Zukunft des Rathausforums / Marx-Engels-Forums

  • Im Gegensatz zum 3. Reich hat es die DDR zwar noch geschafft, das BGB durch ein ideologisches Zivilgesetzbuch zu ersetzen, aber erst 1976, bis dahin galt "kapitalistisches" Eigentumsrecht auch in der DDR fort, naja zumindest gem. BGB. Da ist natürlich die Frage, wann formal die letzte Enteignung war, vor oder nach Inkraftsetzung des DDR Zivilgesetzbuches?! Im Zweifel sagt einem das nur ein Blick ins Grundbuch.


    Falls davor: man wird es sich vermutlich irgendwie hingedreht haben. Ganz koscher, unter korrekter Einhaltung des BGB, kann es zumindest nicht gelaufen sein. Siehe § 903 BGB, wo seit dem 1.1.1900 festgehalten ist "Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und Andere von jeder Einwirkung ausschließen." (später kam noch die Ergänzung mit den Tieren, die ist hier aber nicht relevant). Abweichend von der üblichen Nomenklatur des BGB gilt dies auch tatsächlich nicht nur für bewegliche Sachen (Mobilien) im Sinne des BGB sondern auch für Immobilien. Dabei kann ich mir keine gesetzliche Grundlage vorstellen, die eine staatliche Enteignung rechtfertigt um eine einfache, innerstädtische Grünfläche anzulegen, ohne dabei Willkürherrschaft zu üben. Zumal die DDR in ihrer eigenen Verfassung stehen hatte "Das persönliche Eigentum der Bürger und das Erbrecht sind gewährleistet." (Art. 11 Absatz 1); während da ja auch viele andere Dinge standen, die der Staat ignoriert hat ("Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht, den Grundsätzen dieser Verfassung gemäß seine Meinung frei und öffentlich zu äußern."; "Niemand darf benachteiligt werden, wenn er von diesem Recht Gebrauch macht."; "Die Freiheit der Presse, des Rundfunks und des Fernsehens ist gewährleistet."; "Alle Bürger haben das Recht, sich im Rahmen der Grundsätze und Ziele der Verfassung friedlich zu versammeln."). Wobei man auch in der DDR deutsch-gründlich war, so steht in der DDR Verfassung doch tatsächlich "Rechtsvorschriften dürfen der Verfassung nicht widersprechen. Über Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von Rechtsvorschriften des Ministerrates und anderer staatlicher Organe entscheidet der Staatsrat.", eine Verfassung, die sich soviel Mühe gibt den Anschein von Rechtsstaatlichkeit zu erzeugen und dann doch recht unverblümt die Diktatur der Staatsführung zementiert, liebe Leute, das ist deutsche Gründlichkeit. Also, wenn Honi es so wollte, dann galt auch das Eigentumsrecht nix mehr. Legal, illegal, scheißegal. ;)


    Dabei ist halt die Frage, ob man das so gelten lässt oder nicht nach heutigen Maßstäben neu bewerten muss. Der Staat ist nur gezwungen, den Gesetzesstand zum Zeitpunkt des zu prüfenden Gegenstandes einzuhalten, wenn er zu Lasten eines Bürgers handelt (zB Rückwirkungsverbot im Strafrecht). Aber der Staat kann sich eigentlich gerade nicht selbst davor schützen, sich ggf. rückwirkend korrigieren lassen zu müssen. Nur, juristisch lässt man die Regelungen im 2+4 Vertrag zu Enteignungsfragen gerichtlich gelten, sodass es keinen juristischen Weg für die Alteigentümer gibt.


    Aber gesetzliche Regelungen sind nur der Mindestrahmen für eine Gesellschaft, ich denke schon, dass es politisch und moralisch angezeigt wäre, zu einer echten Aufarbeitung zu kommen. Wie die auch im Detail aussehen mag. Mich stört deswegen, dass im Beteilugungsprozess komplett über diese Vorgeschichte des Areals hinweg gegangen wurde.

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  • Danke an Camondo für den Link zur hilfreichen Ausstellung von Benedikt Goebel. Diese wird im übrigen in der kommenden Woche in New York erneut gezeigt.


    Nicht nur in Berlin sondern auch in Potsdam und anderen Städten wurden die historischen Kerne von Sozialisten beider Lackfarbe enteignet - mal angreifbarer, aber auch mitunter rechtlich korrekt (gegen beschämend geringe Entschädigungen). So ist die Republik gewöhnt über die Stadtkerne als öff. Eigentum zu verfügen, was ja nie so war. Hier ergibt sich - ob gewollt oder nicht - eine direkte Linie vom NS-Staat über die DDR zur Bundesrepublik.


    Kleinere Reurbanisierungsvorhaben nun als "Privatisierung" zu verunglimpfen ist zwar taktisch klug aber führt langfristig nicht weiter.

