Beiträge von Architektenkind

    Ich habe mir noch kein Urteil über die Sache gebildet (und kein Bock mich tief in die Genese hineinzuwühlen). Deshalb drei Gedanken nebeneinander, die sich teilweise widersprechen:


    1. Architektur: Der Dorte Mandrup-Entwurf gefällt mir gut. Er lebt von seinen Proportionen, und eine um 20 Meter geschrumpfte Variante würde vermutlich gedrungen und gequetscht aussehen. Schade.


    2. Städtebau: Wie bereits früher erwähnt, gefällt mir der Gedanke einer Stadtkrone am Alex – mit Gebeäudehöhen, die von der Umgebung her aufsteigen (was vor allem aus der Ferne wahrnehmbar ist). Für diesen Effekt könnten 115 Meter an der Jannowitzbrücke zu viel sein, weil es zwischen Brücke und Alex wieder den Abstieg in die 70-Meter-Liga gibt.


    3. Kommunikation: Was für ein Clusterfuck! Alle hatten sich auf 68 Meter eingestellt. Hätte man erst kommuniziert, nachdem man sich intern auf 90/95 Meter geeinigt hat, wäre das als Sprung nach oben wahrgenommen worden. Durch die scheinbare und nun wieder kassierte Festlegung auf 115 Meter – samt passenden Entwürfen – wirkt das Ganze nun wie ein Rückschritt. Amateurhaft gemacht.


    Grundsätzlich kann ich mit einem 90-Meter-Bau an dieser Stelle gut leben (ich hätte auch mit 68 Metern leben können). Die Frage ist jetzt, wie man einen groß präsentierten und gelungenen Entwurf so geschrumpft bekommt, dass es hinterher nicht peinlich wird. Hätte man sich alles sparen können.

    Man kann den Aufwand für Sanierungen und Umbauten natürlich unendlich betreiben oder man wohnt die Objekte mit gelegentlichen Pinselsanierungen runter und steckt die Sowiesokosten lieber in kompletten Neubau.

    Naja, die erwähnte Genossenschaft plant ihre Sanierung für Jahrzehnte, nicht für Jahre. Es muss also nicht 2030 wieder alles neugemacht werden. Die Wohnungen haben danach auch wenig zu tun mit dem, was man von unsanierten Platten kennt. Und der Preisunterschied zum Neubau bleibt gewaltig – der Geschäftsführer meinte, eine kernsanierte Plattenbauwohnung kann er für 7 Euro kalt anbieten, bei Neubau wären es 11 Euro. Macht bei dem 120qm-Beispiel 480 Euro mehr im Monat. Für viele Familien ein gewaltiger Unterschied.


    Bleibt das Argument mit der Deckenhöhe. Kann ich nachvollziehen, halte ich aber nicht für schlagend. Bei WBS70 liegt die Geschosshöhe bei 2,80 Meter, die Deckenhöhe bei 2,55 bis 2,60 Meter (je nach Quelle). Das ist bei heute gebauten, einfachen Mietwohnungen auch nicht mehr – manchmal sogar weniger. Wenn man dieses Kriterium anlegt, müsste ein Großteil der Wohnungen, die in Deutschland nach dem Krieg gebaut wurden, wieder weg. Kaum praktikabel. (Und ich glaube ohnehin, der drückende Raumeindruck ergibt sich weniger aus den relativ niedrigen Decken als aus den kleinen Räumen. Dieses Problem lässt sich lösen, wenn man Zwischenwände entfernt und Wohnungen zusammenlegt.)

    Und serielles Bauen ist an sich schon eine gute Idee. Wir haben es doch auch geschafft mit Klamotten von der Stange und Autos aus Massenprodukt genug Individualisierung hinzubekommen, dass wir uns nicht komplett einheitlich vorkommen.

    Ansätze dafür gibt es. Die WBM baut in Friedrichshain mit dem Büro Praeger Richter zusammen serielle Wohnungen nach ökologischen Standards, die zwar immer nach dem gleichen Raster entworfen sind, sich aber in Höhe und Kubatur der Umgebung anpassen: Als Punkthochhaus, als Hinterhofergänzung, als Lückenfüller im Gründerzeitquartier mit Staffelgeschoss, etc. Das ist aber erstens Ergänzung, nicht Ersatz für den Bestand. Und zweitens macht es – trotz netter Ideen wie Dach- und Fassadengrün – auch nicht viel mehr her als die olle WBS70. Es gibt bodentiefe Fenster und dadurch mehr Licht. Höhere Decken gibt es meines Wissens nicht.

