Beiträge von spc_raoul

    Ich frage was hat das mit politischer Dimension zu tun? wie du es selbst nennst. Bereits im 2 ten Satz gleitest Du wieder ins persönliche geschmäcklerische ab... auch was Ästhetisch ist und was nicht und erst recht was zum Träumen anregt und was nicht ist ja wohl ein sehr persönliches Empfinden und hat mit politischer Dimension so rein garnichts gemein.


    Und politische Dimensionen haben nichts mit persönlich geschmäcklerischen Dingen zu tun? ;) Was ich sagen will ist: Zuvorderst geht es für mich um visuelle Ästhetik, weil letztlich bei Architektur das Auge als erstes berührt wird. Was dann in der Folge der Geist nach längerem Nachdenken daraus macht und wie die politische, historische oder architekturkritische Bewertung erfolgt, ist Teil eines länger andauernden Prozesses, der sich in der Folge abspielt. Wenn man aber ganz simpel vom Äußeren zum Inneren vordringt, dann drängt sich da zunächst einmal ungefragt ein Objekt in den visuellen Bereich von einer relativ großen Zahl von Großstadtbewohnern. Und wenn dieses Objekt dann nicht nur eine aalglatte Fläche darstellt, die man vielleicht schon so oder ähnlich 17-Millionen Mal gesehen hat, dann empfinde ich das erst einmal als eine Bereicherung des Öffentlichen Raumes.


    Dass ein Verlagssitz zum träumen anregen soll ist wahrlich naiv gedacht, du sagst es selbst.


    Ja, schrecklich, was? Träumen ist wirklich sehr unpolitisch ;)


    In kaum einer anderen Branche geht es so sehr um schnöden Mammon wie in dieser.


    Wie gesagt: unter Aspekten von Wirtschaftlichkeit, Effektivität, Raumausnutzung ist das sicher ein klasse Gebäude und könnte so oder Ähnlich auch am Hauptbahnhof oder in der Frankfurter Innenstadt stehen. Aus dem Blickwinkel des schnöden Mammons ist ja alles supi. Aus den morgendlichen müden Augen willkürlich ausgewählter Großstadtbewohner besehen, vielleicht nicht so sehr.

    Also ich wohne in der Torstraße und kann/muss mir das Gebäude von Suhrkamp jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit anschauen. Da das Gefallen von Äußerlichkeiten nun etwas extrem individuelles und somit geschmacksabhängiges ist, kann man hier natürlich nicht alle zufrieden stellen. Dennoch merke ich, dass der allgemeine Architekturstil dieser Tage mich mit einem zunehmend ratlosen Gefühl zurücklässt. Blickt man von der Kronprinzenbrücke den Spreebogen entlang in Richtung Hauptbahnhof – also an einem Ort der zu opulenter Architektur geradezu einlädt – so erspäht man ein Sammelsurium von Schachtelbauten mit erstaunlich langweiligen Fassaden, allesamt in den letzten Jahren entstanden. Wenn das der Maßstab für den Aufbruch der modernen Architektur in ein neues Jahrtausend ist, dann ist der Suhrkamp Bau durchaus akzeptabel.


    Mir persönlich allerdings (Achtung, jetzt wirds persönlich) erscheint das Suhrkamp Gebäude in den Visualisierungen - und auch in dem was sich in vivo da nun langsam entblättert – wie ein reiner Zweckbau mit einem latenten 70er Jahre Feeling on top. Dazu kommt, dass man mich (es bleibt persönlich) mit Materialien wie Glas, Aluminium und Sichtbeton jagen kann, weil diese Materialien eben auf reine Zweckmäßigkeit ausgelegt sind und zudem keinerlei Detailwirkung entfalten. Das Auge findet keine Ruhepunkte zum Verweilen, der Geist (naja, mein Geist) keine inspirierenden Kontraste, keine Haptik und zuvorderst garnienichts Verspieltes. Ich vermisse Formen, Farben und jegliche Kindlichkeit im Geiste. Ein bisschen fühlt man sich gar an die „grauen Herren“ aus „Momo“ erinnert. Es muss ja nicht gleich ein „Antoni Gaudí“ sein, aber gerade für ein Verlagshaus, was sich eben auch an den Geist, an die Phantasie, an das Herz richten sollte, finde ich so einen 70er Jahre Universitäts-Zweckbau ein bissl schwach. Vermutlich – und hoffentlich – war er dafür nicht so teuer und vermutlich wird er vom Innenaufbau, den Energieeffizienzwerten und dem Platzangebot recht zweckmäßig, aber das isses dann auch schon (für mich). Ihr werdet jedenfalls auf meinem morgendlichen Weg zur Arbeit nicht hören, wie ich Tourette-artig eine Lobpreisung nach der anderen auf das Gebäude regnen lasse.


