Beiträge von Llewelyn

    Nur zur Erinnerung: Sowohl der Mäusebunker wie auch das Institut für Hygiene und Mikrobiologie waren Gegenstand sehr konkreter Abrissbestrebungen seitens des Eigentümers, insofern war die Unterschutzstellung dieser Bauten der Nachkriegsmoderne tatsächlich und auch "in dieser Menge" dringlich.

    Wenn die zuständige Behörde erst aufgrund konkreter Abrissbestrebungen aktiv wurde, kann die Denkmalwürdigkeit aber nicht so bedeutend sein.


    Grundsätzlich sollte man Gebäude dieser Art nur in abgelegenen Winkeln schützen (wie es ja hier zufällig geschieht). So profitiert die Allgemeinheit und die wissenden Insider haben trotzdem etwas zum Fotografieren.

    ^ Das ist mir auch schon aufgefallen und ich bedaure das ganz generell ebenso.


    Hier schließt sich immerhin ein Spielplatz an, der etwas Leben verspricht, also nicht nur eine Wiese oder gar ein Parkplatz. Die Idee ist wohl die, dass man vor oder nach dem Besuch auf dem Spielplatz dann auch zum Einkaufen, zum Arzt oder ins Café kann, so dass sich hier tatsächlich etwas Leben einstellen könnte, was bei vielen geplanten Siedlungen ja häufig nicht so gut funktioniert.

    ^ Bitte mal das Zitat von Parzinger komplett lesen. Parzinger sagt weiter: "...wenn sie für die Kultur, für das Land ganz besonders wichtig sind, dann kann man auch darüber reden, dass man so etwas zurückkehren lässt." Das ist diplomatisch für: Wir behalten alles, was nicht unmittelbar mit Verbrechen in Zusammenhang steht, es sei denn, das Herkunftsland kann sehr, sehr gute Gründe anführen, warum wir es zurückgeben sollten.

    Das habe ich eben anders gelesen. Was für ein Land besonders wichtig ist, kann ja sinnvoll nur das betreffende Land selbst sagen. Nach Parzinger würde es also ausreichen, dass Land L sagt, Objekt O ist für uns besonders wichtig, um über eine Rückgabe zu sprechen.


    Die Verweise auf Großbritannien oder Frankreich sind in diesem Zusammenhang übrigens Whataboutism – was hat Provinienzforschung im Kontext der deutschen Kolonialgeschichte mit dem British Museum zu tun?

    Ich bezog mich auf eine vorangegangene Äußerungen von Bato, der auf Arty Deco reagiert hat, habe also ein Gespräch fortgeführt. Im übrigen halte ich es nie für verkehrt, auch mal über die eigenen Grenzen zu schauen um zu sehen, wie es andere so machen.

    Darin signalisiert Parzinger sogar die Bereitschaft selbst solche Objekte zurückzugeben die nicht im Unrechtskontext stünden.


    Und genau das ist doch der "typisch deutsche Selbstanklagemechanismus", von dem Arty Deco sprach. So weitgehende Äußerungen von vergleichbaren Vertretern aus Frankreich oder dem UK sind mir nicht bekannt, ich lasse mich da aber natürlich gerne korrigieren. Jedenfalls gibt das British Museum nicht einmal Objekte zurück, die auch aus britischer Sicht nicht legal erworben wurden (was ich nicht verteidige). Ich erinnere auch an die Rückgabe der "Berliner Straßenszene" von Ernst Luwig Kirchner an Anita Halpins durch das Brücke-Museum, für die es keine klare Grundlage nach der Washingtoner Erklärung gab.

    Michael Rost, seit 32 Jahre Berliner Stadtführer, erläutert auf einem Spaziergang das neue Schloss / Humboldt-Forum und insbesondere sein Umfeld – gerade auch für die interessant, die sich das aktuell nicht vor Ort anschauen können. (Der Link zum Video folgt unten. Alle Zitate in diesem Beitrag sind aus dem Video übernommen.)


    Für mich war neu, dass es in Berlin eine Art Höhenwettstreit gab, wie wir ihn vor allem aus italienischen und amerikanischen Städten kennen. Das Rote Rathaus und der Reichstag mit seiner Kuppel hatten die Kuppel des Stadtschlosses als ehemals höchstes Gebäude überragt, was den Kaiser nicht amüsierte. So wurde der Neubau des Berliner Doms so dimensioniert, dass es zum höchsten Gebäude Berlins wurde.


