Beiträge von Vertigo

    ich denke, es ist ca. Mitte der 60er aufgenommen, dass die StaBi gegen die Mauer abschirmen sollte, gleich dahinter waren ja die Grenzanlagen mit den Türmen, und Selbstschussanlagen etc., so bildete die StaBi die Ostkante des Forums mit der Potsdamer Strasse davor die dann geradeaus in die Entlastungsstrasse mündete.

    Die Planung des Kulturforums begann 1958 - da gab es noch keine Mauer. Tatsächlich sollte die Staatsbibliothek das Kulturforum abschirmen, aber nicht gegen die Mauer, sondern die geplante Westtangente der Stadtautobahn, die direkt hinter der Staatsbibliothek herführen sollte, deswegen gibt es dort auch kaum Fenster.

    Der Entwurf von Herzog & de Meuron (der im Grunde nur wie eine Großversion ihres Schaulagers im Vitra Design Museum aussieht) wurde offenbar vor allen Dingen aus zwei Gründen ausgewählt:

    1. Transparent wirkendes Dach und Wände, durch die nachts das Licht geradezu mystisch nach draußen strahlt. Das sieht in den Visualisierungen eindrucksvoll aus, aber wie realistisch waren denn diese Versionen? Wer verirrt sich denn auf das Kulturforum, wenn er nicht die Museen besucht? Sie schließen um 18 Uhr - wann ist es dann schon dunkel? Ein paar Monate im Winter? Oder sollte das Museum auch nachts von innen leuchten? Selbst die Hochhäuser am Potsdamer Platz strahlen nachts nicht mehr, um Energie zu sparen - von dem Problem der "Lichtverschmutzung" ganz zu schweigen.

    2. Es gibt immer wieder Architekturtrends, die ein Entwurf unbedingt erfüllen muss. Aktuell ist das die Schaffung "öffentlicher Räume", die jeder ganz diskriminierungsfrei nutzen kann. Deswegen waren für das Museum Passagen von Nord nach Süd und West und Ost geplant, die man kostenfrei durchlaufen kann. In meinen Augen eine totale Fehlplanung: Wo sind denn die Menschenmassen, denen das neue Gebäude sonst im Weg stehen würde? Diese Planung sorgte dafür, dass der Bau zerschnitten wird, größere Räume bzw. Raumfolgen unmöglich werden, die Klimatisierung enorm schwierig wird und aus organisatorischen und Sicherheits-Aspekten ein großer Aufwand betrieben muss. Die Reduzierung finde ich sinnvoll, ich würde sie ganz streichen. Wer das Museum besuchen will, soll das Museum besuchen, alle Anderen laufen dann eben daran vorbei. Diese Durchgänge hätten auch keinen weiteren Besucher auf das Kulturforum gelockt


