So, hier kommt nun mein Bericht über die gestrige Podiumsdiskussion im Deutschen Architekturmuseum. Ich habe bereits in einem anderen Forum in mehreren Beiträgen darüber berichtet und füge nun diese Beiträge zu einem zusammehängenden Berich zusammen.
Lupenreiner Populismus
Auf dem Podium saßen: DW Dreysse (Vorsitzender des Städtebaubeirats), Adelgard Weyell (stellvertretende Vorsitzende) und Ernst Ulrich Scheffler (Mitglied des Preisgerichts), der Leiter des Stadtplanungsamtes Dieter von Lüpke, der Kunsthistoriker Dieter Bartetzko, Architekturkritiker der F.A.Z., außerdem ein Psychoanalytiker namens Leuschner.
Im Publikum waren u. a. diverse Leute von den "Freunden Frankfurts" (sogar der erste Vorsitzende), Dominik Mangelmann, Jung-Unionisten, Wolfgang Hübner (BFF), der Architekt der rekonstruierten Löwenapotheke in Aschaffenburg, der Denkmalschützer Rusch, Schlossgespenst (Nick eines Mitglieds aus einem anderen Forum) und ich. Die Verantstaltung war gut besucht (Verbesserung: Der Raum war proppenvoll, die Leute saßen auf der Treppe), die Stimmung war zweigeteilt, etwa zur Hälfte Rekonstruktionsgegner und zur Hälfte Befürworter, was natürlich in keiner Weise die entsprechenden Mehrheitsverhältnisse in der Frankfurter Bevölkerung widerspiegelt. Wie sagte eine alte Dame von den Freunden Frankfurts, die bei mir in der Reihe saß: "Die haben ihre Claqeure mitgebracht." Ich saß übrigens neben dem Mann vom Wiesbadener Kurier.
Ein mir namentlich unbekannter Mann hat die Herrschaften auf dem Podium erstmal vorgestellt und gleich hinzugefügt, dass es sich natürlich um eine tendenziös besetzte Runde handele (Zwischenruf aus dem Publikum: "Allerdings!"), aber die Podiumsdiskussion könne ja den nötigen Ausgleich schaffen.
Dreysse begann mit einen Vortrag über die Geschichte der Altstadt an sich. Dabei versuchte er Akzente zu setzen in Richtung "Nur Nazis kümmerten sich um den Erhalt der Altstadt" (hat er so in diesen Worten nicht gesagt, war aber sinngemäß die Kernsaussage), was dann später in der Diskussion natürlich aufgegriffen wurde.
Ich kann mich nicht genau erinnern, was Lüpke gesagt hat, außer dass er die jetzt entstehende Diskussion grundsätzlich positiv findet, da ein solches Bürgerengangement zu begrüßen sei (wenn auch seiner Meinung nach mit falscher Zielsetzung).
Scheffler wies darauf hin, dass es in dem Wettbewerb ja hauptsächlich nur um Baustruktur und Maße gegangen sei, und dass die es vielleicht unglücklich gewesen sei, auch Fassadenvorschläge zuzulassen, man müsse davon abstrahieren. Danach sagte er, dass das, was jetzt von Seiten der Altstadt-Befürworter laufe, sei lupenreiner Populismus - der erste Tiefschlag des Abends, und es sollte nicht der einzige bleiben. Scheffler sprach irgendwas davon, es ja Gründe für die Bombardierung Frankfurts gegeben habe, worauf Hübner reinrief: "Dann betrachten Sie das wohl als Strafe?" Die Stimmung war spätestens jetzt ziemlich aufgeheizt.
Bartetzko erwies sich, für mich überraschend, als der gemäßigste von dem ganzen Haufen. Er sagte, es sei für ihn weitaus eher Populismus, wenn man den Verlauf einer historischen Gasse derart ändere und dann immer noch von "Krönungsweg" spreche. In Bezug auf seine Bautradition brauche Frankfurt nicht den Mut zum Abschied, sondern den Mut zur Treue. Allerdings, so Bartetzko, sei es falsch, die Umsetzung dieses Mutes zur Treue in der Errichtung von Rekonstruktionen zu suchen. Statt dessen verwies er darauf, dass es nach dem Krieg einmal einen Plan gegeben habe, die noch stehengebliebenen Sandstein-Erdgeschosse der Fachwerkhäuser modern zu bebauen. Dies sei für ihn der bislang beste Plan zur Gestaltung der Altstadt: Glas- und Stahlkonstruktionen auf den historischen Erdgeschossen aus Sandstein.