    Zur Gestaltung des Umfelds erläutert Michael Rost:

    • Lüscher hat in der Ausschreibung klar machen lassen, dass keine historische Rekonstruktion erwünscht ist, sondern eine zeitgenössische Gestaltung. Historische Spuren sollten dabei durchaus beachtet werden (laut anderen Quellen aber nur, weil es gegen den ursprünglichen Ausschreibungstext Proteste gab).
    • Der internationale Wettbewerb hat weniger Resonanz gefunden als erhofft. Die Jury soll von den Eingaben eher enttäuscht gewesen sein.
    • Die Entscheidung für den Siegerentwurf viel mit 8 zu 5 Stimmen eher knapp aus. Lüscher selbst zeigte sich sehr zufrieden mit dem Entwurf.

    Rost zitiert von einer Podiumsdiskussion in 2020 den ehemaligen Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz (SPD), der Mitglied der Jury war: „Ich war in vielen Jurysitzungen, aber die von 2013 [zum Schlossumfeld] war die schlimmste.“ Er, Schmitz, habe das Gefühl gehabt, dass die Pläne zur Gestaltung des Umfelds die Rache derjenigen war, die das Schloss nicht wollten.


    Als Rost aus der Jurybegründung für den gewählten Entwurf zitiert, musste ich laut lachen. So seien nämlich die zwei Ebenen der Ostseite (also „Spreebalkon“ und Uferpromenade) „geschickt durch zwei Rampen und Treppen miteinander verbunden“ und „als urbane Sockelbebauung thematisiert“. Lüscher selbst sagte: „Die interessante und aus meiner Sicht poetische Seite entsteht zur Spree hin […] Als romantisches Element erinnert eine Bank [ein Baum?] an das ehemalige Spreewäldchen. Hier wird das Spreeufer als attraktiver Stadtraum auf zwei Ebenen inszeniert.“ Ich habe nicht viel gegen die aktuelle Umfeldgestaltung an der Ostseite, aber solch eine Banalität als „geschickt“ und als attraktive Inszenierung zu bezeichnen, zeigt wieder einmal so schön, dass Autosuggestion und heiße Luft zum Wesenskern eines Großteils der modernen Architektur gehört.

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    @ Wolke Eins: Ich glaube, dass Du die Dinge hier überinterpretierst.


    Im Falle der Fischerinsel sieht man heute nun mal "DDR-Architektur". Wenn man diese -- bzw. vielmehr die dafür notwendige Zerstörung alter Gebäude -- in einem Diskussionsstrang zu ebenjener Fischerinsel kritisiert, entschuldigt man damit nicht die Zerstörung anderer alter Gebäude durch andere Verantwortliche. Ich persönlich würde übrigens die Fischerinsel so lassen, wie sie ist, weil sie mich als relativ gut abgegrenztes Ensemble weniger stört als wenn man versucht, mit moderner (oder rekonstruierter) Architektur da irgendwie noch alte "Strukturen" reinzubringen. Das wird nie zu einem Ergebnis führen, das irgendjemand als anziehend empfinden wird. Ich hätte auch das Ahornblatt nicht abgerissen.


    Ost und West geben sich in der Zerstörung alter, erhaltenswerter und -fähiger Gebäude absolut nichts. Ich bin in einer westdeutschen Großstadt aufgewachsen, die noch heute unter der Zerstörungswut der Nachkriegsgeneration leidet und von einem absoluten Schmuckstück zu einem ziemlich häßlichen Ort degradiert wurde, wobei man auch die Vision der autogerechten Stadt besonders brutal angegangen ist. Wir sollten uns alle den Geist der Nachkriegsjahre zur Mahnung nehmen (wobei man die 50er Jahre teilweise dadurch entschuldigen kann, dass man in möglichst kurzer Zeit möglichts viele Wohnungen schaffen musste und keine Zeit und Mittel hatte, lange zu diskutieren und Altes sorgfältig wiederherzustellen).


    Ich glaube das nennt man Stadtentwicklung, im Gegensatz zu Stillstand oder gar schlimmeren.

    Gegenüber der Gegenposition ist das entweder aggressives Missverstehen oder Unfähigkeit zur Differenzierung. Beides sehr betrüblich.