    ^ Ich bin auch kein Fan der Platte, weder architektonisch noch städtebaulich. Aber das ist eine sehr einseitige Darstellung. Es übersieht zum Beispiel das Problem, wo die Leute hin sollen, wenn ihnen in Zeiten überhitzter Märkte die Wohnung unterm Hintern abgerissen wird. Es übersieht die Kostensteigerung, die sich durch Abriss und Neubau zwangsläufig ergibt – von Grauer Energie ganz zu schweigen. Und es unterschätzt die Flexibilität, die eine Platte im Innern hat.


    Ich habe mal den Geschäftsführer einer Wohnungsbaugenossenschaft aus Brandenburg interviewt. Die haben ein Sanierungskonzept, das einerseits Wärmedämmung, Fahrstühle und (teilweise) Barrierefreiheit erlaubt, andererseits die Grundrisse so flexibel macht, dass Du am Ende Einheiten bis zu 120qm Fläche mit modernen Badezimmern und 30qm-Wohnzimmer hast (das läuft, glaube ich, über die Entfernung von Zwischenwänden und den Ersatz einzelner Wandplatten durch Stahlträger).


    Mit Ostalgie hat das wenig zu tun. Es geht um Mietpreise, die trotz hoher Sanierungskosten immer noch weit unter denen im Einfach-Neubau liegen. Und Balkone haben die meisten Wohnungen dort auch.

    ^ Habe gegoogelt: Das erwähnte Morinol wurde in der DDR tatsächlich 1969 verboten, kam aber in Ausnahmen noch bis 1974 zum Einsatz (Palast der Republik hattest Du genannt). Asbesthaltige Faserzementplatten (im Westen Eternit, im Osten Baufanit) wurden viel länger verwendet und tatsächlich erst nach der Wende, nämlich Ende 1993, endgültig verboten. Was das erwähnte Hallendach erklären dürfte.


    Hat dann allerdings mit Plattenbau-Sanierung nichts mehr zu tun. Das Zeug wurde ja vor allem für billige Dächer und als scheußliche Verkleidung hübscher Fachwerkhäuser verwendet.

    ^ Glaube ich auch. Meine gelesen zu haben, dass Asbestzement erst Ende der 70er verboten wurde. Und ich kenne eine Halle in Brandenburg, die wegen eines Daches aus Asbestzement demnächst komplett saniert werden muss. Die ist ziemlich sicher nicht aus den Sechzigern.

    ^ Von einem "architektonischen Desaster" kann gar keine Rede sein. Schlicht, aber wertig trifft es eher – kein Vergleich zu dem Ding, das schräg gegenüber auf der anderen Seite der Kreuzung steht und wirklich ein Desaster ist. Hier mal ein Haus in der Frankfurter Innenstadt, das ich gestern geknipst habe, weil es mich an die Lose 2 und 4 erinnerte. Macht einen zurückhaltenden, noblen Eindruck, finde ich.



    Natürlich sind die Entwürfe nicht optimal. Sie könnten noch plastischer und strukturierter sein, Schrägdächer oder Staffelgeschosse aufweisen, Balkone oder Mittelrisalite, großzügigere Geschosshöhen samt Beletage. Hätte ich nichts gegen einzuwenden. Aber es ist Gestaltungswille erkennbar: Eine gewisse Kleinteiligkeit (kein Riesenblock, sondern Gründerzeitformat), Abwechslung in Farbe und Material und öffentlich genutzte Erdgeschosse. Nicht zuletzt entstehen Wohnungen für 150 bis 200 Leute, die sicher belebender für die Ecke sind als eine Bürozeile.


    Was die Mietpreise angeht: Da gibt es in Berlin viel teureres Zeugs, das viel öder aussieht. Die Eigentums-Wohnungen Marke Pandion zum Beispiel, die richtig was kosten, aber trotzdem nur Riemchen und Putz auf Styropor zu bieten haben. Oder die Luxuswohnungen von Patzschke auf dem Friedrichswerder, die zu den teuersten der Stadt zählen und dennoch aussehen wie gewollt und nicht gekonnt. Auch private Bauherren bauen halt nicht unbedingt Qualität – sondern das, was sich bei geringstem Aufwand am besten vermarkten lässt.