  • Mittlerweile wurde die Langfassung der Bürgerleitlinien online gestellt. Herausgekommen ist ein langes Papier, dass die Diskussionen im Rahmen der Stadtdebatte recht gut wiedergibt. Besonders freuen mich die Aussagen zum Neptunbrunnen auf S. 22.


    http://stadtdebatte.berlin.de/…itlinien_final_screen.pdf


    Ich bin der Meinung, dass die Bürgerleitlinien einen großen Fortschritt darstellen und dass die Stadtdebatte uns ein großes Stück vorangebracht hat. Wenn ich bedenke, wie kontrovers die Positionen noch vor einem Jahr waren, und wie groß jetzt die Gemeinsamkeit ist, selbst zwischen SPD und CDU, dann ist der Fortschritt unbestreitbar.


    Daher bin ich sehr optimistisch, dass die Bürgerleitlinien auch im Abgeordnetenhaus eine Mehrheit finden werden und dass die jahrelangen Endlosschleifen aufhören werden. Ich denke, dass wir Berliner stolz auf diesen Erfolg sein können.

  • Bürgerleitlinien

    Die von Bato zitierten Punkte sind entweder inhaltsleere Worthülsen und klassische Polit-Nullsätze oder kündigen lediglich kosmetische Korrekturen des überkommenen Zustandes an


    Ich finde hier tut Saxonia der extrem positiven Leistung von SBD Lüscher und Senator Geisel Unrecht.
    Meines Erachtens fehlt in den Leitlinien nur noch ein Punkt um der Berliner Mitte das absolute I-Tüpfelchen zu verpassen.
    11. Durch den beständigen Fortschritt des Klimawandels wird die "Grüne Oase" der Berliner Mitte ein Ort sein an dem die Berliner/innen und Besucher/innen immer gutes Wetter genießen werden können.

  • @ Klarenbach: D.h. du bist mit dem Verbleib des Neptunbrunnens vor dem Rathaus einverstanden? Auf Seite 22 wird nur von einer Einbettung in ein Gesamtkonzept geredet, während auf Seite 23 gesagt wird, dass nur eine Minderheit der Beteiligten eine Verlegung des Brunnens zum Schloss befürwortet hat.

  • Die Formulierung auf S. 22 lautet: "Sowohl die Spree samt Uferbereich als auch die Wasserkaskaden vor dem Fernsehturm und der Neptunbrunnen sind in ein Gesamtkonzept für Wasser- und Grünflächen integriert und werden miteinander in Beziehung gesetzt."
    Da die Bürgerleitlinien ja nur den Bereich Rathausforum / Marx-Engels-Forum betreffen, bedeutet diese Formulierung, dass der Neptunbrunnen Teil dieses Gebietes bleiben soll. Das finde ich sehr erfreulich.


    Ansonsten sind die Bürgerleitlinien nicht das Werk von Frau Lüscher oder Herrn Geisel, sie sind das Werk der vielen Bürger, die sich an der Stadtdebatte beteiligt haben. Auch denke ich nicht, dass die Bürgerleitlinien unrealistisch sind. Die Punkte, die dort formuliert werden, sind allesamt realisierbar.

  • Den Verbleib des Neptunbrunnens lediglich von einer Diskussion abhängig zu machen, die sich mit der zukünftigen Gestaltung des Rathausforums auseinandersetzte, halte ich für undredlich.


    Bei einem ähnlichen, leider ausgebliebenen Bürgerverfahren für die Gestaltung des Schlossumfeldes hätte sich mit ziemlicher Sicherheit eine überwältigende Mehrheit für eine Rückversetzung des Neptunbrunnens auf den Schlossplatz ausgesprochen. Einfach weil das teilnehmende Klientel sich bei der Thematik Schlossplatz ganz anders zusammensetzen würde. Warum hätte bspw. ein Schlossenthusiast am Verfahren für das Rathausforum teilnehmen sollen, wenn durch Denkmalschutz und andere Verlautbarungen verantwortlicher Köpfe schon von vornherein feststand, dass hier weder eine Quartiersbebauung noch eine Umsetzung des Brunnens erfolgen wird?

  • Neptunbrunnen, da fängt es schon an. Das war eine DDR Umbenennung, denn eigentlich hieß (und heißt) dieses Gesamtkunstwerk schlicht Schlossbrunnen. Ursprünglich gewidmet dem Kaiser, daher wurde er offiziell seinerzeit auch oft Kaiserbrunnen genannt, aber damals haben die Berliner ihren Sprachgebrauch noch nicht von der Obrigkeit bestimmen lassen, in allen zeitgenössischen Quellen, vom Ende des 19. Jh. bis zur Umsetzung nach Sprengung des Stadtschloss, wurde er üblicherweise stets Schlossbrunnen genannt. In Fachkreisen wie zB Architekturführern aus der Weimarer Republik sprach man oft noch vom Begasbrunnen, nach dem Schöpfer Begas.


