LEt's go! Da hast du in deiner offenkundigen Abneigung gegen das Völki leidenschaftlich gegen eine These argumentiert, die hier niemand aufgestellt hat. Das wäre dir vielleicht nicht passiert, wenn du dich mit der einleitenden Frage beschäftigt hättest:
Wie man überhaupt in die Verlegenheit kommt, ein Nationaldenkmal (erbaut in der Kaiserzeit ein Jahr vor dem Ersten Weltkrieg) dafür zu bemühen, ist mir wirklich schleierhaft.
Das liegt an folgenden Parallelen: beide Denkmäler sollen an weltverändernde Ereignisse erinnern und beide Denkmäler sollen explizit deutschlandweite und internationale Beachtung finden, und zwar dauerhaft. Dem Völki gelingt beides, beim Fahnenmehr ist das zweifelhaft.
Die Hinweise auf Vereinnahmung durch unschöne politische Systeme führen völlig ins Leere, schließlich ist das Völki ebenso Kulisse für die Demokratie, ob es die Courage-Konzerte gegen Rechts waren, das WGT oder demnächst das "PEACE!"-Konzert. Umgekehrt wurden auch Rembrandt und Tierschutz von den Nazis vereinnahmt. Das Denkmal ist ein Identifikationsobjekt für Menschen verschiedenster Coleur und die erwähnten 300.000 Besucher jährlich sind ja wohl nicht alle Neonazis oder DDR-Nostalgiker, ne?
Die begleitende Ausstellung erfüllt die Ansprüche an eine detaillierte Darstellung historischer Ereignisse, was ein Denkmal natürlich nicht leistet. Ein Denkmal ist ein Denkanstoß.
Dass Clemens Thieme über das Denkmal "quasi allein entschieden" habe, ist eine alberne Aussage. Auch für das Leipziger Fahnen-Denkmal haben sich nur wenige Personen aktiv eingesetzt, letztlich sogar sehr, sehr viel weniger Menschen als für das Völki. Für die Blechfahnen wurden und werden, wenn ich es richtig überblicke, keine einzige Münze gespendet.
Das Völki hat natürlich seine Ambivalenzen. Es hat einen kriegerischen Habitus, aber für die damalige Zeit wenig Hurra-Patriotismus. Es ist ein Nationaldenkmal, aber kein nationales Denkmal. Es idealisiert, zeigt aber traurige, nachdenkliche Gesichter. Zurecht würde man heute kein solches Denkmal bauen. Aber man schafft es umgekehrt auch nicht, etwas von gleichrangigem architektonischem und künstlerischem Wert, mit einem solchen Identifikations- und Anziehungspotenzial zu schaffen.
Die verschiedenen Lesarten zum Völki allein hier im Forum bereichern die persönliche Auseinandersetzung mit Geschichte und jede Perspektive hat dabei ihre Berechtigung. Von einer "Verengung des Blicks" kann gar keine Rede sein, wie allein unsere Diskussion zeigt. Alle Perspektiven zusammengenommen ergeben ein stimmiges Bild dieses vielschichtigen Denkmals.
Genau dieses Bild ergibt sich beim Fahnenmeer eben nicht. Keine der Interpretationen, die ich bisher gelesen habe, passt zum historischen Ereignis, das Anlass der Würdigung sein soll. Wofür ist dies ein Denkmal? Ein Denkmal für die Freiheit, dann aber nur für die Demonstrationsfreiheit? Eine erstarrte, eine sprachlose, eine leise Demonstration? Welches sinnliche Erlebnis, wie User "Lipsian" es eindrücklich beschrieben hat, bieten die Fahnen? Welche Verortung? Die Kritik, das Völki könne überall stehen, gilt für die Fahnen umso mehr. In Bezug auf das Völki ein Quatsch-Argument, schließlich hätte die Schlacht auch genauso gut woanders stattfinden können. Die Geschichte macht sie zu einem Leipziger Ereignis und das Denkmal zu einem Leipziger Denkmal. Und nicht die Größe und der Blutzoll der Schlacht macht sie so bedeutsam, sondern ihre Wirkung auf die Europäische Ordnung.
Das Völki sollte - zurecht - Waterloos Bekanntheit Konkurrenz machen, die Fahnen sollen Berlin Konkurrenz machen. Waterloo bleibt bekannter und auch die Bilder vom Mauerfall am Brandenburger Tor werden die Nr. 1 im Bildgedächtnis bleiben. Und im Gegensatz zur Völkerschlacht gibt es mit Brandenburger Tor oder Nikolaikirche ja authentische Erinnerungsorte der Revolution bzw. mit dem Reichstag für die Einheit. Schon daher das Befremden, die Frage nach dem Wozu für ein neues Denkmal.
Die Interpretation, die "Let's go" anbietet, verstört mich: die weißen Fahnen als Symbol für die Anfälligkeit der Demokratie, die geschützt werden muss. Muss die Demokratie vor ihren eigenen Bürgern geschützt werden, ist das jetzt unser Selbstverständnis?
Es würde zur Genese dieses Denkmals passen.