Beiträge von Architektenkind

    ^ Meiner Erfahrung nach musst Du in Potsdam nur an die Pforte gehen und sagen, Du willst in die Kantine; dann kommst Du rein und hast Deine Bewirtung zwar nicht im Hof, aber auf der Dachterrasse mit schönem Blick über die Stadt. Ich war schon öfter da, und man wollte nie meinen Perso sehen. Einen Besucherausweis oder gar einen Metalldetektor (wie im Bundestag) gibt es auch nicht. Für ein Parlamentsgebäude ist die "Türpolitik" in Potsdam erstaunlich liberal.


    Auf einem anderen Blatt steht, was Besucher dort erwartet. Außer der eleganten, aber leider nutzlosen Knobelsdorff-Treppe und dem überkuppelten Plenarsaal ist es ein funktionales Büro- und Tagungsgebäude mit Auslegware in den Fluren und weiß getünchten Wänden. Kein Higlight für Touristen, sondern ein Haus zum Arbeiten – deshalb ist am Wochende auch dicht, soweit ich weiß.


    So, sorry für Off-Topic. Zurück nach Berlin!

    Immerhin.


    Habe ich nie bestritten. Hübsch ist nicht zu vernachlässigen. Den Rest der Debatte brauchen wir nicht zum tausendsten Mal zu führen.


    Es hat dadurch einen höheren Nutzen, als im Gegensatz dazu zum Beispiel das Potsdamer "Landtagsschloss".


    Der Nutzen des Landtagsschlosses besteht darin, einen Landtag zu beherbergen (und einen Rechnungshof). Auch hier ist die Hülle hübsch, nur wirkt der Putz noch ein wenig neu, als dass man das Baujahr 2013 vergessen könnte. Aber Konstantin hat recht, Patina und Figuren werden den Anschein von Schlossigkeit mit der Zeit verstärken.

    ^ Den Vorplatz des Stadthauses habe ich nicht mitgemessen, weil er, sofern der B-Plan noch geändert wird, so bliebe, wie er ist (hier erläutert). Den Parkplatz habe ich natürlich mitgemessen. Was denn auch sonst? Mir geht es um den Eindruck, den der Stadtraum auf die Wahrnehmung macht. Um was geht es Dir? Um's Rechthaben? Die Messmethode habe ich in dem oben (heute zum zweiten Mal) verlinkten Beitrag auch genau ausgeführt, und diese Ausführung war damals eine Antwort auf Dich:


    Derzeit klafft zwischen der südlichen Ecke des Roten Rathauses bis zum Beginn des Molkenmarkts (Grenze der Platzbepflasterung) eine Lücke von gut 113 Metern, und dann beginnt keine Bebauung, sondern ein bepflastertes Nichts.

    ^ Richtig, ich wiederhole mich: Auf Höhe des Roten Rathauses soll die Grunerstraße von 113 Meter auf ca. 37 Meter (inkl. Bürgersteigen) verengt werden. Das ist knapp ein Drittel der heutigen Breite. Schon in der Debatte vor zwei Jahren hat sich Konstantin schlicht geweigert, das zur Kenntnis zu nehmen, und das macht die Diskussion ein bisschen anstrengend. (vgl. Seite 25 dieses Strangs, einschlägiger Beitrag von mir hier)


    Aber es sieht ja danach aus, dass auch r2g sich nicht wird durchringen können, die große Verkehrsachse der Leipziger-Grunerstraße zu brechen, wie es bei den Linden ja auch nur durch den Einfluß des Bundes möglich war.


    Ja, das ist in der Tat das zentrale Problem bei einer Wiederherstellung der historischen Proportionen in dieser Gegend. Aber das Problem hat objektive Gründe und ist keiner Mutlosigkeit/Dummheit/Bösartigkeit des Senats geschuldet – in welcher Parteien-Konstellation auch immer. Die autogerechte Innenstadtplanung der DDR hat hier die Büchse der Pandora geöffnet, und wie es solche Büchsen an sich haben, bekommt man sie nun nicht mehr zu: 60.000 Autos pro Tag müssen da durchgeschleust werden, solange sich an der Ich-und-mein-Auto-Fixierung der Deutschen nichts ändert – und das wird auf absehbare Zeit nicht passieren, fürchte ich. (Ich fürchte das wirklich: Ich hasse die Autofixierung; sie ist der wichtigste Grund für die Unwirtlichkeit heutiger Städte.)