    Ich lebe nicht in Berlin, war diesen Monat aber oft am Kulturforum und habe Aufführungen/Ausstellungen in der Philharmonie, dem Kunstgewerbemuseum, der Gemäldegalerie und der Neuen Nationalgalerie besucht. Natürlich sind die Philharmonie, die Staatsbibliothek und die Neue Nationalgalerie (deren Skulpturengarten leider weder betret- noch einsehbar (außer von oben) war) absolute Architektur-Ikonen - aber wenn das Rote Rathaus schreibt, dass das Kulturforum gar nicht so öde sei, weil bestimmt 20 weitere Orte in Berlin genau so öde sind, dann mag das stimmen. Vielleicht gibt es noch irgendwo in Berlin Brachen, Hinterhöfe oder Autobahnzufahrten, die nicht weniger einladend sind - aber wir reden über das Kulturforum! Hier haben die größten Architekten ihrer Zeit gebaut, hier versuchen seit Jahrzehnten Fachleute mit Riesensummen die Aufenthaltsqualität zu verbessern - und was ist das Ergebnis? Die "Piazzetta" ist ein Unort, eine große, sehr steile, völlig versiegelte Fläche, grau, trist, trostlos, voller Treppen und Ecken, die keinen Sinn ergeben. Weil das allein noch nicht deprimierend genug ist, lag auch noch überall Splitt (wegen der Rutschgefahr bei Glätte?). Dieses Mahnmal gegen moderne Architektur ist weder praktisch noch schön - bitte (trotz Denkmalschutz) abreißen! Das Kulturforum als echte Landschaft wäre mein Traum, verbunden nur durch Wege, Wiesen, Wasserflächen und Baumgruppen. Schön, wenn man das zumindest in Teilen tatsächlich so verwirklichen könnte - aber bitte nicht so, dass dann Bäume die Sicht auf die wirklich großartigen Architektursolitäre verstellen!
    Wer an dem "Piazzetta"-Debakel (da gibt es wirklich nichts zu beschönigen) schuld ist kann ich nicht beurteilen. Lag es an den Ausschreibungen? Dem Zeitgeist? Rolf Gutbrod war als Architekt doch sonst besser.... Ein richtiger Biergarten ist für mich auch keine Profanisierung des Kulturforums, sondern der richtige Weg die Aufenthaltsqualität zu erhöhen. Natürlich gibt es im Umfeld des Potsdamer Platzes genug Lokale - aber in den Osterferien war die Diskrepanz zwischen den Menschenmassen am Potsdamer/Leipziger Platz und der Leere auf dem Kulturforum besonders auffallend.

    Warum untergenutzt? In erster Linie war das Schloss Sitz des Kunstgewerbemuseums, das zu den beliebtesten Museen Deutschlands gehörte. Ich verstehe auch den Begriff der Alibi-Nutzung nicht: Da gibt es plötzlich ein riesiges Gebäude im Herzen der Hauptstadt, über das die Republik verfügen kann - warum hätte sie es nicht nutzen sollen? Warum woanders Miete zahlen oder Neubauten errichten? Das Schloss war ein Zentrum der Kultur und der Wissenschaft, es gefällt mir, dass daran wieder angeknüpft wurde.


    Hier ein Zitat aus dem Wikipedia-Eintrag zum Berliner Schloss:

    "In den folgenden Jahren der Weimarer Republik entwickelte sich das Schloss zu einem bedeutenden Kulturzentrum der Stadt. Neben dem als Schlossmuseum bezeichneten Kunstgewerbemuseum öffneten auch die Repräsentationsräume und die Schlossbibliothek für Besucher. Darüber hinaus fanden während der Berliner Kunstwochen, die auf Anregung von Oberbürgermeister Gustav Böß erstmals 1926 veranstaltet wurden, im Weißen Saal und im Schlüterhof öffentliche Konzerte der Berliner Philharmoniker statt.

    Ein Verzeichnis von 1924 zählt gut zwei Dutzend private Mieter sowie zahlreiche öffentliche Einrichtungen, Behörden und Vereine im Schloss, unter anderem: die Krongutsverwaltung, das Fürsorgeamt für Beamte aus dem Grenzgebiet, die Gewerkschaft Deutscher Verwaltungsbeamter, die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, die Österreichische Freundeshilfe, das Psychologische Institut der Friedrich-Wilhelms-Universität, die Schlossbauämter I und II, die Zentrale für Kinderspeisung, die Zentrale für Vermittlung von Heimarbeit an Mittelständische, die Landesanstalt für Gewässerkunde, der Deutsche Verein für Kunstwissenschaft sowie das Phonogramm-Archiv. In den folgenden Jahren kamen noch das Museum für Leibesübungen, der Deutsche Akademische Austauschdienst, die Deutsche Akademie, der Atlas der Deutschen Volkskunde, die Deutsche Kunstgemeinschaft, die Mensa des Studentenwerkes, das Helene-Lange-Tagesheim für Studentinnen, das Japan-Institut, die Mexiko-Bücherei, die Kaiser-Wilhelm-Institute für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht sowie für ausländisches und internationales Privatrecht hinzu.


