Beiträge von daforumary

    ^ Danke für die Infos.
    Trotzdem hat man es in Danzig besser gemacht als z.B. im Berliner ...


    Hallo,
    Das Nikolaiviertel ist nur ein kleiner Fleck, Lübeck oder Danzig dagegen ganze Städte, die ganz andere Funktionen haben.


    Es geht auch nicht darum, was und wie man baut, sondern darum wie man dies zum Teil propagandistisch vermarktet.


    Ich war schon in Las Vegas, finde ich gleichermaßen cool wie lustig, wenn aber irgendein amerikanisches Reisebüro versucht mich zu überzeugen, das ich meine Urlaubs-$$$ lieber in Las Vegas ausgeben soll statt nach Venedig zu reisen - weil Beides doch identisch wäre - dann frage ich mich, wie ist das möglich, dass die meisten Amis sowas anscheinend in Kauf nehmen, statt diese Reiseanstalt einfach zu verklagen.


    Wie schon angemerkt; in keinem hamburger Reiseführer steht, dass die wunderschönen Häuser in der Peterstraße (wieder eine Initiative einer Privatperson, und nicht der Stadt) paar hundert Jahre alt wären, und auf der anderen Seite, in keinen polnischen Reiseführer ist zu lesen, dass dieses Gdansk nur eine nette Täuschung wäre - keine echte Architektur und kein "300 Jahre altes Dokument" sondern fast ausschließlich eine nette visuelle Unterhaltung.
    Ein hübsches Bild mit einem hübschen Pferd bleibt auch dann hübsch, wenn das hübsche Pferd gegen eine hübsche Kuh ausgetauscht wird. Zu behaupten aber, es gäbe keinen Unterschied zwischen einem Pferd und einer Kuh, weil beide Bilder doch hübsch wären, würde jedoch nicht ganz der Wahrheit entsprechen.


    Zeiten ändern sich, und nur hübsch zu sein ist heute viel zu wenig, weil Originalität und vor allem Authentizität entscheidend sein müssten. Photoshop is just everywhere. Die Vermarktung spielt immer die Schlüsselrolle; die Amis wollen ihre Landsleute in die Kassinos locken, die Polen ein "800 Jahre altes und immer polnisches Gdansk" der Welt glaubhaft machen.


    Man kann nur hoffen, dass das lübecker Gründungsviertel nicht annährend echt aussehen wird, sonst käme vielleicht ein Tourist noch auf die Idee tatsächlich schnell paar Selfies vor "alten" Häusern zu schießen. Ich verweise an dieser Stelle nur an den Schnoor in Bremen, von dem in Tat manche Touristen gar nicht ahnen, wieviele von den Häusern erst nach dem 2. Weltkrieg entstanden sind. Damals wußte jeder Bescheid und man brauchte es gar nicht zu erwähen, heute sind solche Hinweise nur selten zu finden.


    Gruß!

    Anderswo ging es auch und dort war der Mangel noch viel größer, zum Beispiel Danzig.


    Hallo,


    Hoffentlich nicht allzu lang, und sorry für Fehler, ist halt spät und habe keine Zeit den Text nochmals durchzulesen :)


    Die Entstehung des "volksrepublikanischen" Gdańsk nach 1945 lässt sich mit keinem anderen Vorhaben eines Wiederaufbaus einer ganzen Stadt woanders vergleichen, weil dies eine welweit einmalige, missglückte Episode in der "Architektur"-Geschichte sein dürfte.


    Heute hat Gdańsk mit dem alten Danzig weniger gemeinsam als The Venetians in Las Vegas oder Macao mit Venedig in Italien. Dort stimmen wenigstens die Stile und die Details.


    1. es ist auf keinen Fall eine Rekonstruktion sondern, bis auf wenige Ausnahmen, ein kompletter Neubau einer Innenstadt für die polnische Arbeiterklasse.
    Das Hauptziel der polnischen Kommunisten war, der ganzen Welt schnellstmöglich das "ewig polnische Gdańsk" (standard Zitat von damals) zu präsentieren, mit allen dazugehörenden propagandistischen Mitteln. Die Stadt mußte einfach in die Schlagzeilen, trotzdem nicht viele wollten da richtig mitmachen, sodass beispielsweise Charles de Gaulle oder Reza Pahlavi, denen die polnischen Machthaber ihre neue/alte Stadt unbedingt zeigen wollten, damals eher zu den Ausnahmen gezählt haben.