(Das wurde später nochmal aufgriffen in der Diskussion, und hier wurde auch der Zusammenhang deutlich: Es gab eine Wortmeldung von dem Denkmalpfleger Rusch, der neben einer Wiederholung des dümmlichen Kostüm-Argumentes noch vorbrachte, man habe immer in der Geschichte, wenn eine Stadt zerstört wurde, modern wieder aufgebaut - modern in dem Sinne als das, was dann eben zu dem Zeitpunkt damals als modern galt. Dem hat Bartetzko widersprochen. Er sagt, man habe dabei aber auch immer - mit leichten Änderungen - den Stadtgrundriss gewahrt und Baumaterial der zerstörten Stadt weiter verwendet, auch vollständig erhaltene alte Bauelemente in die neuen Gebäude eingefügt. Aus dieser Argumentation heraus kommt Bartetzko auf "Modern bauen auf historischem Erdgeschoss". Bartetzko hat ja weitestgehend recht, bloß: Man hat aber auch immer versucht, bei einem solchen Vorgehen ein harmonisches Gebäude entstehen zu lassen. Aber seine Stahl/Glas-Vorstellungen auf Sandstein zielen nicht auf Harmonie, sondern auf Kontrast.)
Dann durte mit Leuschner der Pyscho-Onkel erzählen, welche niederen Instinkte sich hinter dem Wunsch nach einer Rückkehr der Altstadt verbergen (meine Interpretation). Eigentlich, so Leuschner, ginge es nicht um Archiktektur, sondern um den Wert oder Unwert von Frankfurt. Die Sehnsucht nach einer Rekonstruktion sei eine direkte Antwort auf die Unwirtlichkeit vieler moderner Gebäude. Seiner Meinung nach aber seien Rekonstruktionen nicht die richtige Antwort, ein solches Projekt werde misslingen. Er nannte ein Beispiel für die verfälschende Wirkung von Rekonstruktionen: So sei beispielsweise der Stadtkern von Breslau so rekonstruiert worden, dass er polnische Geschichte repräsentiere, d. h. um vorzugaukeln, Breslau sei von jeher eine polnische Stadt gewesen.
Dann kam die gute Frau Weyell an die Reihe, die meiner Meinung nach wirklich den Vogel abschoss. Sie bezog sich darauf, dass einer der Vorredner gesagt hatte, das Technische Rathaus sei keine schlechte Architektur, es sei nur am falschen Ort. Weyell dazu: "Ich bin nicht sicher, ob das Technische Rathaus am falschen Ort steht." Weiterhin erklärte Weyell, dass das Technische Rathaus damals bei seiner Errichtung als gut befunden worden sei (Zwischenruf aus dem Publikum: Wer befand es als gut? - Keine Antwort von Weyell). Gerade Touristen hätten sich für dieses Gebäude sehr interessiert (spöttisches Gelächter aus dem Publikum). Für Weyell stelle sich nun die Frage, ob der Abbruch gerechtfertigt sei, um eine scheinbar heile Welt wiederherzustellen.
Für mich entspricht Frau Weyell dem Klischee einer weltfremden Gelehrten...
Dann kam es also zur Diskussion. Als erster aus dem Publikum ergriff Hübner das Wort. Er wandte sich an Dreysse und sagte sinngemäß, dass er es bezeichnend finde, dass Dreysse den Bund tätiger Altstadtfreunde in seinem Vortrag nicht erwähnt habe, der ja schon in den 20igern, also vor den Nazis, um den Erhalt der Altstadt bemüht gewesen war. Hübner warf Dreysse vor, dies bewusst verschwiegen zu haben, um es so darzustellen, als hätten sich nur Nazis für die Altstadt interessiert und um so die Rekonstruktionsbefürworter zu diskreditieren. Dreysse erwiderte, dies sei nicht seine Absicht gewesen, er habe die Altstadtfreunde nicht erwähnt, weil er einen möglichst kurzen Abriss der Geschichte der Altstadt habe vortragen wollen.
Meine Meinung: Für mich ist es wenig glaubwürdig, dass mit dem Verschweigen der Tätigkeit der Altstadtfreunde keine Absicht verbunden gewesen sein soll.
Ich kann jetzt natürlich nicht alle Redebeiträge wiedergeben, es lief aber sehr emotional ab und es gab Stimmen sowohl für als auch gegen den Wiederaufbau. Vielleicht mal ein paar Dinge, die mir in Erinnerung geblieben sind:
- Dominik Mangelmann meldete sich zu Wort, um einige Halbwahrheiten zu widerlegen und sich gegen den Populismusvorwurf zu wehren.
