Also ich wäre hier auch vorsichtig mit Aussagen. Vor 10 Jahren hat man sich gefreut, dass die Stadt nicht mehr Einwohner verliert. Vor 7 Jahren freute man sich, dass die Stadt wieder wächst. Und vor ca. 5 Jahren zog die Dynamik so an, dass man seit ca. 3 richtig boomt. Seit nun ungefähr 2 Jahren ist klar, dass Leipzig nicht mehr nur aus dem direkten Umfeld zieht sondern auch aus ganz anderen Gegenden Deutschlands. Seit 2014 befindet sich das Levante in einer extremen humanitären Krise. Von welcher nun auch die besser vernetzte und internationalere Stadt Leipzig auch nicht verschont (nicht negativ) wird. Desweiteren sind die wirtschaftlichen Kennzahlen seit ca. 2008/9/10 sehr positiv was die Arbeitsmarktentwicklung angeht. Jetzt wäre ich gerne OB in Leipzig und ließe mir von Ratschlägen die Schultern weich klopfen...
Worüber diskutiert man da eigentlich? Bis vor wenigen Jahren war die Stadt nicht in dieser Situation, in welcher sozialer Wohnungsbau dringend erforderlich war. Dazu eine Sparpolitik, welche vom Bund über die Länder an die Kommunen weiter getragen werden. Selbst wenn man im Rathaus nun von einem dauerhaften Wachstum der Stadt bis 700.000 Einwohner ausgeht, bedeutet es noch lange nicht das der Freistaat hier mitzieht. Und dies tut dieser nicht. Jetzt wollen alle sozialen Wohnungsbau, soziale Einrichtungen, Bildungseinrichtungen, neue Infrastrukturprojekte, trotzdem eine grünere Stadt, etz. etz. etz.
Die Stadt versucht hier sehr viel. Es gibt die Planungen für die Stadt mit 700.000 Einwohnern, neue Bauprojekte werden versucht zu schultern, es gibt mehr Bürgerbeteiligung, und man will trotzdem noch die Schulden senken um mehr Handlungsspielraum zu erlangen. Das ist wahnsinnig viel auf einmal und kann schon logistisch nicht in einem halben Jahrzehnt verwirklicht werden.
Was mich an der "Rechnung" von Simons etwas stört sind so einige Dinge welche zwar kontextualisiert werden, aber nicht aufeinander reagieren. Bei dem derzeitigen Wachstum der Stadt frage ich mich sowieso, wie hier das Lohngefüge so stark steigen kann? Desweiteren nervt diese permanente Simplifizierung des Wachstums Leipzigs auf das Mietniveau. Der Stadt fehlen in etlichen bereichen mittlerweile Arbeitskräfte und das nicht nur im verarbeitenden Gewerbe und im niedrigen Dienstleistungssektor. Auch Finanzinstitute und Institute suchen nach Fachangestellten und Akademikern. Außerdem gibt es gegenwärtig keine starken Gentrification-Prozesse welche eine starkes Gefälle zwischen den Satelliten wie Grünau und den Innenstadt nahen erkennen lassen. Vielmehr kristallisieren sich die ehemaligen "gehoben" Stadtviertel und die Studenten sowie Kreativen revitalisieren die alten Industrieviertel.
Hier werden zu viele Dinge - welche ohne Frage in der Masse Probleme aufkommen lassen - zusammen vereint. Obwohl diese einzeln bearbeitet werden müssen. In Leipzig gibt es die Problemfelder des Investitionsstaus im Schul- und Kitaneubau, einen aufkommenden Druck im sozialen Wohnungsbau, einen anhaltenden Zuzug von jungen Menschen, einen anhaltenden Zuzug von Arbeitnehmern, eine zunehmenden Migration aus anderen Staaten und Kontinenten, und einen Investitionsstau in Infrastruktuprojekten. Alles muss man auch einzeln betrachten, ansonsten verfängt man sich in einer Verallgemeinerung der ganzen Zusammenhänge. Dabei von unwilliger Politik zu reden halte ich für schlichtweg falsch!