Aber es gibt doch viele gute Nachrichten. Die Veränderung durch die U5 können sich jetzt erst entfalten, da die Baustelle weg ist. Die Linden werden hoffentlich bald wieder welch haben, das neue Tacheles wird mit Sicherheit bis in den Süden Auswirkungen haben. Dann kommen noch zahlreiche Neubauten wie Ministerien (Finanzen, Umwelt, Bundesrat) in der Umgebung hinzu, der bisher nicht genutzte Bau für das Gesundheitsministerium wird belebt, Wohn- und Geschäftsneubauten an der Wilhelmstraße und am Denkmal. Bleibt nur zu hoffen, dass man am Checkpoint Charlie Mut zu was Größerem hat, die Voraussetzungen wären gegeben. Dies könnte die Friedrichstraße bis zum heutigen Mehringplatz einen Schub geben.
Viele möchten hier etwas implementieren was die heutige Friedrichstraße nicht ist. Man plante viel, doch es kam etwas ganz Eigenes dabei heraus. Das mag nicht jeden gefallen, da man hierzulande gerne in Schachteln einordnet, "ist sie jetzt eine Kaufstraße oder ist sie jetzt keine?"! Es ist einfach die Friedrichstraße, eigen ja, leider immer noch (!) mit schwachem Hinterland (siehe Raum Leipziger und ohne Verbindung zum Spittelmarkt), vielleicht aber auch der Ort an dem aus den Blöcken einmal Hochhäuser erwachsen, da die Anbindung U/S und die Zentralität herausragend ist. Mein Wünsch wäre, lasst all diese Verschlimmbesserungen und lasst die Straße ihre eigene Entwicklung nehmen.