Stadtgespräch Berlin / dies und das

  • Ich würde dem nicht fundamental widersprechen, aber einige Details sind dennoch einfach kurios unstimmig. Ich bezweifle ernsthaft, dass man dem Mittelalter attestieren kann, menschengerechter gewesen zu sein als nachfolgende Epochen (Ausnahmen gibt es selbstredend). Besonders gegenüber der Bauhaus-Ideologie, die ja vor allem mehr Licht, moderne Materialien und Mut zur Farbe bedeutete, erscheint mir dieser Befund zweifelhaft.
    Zweitens ist die italienische Renaissancestadt, in der erste Ansätze von Stadtplanung im großen Maßstab erkennbar waren, nicht auf die deutsche Stadt im Mittelalter verallgemeinerbar. Diese entstanden eben einfach nach pragmatischen Kriterien, die räumliche Nähe, kleine Gassen und gewundene Straßen hervorbrachte. Heute sind pragmatische Kriterien andere. Dass es keine Autos gab, ist ja nicht automatisch "menschengerechter".
    Drittens driften wir jetzt wirklich von dem Entwurfsthema für das Gebäude ab :) Ich finde es auch sehr vage, was bisher zu sehen ist und bin von einem Gesamtplan für den Bereich noch nicht überzeugt. Vielleicht sollte man wirklich noch ein paar Jahre ins Land gehen lassen und die Diskussionen um die Fläche Alexanderplatz bis Spree abwarten, die jetzt ernsthaft beginnen.


    Grüße, Jan

  • Du vermischt hier das Soziopolitische mit der Architektur. Der Städtebau war, notwendigerweise, ganz auf menschliche Bedürfnisse zugeschnitten. Fußwege mussten kurz sein, man musste das mit der Versorgung irgendwie in Einklang bringen, man musste die Stadt irgendwie warm bekommen, und so weiter. Halt im Rahmen der Möglichkeiten. Du unterstellst mir das eine Extrem, ich würde das Mittelalter idealisieren, um das andere Extrem zu rechtfertigen, das Mittelalter vom Tisch zu wischen und nichts weiter um die Erfahrung der alten Baumeister zu geben. Und was sollen "moderne Materialien" sein? Beton ist auch nichts anderes als ein künstlich hergestelltes Verbundgestein und wurde überdies schon von den Römern im großen Stil eingesetzt - allerdings cleverer als heute, denn manche von diesen Bauwerken stehen noch heute.


    Bauhaus war außerdem nicht eine Antwort auf das Mittelalter sondern auf die Probleme die die Industrialisierung mit sich brachte. Und zum Thema Farbe und Licht, hier mal einige Photos aus meiner Heimatstadt Augsburg:


    Das Rathaus Augsburg, errichtet 1615:
    http://commons.wikimedia.org/wiki/File:A_rathausplatz.jpg
    als Beweis dass es im Inneren alles andere als "eng und dunkel" ausgeschaut hat, der Goldene Saal http://de.wikipedia.org/w/inde…rg_Goldener_Saal_wall.jpg
    und der Eingangsbereich
    http://commons.wikimedia.org/w…own_hall_ground_floor.jpg


    Die Fuggerei, übrigens als Sozialsiedlung gebaut und bis heute als solche genutzt, aus dem Jahre 1516:
    http://commons.wikimedia.org/w…_Fuggerei_Herrengasse.jpg


    Eine weitere soziale Einrichtung, das Heilig-Geist-Spital (Klinik), aus dem Jahre 1623, heute übrigens von der Augsburger Puppenkiste genutzt ;)
    http://de.wikipedia.org/w/inde…ugsburger_Puppenkiste.JPG


    Und zum Abschluß der Kurztour noch ein kleines Panorama der spätmittelalterlichen Maximilianstraße, der Herkulesbrunnen im Zentrum stammt übrigens aus dem Jahr 1600
    http://de.wikipedia.org/w/inde…kulesbrunnen_Augsburg.jpg
    und ein Blick in einen Innenhof eines der dort anliegenden Gebäude
    http://commons.wikimedia.org/w…uggerhaeuser_Damenhof.jpg


    Farbig und hell genug? Früher waren die Fassaden übrigens sogar bemalt. Das hat man nach dem Krieg, wohl aus Kostengründen, nicht wiederhergestellt.

  • bayer: Meine Güte, wie kann man nur so verblendet sein. Glaubst du wirklich, die Bauhaus-Architekten haben irgendwo ein Manifest der Bösartigkeit zwecks geheimer Versklavung aller Menschen mittels inhumaner Architektur?