    Die Verschwenkung des Mühlendamms auf die Spandauer ist der Versuch, einen Teil des Verkehrs über die Liebknecht-Straße abzuleiten, aber das reicht nicht, um aus der Gruner eine Anliegerstraße zu machen. Sie bleibt Hauptverkehrsachse für alle, die von Westen aus in die KMA, in die Landsberger Allee oder in die Greifswalder wollen. Und das muss die Stadtplanung schlicht berücksichtigen – zumal ja, wie Konstantin zu recht erwähnt, die alte Ost-West-Achse vom 17. Juni über UdL schon seit Langem mehrfach unterbrochen ist und ab 2019 zumindest zwischen Staatsbibliothek und Dom komplett dicht sein wird. Das muss die Stadtplanung schlicht berücksichtigen, alles andere ist schöne Phantasie.

    Ich schließe mich den Vorschlägen von Ted Mosby und Schmittchen an, es ausgehend von dem Siegerentwurf mit einer Annäherung an historische Bautypen zu versuchen. Damit meine ich explizit keine Rekonstruktionen (bzw. Fake-Rekonstruktionen, denn an dieser Stelle war historisch keine Straße), sondern moderne Interpretationen. Ein Dachgeschoss mir Erkern oder ein Giebel können da schon Wunder wirken.


    Dass so etwas umgesetzt wird, halte ich für wünschenswert, aber für unwahrscheinlich – genau wie den Erhalt des Schuhstraßen-Eingangs in seiner jetzigen Form. Beides würde Kosten verursachen bzw. Gewinnaussichten schmälern und liegt deshalb nicht im Interesse des Investors (der bekanntlich großen Einfluss auf politische Entscheidungen hat, weil an seiner Entscheidung für oder wider den Standort eine Menge Gewerbesteuern hängen). Dennoch sollte die Stadt den Investor in dieser Richtung unter Druck setzen, auch da schließe ich mich Ted Mosby an. Und öffentliche Kritik in dieser Richtung kann nur helfen.


    Auch die Meinung der Leser von News38 fällt unmissverständlich aus. Die ablehnenden Stimmen sind eindeutig in der Mehrheit. Hier geht es zum Artikel: https://www.news38.de/braunsch…teil-ist-vernichtend.html


    Ich finde, dieser Artikel ist eine Unverschämtheit. Schon die Überschrift ("Euer Urteil ist eindeutig") ist distanzlos, ranschmeißerisch und außerdem falsch: im Text kommen auch Gegenstimmen zu Wort, also ist "unser" Urteil wohl doch mehrdeutig. (Ursprünglich lautete die Überschrift, wie der URL noch zu entnehmen ist, sogar "Euer Urteil ist vernichtend", aber das war wohl selbst "News38" zu reißerisch)


    Dann scheint kaum eine der zitierten Stimmen begriffen zu haben, was eigentlich Thema ist. Z.B. wird unterstellt, es gehe um 90 Mio. Euro aus dem Stadthaushalt statt um Investorengeld – was die Verfasser unwidersprochen stehen lassen. Ja, die Behauptung, das Ganze sei "teuer" (für wen denn?), wird sogar in diese dämliche Entweder-oder-Umfrage übernommen. Sorry, aber bei dieser indifferenten Form von "Content"-Journalismus werde ich aggressiv. War mal vom Fach und hätte mir nicht einmal als Praktikant erlaubt, eine derart manipulative Sülze zu veröffentlichen.


    P.S.: Ich habe übrigens den Eindruck, die Reaktion auf jedes größere Städtebau-Vorhaben fällt seit Jahren erst einmal "vernichtend" bzw. "eindeutig" aus, und zwar relativ unabhängig von Charakter und Qualität eines Projektes: Der wutbürgerlich gesenkte Daumen überwiegt immer. Sollte man an anderer Stelle vielleicht einmal grundsätzlich diskutieren, woran das liegt.