    Hier ein Artikel aus dem Tagesspiegel zur Nachnutzung:

    https://www.tagesspiegel.de/be…-nachmieter/13489916.html


    Noch einmal das Interview mit Christian Walther:

    https://taz.de/Autor-ueber-das-Berliner-Schloss/!5782539/

    Wen es interessiert, es gibt eine interessante Buchneuerscheinung: Des Kaisers Nachmieter. Christian Walther thematisiert was im Schloss zwischen Abdankung und Zerstörung los war. Nämlich auch jenseits der Nutzung als Kunstgewerbemuseum (vorher im Martin-Gropius-Bau, heute Schloss Köpenick) reichlich - vielfältig und demokratisch...

    Dazu gibt es ein lesenswertes Interview in der taz: https://taz.de/Autor-ueber-das-Berliner-Schloss/!5782539/

    Walther bedauert, dass das Schloss nur als Hohenzollernresidenz wahrgenommen wird und hofft auf einen Funktionswandel, so wie man beim Louvre auch nicht zuerst an die Bourbonen und beim Kreml nicht gleich an die Zaren denkt. Dass Schloss war im Grunde seit 1918, rechtlich seit 1926 Eigentum der Republik und ein Ort unterschiedlicher wissenschaftlicher-kultureller Einrichtungen.

    1993: Das Reichstagsgebäude ist offenbar so "toxisch", dass zwei der drei Wettbewerbssieger es als Problemfall behandelten: Pi de Bruijn wollte den Plenarsaal vor das Reichstagsgebäude setzen, Foster machte den Reichstag durch einen Sockel und ein riesiges (Tankstellen-)Dach klein. Eine Kuppel lehnte er ausdrücklich ab. Nach langem ringen und 27 Kuppelentwürfen dann endlich ein Ergebnis: Die Reaktion? Weitgehend genervt, skeptisch, ablehnend - eine Kuppel sei großmannssüchtig, wilhelminisch, rückwärtsgewandt, peinlich etc. Heute: Die Kuppel gehört zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten Berlins, dieser Hybrid aus alt und modern, bei dem man den Politikern aufs Dach steigen kann, versinnbildlicht aufs beste, wie sich das moderne, wiedervereinigte Deutschland gerne selbst sieht.

    1993: Kohl verkündete die Planung, die Neue Wache als zentrale Gedenkstätte des Bundes zu nutzen und dazu eine Vergrößerung der Kollwitz-Skulptur "Mutter mit totem Sohn" aufzustellen, was zur Schnappatmung im Feuilleton führte: Neben dem Urheberecht wurde die Verwendung einer "Pieta" als "antijüdisch" (Koselleck) bezeichnet und diese würde auch die Frauen ausschließen, die oft selbst Opfer und nicht nur passiv-trauernde Mütter waren. Die Inschrift "Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft" würde auch NS-Verbrecher einschließen, die im Krieg umkamen etc. Auch wenn die Neue Wache nicht mehr so im Mittelpunkt steht wie vor 1990, als noch die NVA ihre Wachablösung inszenierte, so wird sie doch - nach meinem Eindruck - gut angenommen und akzeptiert, die Vorwürfe von 1993 scheint kaum jemand zu teilen.