    Mein Zwischenfazit fällt also gemischt aus. Klar ginge mehr, aber zum wütend Draufhauen taugen die Entwürfe meines Erachtens nicht.


    © Bildrechte liegen bei mir.

    Da frage ich mich was der ganze Aufwand soll, wenn sich die Situation später derart gestaltet, dass Familien mit Kindern die Anlagen gar nicht nutzen können, weil die hygienischen Zustände untragbar geworden sind.

    Ich wiederhole mich: Warum sollte eine Anlage, die trotz Obdachlosen schon heute von Familien und Touristen en masse genutzt wird, nach einer Aufwertung nicht mehr von ihnen genutzt werden? Wenn Du sagen willst, Du willst da mehr Gebäude haben, dann tu das doch einfach – ich wär sogar dabei. Wenn Du über Obdachlosigkeit als Problem reden willst, dann tu das in der Lounge – wichtiges Thema (das sich aber nicht durch Polizeigewalt lösen lässt, wie Du nahelegst). Aber dass eine gepflegtere Gestaltung des Areals zu mehr Verelendung führte, das halte ich für eine unplausible Spekulation.


    Abgesehen davon steht und fällt eine solche Planung natürlich mit der Pflege, die in sie gesteckt wird. Man kann sowas nicht anlegen und dann sich selbst überlassen, sondern muss Gärtner und Reinigungstrupps beschäftigen, die ständig am Start sind. Das muss die Stadt gewährleisten, sonst ist der Glanz in der Tat bald ab.

    ^ Was ändert sich denn diesbezüglich durch den Umbau? Auch jetzt sind dort schon Grünflächen und Gebüsche, die als Nachtlager von Obdachlosen genutzt werden. Und Bettlern begegne ich häufiger in der S-Bahn als dort. Spielende Kinder und flanierende Erwachsene gibt es aber auch - und die werden eher mehr, wenn sich das Angebot am Wasser verbessert, alles etwas schicker aussieht und die trennende Straße verschwindet. Warum also sollte die Aufwertung Verelendung fördern?


    Was Armut in Berlin im Allgemeinen angeht, so gehört das in die Lounge. Steigende Mieten führen aber eher zur Abwanderung in Außenbezirke und Speckgürtel als zu Obdachlosen am Fernsehturm.

    Äh, ja und? Es handelt sich trotzdem um eine Rekonstruktion der Denkmalanlage samt Wiederherstellung der versiegelten Freifläche.

    Was "aufwendige Rekonstruktion" evoziert: Irgendwer hat politisch beschlossen, ein verlorenes Denkmal der DDR wieder herzustellen, und dafür viel Geld ausgegeben.


    Was tatsächlich passiert ist: Die BVG hat für ihre Baustelle Figuren versetzt und sie danach wieder an ihren alten Platz zurückgeschafft. Außerdem wurde Rasen "aufwendig rekonstruiert", auf dem zuvor Container standen.

    ^ Auf dem Dach werden 4000 Quadratmeter Solarpanele verbautt, die PV-Anlage ist also praktisch das Dach (abzüglich der Oberlichter). Natürlich ist es dunkel (es sei denn, Du meinst, weiße Panele wären effektiver). Egal: Das Museum erreicht nach der Umplanung EGB 55. Große Teile des freibleibenden Grundstücks werden nicht gepflastert, sondern bepflanzt. Kritik an zu wenig klimaresilienter Umgestaltung ist natürlich legitim - aber vielleicht sollte man dabei konkret auf die reale Planung eingehen, statt mit verzerrenden Behauptungen (ein Baum als "Umweltfeige", sonst alles Pflaster) einfach draufzuhauen.

    Wer britische Stadtgärten kennt muss wirklich verzweifelt bei deinem Lob dieser geplanten Ödnis lachen, Tränen lachen.

    Sorry, aber so geht das nicht. Ich habe gar nichts gelobt, ich habe lediglich Deine Zuspitzungen relativiert. Wenn Du über meine Beschränktheit Tränen lachen musst, sei Dir das unbenommen - Du solltest dennoch die Frage beantworten, warum wir es hier mit einem Pendant zu einem Stadtgarten zu tun haben und nicht mit einem urbanen Platz. Die sind auch in England meist gepflastert.