    ^ Das SouthGate-Center in Bath sieht so sehr nach authentischem Bath aus, wie das The Venetian-Resort-Hotel in Las Vegas nach authentischem Venedig aussieht. Schauderhaft, da stimmt gar nichts! Da lobe ich mir das ECE-Monstrum in Braunschweig, dort ist wenigstens die Schloss-Fassade gelungen. Und mit dem Dom-Römer-Areal in Frankfurt hat das Projekt in Braunschweig nicht das Geringste zu tun: In Frankfurt geht es um die Rekonstruktion eines zentralen Teils der alten Innenstadt, in Braunschweig soll eine moderne Bebauung eine andere moderne Bebauung ablösen - auf einem Gelände, das nie etwas anderes war als eine Hinterhoflage.


    Ich finde die Planung, wie sie ist, schon in Ordnung - mit Ausnahme des Abrisses in der Schuhstraße. Sonst sind es anständige, moderne Fassaden, eine relativ kleinteilige Gliederung und ein sehr schmaler Straßenzuschnitt, der einen interessanten Raumeindruck ergeben wird. Nicht zu vergessen, sollen an beiden Gassenseiten zwei bzw. drei Stockwerke für neue Wohnungen mitten in der Innenstadt entstehen. Bisher ist dort nur Einzelhandel. Auch so etwas ist wichtig für diese Lage.


    P.S. an die Moderation: Könnt Ihr für dieses Projekt einen eigenen Strang aufmachen? Das wird uns ja längerfristig beschäftigen...

    ^ Das hat der städtebauliche Masterplan von Anfang an so vorgesehen. Ich finde es auch gut: Allein stand der Bahnhof im Niemandsland, jetzt wird er langsam zum (zentralen) Teil eines Stadtviertels. Über die Architektur kann man geteilter Meinung sein, den Städtebau finde ich nach wie vor gelungen.

    Na, dann bin ich mal der erste, der das einhellige Entsetzen nicht teilt. Ich finde, die geplanten Fassaden haben durchaus ihre Qualität. Sie sind abwechlungsreich, haben klar akzentuierte Erdgeschoss- bzw. Sockelzonen und sollen sämtlich eine Klinker- oder Natursteinverkleidung erhalten, nicht die heute gängige Kombination aus Styropor und Putz. (Voraussetzung für ein Gelingen ist natürlich eine wertige Umsetzung ohne Spar-Trickserein.) Und es ist ja nicht so, das massenhaft historische Bausubstanz geopfert werden soll, sondern im Wesentlichen eine 80er-Jahre-Shoppingmall, deren architektonischer Wert von Anfang an eher so mittel war (das sage ich trotz nostalgischer Gefühle: In der Plattenabteilung bei Salzmann und der Comic-Abteilung von Pfannkuch habe ich große Teile meiner Jugend verbracht ;)).


    Auch der Stadtraum wirkt als (künftige) Gasse wesentlich weniger austauschbar denn heute als Passage, Braunschweiger. Diese Kombination aus modernen Fassaden, gründerzeitlicher Gebäudehöhe und mittelalterlichem Straßenquerschnitt findet man so häufig nicht. Dass ist sehr wohl ein bewusster Umgang mit "unserer Geschichte und Tradition", ein sehr viel bewussterer jedenfalls als der derzeitige Zuschnitt, der nun wirklich 08/15 ist. Einerseits für die historische Innenstadt zu plädieren, andererseits die überdachte, wettergeschützte und beheizte Behaglichkeit einer Mall zu verteidigen, finde ich etwas widersprüchlich.


    Besonders gefällt mir der kleine Platz, der am (heute geschlossenen) Durchgang zur Kleinen Burg entstehen soll. Das ist doch mal wirklich eine Wiederbegewinnung altstädtischer Dimensionen in moderner Form. Weiterer Vorteil: Die Burgpassage wird nach Ladenschluss vorne und hinten mit Gittern verriegelt. Die Gasse dürfte rund um die Uhr offen sein und so auch Abends und Nachts eine belebte Zone bleiben. Insofern hätte man auch einen Zugewinn an öffentlichem Raum.


    Das schaut übelst eingefräst aus. Steht das Gebäude nicht unter Denkmalschutz der sowas verhindert?


