Da es ja nun doch nochmal einige Kommentare und Fragen gab, nehme ich mir doch nochmal die Zeit Antworten zu verfassen.
Sehr interessante Ausführungen. Hast du da spezielle Quellen oder weiterführende Literatur. Insbesondere die zum See der Tränen.
Vieles steht im Buch "Völkerschlacht Denkmal" (9783936300055). Doch auch das ist stellenweise etwas veraltet. Zum "See der Tränen" schreibt das Völki selbst (in einem Wissensspiel) "Jene Zuschreibung oder auch die der Bezeichnung „See der Tränen“ stammt aus der Zeit des Nationalsozialismus, in der das Denkmal für die Nazi-Propaganda instrumentalisiert wurde. Wir verwenden diese Bezeichnung daher heute nicht mehr. Ursprünglich und auch heute noch reden wir vom Wasserbecken oder -bassin." Findet man auch gut online mit einer kurzen Google-Suche.
Die Essenz der Demokratie sollte sein, dass sie den Mehrheitswillen ihrer Bürger berücksichtigt (und dabei Rechte von Minderheiten schützt). Gerade mit Blick auf die Überwindung der DDR und die Friedliche Revolution. Da war es eine Mehrheit, die sich die Demokratie wünschte. [...]
Wenn du schon selbst die These aufstellst, dass sich heute viele Menschen "so einen Koloss als Vorbild für heut[ig]e Denkmäler wünschen", sollte dich das doch auch zum Nachdenken anregen, ob es nicht legitim sein könnte, diesen Wunsch aufzunehmen. Vielleicht geht es weniger um das Kolossale, sondern um das Sinnliche, das Würdige, das Greifbare des Völkerschlachtdenkmals. [...] Nur ist es eben eine schiefe Symbolik, die nicht zum Ereignis passt und daher nach meinem Eindruck viele Menschen verärgert. Auch dem Völki kann man diesen Vorwurf in Teilen machen! Da haben wir dann eine Parallele im Negativen.
Es würde mich reizen, deine erneut aufgestellten Behauptungen ausführlich durchzugehen. So spielt es doch gar keine Rolle, wie hoch der Anteil Thiemes am Entwurf war, das Denkmal wurde und wird trotz den Kritikern und der teils berechtigten Kritik, die es immer gibt, breit unterstützt. Und regelmäßige Demokratie-Kundgebungen gibt es dort auch bis heute, so war dort zuletzt das Lichtfest zu Gast. Inkonsistent ist da eher deine Argumentation. [...]
Die Säule ist:
- symbolisch verständlich und schlüssig
- ortsbezogen
- städtebaulich gut eingeordnet
- schön
- spendenfinanziert
[...]
Alles anzeigen
Also, ich müsste jetzt mein Demokratieverständnis hier offenlegen, um mich zu erklären. Und ich glaube, das ist das wunderbare Problem an Denkmälern in einer Demokratie: Wir alle haben unser Verständnis davon und können uns dazu austauschen. Das möchte ich hier in dieser Diskussion mal im positiven Sinne betonen.
Ich glaube eben nicht, mit Blick auf die deutsche Geschichte und die aktuell (zeitweise) stärkste Partei im Land, dass man dem Wunsch der Mehrheit nachkommen sollte, wenn ein imperialistisches Militärdenkmal in welcher Form auch immer bewundert wird. Jedes Denkmal ist per Definition "sinnlich". Deswegen ja auch "Mal".
Inwieweit das Völki die Völkerschlacht ohne bildliche Verweise auf die Völkerschlacht "greifbar" macht, darüber müssten wir uns länger unterhalten. Meinen Standpunkt dazu habe ich klargemacht: Das Völki ist eine Instrumentalisierung der Geschichte. Gerade deswegen hält sich die Denkmalsverwaltung ja auch eher zurück mit Veranstaltungen. Und ich möchte noch einmal für alle, die hier noch mitlesen, betonen: Es ist leider wirklich hanebüchen, die Instrumentalisierung der Nazis und auch der DDR in irgendeiner Weise mit aktuellen Veranstaltungen zu vergleichen. Das angesprochene "Lichtfest" zum Beispiel ist (und dazu müsste man sich mal in die Materie hineinarbeiten) eine kleine Winzigkeit im Vergleich zum bengalischen Feuer, das die DDR zum Turn- und Sportfest dort abbrannte... und das war ja nur ein Teil einer solchen Inszenierung. Mir sind keine Bundeswehr-Vereidigungen bekannt (im Gegensatz zu NVA-Vereidigungen) oder etwaige organisierte Demonstrationen (wie zu DDR-Zeiten gegen den NATO-Doppelbeschluss).
Und auch zur falschen Symbolik des FED habe ich mich geäußert... Trotzdem nochmal: Das FED ist nicht das 9.-Oktober-Denkmal. Auch nicht das Denkmal zur Friedlichen Revolution. Sondern das "Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal". Es wird künstlerisch Bezug genommen auf die Demonstrationen in Leipzig (sei es der 9. Oktober oder der 4. Juni 1989 oder 5. Juni 1988...) und auf Bürgerrechtler (die am 4. September Banner entfalteten oder am 24. Oktober 1988 Transparente in der Kirche hochhielten), Kirchen, Organisationen, Runde Tische usw. Schon ab dem 16.10.1989 wurden bei den Leipziger Montagsdemonstrationen zahlreiche "Banner, Fahnen, Transparente" hochgehalten und es wurden im Laufe der Zeit immer mehr. Die friedliche Revolution hat ja nicht am 9. Oktober begonnen und geendet. Und gerade wenn es um das Thema Einheit geht: Wie viele "Banner, Fahnen, Transparente" hat es vergeblich gebraucht, um bspw. der Treuhand entgegenzutreten? Es geht hier ja um Symbole!