    Ähnlich wird es beim Humboldtforum sein: Natürlich ist es - architektonisch, konzeptionell, inhaltlich - ein Kompromiss, natürlich wirkt vieles noch steril, die angespannte Pandemie-Situation sorgt auch nicht für Feierstimmung. Aber die Häme, die über das HF ausgekippt wird, kann ich nicht nachvollziehen: Die Kosten sind kaum gestiegen, die Rekonstruktion der historischen Fassaden wurden durch Spenden finanziert, bisher liegen die Gesamtkosten noch immer weit unter der Hälfte, die Neubau und Umzug des BND gekostet haben.
    Man bekommt in vielen Medien den Eindruck, als hätten die Rekonstruktionsbefürworter höchstselbst Luv-Boot, Benin-Bronzen u. A. brutal zusammengeraubt. Solange die Objekte hinter einer modernen Museumsfassade ausgestellt wurden, gab es keine Debatten - aber die gleichen Objekte hinter rekonstruierten Barockfasseden, das ist mindestens Tschernobyl! Ich begrüße diese Provenienz-Debatten und die bisher geplanten Rückgaben ausdrücklich - aber die Verquickung dieser längst überfälligen Aufarbeitung mit dem Bau des Humboldtforums erscheint mit sehr zweifelhaft.


    Ich glaube, dass in rund fünf bis zehn Jahren das Humboldtforum bestens angenommen wird und in dieser Stadt mit ihren vielen Zentren zumindest für Nichtberliner als Mittelpunkt der Stadt gilt.

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    Die Potsdamer Straße, deren Verlauf Scharoun komplett ignorierte, war nicht nur eine der ersten "Kunststraßen" in Preußen und eine bekannte Adresse, sie war auch Teil der Reichsstraße 1 von Aachen nach Königsberg. Aber gut, das Kulturforum war eben die totale Abkehr von der alten Vorstellung einer europäischen Stadt, sicherlich auch ein bewusster Gegenentwurf zur Nord-Süd-Achse der Nazis, die an der Stelle bereits in Bau war (die Ruine des Hauses des Fremdenverkehrs ist z. B. noch im Kult-Film "Eins, zwei, drei" zu sehen). Ein aufgelockerter, großzügiger Stadtraum, ganz ohne Dichte und Monumentalität. Aber obwohl man im Grunde auf nichts Rücksicht nehmen musste und (besonders bis 1989, aber auch noch heute, wie man sieht) Geld auch keine große Rolle spielt, ist das Kulturforum - trotz der großen Architekten - in seiner Gesamtheit ein städtebauliches Debakel. Selbst wenn man Scharouns Gesamtentwurf mit Gästehaus umgesetzt hätte, wäre es nicht viel besser.... Die Moderne hat architektonisch so viele großartige Einzelgebäude hervorgebracht, scheitert aber fast immer, wenn es um Stadtplanung oder auch nur um die Planung eines Platzes geht. Aber auch der Block der drei von Gutbrod entworfenen Museen - ein Schlag ins Gesicht, und das von einem Mann, der die Stuttgarter Liederhalle gebaut hat. Auch ich erhoffe mir vom "Museum der Moderne" nicht viel, mir hat schon die kleine "Scheune" von Herzog & de Meuron auf dem Vitra-Gelände nicht gefallen - ins Gigantische vergrößert wird sie bestimmt nicht besser. Dem Vorschlag, bei dieser Stadtlandschaft eher auf die Landschaft zu setzen und etwa durch Seen und Kiefernhaine Verbindungen zu schaffen, kann ich einiges abgewinnen...

    Die DDR hatte kurz vorher die Restaurierung des französischen Domes beendet, der Deutsche Dom wurde noch restauriert - warum sollte das Hotel dann nicht auch Domhotel heißen? Zumal Dom hier nicht einen Bischofssitz meint, sondern nur die Kuppeln (franz. Dôme). In den 80er Jahren war die DDR im Bereich Rekonstruktion und Umgang mit der Geschichte nicht mehr so ideologisch - schon gar nicht, wenn es um Devisen ging...

    Das Domhotel wurde im Dezember 1990 am Platz der Akademie eröffnet - seit 1992 heißt es "Hilton" und der Platz seit 1991 wieder "Gendarmenmarkt"....

    Das Palasthotel mit seinen spiegelnden Fensterscheiben und runden Betten (die z. T. auch heimlich gefilmt wurden) war schräg gegenüber vom Berliner Dom.