    Die Fräse ging schon in den 80ern durch das Gebäude, als die Burgpassage gebaut wurde; im Erdgeschoss ist der Mittelteil der Fassade schon lange weg. Jetzt soll anscheinend der 30 Jahre alte (und recht düstere) Durchgang um ein Stockwerk ergänzt werden, wodurch fünf weitere Fenster des Altbaus verschwinden würden. Finde ich schade, aber verschmerzbar.


    Recht gebe ich den Kritikern allerdings, was den geplanten Abriss in der Schuhstraße betrifft. Der ist zwar aus der Logik der Gassen-Idee heraus verständlich, aber trotzdem ein Ärgernis. Ich könnte mir vorstellen, dass es hier Kritik und Proteste geben wird, und hoffe auf eine Änderung des Entwurfs.

    Der Jüdenhof ist nochmal eine Sache für sich und ja nur heute direkt am Molkenmarkt, später wieder hinter Häusern verschwunden. Gerade in solchen Anlagen amalgamisiert deutsche Geschichte: Heimstatt der Juden Berlin, Vertreibung und Autodafé auf dem Neuen Markt, biedermeierliche Neubebauung und Geburtshaus von Horst Wessel - das alles in einem Berliner Hof.


    Alles richtig, aber als zutiefst irritierend (und meine Vorbehalte bestätigend) empfinde ich das Präsens. Der Jüdenhof ist eben nicht, er war - was ich durchaus bedauere. Aber dass er samt seiner Umgebung verschwunden ist, und dass auch dieses Verschwinden zur genannten Geschichte gehört - das kann man doch nicht ignorieren, Konstantin. Damit ist nicht gesagt, eine Rekonstruktion müsse kategorisch ausgeschlossen werden. Aber bei Dir und anderen Reko-Fans klingt es oft so, als liege hinter dem bestehenden Stadtbild wie eine zweite Realität noch ein "echtes", "authentisches", "historisches" Berlin - als müsse man nur ein paar Zwischendecken entfernen und die alte Tapete freilegen, um es wieder zum Vorschein zu bringen. Und diese Haltung ist befremdlich.


    Da weht wirklich der ZEIT-gebildete, bürgerlich-pseudointellektuelle Geist aus jedem einzelnen Post. Bitte wieder abregen im Corbusiersessel auf den knarrenden Dielen der Berliner Altbauwohnung!


    Jetzt mach' hier nicht den Pumpernickel! Billige Klischees ad hominem mit Argumenten zu verwechseln, war eigentlich dessen Metier. Ich hatte ihm mal auf ein fast wortgleiches Gequatsche geantwortet: Meine (früher mal) billige Altbau-Mietswohnung hat Linoleum-Fußboden, und ich hätte gerne einen Barcelona-Chair, kann ihn mir aber nicht leisten. Die ZEIT könnte ich mir leisten, tue es aber nicht, denn sie ist langweilig.

    Dann hast du hoffentlich noch nie in München ein Weißwurstfrühstück bestellt? Oder einen Flammkuchen in Straßburg? Eine Pizza in Rom? All diese Städte sind irgendwo auch Erlebnisparks für Touristen, nicht immer so ganz authentisch.


    In keiner dieser Städte hatte ich den Eindruck des Kulissenhaften, in der neuen Frankfurter Altstadt schon. Darum ging es.


    und hier werden die von Konstantin angesprochene übrbreite Stadtautobahnen verteidigt?


    Wer hat das getan? Ich bestimmt nicht, und ich habe das auch von niemand anderem hier gelesen. Was ich verteidigt habe, war der Kompromiss, den der B-Plan zwischen dem altem Stadtgrundriss und der Kapazität einer zentralen Berliner Verkehrsachse vorsieht. Nämlich die Breite der Grunerstraße, die von Gebäude zu Gebäude derzeit bis zu 113 Meter beträgt, auf ca. 35 Meter zurückzuführen.


    Im übrigen hatte wir diese Debatte - dass zwischen 35 und 113 Metern ein himmelweiter Unterschied besteht - schon vor zwei Jahren in diesem Strang. Dass immer wieder suggeriert wird, es gebe zwischen dem Ist-Zustand und dem B-Plan keinen relevanten Unterschied, ist schlicht unlauter.