    Umgekehrt gibt es in Berlin auch Plätze, die kaum versiegelt sind, wassergebundene Wege haben und in letzter Zeit immer mehr Staudenbepflanzung für Artenvielfalt bekommen. Den Petersburger Platz zum Beispiel hatte ich kürzlich erwähnt.

    ^ Nein, nein. Dass das Dach schwarz wird, ist Ergebnis einer klimaschonenden Umplanung – es handelt sich um Solarzellen. Ursprünglich war ein Backsteindach vorgesehen. Auch drumherum soll es jetzt viel Grün geben. Und ein recht großer Park beginnt 200 Meter entfernt.

    Ein winziges Beispiel dafür ist das Gebiet gegenüber dem Finanzministerium.

    Das wird aktuell bebaut.

    Würde ein Teil davon für den Markt und die Bebauung freigegeben, wäre das ein Segen für die Baupreise und das Angebot.

    Das ist nicht falsch, aber natürlich eine sehr verkürzte Darstellung. Dieser Logik zufolge müssten explodierende Immobilienpreise ein spezifisches Berlin-Problem sein. Sie sind aber eine globales Phänomen.

    Allen Beteiligten (auch den auf höheren Ebenen agierenden Grünen und Linken) ist klar, dass eine Randbebauung sinnvoll und dringend nötig wäre. Das Gebiet ist zentral und voll erschlossen.

    Das ist nicht unwahrscheinlich. Beide Parteien regieren derzeit nicht. Mal sehen, was die anderen daraus machen.

    Und den Preis zahlen die "kleinen Leute". Gerade deshalb wundert mich der Widerstand von Linken, Grünen und va SPD.

    Ja, aber das ist wieder zu einfach. Du tust so, als könne die Landespolitik einfach lösen, wenn sie nicht dumm handeln würde.* Ich würde sagen: Dummes Handeln verschärft das Problem, ist aber keineswegs die Ursache. Die liegt eher in dem Widerspruch zwischen dem Grundbedürfnis Wohnen und der Renditeerwartung des Immobilienmarkts. Bis auf weiteres kaum aufzulösen.


    *Wozu übrigens auch die CDU ihren Teil beiträgt, wenn Sie sich in den Randbezirken Mehrfamilienhäusern verweigert, weil sie unbedingt Eigenheimquartiere haben will.

    Ich fürchte aber, dass da jetzt schon einige Denkmalschützer, Kleingeistige Politiker und Wutburger Schnappatmung bekommen.

    Super: Gleich mal vorab alle potentiellen Kritiker als kleingeistige Wutbürger mit Schnappatmung abgestempelt. Das trägt wirklich zu einer sachlichen Debatte bei. Danke.


    Zum Messekonzept: Die Idee finde ich erstmal charmant. Eine stärkere Nutzung als Messegelände kann ich mir gut vorstellen. Auch gegen zusätzliche Hallen hätte ich nichts einzuwenden. Hier scheinen mir die neuen Hallen allerdings eher eine Konkurrenz für die alten Hangars zu sein – und zur Belebung der Büroflügel (meines Wissens das Hauptproblem) tragen sie auch nichts bei. Dazu käme, dass bestehende Messen wie die Velo Berlin genau das Vorfeld bespielen (und benötigen), das dann bebaut wäre. Na ja, ist eine erste Skizze. Vielleicht lassen sich da Lösungen finden.


    Zum Verkehrskonzept: Mehr Bahn finde ich immer gut. Hier vielleicht fast zu engmaschige Stationen, und die Anbindung an den westlichen Ring ist nicht optimal gelöst. Aber das ließe sich entwickeln. Was mich stört, ist das ca. 500 Meter (!) lange Parkhaus genau dort, wo sich das Feld mit am besten für Wohnbebauung eignen würde. Diese Idee ist ein Überbleibsel der autogerechten Stadt – belastend und völlig überflüssig, wenn die Bahnanbindung stimmt.


    Konzertkonzept: Hier sehe ich einen klaren Nutzungskonflikt. Wenn das nördliche, das westliche und das südöstliche Feld mit Wohnungen bebaut werden (was ich befürworte), können auf dem Feld keine Freiluftkonzerte mit 100.000 Leuten stattfinden. Das würde schon der Lärmschutz nicht erlauben.