    Danke an Cavendish und ElleDeBE für die interessante Geschichtsstunde. Im Wiki-Artikel zur Fischerinsel wird das Gebiet um die Wohnhochhäuser in dieser Karte als "Marktviertel" bezeichnet, in Abgrenzung zum "Schlossviertel" nordwestlich davon. Der Begriff wird allerdings nicht erläutert. Immerhin erinnert die seit mindestens 1750 übliche Bezeichnung "Spittelmarkt" für den Platz am heutigen gleichnamige U-Bahnhof daran, dass es hier einmal einen größeren Markt gab, möglicherweise dann auch weitere kleinere Märkte in der Umgebung.


    Friedward, Deine Vermutung, dass die Hochhäuser auf der Fischerinsel um das Jahr 2000 herum saniert wurden, wird durch das folgende Bild aus dem Wiki-Artikel zur Fischerinsel gestützt, das aus dem Jahr 2000 stammen soll. An zwei der Hochhäusern sieht man Gerüste.


    Bis vor etwa zwei Jahren habe ich auf der Fischerinsel gearbeitet und daher die Hochhäuser werktäglich gesehen. Ihr äußerer Zustand ist absolut einwandfrei, mangelnde Frischheit kann man ihnen in puncto Erhaltungszustand nicht vorwerfen.


    Ich persönlich habe lieber ein Hochhausviertel, dass sich klar abgrenzt bzw. abgrenzen lässt als die meist misslungenen Versuche, dieses zu integrieren. Die bereits bestehende und die geplante Bebauung an der Ecke Mühlendamm / Fischerinsel finde ich schrecklich. Ich hätte das Ahornblatt erhalten, es war ja verbunden mit einem Flachbau, in dem es Platz für Supermarkt, Arztpraxen etc. gab. Das ist Geschichte, ich weiß, ich würde nun aber lieber Geld und Mühe in die Viertel jenseits von Mühlendamm bzw. Spreekanal stecken (was ja auch geschieht), statt das Hochhausviertel zu verschlimmbessern.


    2000-08-06_ahornblatt7ejaz.jpg

    Bild: Wikipedia, Eintrag "Fischerinsel (Berlin)" (Abruf vom 22.12.2020)

    Verschoben von KronprinzCarré.

    Wenn wir aber schon am Pauschalisieren sind: es sind immer die gleichen Sprüche aus Berlin wie die Stuttgarter (gerne auch mal ganz Südwestdeutschland als „Schwaben“ diffamiert) so angeblich sind. Arbeitet da bitte mal dran, nicht jeder der komisch redet ist Schwabe, und der Prenzlauer Berg ist nicht Stuttgart.

    Äh, ich bin Stuttgarter -- und weiß genau deswegen so gut, warum es in Stuttgart etwas ... speziell ist. Es ist ja kein Wunder, dass viele Stuttgarter und Schwaben nach Berlin gezogen sind. Ich wohne übrigens nicht im Prenzlauer Berg und habe dort auch nie gewohnt. Und ich betreibe vor Dritten auch nie Stuttgart-Bashing, sondern habe auf eine Frage von "Regent" geantwortet. In Stuttgart kann man nicht nur gut, sondern sogar sehr gut leben -- wenn man keinen Wert auf ein schönes Stadtbild und auf eine breite Gastroszene Wert legt.


    Übrigens wird im Stuttgarter Forum mehr gemeckert als im Berliner Forum, und das zu Recht. Fakt ist, dass Stuttgart durch viele Neubauten in den letzten 10 - 15 Jahren spürbar abgebaut hat. Mit dem "KronprinzCarré" wird jedenfalls das Hofbräueck "kongenial" ergänzt.


    Die B14 ist auch nicht wirklich ein Alleinstellungsmerkmal, raus aus der Bude und die Augen aufgemacht!

    Was fällt Dir da in vergleichbarer Lage und Wirkung in vergleichbar großen Städten ein?


    (Bremen hatte ich ja vorsichtshalber ausgenommen, auch wenn Breitenweg keine Bundestraße ist und der Nordwestknoten nicht direkt an die Innenstadt grenzen.)

    ^ Meinst Du mit Kunstinstallation das Farbspiel? Durch die Farbe wirkt für mich die ganze Szene alles andere als rauh, sondern eher erfrischend-behaglich. Es sind ja keine Tags, sondern fast schon gemäldehafte Farbkompositionen. Aber vielleicht täuscht das Foto auch ein wenig.