    ^ Danke! :cheers:


    Da scheint mir ein Missverständnis vorzuliegen: Ich mag erhaltene Altstädte (Prag und Barcelona gehören zu meinen Lieblingsstädten) und auch Altstädte, die im Krieg (teil-)zerstört und anschließend auf dem alten Grundriss in einem Mix aus erhaltenen, rekonstruierten und neuen Fassaden wieder aufgebaut wurden. Ich bin in Braunschweig aufgewachsen, wo nach dem Krieg so verfahren wurde, und ich halte die Innenstadt für sehr viel gelungener als die von Hannover oder Kassel, wo man nach der tabula-rasa-Methode verfuhr. Auch bin ich sehr dafür, die autogerechten Irrwege der Moderne zurückzudrängen und urbane Dichte (gerne auf altem Grundriss) wiederzugewinnen. Den B-Plan zum Molkenmarkt halte ich deshalb für einen städtebaulich guten Kompromiss (aus Annäherung an den alten Grundriss und Zwängen des Individualverkehrs), fürchte aber, dass es an der Qualität der Architektur hapern wird (das teile ich mit Konstantin, nur aus anderen Gründen als er).


    Bei zeitgenössischen Großreko-Projekten wie dem Dom-Römer-Areal in Frankfurt bin ich allerdings skeptisch (wobei skeptisch skeptisch meint, nicht: hasszerfressen feindselig.) Habe mir den aktuellen Stand dort kürzlich angeschaut und mich ambivalent gefühlt. Einerseits macht das Ganze wirklich mehr her als das Technische Rathaus, das dafür weichen musste. Andererseits hatte ich nicht den Eindruck, dass dort ein reales Stadtviertel wächst, sondern eher ein Alt-Frankfurt-Erlebnispark, in den vornehmlich Touristen kommen werden, um in einer pseudo-authentischen Alt-Frankfurter Apfelweinschwemme pseudo-authentische Urtümlichkeit zu genießen.


    Reko-skeptisch, nicht reko-feindlich, meint auch: Ich höre mir gerne Argumente an, warum man an einen verlorenen status quo ante wieder anknüpfen sollte (und stimme ggf. zu oder habe Einwände). Voraussetzung für eine fruchtbare Diskussion ist aber, dass alle Seiten ein Stadtbild nicht als Zustand, sondern als Prozess begreifen – als etwas, das ständig in Veränderung ist und nicht bis 1939 "richtig" war und seitdem "falsch" ist. Auf ein Argument reagiere ich deshalb allergisch: Das der Echtheit. Dass etwas richtig sei, wie es früher einmal war, weil es früher einmal war, ist ein in die Vergangenheit projizierter naturalistischer Fehlschluss. Und auf so einer Basis lässt sich nicht diskutieren (was für den Zustand von 1989 genauso gilt wie für den von 1939 oder von 1918).


    Also übersetzt: weil z.B. die DDR etwas plattgemacht hat dürfen wir das heute auch.


    Du solltest nicht versuchen, Argumente zu "übersetzen", die Du nicht verstanden hast.

    Berlin will sich ja seiner Geschichte nicht vergegenwärtigen (mit Ausnahme der letzten 50 Jahre) [...] Berlin wird neu gebaut - da stören 800 Jahre Geschichte nur.


    Diese Kritik wäre 1950 oder 1970 richtig gewesen, schon Mitte der 80er stimmte sie nicht mehr. Das ganze Molkenmarkt-Projekt dreht sich doch darum, das Viertel wieder an den Stadtraum des 18. und 19. Jahrhunderts heranzuführen. Freilich darf die Stadtplanung dabei den Verkehr des 21. Jhdts nicht beeinträchtigen, was ein wenig der Quadratur des Kreises ähnelt. Außerdem ist die soziale Struktur von heute ganz anders als die vor 250 Jahren, weshalb es keine stolzen Bürger mehr gibt und kein zeitgenössisches Äquivalent der alten Kontorhäuser, sondern nur noch institutionelle Investoren, die ganze Häuserzeilen in Standard-Styropor-Optik bebauen. Das ist durchaus ein Kulturverlust, aber nicht dem bösen Wille der Senatsverwaltung geschuldet, sondern den ökonomischen Bedingungen.