    Das Bauhaus ist wie so viele Dinge ein Phänomän seiner Zeit. Es enstand wie schon häufiger erwähnt als Gegen-Idee zum herkömmlichen Wohnungsbau in dem Profitinteressen des Investors wichtiger waren als die Wohnqualität. Das solche revolutionären Ideen häufig auch Keim einer weiterführenden Ideologie sein können, ist unbestritten.

  • Ich denke daß hier leider auch immer gerne verkannt wird, daß es DIE Moderne als einheitliches monolithisches Dogma so überhaupt nicht gibt, sondern es ist eher ein Spektrum mit vielen verschiedenen Strömungen, darunter sicher auch der Funktionalismus des klassischen Bauhauses (z.B. Gropius, Mies van der Rohe), zu dem es aber immer auch eine Gegenbewegung von eher organischen, biomorphen Ansätzen gegeben hat, z.b. bei Aalto, Scharoun oder auch Hugo Häring...
    Allein in der "klassischen" Moderne der 20/30er Jahre lassen sich noch mehr verschiedene Ansätze finden, so hat z.B. Bruno Tauts farbiger Siedlungshumanismus mit Bauhaus nichts zu tun (zu bunt, nicht funktionalistisch genug), ebenso wenig Erich Mendelsohns urbane geschmeidig-elegante Großstadtarchitektur (zu kommerziell, zu repräsentativ);
    und die Zeit nach 1945 ist dann wieder eine andere Geschichte, von Wirtschaftswunder-Nierentischbarock über schlanken Minimalismus wie bei Eiermann, Sep Ruf bis Paul Baumgarten, 60/70er Jahre Brutalismus mit rohen, spröden Materialien (z.B. Gottfried Böhms Serie kristalliner Betonmassive in der 60ern) über farbigen, kunststoffverliebten Pop, Strukturalismus und Metabolismus (Team X, Archigram, Kisho Kurokawa u.a.) und sein Abkömmling des High-Tech (Rogers, Foster usw.)...
    Es ist ein weites Feld.

  • Farbig und hell genug? Früher waren die Fassaden übrigens sogar bemalt. Das hat man nach dem Krieg, wohl aus Kostengründen, nicht wiederhergestellt.


    Sicherlich :) Ich habe ja gar nichts dagegen gesagt. Ich wollte nur dem Eindruck entgegentreten, dass alles was irgendwie mit "Moderne" und "Bauhaus" zu tun hat, als üble und dunkle Betonkästen abgetan wird. Dort sollte man ebenfalls differenzieren und findet genauso vorzeigbare Gegenbeispiele gegen "inhumanen Städtebau" wie aus dem Mittelalter.

  • In der Mopo von gestern wird in einem längeren Artikel die Berliner Stadtentwicklungspolitik kritisiert. Wo Städte wie Hamburg (Hafencity), Frankfurt am Main (Europaviertel), München (Arnulfpark) oder Düsseldorf (Airport City) sich auf einzelne Schwerpunkte konzentrierten da gebe es in Berlin gleich sechs große Entwicklungsgebiete (Europacity, Mediaspree, Alexanderplatz, Tempelhof, Tegel und BBI Airport City) die um Investoren wetteiferten. Zudem gebe es noch die vielen kleinen Bauvorhaben in bester City-Lage welche insgesamt dafür sorgen, dass der Bedarf an Büroimmobilien mehr als gedeckt sei.


    Für die Türme am Alex sehe man kaum Chancen und gerade die im Entstehen befindliche Europacity mache den Alex als Bürstandort überflüssig. Aber auch die geplanten Wohnquartiere Tempelhof und in der Europacity stünden in Konkurrenz zueinander. Gleiches gelte für Standorte für Technologie, Gewerbe und Industrie, also Tegel vs Airport City vs Adlershof.


    Kritik kommt auch vom Stadtplaner Dieter Hoffmann-Axthelm. Er hält vor allem die Konzepte für Tempelhof und Tegel für aussichtslos. Auf Seiten des Senates habe man sich schlichtweg nicht eingestehen wollen, dass man mit solch großen Stadtbrachen eigentlich nichts anfangen könne.


    Die Senatsverw. f. Stadtentw. dagegen sieht für jedes Entwicklungsgebiet eine Chance da jedes Gebiet ein eigenes Profil und eigene Lagequalität habe. Deshalb würden sie sich in ihrer Entwicklung auch nicht gegenseitig behindern.