    Ganz grundsätzlich würde ich mich freuen, wenn mehr Farbe die Architektur und Stadtplanung prägen würde. Früher hatte man auf Brandwänden häufig gemalte (und oft gut gestaltete) Werbung, was man heute sicherlich nicht mehr so gerne sieht. Dafür könnte man dann eben etwas anderes aufbringen. Es gibt ja gelegentliche Beispiele, etwa in der Bülowstraße um die "Urban Nation". So etwas Buntes hätte ich mir übrigens auch an der Ostfassade des Stadtschlosses / Humboldt-Forums vorstellen können, gerade zu / in Nachbarschaft von Barockfassaden kann das für meinen Geschmack gut passen.

    Als Nicht-Stuttgarter, der sich hier gerade eher zufällig ins Forum verirrt hat, passt die innere Logik des Stuttgarter Bauens überhaupt nicht zu meinen sonstigen Kentnissen über die Stadt. Müsste eine eher bodenständig-konservative Stadt, eine reiche Stadt, mit stets guter Beschäftigungssituation, viel privatem Kapital, das viele kluge Leute aus nah und fern anzieht, müsste eine solche Stadt nicht eigentlich viel ästhetisch ansprechender bauen?

    Eine Freundin, die zum Arbeiten nach Stuttgart kam, meinte einmal, sie wundere sich, dass es in Stuttgart, das doch als Stadt der Architekten gelte, so viele häßliche Ecken habe.


    Ich finde, Stuttgart ist insgesamt nicht häßlicher als die meisten anderen Städte dieser Größe in Deutschland. Es gibt jedoch ein großes Problem, das meiner Erfahrung nach alle Neuankömmlinge schockiert und das im deutschen Vergleich immer mehr zum Alleinstellungsmerkmal wird (vielleicht mit Ausnahme von Bremen): Die B14 durch die Innenstadt. Das ist einfach nur ein Alptraum. Leider wird durch den Entwurf zur Neugestaltung die schlimmste Ecke, nämlich der Charlottenplatz, so gut wie gar nicht entschärft.


    Erschwerend kommt hinzu, dass die hügelige Lage Stuttgarts wirklich eine positiv-herausragendes Merkmal der Sadt ist, die besonders nach guter Architektur verlangt. Daher sind solche Bomben wie die John Cranko Schule besonders verheerend.


    Im Verein mit dem vor Jahren besorgten Abriß des Altbaus direkt an der Ecke zur Königstraße und der Wiederauferstehung des Hofbräuecks setzt man mit dem neuen KronprinzCarré nun das Signal, dass man Pforzheim entschlossen überholen und die häßlichste Großstadt Deutschlands werden will.

    Woher kommt eigentlich immer dieser Aberglaube Stuttgart sei bodenständig-konservativ?

    Daher, dass es so ist. Dem widerspricht auch nicht die Tatsache, dass Stuttgart und BaWü von Grünen regiert wird oder wurde. Die Grünen sind im Ländle ja die bürgerlichsten in ganz Deutschland.


    Immer, wenn ich nach Stuttgart komme, nehme ich eine ganz besondere Stimmung wahr, die es so nicht oder in kaum einer anderen Stadt dieser Größe in Deutschland gibt. Es wird viel gearbeitet, die Menschen stehen früh auf und sind sehr häuslich, dementsprechend gibt es wenige Cafés und Kneipen. Bei Sportereignissen gibt man sich höflich-begeistert und man achtet streng darauf, dass keine hohen Häuser gebaut werden. Man kauft gerne hochwertig ein und geht mit der Mode, ohne wie etwa in München großspurig oder in Hamburg schick zu wirken. "Bieder" ist vielleicht ein passendes Wort. Das hat Vorteile -- in Stuttgart wird das Geld verdient, dass in Berlin und anderswo ausgegegen wird -- aber für den, der neu in die Stadt kommt, wirkt die Stadt erst einmal eher verschlossen.

    Der Neubau in der Luitpoldstr. Ecke Eisenacher Str. steht inzwischen weitgehend frei. Davon erst einmal drei Ansichten, der interessante Part kommt weiter unten. (Alle Bilder von mir und gemeinfrei.)