    Im Übrigen ist es irreführend, Konstantin, wenn man Alt-Berlin von der Gründung bis zum 2. Weltkrieg als mit sich identische, historische Stadt betrachtet, danach aber als etwas ganz anderes. Der Einschnitt durch den Krieg, die DDR-Hauptstadtplanung und die "autogerechten" Verkehrsschneisen ist frappant, aber auch die Altstadt von 1918 war eine andere als die von 1750 – wilhelminischen Großprojekten fiel barocke Bausubstanz hektarweise zum Opfer. Die barocke Stadt ihrerseits stand auf den Fundamenten der Häuser von 1450, welche wiederum die Bebauung von 1250 ersetzt hatten. In jeder europäischen Stadt finden sich ältere Siedlungsschichten, die durch neuere überbaut wurden – weil die alte Bebauung durch Brände oder Krieg zerstört wurde, weil sie als nicht mehr zeitgemäß galt oder weil sie einem großangelegten Stadtumbau weichen musste.


    Nie hatte man Probleme, das Alte zu opfern, weil das Neue stets als überlegen galt. Hatten die Erbauer des Ermelerhauses 1720 Skrupel, beim Ausheben der Baugrube historische Mauerreste zu beseitigen? Nein. Verschwunden ist diese Sorglosigkeit erst mit dem Scheitern der Städtebau-Moderne: Diesmal hat sich das Neue als Irrweg entpuppt, also steigt die Wertschätzung des Alten. Allerdings in idealisierter Form: Was den Leuten vorschwebt, wenn sie sich "Das historische Berlin" zurückwünschen, ist eine Museumsstadt aus mittelalterlichen Kirchen, barocken Palais, pittoresken Gassen und wilhelminischen Prachtbauten; alles ohne Armut und Seuchengefahr, sondern frisch getüncht, mit Strom und Warmwasser und gutem Verkehrsanschluss, damit es bis zum Auto nicht so weit ist.


    Diese Stadt hat es nie gegeben, und angesichts der Geschichte des 20. Jhdts. hätte es sie auch nicht geben können. Man darf das bedauern, man darf aber nicht die Stadtplanung von heute daran messen. Diese kann angesichts einer völlig veränderten sozialen, technischen und ökonomischen Struktur höchstens versuchen, Reminiszenzen an das Verlorene zu schaffen – die Phantasie in Wirklichkeit verwandeln kann sie nicht.


    P.S.: Mit den "vollständig entsorgten Resten des Ermelerhauses" sind Fundamente aus dem 18. Jhdt. gemeint. Das Gebäude selbst wurde in den Sechzigerjahren abgetragen und am Märkischen Ufer wieder aufgebaut. Man kann dort heiraten.

    ^ Das sehe ich genauso: Die Kubatur ist in Ordnung, und als Höhendominante macht der Bau sogar ein bisschen was her, aber die Architektur ist trist. Der Vergleich mit den Behrensbauten daneben sollte den Planern die Schamesröte ins Gesicht treiben. Keine Ahnung, wie viele Betten Motel One in den letzten Jahren aus dem Boden gestampft hat, aber die Investitionen müssen gigantisch sein. Offenbar wird die Klasse dabei der Masse geopfert. Schade, eigentlich.

    ^ So eindeutig ist das nicht: Das YAAM ist kein öffentlich finanziertes Jugend-, sondern ein sich selbst tragendes Kulturzentrum, das von einem gemeinnützigen Verein betrieben wird. Ohne die Einnahmen aus Konzerten und Club-Abenden wäre es nicht lebensfähig. Ich sehe aber kein Problem, solange die erwähnten guten Fenster verbaut werden: Das Ibis-Hotel gegenüber ist kaum weiter vom YAAM-Gelände entfernt, und das läuft auch.


    Sollte der Investor jedoch aus Kostengründen auf den Schallschutz verzichten (wo er doch weiß, dass er direkt neben einem Club baut), – dann sehe ich nicht ein, warum das YAAM die Folgen zu tragen hätte. Muss man eine weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Institution der Off-Kultur dichtmachen, damit eine von Dutzenden Filialen einer x-beliebigen Hotelkette besser ausgelastet ist? Eher nicht.