    Kleiner Literaturtipp:


    Gerade gibt es bei den einschlägigen Anbietern das kleine Buch "Licht, Luft und Luxus. West-Berliner Wohnträume der 1960er und 1970er Jahre" mit Fotografien von Heinrich Kuhn für unter 8 Euro. Es gibt einige sehr knappe Texte, ansonsten viele Fotos aus dem Wedding, Kreuzberg und Neukölln. Meist in Schwarz-Weiß das Elend heruntergekommener Mietskasernen der Kaiserzeit, im krassen Kontrast dazu in Farbe die Neubaukomplexe. Man kann leicht erahnen, dass Kuhn, der der SPD nahe stand, sie als deutliche Verbesserung sah. Ob diese heute geschmähten Komplexe bald wieder ein Revival feiern, so wie die damals verachteten Gründerzeithäuser heute?


    Das passende Gegenbuch wäre "Die gemordete Stadt. Abgesang auf Putte und Straße, Platz und Baum" von Wolf Jobst Siedler und Elisabeth Niggemeyer aus dem Jahr 1961 - leider nur noch antiquarisch für viel Geld zu bekommen. Mit Fotos und Zitaten werden am Beispiel Berlin Hinterhof-Idyllen, prächtige Gründerzeitfassaden und viele Details mit ihren modernen Pendants kontrastiert - eine großartige Polemik!

    Wie Nachkriegsmoderne definiert wird, lässt sich leicht bei Wikipedia nachlesen - es handelt sich auf jeden Fall nicht um alles, was von 1945 bis 1990 oder gar bis heute gebaut wurde. Ich bezog mich ausschließlich auf die erste Nachkriegsmoderne bzw. die Übergangszeit, also den Zeitraum von ca. 1950-1963 - ein Zeitraum, der von vielen Architekturkritikern eher verächtlich als nicht "wirklich modern" wahrgenommen wurde. Gropiusstadt, das NKZ, Märkisches Viertel, das Pallasseum (1977) oder Marzahn (die Großsiedlung entstand erst ab 1977) haben mit dieser Phase nichts zu tun.


    Heinzer, bei wir war es ähnlich. Alle Gebäude, die ich besuchte, ob Wohnhaus, Kindergarten, Schule, Uni, Museen oder was auch immer waren Bauten der Nachkriegszeit oder ältere Häuser, denen man nicht mehr ansah, dass sie schon vor 1945 gestanden haben. Münster selbst wirkt zwar historisch und heimelig, die Innenstadt war aber zu 90 Prozent zerstört. Traditionslokale wie "Altes Gasthaus Leve", "Pinkus Müller" oder "Stuhlmacher" waren z. T. sehr alt, die Gemäuer und die Inneneinrichtung aber jünger als meine Eltern. Bis auf einige der Kirchen und Schlösser (die ohnehin eine Sonderstellung hatten) habe ich als Kind und Jugendlicher in Deutschland nur selten ein Haus aus der Vorkriegszeit von innen gesehen, reichverzierte Gründerzeithäuser kamen mir geradezu märchenhaft vor, die Vorstellung in so etwas zu leben wie ein Traum. Säulen und Stuck machten für mich ein schönes Haus aus, Ornament war kein Verbrechen, auch wenn es durchaus auch zurückhaltend wirken durfte. Die Qualität von Häusern der 50er Jahre habe ich damals nicht wahrgenommen, mir fiel nur auf, dass mich diese Häuser nicht störten, sie wirken auf mich neutral, nicht unangenehm. Das war bei Gebäuden der späten 1960er und 1970er anders, sie waren oft düster und abweisend, der Waschbeton furchtbar. Mittlerweile kann ich auch einigen dieser Gebäude durchaus etwas abgewinnen und hätte nichts dagegen, im Londoner Barbican zu leben...

