Eine MitarbeiterIN sogar. Nun, es ist ja auch nicht das Deutsche Eisenbahnforum. Mit Architektur hat diese Grundsatzdiskussion hier ja bestenfalls am Rande etwas zu tun, daher habe ich mich hier einmal gewagt zu verewigen, in einem reinen Off-Topic-Thread sollte die Moderation das dulden, hoffe ich.
Es stört mich einfach, dass alle immer über die Bahn als eine Ansammlung von Gleisen, Zügen, Stationen und anderen Kapitalanlagen reden, bestenfalls noch über "Bahnchef X", wir Eisenbahner, ohne die kein einziger Zug fährt, werden immer ausgeblendet, höchstens beschimpft oder beim Streik, der selten genug wirklich stattfindet (wenn man einmal genau nachrechnet), verteufelt.
Es scheint einfach gegeben zu sein, dass schon irgendwie immer neue Mitarbeiter wie Manna vom Himmel fallen, um all die Ideen und Planungen und Planspiele in die Tat umzusetzen. Beispielsweise könnte man viele Kapazitätsprobleme (und in Folge ausgelöste Unzuverlässigkeit des Systems, da Puffer überall fehlen) lösen, wenn man einfach längere Züge verkehren lässt. Aber dann muss man ganz anders planen und Infrastruktur umbauen. Wenn auch nur ein Bahnsteig entlang einer Strecke dafür zu kurz ist, oft scheitert solch eine Verlängerung tatsächlich nur an 1-2 Bahnsteigen, dann geht es schon nicht.
Und so verstopfen unnötig viele Zugläufe das Netz, auf manchen Regiostrecken zu Stoßzeiten in einem dichteren Takt als so manche U-Bahn, mit Personal was eigentlich gar nicht vorhanden ist (ohne bereits von vorneherein eingeplante Überstunden geht der Personalplan nicht einmal ohne Zwischenfälle noch auf). Auch die Länder, mit ihrem Ausschreibungswahn verursachen das Problem mit. Es soll von Ausschreibungszyklus zu Zyklus immer billiger werden, wenn die Anforderungen aber eng definiert sind und ständig Neufahrzeuge anzuschaffen sind, dann kann nur noch am Personal gespart werden, die Länder tun trotzdem so als hätten sie damit nichts zu tun.
Das ist organisiertes Chaos und geteilte Verantwortungslosigkeit. Alle zeigen mit dem Finger aufeinander. Die Länder auf den Bund, der Bund auf die Länder, alle auf die DB, die DB auf Bund und Länder, die Teile der DB Holding jeweils aufeinander, usw. Und so ist eben auch die andienende Infrastruktur rund um den neuen Tiefbahnhof geplant worden. Isoliert betrachtet hat sich jede einzelne Abteilung, die einen Baustein beigetragen hat, schon was dabei gedacht, aber insgesamt lässt die Planung zu wünschen übrig und am Ende hat man das Gefühl, dass es Bahn, Land und Bund schon lange nur noch darum geht Kosten zu begrenzen und das ist die ineffizienteste Art soviel Geld auszugeben. In den Details wird gespart und auf wichtige Infrastrukturelemente verzichtet um, im Verhältnis zu den Gesamtkosten, Kleingeld zu sparen, damit aber das Gesamtprojekt ruiniert.
Ich bin, wie gesagt, gespannt, ob am Ende, im realen Betrieb, nach allen Umbauten, die Durchlaufzeiten überhaupt an die der alten Infrastruktur herankommen, zumal wenn Stuttgart wirklich ETCS Testregion werden sollte. Ihr habt ja keine Ahnung was Kollege Computer dann für Schleichfahrten und Sicherheitsabstände aufführt und mit der nächsten ETCS Revision werden die Puffer nochmal vergrößert. Ein Computer kann nicht so flexibel sein wie ein Tf aus Fleisch und Blut, daher sind in allen Szenarien die größtmöglichen Risiken, die der unflexible Computer noch beherrschen können muss, einzupreisen. Einem Menschen am Gleisrand sieht der Tf zB sofort an, an subtilen Details wie Blickkontakt und Körpersprache, was der vor hat. Ist es jemand der nur vergessen hat seine Warnweste zu tragen oder ist es gar ein Selbstmörder und ich muss eine Schnellbremsung einleiten? Als Beispiel. Neueste Führerstände mit neuester ETCS Revision blinken schon im Normalbetrieb wie ein Weihnachtsbaum, weil die "dumme" Technik überall Gefahren und Störungen erkennen will und du bist nur noch blind am "quittieren", damit das Display Ruhe gibt, bis zu 100 "Fehlermeldungen" pro Minute kann auch kein Mensch mehr sinnvoll lesen oder wahrnehmen. Und ein Computer am Steuer würde dann schlicht in failsafe schalten und den Zug stoppen. Error, Error,...