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    ↓ Ansicht vom Hof. Die schmalem Lichtschlitze führen nicht, wie ich anfangs vermutete, zum Bad der Wohnungen, sondern zum Treppenhaus. Die Balkone links daneben sind nur Austritte vom Treppenhaus und vom Fahrstuhl.

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    Der Witz: In jeder Etage werden kleine Brücken / Stege von diesen Austritten direkt auf die Balkone des Nachbarhauses gelegt. Dieses hat vermutlich keinen oder keinen angemessen großen Fahrstuhl. Die Balkone, auf die die Stege führen, gehören zu einzelnen Wohnungen und nicht zu einem Treppenhaus. So soll wohl ein Teil der Wohnungen des bestehenden Gebäudes besonders alters- oder behindertengerecht gemacht werden. Wenn man das zweite Bild von oben betrachtet, erkennt man links von dem noch stehenden Gerüst bereits zwei der Übergänge, im dritten Bild kann man sie nur schemenhaft erkennen. Dazu nun weitere Ansichten:


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    Danke für die vielen Fotos von Backstein und dropdeaded209. Vor allem die neue Perspektive vom Bode-Museum mit der Kuppel im Dunst und der S-Bahn ist ja große Klasse. Ich glaube, wir brauchen mehr Kuppeln in Deutschland. :)

    Bei meinem Rundgang um das Schloss gestern Abend ist mir aufgefallen, dass vor der Westfassade noch mehr Kameras installiert wurden als vor der Südfassade, die hier ja diskutiert wurden. Es sieht so aus, als wenn man es dem Remmo-Clan hier tatsächlich einmal schwer machen möchte. ^.^

    Ich glaube, Du sprichst reduzierter, funktionaler Ästhetik hiermit zumindest unbeabsichtigt ab, dass sie eine Meisterleistung darstellen kann oder echte ästhetische Empfindungen auslösen kann.

    Ich würde nie absprechen, dass dieses oder jenes bestimmte Empfindungen auslösen kann, das ist ja etwas völlig Privates, das sich jeder (sinnvollen) Bewertung entzieht. Die entscheidende Frage für ein öffentliches Gut wie Architektur und Stadtplanung ist aber nun einmal, wie der Großteil der Leute den Großteil der Ergebnisse empfindet. Da hat die moderne Architektur halt im Großen und Ganzen (also nicht immer) versagt. (Ich spreche bewusst von "Architektur" um den einzelnen Architekten etwas aus der Schusslinie zu nehmen. Dass Architekten bei hohen Renditeerwartungen zumindest vieler heutiger Bauherren keine großartigen Leistungen liefern können, ist klar.)

    Was meine Bewertung reduzierter Ästhetik angeht: Ich mag z.B. das Design von Apple oder das alte Design von Braun meist sehr gerne, empfinde es aber nicht als Meisterleistung. Ecken rund zu machen und Geräte flach zu bauen mag für die Produktionstechnik eine Herausforderung sein, vor der Designleistung habe ich aber (in diesen konkreten Fällen) keine besondere Ehrfurcht, schon gar nicht vor dem Hintergrund heutiger Möglichkeiten. Wozu studieren denn Designer?

    Wem so etwas gefällt, der hat einfach einen anderen Sinn für Ästhetik aber nicht automatisch einen fehlenden bzw. pervertierten.

    Das habe ich ja auch nie geschrieben oder insinuiert. Die fehlende Differenzerung -- um nicht zu sagen: das aggressive Missverstehen -- , die bei solchen Debatten immer wieder aufblitzt, ist echt stupend (auch wenn ich Dir hier keine böse Absicht unterstelle). Das Phänomen entsteht wohl daher, dass viele immer wahnsinnig aufgeregt werden, wenn man es wagt, Kritik an den Säulenheiligen zu üben.


    Aber die Neue Nationalgalerie halte ich für einen positiv herausragenden Vertreter der (Klassischen) Moderne und laut Wikipedia bin ich da auch nicht allein mit der Bewertung.

    Dieser Bewertung stimme ich zu (hier ist der Kontext die klassische Moderne!). Dass Du das betonen musst, zeigt leider, dass Du den Punkt überhaupt nicht verstanden hast. Das ist aber symptomatisch für solche Diskussionen. Ich bin es jetzt müde, immer wieder das selbe zu erklären, wir könnn es gerne dabei belassen und das Problem auf meine mangelnde Formulierungskraft schieben. Ich danke Dir für Deine ausführlichen Erwiderungen und Deinen freundlichen Ton.