- Schlossgespenst hat in seinem Vortrag die Formulierung verwendet "Die rekonstruierten Fachwerkhäuser an der Ostzeile sind ja mittlerweile nach 20 Jahren allgemein akzeptiert", worauf der Mob aus den hinteren Reihen krakeelte "Stimmt nicht! Wir mögen die nicht!" und irgendein *Mensch* (habe gerade meine ursrpüngliche Wortwahl korrigiert) behauptete, das seien ja gar keine Rekonstruktionen.
- Ein junger Mann hat meiner Meinung nach ein sehr gutes Argument in Richtung des Psychoanalytikers vorgebracht (vielleicht ist er ja hier im Forum?), nämlich, dass ja psychologisch nicht nur interessant sei, welche Motivationen hinter der Sehnsucht nach der Altstadt stünden, sondern es sei ebenso interessant zu fragen, welche Motive sich hinter der schroffen und übertriebenen Abwehrhaltung der Rekonstruktionsgegner verbergen. Meiner Meinung nach eine sehr interessante Frage.
- Dann war da noch ein Mann, der sagte, wenn man sich ins Erinnerung rufe, dass die Altstadt 44 zerstört wurde, dann dürfe man nicht ausblenden, was 33 passiert sei. Ich sehe, ehrlich gesagt, nicht ganz den Zusammenhang zu den Rekonstruktionsplänen, aber was soll's...
- Dann gab's noch meinen eigenen bescheidenen Redebeitrag. Ich habe erstmal auf etwas geantwortert, was Bartezko direkt vor mir gesagt hatte. Bartetzko hat sich nämlich über Dresden ereifert und darüber geschimpft, wohin ein solcher Reko-Enthusiasmus führen kann, nämlich dass in Dresden das einzig Authentische, die historischen Keller, der modernen Nutzung weichen mussten. Ich wies darauf hin, dass er es ja nun nicht so darstellen könne, als seien die Rekobefürworter in Dresden daran schuld, dass die historischen Keller vernichtet wurden, denn die wollten das ja gerade nicht! Das war ja gerade eine Niederlage der Rekobefürworter. Bartetzko erwiderte, er habe mit dem Beispiel zeigen wollen, wie der Enthusiasmus von Menschen auch missbraucht werden könne. Naja, dann kam ich zu dem, was ich eigentlich sagen wollte: Nämlich, dass es ja nun eine Tatsache ist, dass es Rekonstruktionen historischer Gebäude in Deutschland gibt (Dresden, Hildesheim, Braunschweig, etc.), und das es ja in Anknüpfung daran ja auch zu einer Theoriebildung gekommen ist, z. B. darüber welchen Zweck solche Rekos erfüllen können, worin ihr Vorteil liegt usw (man findet in dem Buch über den Wiederaufbau des Hildesheimer Marktplatzes viel Interessantes dazu). Mein Vorwurf an die Runde war nun, dass damit ja überhaupt keine Auseinandersetzung stattfindet, stattdessen kommen Argumente wie Disneyland, Populismus, heile Welt, historische Kostüme... Daher findet die Diskussion meiner Meinung nach auf einem niedrigen Niveau statt und hat von der Seite der Herrschaften auf dem Podium auch was Dogmatisches. Ich schloss dann damit, dass ich ja kürzlich in Dresden war und dort nur begeisterte Menschen gesehen habe - daher ist die Diskrepanz in der Wahrnehmung der Laien und der Experten doch irgendwie erklärungsbedürftig. Vielleicht sollten sich die Experten angesichts dieser Tatsachen mal kritisch hinterfragen. Dreysses Antwort war, dass das die Laien vielleicht auch tun sollten. Ach ja, und ich hatte noch ne Frage an Scheffler, der vorher mehrfach davon gesprochen hatte, dass es ja ein Unterschied sei, ob man ein Gebäude direkt nach der Zerstörung oder einige Jahre danach wiederaufbaue oder aber erst nach 60 Jahren. Meine Frage war, ob er diesen Unterschied auch qualitativ, also inhaltlich irgendwie definieren könne. Meine Frage blieb unbeantwortet.
Dreysse hatte übrigens am Ende der Diskussion gemahnt, beide Seiten sollten offen sein für die Argumente der jeweiligen Gegenseite. Finde ich irgendwie lustig, denn sein Verhalten vorher ging eine ganz andere Richtung.
So, jetzt habt ihr einen ungefähren Eindruck...