Beiträge von Vertigo

    Grelle Dunkin' Dounuts-Reklame mit bunten Luftballons, ein kleiner Pseudo-Biergarten von Löwenbräu, Architektur, die eher an 60er-Jahre- Überlandbushaltestellen erinnert - dieses Rendering übertrifft noch die schlimmsten Erwartungen....

    allerdings finde ich die ganze herangehensweise von öffentlicher seite so ziemlich zum kotzen. und genau dieses zögerliche, halbherzige und destruktive verhalten die schloßpläne betreffend bietet erst recht angriffsflächen für schloßgegner, und da kann ich das dann auch nachvollziehen. [...]


    Das scheint mir vor allen Dingen ein Berliner Phänomen zu sein: Vieles wird zerredet, am Ende kommt dann nichts oder ein fauler Kompromiss. Auch bei vielen großen Bauprojekten werden jahrelang großartige Entwürfe gehandelt, und dann wird doch irgendein gesichtsloser 08/15-bau errichtet. In anderen Städten ist man nach meinem Gefühl konsequenter in Planung und Umsetzung. Woran mag das liegen? Ist Berlin als Hauptstadt stärker im Focus? Sind die Behörden schwieriger? Fehlen die großen Geldgeber? Oder werden der Stadt Debatten von außen aufgedrückt (weil es der Stadt vielleicht an eingessenem Bürgergeist fehlt)?

    In letzter Zeit leser ich hier ständig, das Schloss dürfe man architektonisch nicht überbewerten, ganz nett, aber viele Schlösser seien bedeutender, das Schloss sei nicht so bedeutetnd wie die Münchner Residenz, das Schloss sei genauso wertvoll wie der PdR, etc... - sehr merkwürdig. Kunsthistorisch war das Schloss (bzw. ist sein Entwurf) einer der wichtigsten Barockbauten nördlich der Alpen, ein Meisterwerk, dessen architektonischer Rang (ohne hier eine Rangliste erstellen zu wollen) außer Frage steht.
    Davon abgesehen war es über 500 Jahre der Mittelpunkt, das Gravitätszentrum der Stadt, das Herz eines Gesamtkunstwerkes - die Bedeutung für Berlin ist riesig - kein Vergleich mit den Bauwerken irgendeiner anderen europäischen Hauptstadt.
    Manuel
    Überleg doch mal, wie Berlin aussähe, wenn du nur die unzerstörten oder exakt an gleicher Stelle rekonstruierten Gebäude stehen ließest - da bliebe im inneren Stadtbereich kaum ein Haus übrig. Übrigens wurden nach dem Krieg viele Schlösser nur in ihrer Fassade rekonstruiert und innen modern aufgebaut, z.B. Münster, Karlsruhe u.a. Trotzdem sollte man das Schloss so bauen, dass man die Räume nach und nach rekonstruieren kann. Ich weiß auch nicht, was daran typisch deutsch ist - jedes andere Land (Diktaturen abgesehen) hat doch seine Hauptsehenswürdigkeiten wieder aufgebaut, wenn sie zerstört waren. So geschichtsvergessen, kulturlos und identätsverachtend waren doch eigentlich nach 1945 nur die Deutschen - eindrucksvoll hingegen, was in Polen geleistet wurde. Vom Charlottenburger Schloss stand auch nicht viel mehr als wir jetzt vom Stadtschloss haben, trotzdem wurde es rekonstruiert (dabei war Deutschland deutlich ärmer).
    Und zum ultimativen Totschlagargument, den Kosten: Es geht hier um das zentrale historische Gebäude der Hauptstadt, das (bei Baukosten von 480 Mio €) nicht teurer wäre als 18 km Autobahn! Ein Autobahnkilometer einfachster Bauart kostet 15 Mio €, wenn man die Verwaltungskosten dazunimmt sind es 27 Mio € pro Kilometer, bei Tunnel- und Brückenbauten können sich die Kosten auf 100 Mio € pro Autobahnkilometer steigern - da zetert komischerweise niemand...

    Den Chauvinismus, der hier aus der Beurteilung der ethnologischen Sammlung Berlins spricht - einer der größten, ältesten und besten der Welt, will ich gar nicht groß kommentieren, aber das Konzept hier die außereuropäischen Sammlungen aus Dahlem zu präsentieren (und sich die Unsummen an Sanierungskosten für die Dahlemer Museen, früher war immer von 400 Mio DM die Rede, zu sparen), halte ich nach wie vor für optimal. Ich verstehe auch nicht wie die Schätze, die Berlin hat, heruntergeredet werden, weil man plötzlich ganz dringend eine (nur temporäre) Halle für spektakuläre Kunstausstellungen bracht. Welche sollen das denn sein, warum reicht denn dafür nicht wie bisher die neue Nationalgalerie oder der Martin-Gropius-Bau?