    Die Neue Nationalgalerie tat wie Du ausführst exakt das Gleiche: Es wurden die technischen Mittel der Zeit sowie das Wissen um Proportionen und ästhetisches Empfinden genutzt, um mit klaren, einfachen geometrischen Formen ein in Deinen eigenen Worten "schickes" und ästhetisch ansprechendes Bauwerk zu schaffen.

    Richtig, aber die technischen Mittel sind, wie ausgeführt, keine Leistung des Architekten, sondern der Ingenieure und Metallurgen, und das Wissen um Proportionen ist Erstsemester-Wissen. Kein Grund, um die NN zu verurteilen, aber auch kein Grund, sie als ästhetische Meisterleistung zu betrachten. Ästhetisch ist die NN ein "banales" Stück Architektur, das mir gefällt.

    @ Llewelyn:

    Ich sehe einen Widerspruch in Deiner Argumentation: Wenn Du mit Deiner Prämisse von der "prinzipielle[n] (!) Ähnlichkeit zwischen der Neuen Nationalgalerie und einer Tankstelle der abgebildeten Art" recht hast, dann spricht doch gerade dieses Beispiel gegen die Behauptung der modernen Architektur als "ein Elitenprojekt". Oder sind Tankstellen in Deinen Augen auch elitär?

    Nein, sie werden aber nicht als ästhetische Meisterleistung gepriesen. (Das trifft vielleicht auf die weiter oben erwähnten Art Deco-Tankstellen zu, aber gegen Art Deco habe ich ja gerade nichts).

    Sorry, Llewelyn , aber ich bin sauer. Du trittst eine ganze Architekturepoche ohne jeden Unterschied in den Orkus

    Nein, das tue ich nicht, ich habe die NN explizit als gelungen bezeichnet.


    Es geht bei Architektur letzlich nicht darum, was Du oder ich als schick empfinde oder was innovativ ist oder nicht, sondern was der Mehrheit gefällt. Architektur ist nun mal zwangsläufig ein öffentliches Gut, daher fordere ich, dass es auch der Öffentlichkeit gefallen muss. Gerne mit gelegentlichen Ausnahmen, nur ist es heute eben umgekehrt: Die meisten modernen Gebäude gefallen den meisten nicht, mit gelegentlichen Ausnahmen.

    Mich stört der Vergleich mit einer Tankstelle oder einer Aldifiliale nicht besonders, die Assoziation ist ja absolut nachvollziehbar.

    Allerdings denke ich dass - ähnlich wie beim Bauhaus - es bei mancher moderner Architektur darum geht, Funktionalität so zu betonen, dass daraus eine eigene Ästhetik entsteht. Das Reduzieren auf und die Betonung des Notwendigen - so dargestellt wie bei der NN - mag Dir dann als banal erscheinen oder als Taschenspielertrick - aber das ist es nicht.

    Als Taschenspielertrick empfinde ich die NN nicht, allerdings als banal. "Banal" hat eine abwertende Konnotation, die aber hier nicht gemeint ist. Ich finde die NN so "banal" wie einen gewöhnlichen Tisch. Ein Tisch kann mir, wenn er z.B. aus einem schönem Holz gebaut wurde, so gut gefallen wie mir die NN gut gefällt, ich halte aber weder den Tisch noch die NN für eine besondere ästhetische Leistung. Wenn der Tisch zum ersten Mal mit einem bestimmten Material oder einem bestimmten Verfahren gefertigt wurde, kann man das würdigen (und gerne auch in einem Museum ausstellen), dadurch wird aber die Ästhetik immer noch keine besondere Leistung. Wenn Adolf Loos 1909 ein für die damalige Zeit sehr reduziertes Haus entwirft, das absehbarerweise zum Skandal wird, dann ist das jenseit jeder ästhetischen Vorlieben zumindest mutig. Die NN war aber 1968 sicher nicht mehr mutig. Das war vielleicht noch das Seagram Buidling 1958.


    Was allerdings immer wieder festzustellen ist, ist diese Ablehnung, Herabwürdigung und unglaubliche Emotionalität die hier immer zum Vorschein kommt.