    Aber Neptunbrunnen, das ist wie gesagt eine Neuschöpfung der DDR, um den Brunnen zum bezugslosen Ornament zu "banalisieren" und die Erinnerung an das alte Schloss bestmöglich, schon im Namensgebrauch, aus dem Stadtleben zu tilgen (warum man dann nicht auch konsequenterweise gleich den Schlossbrunnen mit zerstört hat - die größere Kulturbarbarei, das substantiell noch nicht verlorene Schloss restlos zu vernichten, wurde ja schon begangen - dazu habe ich leider keine Quelle, vielleicht war es so simpel, wie "da ist nun diese Brache und wir müssen die mit irgendwas füllen, versetzen wir doch den Brunnen und nennen ihn einfach um, das passt schon").


    Und damit wäre die Debatte dann nämlich auch gelaufen. Der Schlossbrunnen gehört selbstverständlich wieder an's Schloss, fertig aus.


    Wenn man dann noch an anderer Stelle das einzig Richtige macht, nämlich den Familien die Grundstücke wieder zu geben, die ihnen in NS Zeit und von der DDR entrißen wurden, weil sich beide Staatsführungen dort jeweils selbst inszenieren wollten (der NS Staat hat es nur nie geschafft, "Germania" wirklich umzusetzen, die DDR hatte mehr Zeit, sich mit Rathausforum und MEF monumental zu inszenieren, mit Fernsehturm und PdR an beiden Enden dieses Berliner "Roten Platzes"), dann drängt sich auch der letzte Schritt auf, nachdem der Brunnen und die leere Weite zwischen Schloss und Fernsehturm von den rechtmäßigen Eigentümern wieder kleinteilig gestaltet wird. Rekonstruktion einer kleinteiligen Bebauung zumindest in ihren Dimensionen, gern auch mit moderner Architektur am einzelnen Objekt, somit steht die Marienkirche nicht mehr seltsam bezugslos am Rande einer Brache, sondern ist wieder städtebauliches Zentrum eines innerstädtischen Wohnviertels mit etwas Gewerbe und Gastro im Erdgeschoss.


    So sieht Stadt aus. Dann müssen sich natürlich die ganzen Wünsche, dieses Gebiet zur Projektion einer Herrschaftsordnung zu benutzen, in Luft auflösen. Und das wäre immer noch der größte Sieg der Freiheit über die lange Berliner Geschichte der Unfreiheit. Alltagsleben statt Repräsentation und menschenverkleinernde Monumentalität.

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  • ^ Wieso stellt es denn eine Banalisierung dar, wenn man einen Brunnen, der Neptun zeigt, Neptunbrunnen nennt? Bezugslos ist doch vielmehr der Name Kaiser- oder Schlossbrunnen für eine Neptun-Darstellung. Aber klar, den Namen hat sich irgendwer in der DDR ausgedacht - muss sich also um ein Vebrechen handeln! :rolleyes:


    Ornament ist das Ding übrigens von Anfang an gewesen: Ende des 19. Jahrhunderts war die Zeit der ernstzunehmenden allegorischen Plastik schon längst vorbei. Diese Kunstform gehört in den Barock. Der zwei Jahrhunderte später entstandene Neptunbrunnen mag künstlerisch anspruchsvoller sein als der übliche wilhelminische Brachialkitsch – Historismus bleibt er dennoch.

  • Nennen Sie es nicht "Banalisierung", sondern einfach "Verschleierung". Das kommt dann nicht nur der Historie dieses Brunnens, sondern auch dem Zustand der gesamten Brache, die über der Keimzelle Berlins wuchert, am nächsten. Tabularasa vergleichbaren Ausmaßes findet sich eigentlich nur noch in Kaliningrad-Königsberg. Dass aber eine Nation die eigenen (sic!) Wurzeln in dieser Radikalität zu vertilgen versucht, ist ein (deutsches) Unikum.

  • ^^ fast bin ich geneigt, hier von Wortklauberei zu sprechen, möchte aber darauf verweisen, dass zumindest im Allgemeinen ein Schloss nebst zugehörigen Schossanalgen im Bewusstsein einer Stadt bzw. der Bewohner einer Stadt einen anderen Stellenwert hat, als ein beliebiger Brunnen, sei er auch noch so schmückend, dies alleine hat. Der Brunnen war historisch Teil eines Ensembles, wurde als Teil eines Ensembles vom Urheber geschaffen und nun hat man die Chance, das Ensemble wieder zusammen zu fügen, denn gleichzeitig wird derzeit das Schloss (der Fassade nach) rekonstruiert. Diese Trennnung von Schloss und Brunnen dennoch fortzuführen erscheint einfach nicht logisch. Und wo einfache Logik Dinge nicht mehr erklären kann wirkt üblicherweise "Ideologie". Man mag hier eine Art passiv-agressiven Widerstand der prinzipiellen Rekogegner vermuten, die schon über die Schlossreko not amused sind und nun "wenigstens" verhindern wollen, dass der Schlossbrunnen wieder zu einem Brunnen am Schloss, also das Ensemble annähernd wieder komplettiert, wird.