wie man es auch dreht und wendet, die Infrastruktur wird nicht für bestmöglichen Betrieb geplant, sondern von politischen Laienvorstellungen und auch von Industriepolitik her, man möchte dem europäischen Marktführer in Signal- und Leittechnik einen Testmarkt bauen, mit dem deutschen Bahnverkehr als Versuchskaninchen a lá Toll Collect (da hat es auch nicht gereicht bewährte Technik einzusetzen, nein es musste was supermodernes mit Sat-Unterstützung und OBU sein), aber das führt hier jetzt zu weit und ist selbstverständlich reine, nicht belegbare Spekulation meinerseits. Leider müssen wir das dann ja benutzen und können es, anders als andere staatliche Digitalisierungsprojekte, die in Komplexitität erstarrt sind, wenn sie denn mal fertig wurden, nicht ignorieren (ePersonalausweis, eGK, DE-Mail). Wenn auf die S21 Planungen noch nachträglich ETCS L3 losgelassen wird, dann kann sich schonmal jeder in Stuttgart einen Tretroller zulegen, ein einst stabiles, wenn auch altbackenes, Regionalbahnsystem wird dann zerschossen sein.
ETCS ist nicht gleich ETCS. Das, was zB in der Schweiz schon überall in Betrieb ist, hat nur dem Oberbegriff nach etwas damit zu tun, was in der Pilotregion Stuttgart eingeführt werden soll. ETCS Level 3 gibt es bisher nirgendwo in Europa im Vollbetrieb. Es gibt eine Teststrecke in Skandinavien, die nach wie vor voll klassisch signalisiert ist, es gibt eine ERTMS Regional Teststrecke, ebenfalls in Skandinavien, das ist eine abgespeckte und modifizierte Version von ETCS L3.
Auch in der Langfristplanung weit in das nächste Jahrzehnt plant niemand in Europa ernsthaft L3 voll und ohne Backup einzusetzen. Aber, wie gesagt, Stuttgart würde die Industriepolitik am liebsten zum Versuchslabor für ETCS Level 3 machen. Mit etwas Glück reicht das Geld nur für L2, dazu bräuchte man aber eigentlich keine Testregion, L2 ist ausgereift und anderswo in Europa schon flächendeckend im Einsatz. Das beißt sich mit der Verkündung Stuttgart zur ETCS Pilotregion zu machen.
Wo man hinschaut Unwägbarkeiten, politisch gewollte Umplanungen mitten während der Ausführung (BER lässt grüßen!) und laienhafte Politikerentscheidungen. Die Kosten sind nicht das Problem. Wenn das alles eine super Planung wäre, dann wäre es das Geld schon wert. Für einen der Top Ballungsräume der Bundesrepublik sind diese Kosten, zumal gestreckt auf viele Jahre, schon okay. Nur das, was man für dieses Geld bekommt, das ist aus Sicht einer Eisenbahnerin "nix gscheits". Wenn ihr mich fragt greifen die Laieneisenbahner in der Politik auch deswegen zum Strohhalm ETCS weil sie sehen, dass das mit der Kapazität der Gleise und Bahnsteige so nicht hinkommen wird, schon gar nicht wenn bis 2030, so das Ziel der Bundesregierung, der Personenverkehr auf der Schiene nochmal stark gesteigert werden soll. Siehe das Märchen von 20 % mehr Kapazität durch ETCS, eine Milchmädchenrechnung, das in den Medien dieses Jahr groß verbreitet wurde.