    Aber die ist doch vor allem Reaktion. Reaktion auf eine Szene, die Banalitäten wortreich zu Meisterleistungen hochstilisiert und traditionelle Bauformen, die nun mal den meisten Menschen gefallen, marginalisiert bis verachtet. Das gibt es so in keinem anderen Kunsthandwerk oder Gewerbe, denn im Gegensatz zur Architektur muss jeder "Produzent" (sei es von Entwürfen oder von konkreten Produkten) sein Produkt direkt an den Konsumenten verkaufen, das Produkt muss also dem Konsumentem gefallen. In der Architektur ist jeder Passant zwangsweise Konsument, dessen Geschmack wird aber nicht (angemessen) berücksichtigt oder für voll genommen. Und wenn sich dann Menschen mehr oder weniger aus Notwehr für Rekonstruktion einsetzen, werden sie als Gestrig dargestellt.


    Das Ganze ist so, als wenn man jeden Tag Hering mit Vanillesauce essen muss, irgendwann aufbegehrt und nach Spätzle, Kohlroulade oder einer Gemüsepfanne verlangt und dann als ungebildet oder rückschrittlich belächelt wird. Selbst in Sternerestaurants, die gerne mit ungewöhnlichen Kombinationen experimentieren, muss es dem Gast schmecken. Kein Sternekoch würde jemals auf seine Gäse herabblicken, wenn diese bestimmte Kreationen nicht goutieren. Jeder soll essen / konsumieren können, was er möchte, aber da man Architektur zwangsweise konsumieren muss, ist hier besonders stark (also nicht immer!) darauf zu achten, dass es den durchschnittlichen Menschen gefällt.

    Ich habe ebenfalls gegoogelt aber völlig anders als bei dem Museum der Moderne und der klassischen Lidl-Filiale keine deutlichen, wirklich überzeugenden Entsprechungen gefunden. Ja, es gab auch schicke Tankstellen aber wirklich ähnlich zur Neuen Nationalgalerie finde ich diese nicht (

    Da habe Dich falsch verstanden, ich dachte Dein Punkt wäre, Tankstellen könnten grundsätzlich nicht hochwertig sein.


    Ich füge einmal diese Ansicht einer Tankstelle ein (© Shutterstock.com / Rob Wilson).


    tankstellewvj7r.jpg


    Wie ästhetisch hochwertig diese Tankstelle ist, darüber kann man natürlich streiten (ich finde sie nicht gerade hässlich, ist halt eine Tankstelle). Worüber man aber nicht streiten kann, ist die prinzipielle (!) Ähnlichkeit zwischen der Neuen Nationalgalerie und einer Tankstelle der abgebildeten Art: Großes, viereckiges Dach, dass auf relativ dünnen Säulen „schwebt“. Bei der NN kommt noch eine Glashülle dazu.


    Was also macht die NN so besonders? Ein zentrales Argument ist wohl das:


    Man muss sich mal vergegenwärtigen, welche Massen an Glas und Stahl da vor über 50 Jahren zu solcher Luftigkeit und Leichtigkeit aufgetürmt wurden.

    Dieses Auftürmen von Masse auf dünnen Säulen ist nun aber keine Leistung des Architekten, sondern insbesondere des Bauingenieurwesens und der Materialwissenschaft (also von Metallurgen, Stahlerzeugern etc.). Der Architekt hat sich hier einfach nur der Möglichkeiten bedient, die ihm andere boten. Das mag historisch interessant sein und kaum einer wird etwas dagegen haben, wenn die erstmalige Inanspruchnahme verbesserter Techniken gewürdigt wird. Falls der Architekt zum ersten Mal einen neuen Stil verwendet hat, kann man auch das würdigen. Das macht das Gebäude aber immer noch nicht ästhetisch herausragend. Man kann die NN schick finden – auch ich gehöre zu den Menschen, die das tun – aber sie ist eben alles andere als ein ästhetisches Meisterwerk. Sie ist ein ganz banales Stück Gestaltung. So etwas, wie Verhältnisse von Seite zu Höhe so hinzubekommen, dass Sie als schick empfunden werden, ist Erstsemester-Wissen oder -Erfahrung und lässt sich in vielen Fällen auch einfach durch Ausprobieren herausfinden.