    Diese Verbindung zwischen Brunnen und Schloss, die namentlich geronnen war, die auch den Urheber zu seinem Werk - nämlich in Bezug auf die vorgesehene, spätere Umgebung - inspirierte, die wurde durch die Umbenennung in der Tat "verschleiert". Man muss sich bei oktroyierten Umbenennungen von Objekten ja immer fragen was damit bezweckt wird, das fiel der Obrigkeit ja nicht spontan und grundlos ein (dass der Brunnen Neptun zeigt - na und? - sprechen wir jetzt vom Quadriga-Tor, statt Brandenburger Tor, weil das Bauwerk die Quadriga in die Höhe hebt und sozusagen "zur Schau stellt"? Ähnlich seltsam ist die Umbenennung des Schlossbrunnen).


    Auch kann niemand ernsthaft bestreiten, dass es einen Einfluss auf die Bürgerdiskussion hätte, wenn man vom Schlossbrunnen spricht, anstatt vom "Neptunbrunnen"; dass Gegner der Brunnenversetzung die Suggestivkraft der Bezeichnung "Schlossbrunnen" ablehnen kann ich sogar nachvollziehen. Aber das ist die ehrliche, authentische Bezeichnung des Brunnens und wenn davon eine Suggestivkraft ausgeht, dann ist die vielleicht sogar ganz angebracht!


    Der Schlossbrunnen gehört an das Schloss, wenn es nun zumindest der Fassade nach und somit im Stadtbild Berlins rekonstruiert wird. Das ist eine simple Folgerung. Hochgradig absurd wäre es hingegen, den Schlossbrunnen dort zu belassen, wo er jetzt ist, obwohl es das Schloss wieder gibt (nur übertroffen vom Vorschlag, den Schlossbrunnen zu replitzieren und am Schloss aufzustellen und den "Neptunbrunnen" zu lassen, wo er ist). Von hinten her gedacht müssen in meinen Augen eigentlich die Gegner der Brunnenumsetzung gut begründen, warum man den Brunnen nicht umsetzen sollte. Aber so wird die Debatte nicht geführt. Sie wird geführt, als sei die fortgeführte Trennung von Schloss und Schlossbrunnen das Normalste und Selbstverständlichste der Welt. Eben absurd!

  • Das Stadtschloss wurde 1716 fertig gestellt und bestand dann 175 Jahre ohne Neptunbrunnen. In intakter Form mit Neptunbrunnen bestand es dann nur 54 Jahre. Daher wird man kaum behaupten können, dass das Stadtschloss auf den Neptunbrunnen angewiesen wäre.


    Das Rathausforum existiert dagegen bereits 47 Jahre, und das von Anfang an mit Neptunbrunnen. Daher ist es völlig richtig, wenn auch die Berliner Denkmalpfleger den Neptunbrunnen als integralen Teil der denkmalgeschützten Freiflächengestaltung des Rathausforums betrachten. Eine Umsetzung des Neptunbrunnens wäre daher ein Kulturfrevel, ganz abgesehen davon, dass der Neptunbrunnen auf dieser stark befahrenen Straßenkreuzung an der Breiten Straße nicht attraktiv wäre.

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  • Neptunbrunnen, da fängt es schon an. Das war eine DDR Umbenennung, denn eigentlich hieß (und heißt) dieses Gesamtkunstwerk schlicht Schlossbrunnen. [...][/I]


    Interessanter Punkt. Obwohl mir schon bewusst war, dass auf Postkarten meist "Schloß-" oder "Begasbrunnen" stand, hab ich mir darüber, wann genau der Umschwung zu "Neptunbrunnen" erfolgte, noch keine Gedanken gemacht.
    Ich hab kurzerhand mal die DDR-Presse (hauptsächlich ND u. BZ) nach den Stichwörtern Schloß- bzw. Begas oder Neptunbrunnen durchsucht. Die Begriffe wurden nach 1945 anscheinend simultan verwendet, wobei man bisweilen schon hinzufügte, Begas oder Schlossbrunnen sei eher den älteren Leuten noch geläufig. Neptunbrunnen hingegen sei die eher volkstümliche Bezeichnung, die sich dann als das Schloss gesprengt wurde, auch stärker durchsetzte. Bei den Berichten zur Wiederaufstellung ab 1968 und schon bei der 25 Jahre andauernden Diskussion um den Ort der von offizieller Seite immer wieder versprochenen Wiederaufstellung, ist hingegen auch wieder häufig Begasbrunnen zu lesen. Das Werk des wilhelminischen Bildhauers wurde hochgelobt, obwohl die gleichen Verantwortlichen nach 1945 einen Großteil seiner Arbeiten vernichten ließen, ziemliche Ironie. Die Bezeichnung "Schloßbrunnen" hingegen verschwindet fast völlig.



