Rund um Kudamm und Tauentzien
Zitat von Booni
@ Cinerama: Wenn du mich schon zitierst werd ich wohl mal drauf eingehen müssen.
1. Europapalast heißt Europacenter, sorry, war wohl durch Royal-Palast irritiert. Das Europa-Center ist ein absolut häßlicher Klotz an einem der häßlichsten Plätze Berlins (und vorm Krieg einer der schönsten). Der Royal-Palast stammt meines Wissens ebenfalls aus dieser Zeit und kann daher gerne weg.
3. Wie gut, dass du eine solche Kinokompetenz besitzt um zu wissen, dass die Lichtburg ein"konservativer, neoklassizistischer und eklektizistischer Bau der frühen Nachkriegzeit" ist. Wie wärs wenn du dich mal informierst, bevor du solche Aussagen triffst, denn die Lichtburg ist weder neoklassizistischer noch eklektizistisch sondern ein bedeutender Bau der frühen Moderne (eröffnet 1928) dessen teilweiser Wiederaufbau im Stil der 50er-Jahre keine grundlegenden Änderungen mit sich brachte bis auf eine veränderte Decke und Bühne sowie einen verkleinerten Rang. Insbesondere das Foyer ist ein Musterbeispiel der Neuen Sachlichkeit.
... anstatt den Royal-Palast hätte man besser das Marmorhaus oder die Filmbühne Wien retten sollen!
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Nicht nur ein Fassade, sondern auch die funktionale und sozial-kulturelle Nutzung eines Objekts wäre einmal zu diskutieren. Ich habe nichts gegen schöne Fassaden, und auch das jetzige Europa-Center ist keine Augenweise (wenn auch weniger amorph im Vergleich zu der Potsdamer-Platz-Arcaden-Architektur).
Mich macht es aber tief betroffen, dass in einem Forum der Architekturexperten so leichtfertig von einer derzeit unattraktiven Kinofassade (der 1995 leider umgebauten ROYAL PALAST-Fassade) eine Legitimation zum Abbruch von Filmtheatern zugunsten amorpher Elektronik-Kaufhäuser geschlossen wird. Die Aussage, das MARMORHAUS sowie die FILMBÜHNE WIEN hätte man eher erhalten sollen, teile ich nur bedingt. Auf den Ereigniswert der „Schaukultur“ zu schliessen, sicher weniger. Explizit wurde der ROYAL PALAST als "Sehmaschine" gebaut: wer dort die heute rare Gelegenheit hatte, bis Ende der 1970er Jahre Monumentalfilme im 70mm-Format auf einer 33 Metern breiten, stark geschwungenen Konkavbildwand zu sehen, wird diese Eindrücke zeitlebens nicht mehr vergessen. Dieses Kino wurde als vollkommenes "Bild- und Klangkraftwerk" konzipiert, sozusagen ein Vorgänger der heutigen IMAX-Theater: allerdings mit einer Breitleinwand. Diese Qualität kann ich anderen Häusern, wie etwa dem ZOO PALAST oder der essener LICHTBURG als Filmhistoriker leider nicht zuschreiben.
Auch gilt es zu berücksichtigen, daß der ROYAL PALAST durchaus bis 1995 eine attraktive Fassade besaß. Die Umbausünden von 1995 nunmehr ex post dadurch zu legitimieren, in dem man ganz leger den Abriss des gesamten Kinkomplexes fordert, finde ich unverhältnismäßig. Selbst die Bezirkspolitiker, in deren Fraktionen ich mehrere Aussprachen hatte, befürworteten eher einen Kinobetrieb, sofern ein Nachmieter sich fände (aufgrund der Europa-Center-Mieten und der dortigen Unwilligkeit hat sich dies zerschlagen).