    Ein Grund, warum viele Menschen der modernen Architektur so kritisch gegenüberstehen, ist neben ihrem weitgehenden ästhetischen Versagen (das man wie gesagt m.E. der NN nicht vorwerfen kann) die Art und Weise, wie immer wieder ihre Banalität mit Worthülsen und Kennermiene als Genialität verkauft werden. Mir wird dabei immer richtig unheimlich, weil es zeigt, in was sich Menschen alles so hineinreden lassen, um als Wissend und Aufgeklärt zu gelten. Für mich ist das wie Corona-Rebellion oder Leugnung der Probleme des Klimawandels, nur eben für Intellektuelle. Die moderne Architektur ist ein Elitenprojekt, das vielen Ihrer Anhängern (bewusst oder unbewusst) dazu dient, sich von der Allgemeinheit abzugrenzen.


    Deine Argumentation finde ich hier ziemlich gut und angemessen, ich werfe Dir nichts vor. Es ging mir darum verständlich zu machen, warum Menschen die NN oder andere Gebäude, die als Ikonen gelten, mit Tankstellen o.ä. vergleichen. Das ist neben aller inhaltlichen Angemessenheit oder Unangemessenheit häufig auch ein Zeichen dafür, dass man sich verschaukelt oder herabgewürdigt fühlt.

    Ich finde die Neue Nationalgalerie (NN) als Gebäude an sich elegant.


    Allerdings ist die obere Ebene als Galerie für mich völlig ungeeignet. Um sie überhaupt als Galerie nutzen zu können, müssen Wände eingebaut werden. Die müssen aber nach oben offen sein, wenn die Leichtigkeit des Gebäudes nicht zu sehr leiden soll. Dadurch stellt sich dann aber im Inneren die für mich sehr unangenehme Atmosphäre einer Messehalle ein. Von allen Galerien / Museen, die ich bislang besucht habe (und das waren viele Hunderte in vielen Ländern der Erde) war die obere Ebene der Neuen Nationalgalerie für mich eine der unangenehmsten Erfahrungen, was zum Teil aber auch am schlechten Raumklima (mit beschlagenen Scheiben!) lag, und das wird sich nun sicherlich verbessern. Ich sage das nicht, um dem Gebäude eins überzubraten, es war schlicht eine persönliche Erfahrung.


    Als Galerie / Museum ist also (für mich) nur die untere Ebene gut geeignet, die ist aber einfach nur ein gewöhnliches Untergeschoss (auch wenn es technisch eher ein EG ist), ohne jede Eleganz oder Raffinesse.


    Das zweite Problem der NN ist ihre Lage an dieser schrecklichen Kreuzung. Dafür kann das Gebäude natürlich nichts, zum Zeitpunkt seiner Errichtung 1968 hat es dort auch sicher anders ausgesehen. Das Gebäude braucht m.E. (noch) mehr Luft zum Atmen und etwas Grün. Man stelle es sich in einem kleinen Park mit etwas Wiese drumherum und einem großen Mobile von Alexander Calder daneben vor -- das wäre der Hammer!


    Zu den Vergleichen mit Tankstellen (die ich nicht gezogen habe): Man google mal nach "gas station art deco" oder Ähnlichem. Es gibt / gab eine Menge Tankstellen, die es in punkto Eleganz mit der NN problemlos aufnehmen können. Vermutlich waren die Tankstellen-Vergleiche nicht in diesem schmeichelhafen Sinne gemeint, aber der Punkt, dass das Gebäude auch etwas völlig anderes sein könnte als eine Kunstgalerie, ist schon berechtigt. Die NN könnte auch ein Empfangsgebäude eines Flughafens seiner Zeit sein. Ist es dadurch schlecht? Sicher nicht. Ich empfinde es aber schon als ein Problem, wenn man die Funktion von Gebäuden nicht intuitiv sehen kann. Das wurde z.B. auch am ausgewählten Entwurf für die Erweiterung der Komische Oper kritisiert, zumindest die fehlende "Leichtigkeit" oder "Verspieltheit", die man mit "Komischer Oper" doch verbindet. Mir ist schon klar, dass es gerade für Museen (vermutlich) keine prototypische Formen gibt, etwa im Gegensatz zu Opern mit ihrem Bühnenaufbau oder Kinos mit ihren hohen fensterlosen Fassaden, aber das entkräftet noch nicht den Umstand, dass sicherlich viele erst einmal ein "leeres" Gefühl haben, wenn sie die NN sehen, selbst wenn sie sie an sich elegant finden mögen.