    Mein erstes Zwischenfazit: Ich sehe Potenzial und freue mich, wenn Schwung in die Debatte kommt. Zuende gedacht ist das aber noch nicht.

    Architektenkind Ihre "Vermutungen" in Ehren, allerdings könnte man nun auch Dutzend Bauprojekte in Berlin aufzählen, auf die diese Ereignisse für die Planungs- und Bauzeit nur einen marginalen Einfluss hatten.

    Warum so giftig? Ein Haufen Bauprojekte wurde in den letzten Jahren auf's Abstellgleis geschoben. Dies hier wohl auch. Über die genannten Vermutungen hinaus habe ich keine Ahnung, warum das so ist. Ich finde es allerdings auch nicht verwunderlich: Manche Projekte sind nach ihrer Ankündigung in zwei Jahren fertig; bei anderen wird zehn Jahre lang herumgewerkelt, ohne dass ein Ende in Sicht ist (siehe Max & Moritz gleich nebenan). Shit happens.


    Du stellst investigative Fragen, die durchaus interessant sind, aber Du richtest sie an die falschen Leute. Wie wäre es mit einer Mail an den Bauherren? Oder den Senat? Sehe nicht, wen Dein vorwurfsvoller Tonfall hier erreichen sollte.

    Vorab: Ich freue mich, dass sich hier ein schöner Streit um Argumente entwickelt und die üblichen Nickligkeiten trotz kontroverser Positionen weitgehend ausbleiben. Schick.

    Wenn wir bei der Pflege und der Wiederbelebung unseres Kulturerbes moralische Makellosigkeit zur Bedingung machen würden, hätten wir kein Kulturerbe mehr.

    Ich bin zwar skeptisch, ob man ein Kulturerbe wiederbeleben kann (denn Kultur ist immer an ihre Zeit geknüpft), aber sonst gebe ich Dir Recht. Walter Benjamin hat mal geschrieben: "Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne ein solches der Barbarei zu sein." Diese Spannung gilt es auszuhalten – in beide Richtungen. Die Rekofreunde sollten nicht vergessen, dass die Genese historischer Baukunst oft an Blut, Schweiß und Tränen gebunden war. Die Idealisierung vergangener Zeiten beruht auf Verdrängung ("Denn man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht"). Die Rekogegner hingegen sollten von ihrem hohen Ross herunter, wenn sie meinen, mit der Erinnerung an vergangenes Unrecht auch den kulturellen und ästhetischen Wert historischer Bauten verwerfen zu können.

    Kein Mensch lehnt die Aufführung einer Mozart-Oper ab, weil "Mozart heute nicht mehr so komponieren würde". Und ganz ehrlich: eine Mozart-Oper aufzuführen ist keineswegs einfacher als einen Pop-Hit zu singen.

    Stimmt. Aber dieses Argument ist schwieriger zu widerlegen, denn hier haben die Freunde einer "Neuinterpretation" durchaus einen Punkt: Der Schinkel'sche Geist war – gerade bei der Bauakademie – der technische und ästhetische Bruch mit herrschenden Konventionen. Das Gebäude hat damals (nicht nur) durch seinen Bezug zum Schloss provoziert. So hatte noch niemand gebaut. Der bessere Vergleich zur Musik wäre Beethoven: Man kann sich fragen, was der heute anstellen würde, um mit eingefahrenen Gewohnheiten zu brechen. Das Ergebnis wäre sicher keine "10. Symphonie", wie sie kürzlich von einer KI zusammengestückelt wurde, sondern etwas gänzlich anderes.


    Es ist also legitim, wenn man sagt, im Sinne Schinkels müsste ein neues Gebäude heute anders aussehen als das, welches er damals entworfen hat. Ich sehe nur nicht, wer so etwas in einer Form bewerkstelligen könnte, die entweder wirklich provokativ ist (statt nur langweilig) oder städtebaulich überzeugen könnte (am besten beides). Deshalb wünsche ich mir hier einfach die alte Bauakademie zurück – auch wenn sie ihren "disruptiven" Charakter längst eingebüßt hat und einfach nur noch gut aussieht. Bis zum Beweis des Gegenteils ist sie der passende Bau für diesen Ort.