    Zur politischen Dimension: für mich hat Architektur zuvorderst einen ästhetischen Auftrag – vielleicht nicht gerade im Industriegebiet einer Kleinstadt, aber zumindest in den Innenstadtbereichen von Großstädten. Die Rekonstruktion des Stadtschlosses ist für mich ein extrem ästhetisches Projekt und ich bin politisch wirklich recht weit links im Spektrum angesiedelt. Es war für mich schockierend zu sehen, wie viele Foristen und Kommentatoren eine eindeutig rechts gerichtete Ideologie mit dieser Rekonstruktion verbanden. Mein Blick ist da vermutlich wesentlich naiver – und ich finde es irgendwie schade, dass den viele Menschen offenbar verloren haben. Ich habe mir öfter die Webcams vom Bau des Stadtschlosses angesehen und war bereits völlig von den Socken als ich das Schattenspiel der Fassaden gesehen habe, welches – vor allem in der Abendsonne – wunderbare Effekte mit sich bringt und ein ganz eigenes und jeden Tag einzigartiges Gefühl vermittelt. Das klingt sicherlich supernaiv, aber ich finde das ist es was Architektur leisten können muss: die Menschen bei Ihrem Alltag in einer Metropole des 21. Jahrhunderts in Ihren zunehmend komplizierteren, technisch anspruchsvolleren, sozial isolierteren Leben gelegentlich ein wenig zum Träumen bringen und die Phantasie anzuregen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das mit Glas, Aluminium und Sichtbeton nicht funktioniert.

    Torstraße 146 / Linienstraße 86

    Hier noch einmal der exakte Wortlaut aus der "Begründung
    zum Bebauungsplanentwurf 1-24B - Für das Gelände zwischen
    Torstraße, Rosenthaler Platz,Rosenthaler Straße, Linienstraße und Ackerstraße
    im Bezirk Mitte, Ortsteil Mitte (2017)" zum Thema Denkmalschutz dieses Objektes:


    "Bei dem zweiten in der Denkmalliste unter der Obj.-Dok.-Nr.: 09080097 eingetragenen Gebäude in der Linienstraße 86 /Torstraße 146 handelt es sich um das ehemalige Israelitische Krankenheim, welches als Private Frauenklinik des Dr. Martin 1884 von dem Bau-meister Ernst Schmidt errichtet wurde. Ursprünglich war das Gebäude zur Torstraße nur dreigeschossig, ein zusätzliches Geschoss wurde im Rahmen von Baumaßnahmen 1908-09 aufgesetzt. Die helle Klinkerfassade an der Torstraße ist nach dem Vorbild italienischer Renaissancepalazzi im Rundbogenstil gestaltet, die Säulen der gekuppelten Fenster und Überfangbögen bestehen aus Sandstein. In gleicher Weise sind die Hoffassaden ausge-führt. 1908-09 erfolgte im Auftrag der Israelitischen Synagogengemeinde der Umbau zum jüdischen Gemeindekrankenhaus "Adass Jisroel". Die Ausführung übernahm Regierungs-baumeister Max Fraenkel. Besondere Beachtung verdient die reiche, im "maurischen Stil" gehaltene Wand- und Sockelbekleidung aus farbigen Ornamentfliesen der Firma Villeroy & Boch in der Durchfahrt. 1941 wurde das Haus zunächst geschlossen. Nach 1945 wurde es erst als Polizeidienstgebäude genutzt, Anfang der 1950er zog eine Dienststelle der Reichsbahndirektion in das Haus."

    Torstraße 146 / Linienstraße 86

    Ich wohne in unmittelbarer Nähe dieses Objektes und hatte mich eigentlich schon seit langer Zeit gefragt und ein wenig auch darauf gefreut, wann das ehemalige jüdische Krankenhaus rekonstruiert, bzw. denkmalgerecht und behutsam renoviert wird. Es handelt sich wirklich um ein Kleinod sondergleichen, welches jahrzehntelang im Dornröschenschlaf lag.


    Meine Hoffnungen und Erwartungen an eine behutsame und vor allem denkmalgerechte Renovierung werden allerdings wohl schwer enttäuscht.


    Denkmalschutz? Denkste!




    Ich hatte gehofft, dass der einzigartige Charakter und auch der historische Bezug zur bewegten Geschichte dieses Ortes weiterhin erhalten bleibt. Offensichtlich knallt man aber in den ursprünglichen kleinen Hof zur Linienstraße hin - welcher bislang nur durch eine mittelhohe Ziegelsteinmauer begrenzt war - noch ein Gebäude aus Fertigteilen und nutzt hier wirklich jeden Quadratzentimeter aus. Wie sich das denkmalschutzrechtlich begründen lässt (das neue Gebäude nimmt vom Bürgersteig der Linienstraße aus praktisch jeden Einblick auf das historische Baudenkmal) ist mir ziemlich schleierhaft.


    Sehr schade.

    In der historischen Zeitschrift "Innendekoration - Illustrierte Kunstgewerbliche Zeitschrift" findet sich in Band XIX von 1908 ein ausführlicher Bericht über das zu diesem Zeitpunkt gerade neu eröffnete "Passage-Kaufhaus".


    Neben den sehr schönen und detaillierten Innenansichten (die zumindest mir teilweise noch unbekannt waren) ist auch der Text sehr interessant, da er Einzelheiten der städtebaulichen Situation im Berlin des beginnenden 20. Jahrhunderts umreißt. Der geneigte Leser des Jahres 2016 kann hierbei ganz erstaunliche Parallelen zur aktuellen Situation erkennen.


    Wen es interessiert: Die Publikation kann online in den "Heidelberger Historischen Beständen" gelesen werden:


    http://digi.ub.uni-heidelberg.…/innendekoration1908/0395