Somit bitte ich einmal einen Blick auf folgende Fassadenfotos zu werfen und diese in Relation zu einem Elektronikkaufhaus (wo „nach 20 Uhr erneut die Lichter ausgehen“) zu setzen:

Ich glaube nicht, dass eine Profan-Archtektur, wie die von Herrn Tchoban, Millionen Besucher in dem Masse unterhält und begeistert, wie es der frühere ROYAL PALAST vermocht hatte. Allein die soziale Degression, künftig als Saturn-Kunde via Handies und DVDs „Kino zu Hause – besser als richtiges Kino“ erleben zu müssen, macht mir Angst und Bange um die Rezeptionskultur in diesem Lande.
Zur Architektur gehört ebenso auch Seele und vor allem Inhalt. Potsdamer-Platz-Architektur nunmehr am Breitscheidtplatz ist für uns, die in Berlins City-West vor 40 Jahren aufgewachsen waren, ein erschütterndes Dokument des schnellebigen Zeitgeistgeschmacks und des Raubbaus an der Lebensqualität (Kultur & Soziales) im Herzen Berlins.
Eine Debatte aus Sicht der Kinoleute zum ROYAL PALAST im Europacenter findet sich für interessierte Leser in folgendem Forum:
http://forum.filmvorfuehrer.de…=0&postorder=asc&start=15
Dort ist die Auffassung eines Kollegen interessant, der durchaus auch kritische Betrachtungen zur essener Lichtburg vornimmt:
die Antwort auf die Frage, warum man in Essen eine "Lichtburg" retten kann, und andere Paläste nicht, ist gar nicht so schwer. Kino politisch gilt in der BRD als "Privatwirtschaft". Kultureller Anspruch wird dem Kino vollständig, von Alibibeteuerungen einmal abgesehen, seit dem Ende des 2. Weltkrieges abgesprochen. Sicherlich, mag da die un-Heil-volle Zeit mit ihrem Göbbelsschen Anspruch, "dem Film- und Kinowesen endlich jene Bedeutung zukommen zu lassen, die es verdient", ein Argument dafür sein, welches ich aber nur bedingt gelten lassen kann, war doch schließlich 1945 in der BRD kein Neubeginn, sondern lediglich die Fortführung von "1000 Jahren" unter neuen Namen zu verzeichnen.
Lichtburg ist der Typus eines 1950 im Stile der 30er Jahre (wieder) erbauten Film- Theaters, welches ein klassizistisches, verspieltes Ambiente als Hauptmerkmal zu bieten hat. Durch das Vorhandensein einer Multi- Funktionsbühne wird auch Bühnenschauen eine Möglichkeit eingeräumt, derartige Theater sind in den meisten Fällen immer ein (fauler) Kompromiß.
Im Gegensatz dazu beschränken sich Royal- und Europapalast (wie auch alle Anderen Vertreter) auf eine sachlich, funktionalistische Gestaltung des Zuschauerraumes, die vollständig die Filmwiedergabe und bestmögliche Rezension eines (Groß-)Filmwerkes in den Vordergrund stellt. Der Bau erfolgte alleinig unter der Maßgabe, Filmgenuß in reiner Kultur als Spektakel zu ermöglichen.
Während Lichturg ein klassisches Großstadtgebäude mit Sandsteinfassade und Zierelementen aufweist, ein an Sich sichtbares Stück Stadtarchitektur, welches Honoratioren aller Koleur eine Identifikation ermöglicht, verschwinden die Großbildtheater in den Betonstrukturen neuzeitlicher Büro- oder Geschäftszentren der 60er Jahre. Ähnlich Fabrikkanlagen verbirgt sich dahinter für viele Menschen eine nicht unbedingt erhaltenswürdige Architektur.
Noch unverständlicher müßte eigentlich die Sache werden, wenn man bedenkt, daß Säle wie Lichtburg aus akustischen und projektionstechnischen Gründen eigentlich gar nicht zur Filmwidergabe geeignet sind, das dort erzielbare Filmerlebnis ist von der Sache her nie so intensiv, wie in einem Saal der Großbildtheater.