    2. der Bau wurde natürlich aus Zentralmitteln in Warschau finanziert. Ob für Plattenbauten, Straßen oder Sonstiges, das Geld wurde schon immer in Rahmen der X-Jahres-Pläne in Warschau verteilt (über polnische "zjednoczenia" / entspr. den "Vereinigungungen Volkseigener Betriebe" in der DDR). Das ganze Volk baut seine Hauptstadt, das ganze Volk baut Gdańsk - so lauteten damals die Propaganda-Slogans. Warschau - vielleicht bis auf den Kulturpalast, den die Sovietunion finanziert hat. Ob die Russen&Co. ebenfalls das in stalinistischem Stil erbaute warschauer MDM-Viertel (Marszalkowska Dzielnica Mieszkaniowa / Marschall-Wohnviertel) finanziert/mitfinanziert haben, das weiß ich nicht.


    3. was das polnische Gdańsk betrifft, es gab damals drei Konzepte was die Angelegenheit angeht:


    I. Bau einer völlig neuen Innenstadt, wie etwa die MDM.
    II. genaue Rekonstruktion der Häuser, Höfe, Strassen, Gassen, Plätze, usw.
    III. Bau einer Innenstadt, die mehr oder weniger der alten Stadt ähnlich sein sollte, wobei die Betonung eher auf "weniger", wie sich herausgestellt hat, liegen sollte.


    Nach langen Diskussionen wählte man tatsächlich die letzte Variante.
    Warum? Weil dies die schnellste und propagandistisch die wirksamste Lösung war. Keiner wird dumm fragen und genau hingucken - so dachte man damals wahrscheinlich.


    Einige Einzelheiten.
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    Es gab viele polnische Studenten, die vor dem Krieg an der Technischen Hochschule in Danzig-Langfuhr, Fachbereich Städtebau, studiert haben, und daher auch Ahnung hatten. Diese Leute wurden nie gefragt. Darüber hinaus gab es Teile der alten Baudokumentationen und Fotos natürlich. Viele von den alten Zeichnungen wurden gerettet, galangen dann nach West-Deutschland, es gab aber nicht Mal Versuche/Anfragen sie zu nutzen.
    Nicht alle Häuser wurden natürlich auch völlig zerstört, und man konnte relevante Details und/oder Maße oft deutlich erkennen. Viele von solchen stets einigermassen intakten Häusern, die den Krieg überstanden haben, hat man danach einfach abgerissen um Neubauten zu errichten, wie z.B. die in der Ulica Straganiarska / Häckergasse, weil sie damals einfach nicht ins Konzept des polnischen Gdańsk passten. Dies ist heute keinem Busucher bewusst, und nicht Mal die Hausbewohner wissen es.


    Teile der Innenstadt, die überwiegend nach 1800 enstanden sind, wie z.B. die Pfefferstadt, östlich vom Hauptbahnhof (ein sehr lebendiges Stadtviertel, das an das alte Hamburg um den Rödingsmarkt erinnerte), hat man dagegen gar nicht versucht wieder aufzubauen. Die Gegend um die heutigen Strassen Ulica Heweliusza oder Ulica Rajska sieht heute schrecklich langweilig aus.


    Zurück zur "Altstadt".
    Die Fassaden der Häuser entsprechen heute zwar den der alten, aber nur auf den ersten Laienblick. Weil der niederländische Stil der Häuser den Polen zu germanisch (lese: deutsch) war, hat man ihn einfach gewechselt, und sich eher an die italienische Renaissance, als an den alten, danzigen Baustil gehalten.
    Andere Fenstertypen/Fenstermaße, Türen/Türenmaße, Gesimse, Dächer, Verzierungen, usw.
    Frühen sahen die danziger Hausfassaden dort oft wie die in der heutigen hamburger Peterstraße aus (in HH versucht man wenigstens gar nicht zu leugnen, dass diese Häuser na dieser Stelle restauriert worden sind), später hat man sie verputzt, und jetzt sind sie sogar so bunt, dass ganz Disneyland vor Neid platzen könnte.


    Alt Danzig war auch immer schon anders, weil extra dafür speziell für Danzig gebrannte Ziegelsteine aus den Niederlanden verwendet wurden. Nach dem 2. Weltkrieg benutzten die Polen dann natürlich ihre standard 08/15 Ziegelsteine (andere Maße, Farbe), was man am einfachsten bei der Strassen-Toren erkennen kann, wo mehrere Typen übereinander schichtweise zu sehen sind.


    Es wurden nach 1945 zum Teil Bautechnologien/Bauelemente benutzt, die im alten Danzig noch unbekannt waren - wie z.B. Stahlbeton, Schalstein.

    Die Aufteilungen der Räumlichkeiten der zerstörten Bürgerhäuser entsprechen heute nicht im Entferntesten ihren historischen Vorbildern - damals Wohnungen der wohlsituierten Danziger Kaufleute und Patrizier - nach dem Krieg dann Wohnungen für polnische Arbeiterklasse. Jetzt wohnen dort kaum Arbeiter mehr, die Neuaufteilung ist aber natürlich geblieben.
    Keller, Räume für Dienstpersonal, Treppenhäuser, Treppen, Handläufe, Türen, Türgriffe, Dachböden, usw - alles ist ebenfalls neu und anders.