    Ornament ist das Ding übrigens von Anfang an gewesen: Ende des 19. Jahrhunderts war die Zeit der ernstzunehmenden allegorischen Plastik schon längst vorbei. Diese Kunstform gehört in den Barock. Der zwei Jahrhunderte später entstandene Neptunbrunnen mag künstlerisch anspruchsvoller sein als der übliche wilhelminische Brachialkitsch – Historismus bleibt er dennoch.


    So ein Schmarrn. Eine Allegorie ist eine Allegorie und auf den Barock beschränkt ist sie schon gar nicht. Meeresgott Neptun herrscht in der Brunnenmitte und wird von vier Damen flankiert, die die preußischen Flüsse Rhein, Elbe, Oder und Weichsel symbolisieren. Der Brunnen ist also keine wahllose Ansammlung von schönen Figuren, sondern das Bildprogramm hat eine klare Bedeutung. Ob das jetzt "ernstzunehmen" ist, liegt natürlich im Auge des Betrachters. Viele Bibeldarstellungen aus dem Mittelalter kann ich auch nicht ernst nehmen. Das spielt aber keine Rolle.

  • Der Brunnen mag zwar historistisch sein, beliebig sind seine Stilmittel jedoch nicht. Der Bezug auf die Schlosskulisse ist für den Brunnen wesentlich. Ihn zwischen eine gotische Kirche, einen Fernsehturm und einem Rathaus als „Gemisch aus italisierenden Elementen, märkischer Baukunst, romanischen Rundbogenformen und Renaissancedetails" zu stellen, zeugt von Beliebigkeit, die ihm, lieber Klarenbach, nicht gerecht wird. Der Brunnen ist einfach das Bild und das Schloss der Rahmen. Beide bilden eine ästhetische Einheit. Das eine auf das andere abgestimmt.


    Darüber hinaus wird man auch erwähnen müssen, dass es nämlich auch Kulturhistoriker und Denkmalpfleger waren, die nach 1990 in teils mühevoller Forschung dafür gesorgt haben, dass Kunstgegenstände (und wissenschaftliche Bestände) nach Möglichkeit ihren alten angestammten Platz (so noch vorhanden) in den jeweiligen Häusern einnehmen konnten, der ihnen mit der Teilung Berlins auf unterschiedlichste Weise genommen wurde. Das betrifft Bestände der Schlösserstiftung, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz usw. Die Denkmalpfleger hatten dafür sehr gute Gründe!


    Insofern man sich also für ein "nichthistorisches" Rathausforum entscheidet, sollte man konsequent sein und einen modernen Brunnen schaffen und den Neptunbrunnen/Schlossbrunnen aus dieser Art "Geiselhaft" entlassen. Im übrigen denke ich, dass die Kreuzung Breite Straße/Schloßplatz bei weitem nicht so befahren ist, wie Liebknecht/Spandauer Straße, wie Klarenbach schätzt.


    (P.s.: im Dialogverfahren las ich an keiner Stelle etwas vom Neptunbrunnen in den Leitlinien. Lediglich von Wasserspielen war die Rede. So meine Erinnerung.)

  • In der ersten Fassung der Bürgerleitlinien vom 23.11.2015 ist auch vom Neptunbrunnen die Rede. Dort heißt es:
    "Sowohl die Spree als auch die Wasserkaskaden vor dem Fernsehturm und der Neptunbrunnen sind in ein Gesamtkonzept für Wasser- und Grünflächen integriert."
    Auf dem Abschlussforum am 28.11.2015 gab es dann von der großen Mehrheit der Bürger die Forderung, den Verbleib des Neptunbrunnens noch stärker zu betonen, und die Endfassung der Bürgerleitlinien sind das Resultat.


    Ansonsten gab es keine nennenswerten Kräfte, die ein "nichthistorisches" Rathausforum gefordert hätten, das würde ja nicht nur die Beseitigung des Neptunbrunnens, sondern auch der Marienkirche und des Rathauses erfordern. Vielmehr war die Mehrheitsmeinung, dass gerade die vorhandene Situation mit den unterschiedlichen Zeitschichten sehr reizvoll ist.


