Moin,
ich habe mich ja schon länger nicht gemeldet, weil ich beruflich gerade enorm eingespannt bin, aber zu dem Thema möchte ich doch was sagen.
Objekt versus Raum
Ich habe anfangs den negativen Tenor durchaus verstehen können, in meinen Augen krankt die Diskussion - wie die meisten, die ich auch beruflich führen muss - am immer selben Problem: Man redet über Objekte, dort wo es eigentlich um den Raum gehen sollte. Bestes Beispiel ist der Gebäudetorso an der Schuhstraße.
Die heutige Lösung scheint aus Sicht der 80er Jahre, als man ein komplett neues Projekt geplant hat, dessen Erfolg ungewiss schien, als guter Kompromiss. Der heutigen Bedeutung der Burgpassage ist die Eingangssituation aber einfach nicht mehr angemessen, egal ob für eine Burgpassage oder eine Burggasse. Natürlich steht da ein Rest von einem wertvollen Gebäude, den muss man aber abwägen gegen andere Aspekte.
Der Verlust des Gebäudes wiegt für mich verhältnismäßig leicht, weil ich da:
- weder viel Bausubstanz sehe,
- diese in keinem guten Erhaltungszustand ist (nur eine halbe Fassade, ohne Erdgeschoss oder rückwärtige Bausubtanz aus der Erbauungszeit,
- der Zeugniswert nur mäßig ist und es sich nicht um ein herausragendes Kunstwerk handelt, und
- in direkter Umgebung ein halbes Dutzend fast identischer Gebäude stehen.
Man darf nicht vergessen, das fünf- siebenachsige Gebäude mit zwei Geschossen und Mittelzwerchhaus der Bautyp schlechthin waren in der geschätzten Zeit 1600-1800, und als absolute Massenware hergestellt wurden. Dennoch schade.
Dem gegenüber steht ein um Längen besserer Raum. Ich darf erinnern, wie es heute aussieht. Die Frage, ob man bei einem ähnlichen Projekt zur Erbauungszeit, oder in der Gründerzeit versucht hätte, dieses Gebäude zu retten, wenn es einer Straße im Weg stünde, die stelle ich mir gar nicht. Ist vielleicht auch nur am Rande relevant als Gedankenspiel.
Ich sehe einen Verlust, aber mehr Gewinn, insbesondere, wenn ich mal nicht nur an ein Objekt, sondern an den Raum denke, der in meinen Augen auch viel mehr Bedeutung haben müsste.
Architektur
Der hier vielerorts geäußerte Wunsch nach historisierender Architektur erschließt sich mir nicht. Das Gelände war über die Jahrhunderte bis zur Bebauung mit der Burgpassage ein feuchtes Niemandsland und lag entsprechend zwischen den Weichbilden als überwiegend unbebauter und untergenutzter Raum dar. Trotz Magdalenen-Kapelle sehe ich für keine Zeitschicht relevante Bausubstanz, an die man anknüpfen könnte.
Die vorgeschlagenen Fassaden, die ich bis heute nur als weiße Klötzchen kannte, gefallen mir gut. Ich finde es logisch und angemessen, eine massive Fassadenarchitektur zu schaffen, die hier und da Anklänge an die vorletzte Jahrhundertwende zeigt. Mir fehlt da nichts.
Der Ruf nach einer komplexeren Dachlandschaft ist auch so ein Fall einer Objektdiskussion. Vier oder fünf Meter von einer viergeschossigen Fassade entfernt, kann ich keine Dachlandschaft erkennen. Das geht nicht ohne Röntgenblick. Bei den Proportionen der Gasse machen Satteldächer, Erker, Gauben, oder gar für Braunschweig gänzlich untypische "Spitzgiebel" keinen Sinn und würden den Raum nur negativ beeinflussen. Bei den schmalen Proportionen möchte ich nicht noch einen Dachüberstand als zusätzliche Verschattung haben.
Die Situation am Hutfiltern ist gewöhnungsbedürftig, aber erträglich. Zwar wird der Durchgang höher und Bausubstanz geht verloren, dafür verschwinden die "Ausfahrkeile" an den Seiten. Die Fassade wirkt auf mich so stimmiger als heute. Eine Verwendung von Spolien fände ich für die neuen Fassaden wünschenswert.
Sonstiges
Der Aspekt, dass eine monofunktionale Handelspassage einem gemischtgenutzten Komplex aus mehreren Gebäuden weicht, findet in meinen Augen viel zu wenig Beachtung und Lob. Die Innenstadt krankt an zu großen Einheiten und an der einseitigen Ausrichtung auf den Handel. Hier wird mal was richtig gemacht und die Effekte eines verstärkten Wohnens alleine überwiegen für mich schon die Verluste an Bausubstanz.
Ich möchte auch anregen, den Vergleich mit dem Handelsweg zu ziehen und nicht mit anderen Einkaufsstraßen. Auch dieser hat eine Nutzungsmischung, und sehr massive Architektur bei hohen Proportionen. Ich mag die Situation dort sehr gerne und kann mir die Burggasse tatsächlich besser vorstellen. Die Proportionen sind Großstädtischer, aber angenehm intim.
Was mir fehlt
Perspektivisch sollte man einen Durchstich durch das Karstadt-Sporthaus versuchen zu realisieren. Zwar reduziert das die Passantenfrequenz in der Burgpassage, würde den ganzen inneren Blockbereich aber öffnen. Hier sehe ich Potenzial für eine "ruhige Ecke", wenn man sie denn erschlösse.
Eine moderne Verkehrsplanung, die im Innenstadtbereich mal auf eine Tiefgarage verzichtet. Das würde die Klientel, die dort mal einziehen möchte schon mal positiv beeinflussen.
Fazit
Ich sehe nach meinen ersten Eindrücken und danach folgender Überlegungen á la "wie würde ich es machen" mehr positives, als negatives. Ich habe immer einen guten Eindruck vom Büro Welp/Klitzing gehabt und vertraue den Kollegen auch, wenn es um qualitätvolle Architektur geht. Ich freue mich auf ein Projekt, das mal etwas anderes bietet, als die ganzen Shopping-Mall, nämlich kein Objekt, sondern einen Raum und deshalb wird das auch gelingen.
VG Dvorak