    Nicht nur das.
    Die Hinterhöfe, Gänge, Fachwerkschuppen, Werkstätten der danziger Handwerker, all dies was dazu gehörte ist komplett weg und anders - man denke in diesem Zusammenhang nur an die, über 100 (sogar paar hundert Jahre älteren), mittelalterlichen Gänge und Höfe in Lübeck. Diese alten Strukturen, bedingt oft auch durch die unterschiedlichen Tiefen der neuen Häuser, wurden einfach neu erfunden.


    Vergleiche mit alten Fotos und Filmen belegen dies alles sehr deutlich.


    Falls jemand 42,90€ übrig hat, und sich für dieses Thema interessiert, dann empfehle ich das Buch "Danzig - Neue Stadt in altem Gewand" von Dr. Jacek Friedrich, einem ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeiter der berühmten Jagiellonen-Universität in Krakau. Heute ist er, glaube ich, an der Danziger Uni tätig. Das Buch ist zwar aus der polnischen Sicht geschrieben, trotzdem aber sehr aufschlussreich und bemerkenswert.
    http://www.boehlau-verlag.com/978-3-412-20312-2.html


    [][][]


    Und jetzt, wenn erlaubt, noch mein kurzes Wort zu Hamburg.


    Einst war Hamburg mit 2000 Barockhäusern eine weltbekannte Barockstadt, die zum Teil der Speicherstadt (wäre schon paradox, wenn eben diese Speicherstadt, die damals um 1880 über 1000! historische und weitgehend intakte Barockhäuser zerstört hat http://www.hamburger-fotoarchi…s_hamburg_fotografie.html *weiter klicken*, jetzt selber den UNESCO-Status vielleicht erhält), zum Teil den überwiegend britischen Bombern 1942 zum Opfer fielen. Dann kam das Aus für die hamburger Gängeviertel, wo unter anderen die Geburtshäuser von Johannes Brahms und Felix Mendelssohn Bartholdy beheimatet waren. Den Schlußstrich zogen dann Ende der 1950-Jahre die cleveren Hamburger selber, um den erhofften Eigenaufschwung nicht zu gefährden. Jetzt sind schon fast alle, die damals gute Kohle gemacht haben tot, oder sitzen in ihren Rollstühlen in ihren tollen Häusern an der Elbchaussee oder sonstwo. Modern und geldorientiert muß ein tüchtiger hamburger Geschäftsman eben sein.
    Einige, die die Fronten gewechselt haben, kämpfen jetzt plötzlich Schulter an Schulter mit paar cleveren Typen Anno 2015 um den Erhalt von irgendwelchen scheusslichen City-Hof-Häusern, oder um Häuser, die zwar in einem der alten Gängeviertel stehen, architektonisch aber nichts mit den hunderten historischen Fachwerkhäusern zu tun haben können. Hauptsache - in die Geschichte als die wahren Verteidiger dieser weltweit "einzigartigen" Bauten einzugehen. Alles zum Ruhme einer 1200 jährigen Stadt, versteht sich.

    Aus der heutigen Sicht ist dies meistens einfach nur noch traurig, und man braucht gar nicht nach Danzig zu schauen, wäre auch ein denkbar schlechtes Beispiel, da Lübeck nur gute 60 km von Hamburg entfernt liegt, wo in 5 Jahren das neue/alte Gründungsviertel fertig sein wird.


    Im Hamburger Rathaus sitzen halt Leute ohne Ideen, geschweige denn Visionen, und hamburger Beamten können der Stadt bestenfalls nicht schaden.
    Was hätte die Stadt bloß vom Aufschwung in Deutschland nach Öffnung der Grenzen, wenn an der Alster die Privatwirtschaft nicht einigermassen aktiv wäre ...


    Auf der anderen Seite gibt es immer weniger waschechte Hamburger, die heute ehrlich und glaubhaft Interessen der eigenen Stadt vertreten würden. Die letzten von denen sterben aus, und die Neu-Hamburger haben in der Stadt ihrer Wahl jetzt ganz andere Dinge im Kopf als Hamburgs Image ... es sei denn, man kann dabei schnelle Kohle machen.
    In 100 Jahren wird es wahrscheinlich nur noch paar verrückte und verarmte hamburger Exoten geben, die mit Schaufel und Besen durch die Deichstraße sonntagmorgens laufen werden.
    Wird dann in Duden unter "Hamburger Denkmalpflege" stehen.


    Gruß