Guten Tag, DAF
Guten Tag, wertes Forum. Ich bin ein Architekturstudent aus Charlottenburg und Spandau im schönen Westberlin. Normalerweise lese ich hier nur sehr interessiert mit, aber zu einigen Themen, die ich hier gestern und heute durchgeschmökert habe, muss ich doch etwas sagen. In jedem Fall freue ich mich, an Bord zu sein.
Zum Thema Nationalsozialismus und Architektur:
Die hier geäußerten persönlichen und fachlichen Meinungen finde ich auf jeder Ebene etwas befremdlich, zumal es eigentlich garnicht um Architektur geht. Stattdessen werden die Verbrechen verschiedener Vertreter (!) politischer Ideologien mit dem Wesen dieser Ideologien und dann, im noch falscheren Rückschluss, mit dem Wesen der zur jeweiligen Zeit auftretenden Architektur gemein gemacht.
Kurz und bündig: Ja, die Nazis waren Verbrecher und Mörder. Die Kommunisten auch. Gut. Beide hielten sich außerdem für große Ideologen. Die Kommunisten waren das sicher. Die Nazis... waren sehr begeisterungsfähig. Lasst es mich vorsichtig formulieren. Der Nationalsozialismus ist das große Schreckgespenst aller Deutschen und hat die absolute Katastrophe Deutschlands durchgeführt. Aber die Nazis als ideologische Strömung waren nicht annähernd so ideologisch konsistent oder im Schaffen konsequent, wie sie es dargestellt haben. Das sollte einem eigentlich schon der Name National-Sozialismus sagen. Wenn man diese beiden Ideologien sich überschneiden lässt, bleiben als Gemeinsamkeit Materialismus und Machtfreude in überbordender Gewalttätigkeit und trotz aller bedeutungsschwangeren Inszenierungen ist die gesamte Naziideologie auch nicht mehr als das.
Verabschieden wir uns also bitte von dem Mythos einer eigenständigen Kultur des Ganzen. Für die Kommunisten gilt im Übrigen das gleiche. Der Marxismus ist eine wissenschaftliche Analyse des kapitalistischen Systems. Und folgerichtig spielen Marxisten und alle, die sich von ihnen ableiten das gleiche Spiel wie Nationalisten, Liberale oder eben auch Nazis... nur eben besser. So jedenfalls ihre Hoffnung.
Es gibt also, imho, keine inherenten Unterschiede im Menschenbild zwischen den großen Ideologien. Und deshalb gibt es auch keine fundamentalen Unterschiede in der Architektur, die sich auf die Ideologien zuordnen ließen. Ein kleiner Abriss:
In der späten Kaiserzeit war quasi ganz Europa und Nordamerika von lokalen Spielarten Beaux-Arts-mäßiger Architektur geprägt, die eine gesellschaftliche Kontinuität suggerierte, als eine wirtschaftliche Revolution in Wirklichkeit bereits das ganze Leben verändert hatte. Gegen die Kombination aus pompöser, gefühlt unzeitgemäßer Darstellung und elenden sozialen Zuständen richtete sich eine Empörung, die in der Architektur ihren Niederschlag in grundsätzlich zwei entgegengesetzten Polen fand:
1. Der Abkehr von der modernen industriellen Gesellschaft und 2. Die Integration aller Tätigkeit in die Anforderungen der Wirtschaftsmaschine.
Die Beispiele des ersten kennt jeder, dazu gehören formale Experimente wie Jugendstil, Arts-and-Crafts usw, aber auch Gartenstadtbewegung und andere mehr. Für den zweiten Pol stehen die Grundgedanken der aufkommenden Moderne, deren erste Sprösslinge vorallem verkehrsfokussierte Städtebauüberlegungen wie der Gedanke der Bandstadt sind. Dazu kommen später erste formalistische und technologische Experimente, die auf die kommende Klassische Moderne verweisen. ABER, und das ist wirklich wichtig, keine dieser Gegenbewegungen ist ansich politisch gewesen, im Sinne der ideologischen Teilungen des 20. Jahrhunderts. Sie alle stellten eine Ablehnung der Dekadenz der Herrschenden und der Verelendung der Arbeiter dar und wollten vorallem die generelle Entfremdung des Menschen von seiner Arbeit und der Menschen voneinander beheben. Entweder eben durch Rückbesinnung oder Verändern des Menschen.