    Ich will hier kein historisches Grundseminar abhalten und auch gar nicht auf unsinnige Aussagen wie "Deutschland war 40 Jahre lang militärisch besetzt" eingehen und hätte sich als Aussätziger in der Weltgemeinschaft (trotz NATO- und EWG-Mitgliedschaft) mehr als stil- und farblose Reparatur nicht leisten können. Das Gegenteil ist doch der Fall: Gerade Berlin bekam doch durch den Kalten Krieg in West und Ost einen Frontstadtcharakter, in dem man auch architektonisch die Überlegenheit des eigenen Systems demonstrieren wollte. Allein die Bauten der "Besatzungsmacht" USA wie die Kongresshalle, die als "Leuchtturm der Freiheit" galt (und z. B. im Film "Mein Mann, das Wirtschaftswunder" als Firmenzentrale diente) und nur zusammenstürzte, weil man der kühnen Statik des Architekten misstraut hatte, das Amerika-Haus oder auch die Amerika-Gedenkbibliothek, der Henry-Ford-Bau der FU oder das Studentendorf Schlachtensee belegen das doch.


    Bauten der deutschen Nachkriegsmoderne wurden sehr wohl international beachtet, der deutsche Pavillon von Egon Eiermann und Sep Ruf auf der Weltausstellung in Brüssel 1958 wurde international sehr gelobt und galt als Inbegriff der modernen, bescheidenen Bundesrepublik. Das Stadttheater Münster, 1952-56 erbaut von völlig unbekannten, jungen Architekten, wurde sogar von Rockefeller jr. besucht, um es als Vorbild für Theaterbauten in den USA zu nehmen. Der Fernsehturm in Stuttgart von 1955 war weltweit der erste dieser Art.


    Gegen Ignoranz kann man nicht anschreiben, aber ich will eine Lanze für die Architektur dieser Zeit brechen: Anders als vieles an gesichtsloser, rücksichtsloser Massenarchitektur der späten 60er und 70er Jahre haben viele Bauten der Nachkriegsmoderne noch ein menschliches Maß, verkörpern Eleganz, Großzügigkeit und Modernität in einem. Sie waren auch viel vielfältiger, als man meint, auch Neoklassizismus und Heimatschutzstil gehören dazu. Typisch ist aber der "Nierentischstil": Organische Baukörper, elegant geschwungen, viel Glas, großzügige Treppenhäuser, Flugdächer, farbige Flächen in Pastelltönen, ausgesuchte Materialien.


    Ich würde zwar auch lieber in einem bürgerlichen, top sanierten Gründerzeit-Altbau leben, ich finde Rothenburg ob der Tauber auch schöner als Bielefeld-Sennestadt. Ich hätte bei dem größten Teil der Nachkriegsmoderne auch lieber die Vorkriegsbebauung und finde schlimm, wie viel grundlos nach dem WK II abgerissen wurde. Die Bauten sind oft auch schlecht gealtert, besonders wenn Türen, Fenster oder Geschäftsschilder durch Kunststoff ausgetauscht wurden. Außerhalb von Brasilia oder Chandigarh zählen Bauten der Nachkriegsmoderne wohl nirgendwo zu den Hauptsehenswürdigkeiten, in Berlin dagegen schon: Auch mangels Alternative gibt es nur wenige Berlinansichten ohne Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, Fernsehturm, Europa-Center, Kongresshalle oder Stalinallee - ein Blick auf Postkarten oder Reiseführer, gerade vor dem Mauerfall, zeigt das sehr schnell.

    Aber die Gründerzeithäuser, die in den 1950er Jahren ungefähr so alt waren wie die Nachkriegsmoderne jetzt, galten als nicht nur als unmodern, kitschig und hässlich, man sah sie synonym für Elendsquartiere, in vielen Fällen dunkle, enge Räume mit zu wenig Licht, zu wenigen Toiletten, ohne Bäder. In "Meyers Hof" leben in einem Gründerzeithaus zeitweise rund 2100 Menschen, die sich nur wenige Gemeinschaftstoiletten teilen mussten. Sie galten in linken Kreisen sogar auch als Ausdruck einer Zeit, die in letzter Konsequenz in das Dritte Reich geführt hat. Dass ein Arbeiterviertel wie der Prenzlauer Berg mit solchen Häusern mal ein begehrtes, teures Wohnviertel werden könnte, war damals jenseits der Vorstellungskraft. Noch Anfang der 80er Jahre galt selbst der schönste Teil der Fasanenstraße (Villa Griesebach/Literaturhaus) als Beispiel für schlechte Architektur, die beinahe noch abgerissen worden wäre.


