... Treffpunkt der Jugend war "leider" einmal ...
Ich gebe schmerzvoll zu, daß ich längst nicht mehr up to date bin. Dennoch dürfte dieser Platz nach wie vor der anziehendendste Ort in der Altstadt sein, um sich auf offener Straße aufzuhalten. Die Geborgenheit im Schatten der Stadtmauer, die heute ihren Schrecken als Militärbau verloren hat, das Malerische, das weitab von Kitsch eine irrationale Ader bei den Menschen anspricht, das Fehlen optischer Beleidigungen, die Dramatik der Gelände- bzw. Stadttopographie sind nur einige Kriterien, die m. E. diesen Platz zu etwas Besonderem machen.
Das Überleben und Funktionieren historischer Bebauung spricht wohl auch eine im Unterbewußtsein der Menschen vorhandene Fortschrittsangst an. Die Bejahung eines historischen Platzes enthält möglicherweise aber auch eine Kritik an dem Anspruch, heute alles am besten zu wissen, und man nur heute alles richtig macht und funktioniert, und diese alten Häuser überhaupt nicht mehr stehen dürften. Insgesamt mag also eine Infragestellung des radikalen Modernismus im Raume stehen.
Die Wiederherstellung von Plätzen muß für mich gar nicht sklavisch nach historischem Vorbild geschehen. Zwar kann man anhand der fragwürdigen Qualität der heutigen Kreationen durchaus vertreten, daß man mit einer solchen Rekonstruktion immerhin bessere Ergebnisse erzielen würde. Auf der anderen Seite sollte (!) man heute genügend Souveränität haben, um die verschiedenen Aspekte miteinander zu verbinden. Ich weiß nicht, ob die "Aufenthaltsqualität" bei den unzerstörten Plätzen so gut war wie von Dir gefordert. Für mich ist die Aufenthaltsqualität auch nicht das alleinige Qualitätskriterium. Ich denke, es muß Plätze geben, die Aufenhaltsqualität haben, und andere, die nur die Bebauung in angenehmer Weise auflockern. Das Zustellen von Plätzen ist für mich natürlich indiskutabel, da brauchen wir gar nicht drüber reden.
Bezüglich der Aufenthaltsqualität komme ich zurück auf den Tiergärtnertorplatz. Zumindest einige der Plätze, die gerne frequentiert werden, haben insofern etwas gemeinsam: eine leicht ansteigende Platzfläche, ähnlich wie ein Auditorium eines Theaters. Offenbar ist dies unterschwellig einladend und sehr attraktiv für Menschenmengen, um sich zu versammeln. Der Tiergärtnertorplatz hat dies ebenso wie die spanische Treppe, der Domplatz in Siena, und - als modernes Beispiel - der Platz vor dem Centre Pompidou in Paris. Ich würde sicher einige weitere Beispiele finden. Auch läßt sich sicher vielfältig erklären, was die Attraktion ausmacht: die Aussicht auf die Stadt und auf ein Geschehen, das Sehen-und-Gesehen-werden an sich usw. Außerdem ähnelt eine schiefe Ebene noch eher einer Sitzgelegenheit als ein völlig leerer, platter Platz. Zwar können auch solche Plätze Aufenthaltsqualität haben, wie z. B. die Piazza Navona, aber dieser Platz lebt von seiner Randbebauung und den Brunnen - und damit wieder bei Stufen, Balustraden und anderen Sitzgelegenheiten. Die Leute setzen sich auch in Nürnberg nicht aufs Pflaster, sondern auf die Stufen am Schönen Brunnen und am Tugendbrunnen, und ein solcher Brunnen bringt daher an sich Aufenthaltsqualität.
Auch der Bau eines "Amphitheaters" auf einem Platz oder an dessen Rande würde sofort Menschen anziehen, aber das kann auch wieder einen Platz insgesamt beeinträchtigen. Der Obstmarkt könnte durch seine ansteigende Ebene zumindest im oberen Teil zwischen Röslein und Rathaus eine solche "natürliche" Verweil-Ecke bekommen. Ein Brunnen würde sich allerdings auch sehr gut machen.