    Ansonsten kann man einen Brunnen kaum in "Geiselhaft" nehmen, sondern es ist einfach so, dass die Freunde der Brunnenversetzung einfach nicht die Mehrheit sind. Und man kann ja nun wirklich nicht einen so wichtigen und beliebten Brunnen versetzen, nur weil eine kleine Minderheit es so will.

  • Jetzt kann man sich natürlich an dem Begriff "Geiselhaft" gerne festbeißen...
    Das ändert allerdings nichts am Sachverhalt.


    Ansonsten finde ich den letzten Absatz von Klarenbach doch sehr einseitig bzw. extrem auf seine Sicht bezogen.


    Fakt ist, der "Neptunbrunnen" war Teil der Diskussion, siehe "Rückblick auf die Disskussion" auf Seite 23.
    Fakt ist aber auch, daß die "Bürgerleitlinie 8" die Abschlußformulierung darstellt und darin findet der "Neptunbrunnen" keinerlei Erwähnung.


    Zitat: Bürgerleitlinie 8


    "In der Berliner Mitte wird die Nähe zum Wasser spürbar. Das Spreeufer wird für den Aufenthalt geöffnet, die Wasserkaskaden am Fernsehturm laden auch zukünftig zum Verweilen ein."



    Die Erläuterungen über die möglichen Umsetzungen, siehe...


    Zitat: Wie wollen wir zukünftig die Berliner Mitte erleben?


    Sowohl die Spree samt Uferbereich als auch die Wasserkaskaden vor dem Fernsehturm und der Neptunbrunnen sind in ein Gesamtkonzept für Wasser- und Grünflächen integriert und werden miteinander in Beziehung gesetzt."


    ...sind lediglich unverbindliche Vorschläge zur Umsetzung und deshalb nicht in der abschließenden Bürgerleitlinie formuliert.



    Gruß, Jockel

  • Auch hier finde ich das Ergebnis aus strategischen Gründen positiv:


    Aus meiner Sicht ist die jetzt angestrebte Gestaltung klar temporär. Die Bürgerbeteiligung hat nur sehr geringen Legitimationswert (insbesondere wegen sehr wenigen abstimmenden Beteiligten und geringer Transparenz). Die bisherige Neugestaltung mit billigem Betonpflaster und einfachen Grünflächen wird sich schnell abnutzen und wird selbst nie als erhaltenswert gelten. Lässt man den Neptunbrunnen vorerst an Ort und stelle (statt einen teuren neuen Brunnen zu bauen), so wird der Umzug an den historischen Ort immer im Raum stehen.


    Ich denke auch Lüscher und Geisel sehen in der bewussten Fläche eher eine Reservefläche, die Berlin umgestalten und nutzen kann, sobald andere Bereiche verdichtet und entwickelt sind. Schließlich kann man nicht alles gleichzeitig machen. Aber auch wenn die beiden, das nicht so sehen, wird eine nächste Generation von Verantwortlichen so handeln.


    Also alles in Ordnung. Warten wir erstmals auf das Humboldt Forum und seine Umgebung. Der Landschaftsentwurf, der die nachträgliche Einfügung des Brunnens und anderer Originalkunstwerke ausdrücklich als Option vorsieht, unterstützt meine Vermutung auch. Hier kann man nach und nach handeln, was sehr klug ist.


    Und wir kennen ja unser Berlin: Provisorien halten mindestens 30 Jahre. Planungen für die Ewigkeit halten höchstens 12 Jahre. ;) Und Planungen die nur den Status quo mit ein wenig billigem Lack versehen, kann man Jederzeit kassieren.


    Ansonsten ist das politische Vorgehen schon geeignet Politikverdrossenheit zu fördern: Will man bauen, so schaft man schnell Fakten. Will man den Status quo erhalten, so macht man eine Bürgerbeteiligung. Nach dem Tempelhofdebakel des Senats, werden wir vermutlich viele solche Nebelkerzenaktionen sehen, was nicht gut ist. Obwohl ich die Politik auch verstehe, was sollen sie denn sonst machen?

  • Über das Zustandekommen der "Bürgerleitlinien" ist ja nun viel geschrieben worden. Natürlich kann man dieses Papier der Senatsverwaltung, dass jetzt offenbar in einer Langfassung nochmals den Bedürfnissen der Stadtspitze angepasst wurde, wider besseren Willens als Ausfluss der "Stadtdebatte" bezeichnen - richtiger wird es dadurch nicht. Hier hat die Exekutive aufgeschrieben, was sie im Rahmen eines umstrittenen Verfahrens meinte an Meinungen herausgehört zu haben. Dieses Papier hat die gleiche Exekutive jetzt nochmal eigenmächtig überabeitet.