    Die Menschen wollten Bäder, Zentralheizung, Balkone, Licht, Luft, Ruhe, Aussicht - aber nicht nur das: Die Nachkriegsmoderne war die Überwindung des Dritten Reiches, der Anschluss Deutschlands an internationale Standards, der Blick nach vorn sollte die Vergangenheit vergessen machen. Diese Architektur strahlt in ihren besten Momenten Optimismus und Fortschrittsglauben aus und fügt sich damit nahtlos in die damalige Formensprache ein, die man auch im Möbel- oder Autodesign findet. Diese Architektur war kein Notbehelf, sondern idealisierter Ausdruck einer gesellschaftlichen Sehnsucht. Das Design dieser Epoche - ob von Eames, Nelson, Noguchi, Bertoria, Jacobsen, Aalto, Le Corbusier, Girad, Rams oder Wagenfeld - dominiert seit fast 15 Jahren als "midcentury modern" die Wohnungsmagazine. Ich würde es sehr begrüßen, wenn man den Häusern, für die sie gemacht wurden, mehr Respekt entgegenbringt. Nicht nur als Ausdruck eines Zeitgeistes des Aufbruchs, sondern auch weil ich z. B. das "Schirmständerhaus", das Schuhhaus Stiller von 1955/56, in der Wilmersdorfer Straße für so viel schöner und eleganter halte als alle späteren Nachkriegsbauten in dieser Straße. Aber Arty Deco ist vermutlich der Ansicht, dass die Löcher im Vordach zeigen, dass man sich ein richtiges Dach weder materiell noch moralisch leisten konnte...

    Arty Deco, ich kann diese Aussagen nicht nachvollziehen:

    Die Gebäude können nichts dafür, dass sie seit 20-30 Jahren so bezeichnet werden. Was heißt provisorisches Denken? Hier ging es doch nicht nur um Reparaturen oder darum, so schnell wie möglich billigen Wohnraum zu schaffen, sondern es gab klare Konzepte, die weltweit ähnlich waren und weitgehend auf der "Charta von Athen" beruhten. Allein die Interbau 57 ist doch das beste Beispiel dafür - mit Architekten wie Le Corbusier, Oscar Niemeyer, Walter Gropius, Alvar Aalto, Arne Jacobsen, Sep Ruf, Egon Eiermann, Hans Schwippert - das sind doch durchaus auch international bekanntere Namen.

    Nur weil man zu viel und zu gnadenlos Architektur vergangener Epochen abgerissen hat muss man jetzt bei den Nachfolgebauten nicht jede mittelmäßige Garage unter Schutz stellen. Aber die Kongresshallen in Ost und West, die Philharmonie, das Kino International, die Kaiser-Wilhelm- oder Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche oder auch nur die Verkehrskanzel wegzusprengen - da wäre ich entschieden gegen....

    Es müsste nicht gleich etwas ähnlicher Höhe wie das Zoofenster sein, bereits ein paar Geschosse über dem üblichen Blockrand würden genügend die Urbanität betonen.
    Das Ergebnis hätte vergleichbare Höhe wie das Ku’damm-Eck, welches angemessene Dimensionen für exponierte Lage im Zentrum einer Millionenstadt hat. Eine genauso gute Referenz ist das ähnlich hohe Bürogebäude neben dem Kranzler-Eck, welches eine kleine Fußgängerzone bietet - der Platz reicht sogar für einen gigantischen Vogelkäfig mit Sitzbänken um diesen.