    In Paris hat sich das neue Musée du quai Branly am Eiffelturm schon zum Publikumsrenner mit über einer Mio Besuchern in nur 6 Monaten entwickelt - so ungefragt sind ethnologische Sammlungen offenbar doch nicht... Gekostet hat das Museum (von Jean Nouvel) übrigens ca. 233 Mio €.

    Mich stört massiv, dass in eines der wenigen vollkommen erhaltenen bzw. wiederherstellbaren Ensembles in Berlin ganz bewusst ein Fremdkörper hineingesetzt werden. Die Musuemsinsel ist ein Kleinod, dass in sich geschlossen wieder hergestellt werden sollte.
    Mir fehlt auch der Reflex, jedes historische Gebäude mit einem modernen zu kontrastieren, wegen der "Spannung", der "Brüche", etc. so etwas kann durchaus gelingen, aber davon gibt es in Berlin schon mehr als genug (von den "Brüchen" allgemein, leider nicht von gelungenen Kontrasten). Warum darf ein historisches Gebäude bzw. Ensemble nicht einfach mal für sich stehen? Den Entwurf Chipperfield für die nahe Sammlung Bastian finde ich übrigens ganz gut...
    Alternativen zum Eingangsklotz:
    - äußerliche Rekonstruktion von Schinkels Packhof. Stand ungefähr an der gleichen Stelle und korrespondierte großartig mit dem Neuen Museum
    - Eingangsbereich in den Stadtschloss-Neubau und dort Beginn der unterirdischen Promenade. Dann hat man Platrz genug. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob das Schloss jemals wieder aufgebaut wird, aber war nicht auch die Fertigstellung der Museumsinsel erst für 2024 vorgesehen?

    Meine Einschätzung zu diesem Eingangsgebäude habe ich schon früher geäußert. Richtig provinziell ist für mich die Tatsache, dass in Berlin-Mitte noch keine Straße nach James Simon benannt wurde. Denn erst, wenn 50 % aller Straßennamen (die sich auf Personen beziehen) Frauen würdigen, darf wieder ein Männername vergeben werden - das ist eben der unverfälschte Esprit einer Weltstadt!

    Tolle Idee! Könnte man nicht noch das Jahr zu den Stationen schreiben, in der die Station ihr noch heute dominantes Gepräge bekam? Notfalls können es ja auch zwei Zahlen sein, Ersteröffnung und stärkster Umbau... Dann kann man sich auch bei den nicht zuordbaren Stationen ungefähr vorstellen, was einen erwartet.

    Top:


    1. Neuer Hackescher Markt
    2. Debis A1, Potsdamer Platz (Kollhoff)
    3. Reichstagskuppel
    4. Jüdisches Museum
    5. Liquidrom im Tempodrom


    Übel:
    1. Anbau Schweizerische Botschaft
    2. Neues Kranzler-Eck
    3. Sawade-Bauten wie z.B. die Bürogebäude in der Carnotstraße
    4. Rathaus Mitte
    5. Volksbank von Isozaki am Potsdamer Platz


    Ein Thema, über das sich wunderbar streiten lässt. Die Maßstäbe sind natürlich immer sehr verschieden... Wie kannst du das stinknormale 08/15-Bürogebäude von Johnson als schlimmstes Bauwerk bezeichnen, Nikos? Doch nur, weil du dir von Johnson mehr versprochen hast - am Bau selbst kann es wohl kaum liegen...

    Zitat von Ben

    Städtebauliche Zurückhaltung? Wenn man Jo's letztes Bild sieht, dann geht es aufdringlicher oder eher "aus der Reihe tanzender" ja wohl kaum noch...


    Das Haus könnte nicht noch mehr aus der Reihe tanzen? Noch mehr am Vorgänger und der Umgebung kann sich doch ein moderner Bau kaum noch orientieren:
    - er nimmt exakt die alte Grundstücksfläche ein
    - er nimmt die Dachhöhe beider Nachbarbauten auf
    - er passt sich im Fassadenmaterial an
    - er passt mit seiner Nutzung als Wohn- und Ausstellungsgebäude perfekt in diese Umgebung


    Der Vorgängerbau war ziemlich klotzig und auch nicht sehr zurückhaltend.


    Ich befürworte Rekonstruktionen eigentlich fast immer, aber wenn man modern baut, dann bitte so. ich finde die "kritische Rekonstruktion" grundsätzlich gut, aber die Vorgaben zur Fassadengestaltung führen zur Langweile - entweder richtig traditionell oder moderner, dass täte gerade der Mitte gut und wird in der Spandauer Vorstadt ansatzweise - wie ich finde - mit Erfolg praktiziert.

    Ich finde den Entwurf gar nicht so schlecht - außer diesem und dem von Kollhoff fand ich alle anderen Wettbewerbsbeiträge inakzeptabel. Den Kollhof-Entwurf kann ich mir in seiner Wirkung nur sehr schwer vorstellen, ein auf die obere Hälfte beschränkter Tempel ist zwar recht faszinierend, wirkt aber etwas komisch und vermutlich nicht so behutsam-angepasst wie Kollhoff selbst es fordert (erinnert mich irgendwie an postmoderne britische Architektur der 80er Jahre). Chipperfield greift mit dem sächsischen Sandstein die Umgebung auf und bietet durch seine großen Fensterfronten, die in Bezug zu den Geschossgrenzen der angrenzenden Häuser stehen, sicherlich interessante Ein- und Ausblicke.