    Richtig ist allerdings, dass unter denjenigen, die die Debatte führen, die Befürworter einer Rekonstruktion des Vorkriegszustandes keine Mehrheit haben. Nur haben ja auch die wenigsten eine Vollreko vorgeschlagen, sondern stets nur eine Orientierung am Straßengrundriss unter Einbeziehung einiger wertvoller Gebäude.


    Dass nun angeblich große Gemeinsamkeit zwischen SPD und CDU über die "Leitlinien" besteht ist eine weitere Mär aus dem Hause Klarenbach. Warum hat denn der Senat das Papier nicht dem Abgeordnetenhaus vorgelegt, wenn da große Einigkeit besteht? Soweit ich informiert bin passiert da vor der Wahl nix mehr, und bis eine neue Koalition in Berlin arbeitsfähig ist werden wir das nächste Weihnachtfest erleben. So ist das in Berlin: ein Jahr Handlungsunfähigkeit um eine Wahl herum ist normal.


    Was den Neptunbrunnen betrifft müsste das Abgeordnetenhaus entweder die Finazmittel zu seiner Sanierung selbst aufbringen, wenn dieser auf dem Rathausforum verbleiben soll, oder das Angebot des Bundes zur Unterstützung des Umzugs auf den Schloßplatz annehmen. Mal schauen, ob wenigstens hier noch Entschlußfähigkeit des Senats besteht oder ob man auch diese Frage auf die Zeit nach der Wahl verschiebt.


    Ganz prinzipielle muss man einmal mehr sagen, dass natürlich der "Bürgerdialog" interessante Aspekte geliefert hat und in Teilen spiegelbildlich für die Diskussion in der Stadt ist. Die Teilnehmerzahlen, auch an dem "Abschlußforum", lassen allerdings keinerlei Repräsenatvität zu. Deshalb wird sicher auch nichts veranlasst, weil "eine kleine Minderheit" irgendetwas will, sondern nur wenn die zuständige Instanz, nämlich das Abgeordnetenhaus von Berlin, etwas beschliesst. Wäre es nach dem Willen der Mehrheit des "Abschlußforum" gegangen wäre weder das Huboldtforum im Berliner Schloß begonnen noch die Kommandantur rekonstruiert worden.

  • Nach meiner Kenntnis steht ohnehin eine "Kernsanierung" der Brunnenanlage an, die dem Aufwand nach nah an einen Komplettabbau+Wiederaufbau kommt (vgl. zB Sanierung des Unterbaus und der Brunnenstube darunter, da ist auch Tiefbau nötig). Im Zuge dessen hätte es sich einfach wunderbar angeboten den Brunnen dann auch umzuziehen.


    Ich bin ja kein Eiferer, wenn der Schlossbrunnen alias Neptunbrunnen dort, wo er jetzt ist, erst kürzlich für die kommenden Jahrzehnte frisch kernsaniert worden wäre, vom Unterbau bis zu den Figuren, dann würde ich auch sagen "Komm, lass stehen, wir schauen in einigen Jahren nochmal". Aber ich hielte es für einen klassischen Schildbürgerstreich, wenn der Brunnen nun mittelfristig saniert wird (weil er saniert werden muss) und er dann aber an Ort und Stelle verbleibt.


    Und nochmal - stellt euch das mal konkret in einigen Jahren vor. Dann haben wir die Situation, dass das Humboldtforum offen ist, das Stadtschloss im Stadtbild zurück ist, aber der Schlossbrunnen, der auf diese Fassade hin geschaffen wurde, steht an ganz anderer Stelle. Erklärt das mal ohne großes Geschwurbel einem ausländischen Touristen, ohne, dass der die Augenbraue skeptisch hochzieht. Für mich ist es ein no-brainer und ich sehe wie gesagt die Umzugsgegner in der Position, ihre Verweigerungshaltung "verdammt nochmal" stichhaltig begründen zu müssen. Da kam nie was überzeugendes. Der Bundestag stellt sogar 10 Mio. für Sanierung und Umzug des Brunnens bereit, geschenktes Geld für Berlin (der Bundestag bezahlt aber keinen Cent, wenn der Brunnen am jetzigen Standort bleibt und saniert wird - das macht der Bund nur im Zuge einer Umsetzung, als Einmalzahlung im Zuge des Baus des Humboldtforums, weil er ohne eine Sanierung und Restaurierung auch nicht umgesetzt werden kann ohne Schaden zu nehmen; da bahnt sich eine "Bauakademie 2.0" Story an, weil Berlin geschenktes Geld nicht mit einem Dankeschön annimmt sondern lieber ausschlägt und alles so lässt, wie es ist, denn die Mio. für die Sanierung des Neptunbrunnens aus dem Landeshaushalt sind eigentlich nicht vorhanden, höchstens für notdürftige, oberflächliche Ausbesserungen wie in der Vergangenheit, was die Substanz der Brunnenanlage sicher nicht verbessert...).