Der 9. Oktober steht genauso symbolisch für die Revolution, wie "Banner, Fahnen, Transparente" symbolisch für die Prozesse der Freiheit und Einheit stehen. Und diese "Banner, Fahnen, Transparente" stehen als universelles Symbol für Demonstrationen und Revolutionen - somit auch für die Prozesse hinter diesen Umbrüchen (ein kurzer Exkurs: beim Kirchentag in Leipzig 1989 wurde ein Transparent mit dem chinesischen Zeichen für "Demokratie" (民主) hochgehalten, als Verweis auf die "Banner, Fahnen, Transparente" auf dem Tian'anmen im gleichen Jahr). Im Übrigen haben die Architekten und die Künstlerin dazu viel geschrieben und viel gesprochen und offenkundig viel recherchiert. Könnte man sich alles anschauen, durchlesen und (in Podcasts) anhören, anstatt hier Mutmaßungen anzustellen.
Dass die Säule schön ist, daran besteht kein Zweifel. Ich kenne allerdings einige, die sich an der Säule stören, wenn es um die Symbolik geht, bzw. die das Denkmal nicht auf sich beziehen, obwohl sie Teil der Revolution waren. Es waren eben nicht allein die Kirchen oder die Nikolaikirche. Denn wenn du von einer Mehrheit der DDR-Bürger sprichst, meinst du ja sicher nicht nur die in der Nikolaikirche. (Hier möchte ich nur kurz auf Ilko-Sascha Kowalczuk verweisen: Die Mehrheit der DDR-Bürger war eben nicht an der Friedlichen Revolution beteiligt. "Eine Minderheit hat auf der Straße gegen eine Minderheit (Regierung genannt) gekämpft". Die Mehrheit hat am Fenster gestanden und zugeguckt. Vielleicht wäre ja ein Fenster das passende Denkmal für diese von die angesprochene Mehrheit?).
> Damit zeigt sich: Symbolik, Ästhetik, die Vielschichtigkeit der Ereignisse, Personen und Gruppen, sowie, und das wurde hier noch gar nicht besprochen, die Anforderungen der Stadt Leipzig zu Ort und Raum gerecht zu werden, ist gar nicht so einfach. Denn! Das Denkmal soll in einem Park stehen (Ökotopia) und am besten mit diesem Ort verschmelzen, ja in diesen Ort hineinwachsen. Und die Entsiegelung des Leuschner-Platzes ist das beste Projekt der Stadt Leipzig seit langer Zeit (auch wenn es zur Umsetzung sicherlich Kritik gibt).
Eine Verengung des Freiheitsdenkmals auf die Demonstrationsfreiheit aufgrund dessen Form fände ich überdies abwegig, denn um diese ging es ja bei den Kundgebungen und den Parolen auf den Transparenten, besonders anfangs, gar nicht hauptsächlich sondern mehr um Reisefreiheit, Meinungsfreiheit, Bürgerrechte, freie Wahlen, die Bekräftigung des Souveräns und erst später auch um die Einheit.
Also bitte... indem die Menschen für Reisefreiheit, Meinungsfreiheit, Bürgerrechte, freie Wahlen u.s.w. DEMONSTRIERTEN und damit gegen geltendes Recht verstießen (Stichwort "Zusammenrottung"), haben sich die Demonstranten gegen das Demonstrationsverbot gestellt. Man könnte sogar sagen, dass die sich so erkämpfte Demonstrationsfreiheit die Urmutter der Revolution und aller weiterer Prozesse des Kampfes um die von dir erwähnten Freiheiten ist. Das ist ja wohl so offensichtlich, dass ich mir fast lächerlich vorkomme, es aussprechen zu müssen.
JEDER Tote eines Krieges ist einer zuviel. Meine ich. Die Gegenaufrechnung der Gefallenen finde ich makaber und unwürdig. Manchen scheint es an Phantasie und Empathie zu mangeln.
[...]
In der Zeit, als das Völkerschlachtdenkmal errichtet wurde, hat die Bevölkerung einen anderen Umgang mit dem Tod gepflegt. Man sehe sich nur die Grabmale der Gründerzeit auf dem Südfriedhof an. Sind die nationalistisch?
Hab auch nichts anderes behauptet. Jeder Tote ist schlimm. Doch natürlich ist es spannend, wie welches Land in der Erinnerungskultur mit einer solchen Schlacht umgeht (Stichwort Instrumentalisierung). Das Grabmal wäre nationalistisch, wenn der Kaiser oder der Reichsadler oder das Eiserne Kreuz mit eingemeißelt ist... Aber ich finde den Vergleich etwas wild. Das Völki ist ein Nationaldenkmal erbaut im Imperialismus. Natürlich ist das nationalistisch (und der Herr Thieme gehörte ja auch einer, sagen wir mal spannenden Partei an).
Und genau das haben die Völker Europas erkannt und sich zusammen vom Joch des Massenmörders Napoleon befreit, der Millionen Menschen für seinen Größenwahn geopfert hat.
Und zu guter Letzt noch dieser Mythos. Das ist historisch schon deshalb falsch, weil der Rheinbund (also wir Sachsen auch), Polen und andereauf Seiten Napoleons gekämpft haben. Übrigens ist das einer der Mythen am Denkmal "Wir Deutschen haben Napoleon besiegt". Dabei haben die Deutschen des Rheinbundes gegen die Deutschen in Österreich und Preußen verloren.