    ^
    Du hast natürlich recht, aber es war ja auch nicht im Sinne der röm. Imperatoren und den Kolonialherren Lateinamerikas, lokale Identität zu bewahren - man wollte ihnen schließlich den Stempel der neuen Herrscher aufdrücken (zumal es gerade in der Antike in vielen Gegenden auch keine funktionsfähigen heimischen Alternativstile gegeben haben dürfte).
    Selbst bei den deutschen Gründerzeitbauten kann man oft noch an der Kubatur und den Maßen erkennen, in welcher Stadt sie stehen. In Amsterdam dürfte es einfach sein, traditionelle Formen aufzugreifen, ich kann mir allerdings nur schwer einen Büroneubau vorstellen, der typisches Berliner Lokalkolorit verströmt. Wie sollte der auch aussehen? Ein paar Rummelplatzbuden vor dem Eingang? Mir fällt nur immer wieder auf, wie wenig Bäume und Grünfläche bei den Berlineer Neubauprojekten vorgesehen sind...

    Zitat von AeG


    Die Anlage als "spießig" zu bezeichnen schafft nur jemand mit einer neudeutschen kultur- und konsumfeindlichen West-Sozialisierung. Ausserdem ist es ungenügend, heutige Maßstäbe an damalige Verhältnisse anzulegen.


    Wow, meine Sozialisation war neudeutsch, kulturfeindlich und konsumfeindlich! Ich weiß zwar nicht, was du mit neudeutsch meinst, aber auch das andere überrascht mich etwas - hatte ich bisher so gar nicht wahrgenommen.
    Und das nur, weil für mich der PdR die perfekte Verkörperung der kleinbürgerlichen Weltsicht der DDR-Staatsführung war - unabhängig davon, dass die Ausstattung qualitativ über dem DDR-Niveau lag.
    Ich sehe ihn auch nicht als das exemplarische bzw. stilbildende Bauwerk seiner Zeit, du ja offensichtlich auch nicht.


    Ich bin zwar tatsächlich im Westen sozialisiert worden, aber auch meine im Osten sozialisierten (altdeutsch? kulturfreundlich? konsumfreundlich?) Freunde fanden den "Palazzo Prozzo" schlichtweg peinlich, als überflüssige Verschwendung mitten in einer Mangelwirtschaft, als Symbol für die Ausschmückung der Hauptstadt auf Kosten des Umlands, eben als "Ballast der Republik".
    Daher überrascht es mich, wenn der PdR plötzlich im Rückblick zum privaten Mittelpunkt, quasi zum Wohnzimmer von 16 Mio. DDR-Bürgern erklärt wird.


    Die hier so gelobte Verbindung von Parlament und "Volkshaus" wurde von meinen Ost-Freunden sogar mehrheitlich als zynisch empfunden, weil die Volkskammer eben nicht eine nach demokratischen Gesichtspunkten gewählte Volksvertretung war. Es ist ja nun auch nicht so, dass Erich und Margot nach ihrem Arbeitstag zusammen mit den Werktätigen auf der Bowlingbahn oder in der Milchbar abhingen.
    Solche Konzepte Politik und Öffentlichkeit zu verbinden wurden in Berlin nach der Wende ja auch angedacht: Das "Bundesforum" zwischen Kanzleramt und Löbe-Haus oder offene Botschaften. Ersteres ist an den Kosten gescheitert, letzteres an der Angst vor Anschlägen.
    Besonders gelungen finde ich von den Staatsbauten der DDR übrigens das Staatsratsgebäude, an dessen Abriss bisher glücklicherweise nicht gedacht wurde.

    Hast recht, Samuel, ich hatte die Ironie etwas überlesen...


    Wäre schön, wenn sich alle, die sich so vehement für Erhalt politischer Bauten der DDR einsetzen (was ich grundsätzlich begrüße), auch für den Erhalt westdeutscher Staatsbauten einsetzen würden. Aber dass jetzt in Bonn die Villa Dahm (Baujahr 1874), die Sitz der Parlamentarischen Gesellschaft war, für ein x-beliebiges Kongresszentrum plattgemacht wird, scheint nur wenige zu stören...

    @ Samuel
    Du bist noch zu jung um den Palast im Top-Zustand gesehen zu haben. Ich kenne ihn noch im Bestzustand - gefallen hat er mir nicht, gerade das Innere war unglaublich spießig und einfallslos. Würde er irgendwo anders sehen wäre ich ja auch für seinen Erhalt, aber an dieser Stelle sehe ich einfach keine Alternative zu einer Schlossrekonstruktion.