    Mir ist unbegreiflich, wie man das "Neue Kranzler Eck" als Vorbild sehen kann - für mich eine der größten Bausünden in Berlin nach der Wiedervereinigung. Da hat man einen berühmten Prachtboulevard aus dem 19. Jahrhundert, an den man sich nach den grauenhaften 70ern wieder langsam annäherte (historische Straßenlaternen statt Peitschenleuchten, Wertheim-Fassade etc.) - und dann darf so ein Kasten hingeklotzt werden, der die einheitliche Traufhöhe völlig ignoriert und Sichtachsen zerschneidet. Möglich war das nur, weil die Victoria-Versicherung vorgab dort ihren Hauptsitz mit über 2000 Arbeitsplätzen hinzulegen, was (natürlich!) nicht passiert ist. Jetzt ist da eine abweisende sterile Glasscheibe, die durch ihre Höhe nur noch betont, wie niedrig die Kranzler-Ecke ist. Die "Fußgängerzone" ist windig, steril, langweilig und vom Ku'damm aus regelrecht versteckt, die Volieren deutlich schlechter, als in den Entwürfen vorgestellt: Warum macht man nicht aus den beiden Volieren eine große? Warum laufen die spitz zu - ist das artgerecht?
    Aber das wichtigste bei einem Neubau ist für viele hier im Forum offenbar ohnehin nicht die Nutzung, nicht die Ästhetik, nicht die Rücksicht auf Geschichte oder Umgebung: Hauptsache Höhe! Denn je höher, desto urbaner! Deswegen sind die horizontalen flachen Städte in Europa so unbelebt und langweilig - ob Paris oder Barcelona, ohne vereinzelte Hochhäuser wären diese tristen Orte vollkommen tot! Dagegen die Hochhausviertel in mittleren amerikanischen Großstädten oder der arabaischen Welt - da pulsiert das Leben!

    [...]wem gefallen denn wirklich die heutigen Fassaden? Nur einer kleinen Minderheit die auch in Museen fuer modern Kunst gehen. Die grosse Mehrheit der Menschen bevorzugt sich in Staedten aufzuhalten in der es historische Ensemble gibt.


    Ich liebe es in Museen für moderne Kunst zu gehen - ich liebe aber auch historische Altstädte. Muss ich jetzt zum Psychiater?
    Ideologien schaffen Strukturen - aber ich schätze in dieser (relativ) ideologiefreien Zeit, dass ich mich gleichmaßen für Bauhaus und Historismus begeistern darf...

    Ich halte nichts davon, den außereuropäischen Sammlungen noch mehr Platz zu geben. Wenn man ehrlich ist, passen die Sammlungen nicht ins Schloss und sind eine reine Zugeständnisnummer gewesen. Und wenn man ganz ehrlich ist, dann sind die Exponate auch nicht der absolute Mainstream-Publikumsrenner.
    Meiner Meinung nach hätte man die Gemäldegalerie ins Schloss holen müssen und die Sammlungen aus Dahlem vielleicht dann im Kulturforum untergebracht.


    Warum passt die ethnologische Sammlung nicht in das Humboldt-Forum? Oder anders gefragt: Warum soll sie hier schlechter passen als an ihren ehemaligen Standorten, dem Neuen Museum, dem Museum für Völkerkunde an der heutigen Stresemannstraße oder dem 1960er Jahre-Bau in Dahlem?


    Die Sammlung ist erstklassig und hat - bei guter Präsentation - enormes Publikumspotential (was für mich allerdings kein Maßstab ist). Das Musée du quai Branly in Paris beweist doch, wie gut solche Sammlungen aufgenommen werden, da kommen zu Sonderausstellungen z. T. mehr als 100.000 Besucher. Dem Reiz archaischer Darstellungen kann man sich nur schwer entziehen, ich habe noch so direkte Begeisterung bei Kindern erlebt wie in ethnologischen Museen....