    Und was den Unterschied zwischen öffentlicher Meinung und veröffentlichter Meinung angeht erzähle ich sicher keine Neuigkeit, dass die Öffentlichkeit wesentlich aufgeschlossener gegenüber Rekos ist, als die Journalisten, die über derlei Themen berichten, als die Architekten, die dazu Stellung beziehen und als die Stadtplaner, die eh am "längeren Hebel" sitzen. Es sind immer Bürgerinitiativen, die sich für Rekos einsetzen, es ist immer die Obrigkeit und das Architekten-Establishment, die diese bekämpft, erschwert und der 20.-Jahrhundert "Moderne" den Vorzug gibt.


    Keine bestimmte Architektur hat Urbanität gepachtet, auch nicht der Historismus, das ewige Mißverständnis ist aber: es geht auch gar nicht um Architektur.


    Es geht um Städtebau. Und der Städtebau des 20. Jh., mit dem die veröffentlichte Meinung hierzulande beselt ist, wird von der Mehrheit der Leute seit Jahrzehnten abgelehnt und hat einen sanierungsbedürftigen Schandfleck nach dem nächsten produziert. Keine Kleinteiligkeit und Vielfältigkeit, sondern möglichst alles mit dem Lineal gezogen und "schön deutsch-ordentlich" auf großformatigen Holzmodellen hingeklotzt. Eben Rathausforum pur. Und nach dem ganzen Aufwand und den Kosten für irgend ein Rumgeflicke am Rathausforum, ohne es grundsätzlich umzukrempeln, sondern bei 20. Jh. Städtebau zu bleiben, ist schon absehbar, wie Konstantin sagte, dass die nächste Neuplanungsdebatte am Horizont erscheint. Das ist doch nicht Stadtplanung für Generationen und Schonung öffentlicher Mittel, das ist Murks.

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  • Das Stadtschloss wurde 1716 fertig gestellt und bestand dann 175 Jahre ohne Neptunbrunnen. In intakter Form mit Neptunbrunnen bestand es dann nur 54 Jahre. Daher wird man kaum behaupten können, dass das Stadtschloss auf den Neptunbrunnen angewiesen wäre.


    Lieber Klarenbach, bitte verdrehe nicht die Tatsachen. Hier im Thema geht es um das Rathausforum, somit mittelbar auch um die Zukunft des "Neptunbrunnens". Es geht hier nicht um das Stadtschloss per se, es geht nur um den Brunnen im Bezug zum Stadtschloss. Deswegen ist auch irrelevant, ob das Schloss vor dem Brunnen gebaut wurde - der Brunnen wurde aber eindeutig vom Urheber als Schlossbrunnen und für den Standort am Schloss kreiert und wäre von Begas ohne Zweifel anders gestaltet worden, hätte er den Auftrag bekommen einen Prachtbrunnen für den Rathausplatz (vulgo "Rathausforum", hätte es diesen Platz damals schon gegeben...) zu entwerfen. Dann hätte er wohl auf den dortigen Leitbau, das Rote Rathaus, Bezug genommen und nicht auf die Barockfassade des Stadtschloss Berlin, auf welches er eindeutig und unbestreitbar Bezug nimmt. Der neobarocke Brunnen wurde aber auf die Barockfassade des Stadtschloss hin kreiert, um damit zu korrespondieren. Ohne diese Barockfassade bleibt der Brunnen als Kunstwerk eigentlich unvollständig.


    Auch die Schule der "kritischen Rekonstruktion" hat deswegen stets vertreten, dass Kunstwerke bei jeder Möglichkeit wieder an ihren ursprünglichen Standord zurückgebracht werden sollten, selbst wenn diese zwischenzeitlich versetzt wurden und man durch das Revidieren von Umsetzungen mittelbar "Zeitspuren" beseitigt. Dennoch ist für deren Wirkung und Verständnis der Originalstandort, für die diese einst vom Schöpfer gemacht wurden, bedeutender - Zeitspuren lassen sich auch durch wissenschaftliche Dokumentation ausreichend sichern und der Nachwelt darbringen. So wurde dies auch rund um das neue, alte Stadtschloss/Humboldtforum mit allen möglichen anderen Kunstwerken gehandhabt. Nur der im Neobarock gehaltene Schlossbrunnen, der gehört "selbstverständlich" nicht zurück vor die Fassade des rekonstruierten Barockschloss sondern muss am ahistorischen Standort, zwischen einem Rundfunkturm und den Plattenbauten der "Rathauspassagen" bleiben. Ist doch wohl klar, dass ich das überhaupt kritisiere, ist doch nur logisch. :lach: