Herrjeh, dein Frust sitzt aber irgendwie tief, du bist wohl nicht freiwillig hier?
Mit Nürnberg gehst du aber wirklich hart ins Gericht. Es gibt viel zu bemängeln, insbesondere die mangelnde Qualität kleinerer Neubauvorhaben, die mich täglich ärgert.
Aber die Stadt ist auch nach meinem Dafürhalten überaus lässig und legér, man kann hier viel bewegen, wenn man sich Mühe gibt und aufgrund der Größe der Stadt - oder besser gesagt geringen Größe der Stadt - kann man sehr bequem in Anspruch nehmen, was einem die Stadt bietet. Hier ist eigentlich ständig was los, immer ist irgendwo ein Fest, eine Ausstellung, kann man irgendwo hingehen, sich mit Freunden treffen, was unternehmen. Und die Fränkische, ich bitte dich, Nürnberg liegt nicht reizvoll? Du brauchst keine 20 Minuten mit dem Rad aus der Innenstadt und bist auf dem Land, mit all den Annehmlichkeiten, die das Land bietet: Wälder, Felder, kleine Dörfer, urige Biergärten, duzende Kärwas (Erntedankfeste), überall Schlösser und Burgen, kleine Brauereien, wunderbare Radstrecken, Wasserwege fürs Kajakfahren, Kanufahren, Klettern, Ballonfahren, wasweissich. Klar, wenn man die Gegend mit dem Auto erkundet schaut das schon langweiliger aus, aber Motorradfahrer lieben die Fränkische.
Also gerade die ländliche Umgebung, die dennoch dicht ist an Kultur und Sehenswürdigkeiten, es ist nie weit in die nächste schöne Ortschaft, und auch dort kann man immer etwas entdecken, soetwas gibt es z.B. um Leipzig herum nicht. Auch Magdeburg liegt da im Niemandsland, und außerhalb von Berlin ist es ebenfalls dünne. Gerade die Lage finde ich an Nürnberg super!
Mit ein paar Freunden hab ich eben bis kurz vor eins im Stadtpark entspannt - der übrigens echt phantastisch geworden ist - und auch das liebe ich an der Stadt. Es dauerte keine 20 Minuten von der Idee bis zum Treffen vor Ort. Kurze Wege, immer ein Plätzchen frei, es lebt sich wirklich sehr entspannt hier.
Allerdings, und das unterschreibe ich vollkommen, fürs architekturinteressierte Auge ist Nürnberg äußerst gewöhnungsbedürftig und wirkt gegenüber dem, was insbesondere im Osten die letzten 25 Jahre entstanden ist, furchtbar.
Die niedrige und durchwachsene Bebauung hat mich anfangs auch sehr gestört, aber das ist okay, das macht ein lebendiges Stadtbild aus, ich brauche keine Metropolenkulisse mehr, die wie aus einem Guss wirkt. Wichtiger finde ich, was man Nürnberg aber nie zu Gute bucht, die Stadt ist äußerst homogen, die Viertel sind sich sehr ähnlich, es gibt keine ausgestorbenen Viertel in denen sich leerstehende Ruinen aneinander reihen, aber es gibt eben auch keine Viertel, bei denen man stundenlang im Architekturrausch herumspaziert. Das eine nimmt man für selbstverständlich, das andere vermisst man aber. Erlenstegen z.B. hat auch ziemlich banale Ecken, für die ich keinen Cent Zuschlag Miete zahlen würde. Das kennt man aus Wannsee oder Zehlendorf so nicht.
Wie gesagt, das alles lernt man mit der Zeit sehr zu schätzen. Hier hat man etwas vom Leben und seiner Zeit, und verbringt sie nicht den ganzen Tag im Stau oder in endlosen U-Bahnfahrten. Aber dieses lieblose in den Details, das einen überall anspringt, das macht sehr viel Ausstrahlung kaputt, da hast du Recht. Da wird unendlich viel Potenzial einfach verspielt. Viele Plätze finde ich nur auf dem Stadtplan - vor Ort sind da nur Mülltonnen und Parkplätze. Diese Betonpoller, schlimm sanierte Fassaden, schreckliche Neubauten, üble Baumarkttüren und Plastikfenster, manchmal ewige Baustellen, viel zu wenig Grün und alles, wirklich alles ist zugeparkt - das ist oft einfach kaum noch zu ertragen. Und als Zeitungsleser muss ich stets aufs Neue zur Kenntnis nehmen, dass man bei der Stadt nicht willens oder in der Lage ist, daran etwas zu ändern. Das es anders geht sieht man aber wenn man andere Städte dieser Größe besucht. Ich finde dazu braucht man auch nicht viel herumorakeln ob hier nun die großen Firmen fehlen oder nicht. Mit knapp 6 % Arbeitslosigkeit ist diese Stadt nicht wirklich einen Armenhaus, und als zweitgrößte Stadt im Freistaat mit ca. 2,5 % Arbeitslosenquote fragt man sich wirklich, wieso Nürnberg arm sein soll. Ein Nürnberger ist bayrischer Finanzminister!
(Ich bin übrigens selbst Zugewanderter und seit 12 Jahren in Nürnberg)