Dementsprechend konnte sich lange keine Strömung, ob liberal, marxistisch, faschistisch, zu einem einheitlichen baulichen Ausdruck durchringen. Nach der Oktoberrevolution gelangten viele Modernisten und Avantgardisten an Möglichkeiten baulichen Ausdrucks, weil sich das Zarenreich so streng klassisch (im weiteren Sinne) gezeigt hatte. Dasselbe in den folgenden Jahren in Italien und Spanien. Auch in Deutschland kam das so, aber da die Nazis wiederum eine Konterrevolution darstellen wollten, entlehnten sie in Staatsbauten klassizistische Architektur. Das eben nicht wegen ideologischer Nähe zum eigentlichen Klassizismus, sondern weil die Republik die Moderne versucht hatte. Gleichzeitig waren die Nazis als Halbfaschisten, und das heißt nach Mussolini Korporationisten, gegenüber der industriemäßigen Rationalisierung aller Lebensbereiche gegenüber sehr offen. So findet man die ersten ernsten Entwürfe für den Bau der autogerechten Stadt in den Schubladen des Stabs Speer. In der Sowjetunion liefen einige Jahre vielversprechende und international rezipierte moderne Experimente, die dann von Stalin abgewürgt wurden, weil er, so wie Hitler, ein romantisches Herz für klassische Formen hatte. In den USA war man insgesamt offen, und experimentierte ohne Revolution. In Frankreich wurden Abwandlungen des Beaux-Arts-Stil widerum als nationale Strömung betrachtet und vor dem Hintergrund sehr konservativen Nationalismus' weit in die 50er Jahre rezipiert.
So entsteht des scheinbar widersprüchliche Bild, dass der Faschismus teilweise hochmodern baute, die Sowjets erst avantgardistisch und dann plötzlich in einer Variante des Eklektizismus, während in Deutschland die Heimattümeler alle Arten vernakulärer Spitz- und Walmdächer bauten, Blut- und Bodenideologen ironischerweise klassizistisch und aus beiden Lagern Architekten insgeheim schon modernistisch planten. Dazu kommt, dass jede dieser Architekturströmungen international war und eben auch ein unpolitisches Modegeschehen darstellte. Viele der besonders "nazihaften" Gebäude, ich denke da ans Messegebäude und das Olympiastadium sind Planungen der Weimarer Republik und zum Beispiel die Bebauung des Trocadéro in Paris sieht auf den ersten Blick ideologisch höchst verdächtig aus.
Nach dem Krieg wurde der Klassizismus zur autoritären Architektur umgedeutet und durch so gut wie alle Mitarbeiter Speers mit demokratischer Architektur ersetzt. Vermutlich hatten sie alle spontan ihre Fehler eingesehen...
In der DDR begann man mit dem Versuch eine Architektur der nationalen Identität mit den Grundwerten des Sozialismus zu schaffen (einige sehr interessante Beispiele, des Frankfurter Tor ist nur eins) bis auf einmal Stalin starb und mit Chrustschow der Rationalisierungsgedanke unter anderem zu einer Umstellung auf (eben noch als formalistisch und kapitalistisch abgewertete) moderne Architektur führte. Der International Style und alle modernen Spielarten setzten sich in der Folge des zweiten Weltkriegs in allen westlichen Ländern durch und wurde von angeblichen geläuterten Nazis, entstalinisierten Kommunisten, grenzwertig faschistoiden Amerikanern und einfach nur gewinnorientierten Unternehmern gleichermaßen flexibel gehandhabt.
Quod erat demonstrandum, wer am Stil den Geist erkennt, geht besser mal ins Studium. Beim letzten Mal hat er gepennt.
Das heißt natürlich nicht, dass die Nazis nicht ganz besonders geschmacklos in der Ausführung waren, und die avisierten Größen sagen sicherlich einiges aus. Aber es gibt genauso solche Klopper auch in demokratischen Ländern und auch im Großdeutschen Reich dachten viele nur im Umfang von Dörfern. Deshalb lasst uns die Reichskanzlei unter künstlerischen Gesichtspunkten betrachten und -vermutlich- zu dem Schluss kommen, dass wir sie nie sehr vermisst haben.
Mit lieben Grüßen,
Milan, der jetzt hofft, dass er nicht gleich zu dick aufgetragen hat. Aber es schrieb sich glatt von alleine