    Artikel Mopo
    (könnte sein, dass der Artikel nur gegen Entgelt zu lesen ist)

  • Es heißt immer dass man Berlin nach der Wende für 5 Millionen Einwohner geplant hat, dabei ist die Einwohnerzahl stagniert und wird langfristig stark sinken. Ich kann nicht verstehen wie man da immer noch großflächig nennenswerte zusätzliche Geschossflächen zubaut. Baulücken schließen, Bauen im Bestand/Sanierung,...das wäre doch angesagt. Und auch manchen Plattenbau der in die Jahre kommt entfernen um bei einer langsam schrumpfenden Stadt Berlin wenigstens die "Kieze" lebendig zu halten.


    Auf den so freiwerdenden Grundstücken könnte man kleinteilige Bebauung a lá Reihenhaus für junge Familien ermöglichen, so die Umlandflucht auch etwas eindämmen. Sowas wäre meiner Meinung nach in Berlin und anderen norddeutschen Großstädten gefragte Stadtplanung. Damit würde man auch ein "Zerfransen" der Stadt in einen schweizer Käse verhindern, denn die Einwohnerdichte ist wenn man die großen "Wohnmaschinen" entfernt und durch "Häuslebauer" ersetzt ja wesentlich geringer so dass letztlich ein zusammenhängendes Stadtbild gewahrt bliebe (sich also keine Verödung, mit allen Abwärtskreisläufen, entwickelt). Wohin es führt wenn man dem nicht entgegenwirkt zeigt sich exemplarisch in Detroit, sog. "Urbane Wüsten" entstehen.

  • ^
    Woher genau nimmst Du die selbstverständliche Gewissheit, dass die Einwohnerzahl der Stadt in Zukunft "stark sinken" wird? Die Entwicklung der vergangenen Jahre spricht da eine andere Sprache. Nach einem Tal Ende der 90er wächst die Stadt nun wieder. Die Prognosen der Bertelsmannstiftung sowie der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gehen von einer grundsätzlich stabilen Einwohnerentwicklung aus. Allerdings sind Prognosen natürlich grundsätzlich mit Unsicherheit behaftet und mit Vorsicht zu genießen.
    Grundsätzlich scheint mir hier die wirtschaftliche Entwicklung ein starker Indikator zu sein - und hier hat Berlin sein Potential noch nicht mal ansatzweise ausgeschöpft.


    Im übrigen ist Berlin verglichen mit anderen Städten sehr wenig "zerfranst". An vielen Stellen im Westen sieht man sogar noch recht deutlich, wo einst der Todesstreifen war - hier Bebauung, dort unvermittelt Felder - München ist mit seinen vielen Vororten von Erding und Dachau bis Grünwald und Starnberg ungleich zerfranster!


    Last but not least: Warum willst Du die Wohndichte in einer Stadt, die verglichen mit anderen großen Städten sowieso schon eine sehr geringe Dichte hat, weiter verringern? Es mag Gründe dafür geben, ganz klar wird mir das hier aber nicht.

  • Naja, Berlin ist mehr sowas wie ein großer aber doch eingegrenzter Ballungsraum während der Rest Brandenburgs sehr dünn besiedelt ist während München das Zentrum eines stark besiedelten Großraumes ist. Münchens amtlich definierte Stadtgrenze umfasst weniger Einwohner (auf weniger Fläche und höherer Bevölkerungsdichte) als Berlin, hat dafür ein flächenmäßig größeres Einzugsbiet (die münchner S-Bahn hat über 440 km Strecke, die berliner S-Bahn über 330 km Strecke). Kann man also in keinerlei Hinsicht vergleichen. Dazu ist München absolut monozentrisch, Berlin sehr polyzentrisch.


    Die pessimistischen Prognosen will keiner wahr werden sehen, weder die Südbayern denen der Siedlungsdruck ja schon lange zu groß ist noch die Norddeutschen die natürlich nicht wollen dass ihre Städte ausbluten. Aber das zu verhindern ist Aufgabe der großen Politik...was Stadtplanung versuchen muss ist einerseits attraktive Umfelder zu schaffen um die "weichen Faktoren" einer Stadt zu stärken und andererseits mit den Dingen die da kommen konstruktiv umgehen. Dazu gehört geordneter Rückbau, so dass Schrumpfung nicht so negativ sein muss wie es klingt. Es kann auch ein mehr an Lebensqualität bedeuten wenn manche unattraktive Bebauung abgebrochen werden kann/muss und die verbliebene Einwohnerschaft attraktivere Wohnungen beziehen kann.


    Diese Koordinierung findet bisher scheinbar kaum statt denn mir berichten übereinstimmend einige Berliner dass es zwar "insgesamt" ein Überangebot an Wohnungen in Berlin gäbe aber sich dies vor allem auf unattraktive Gebiete und unsanierte Bauten beschränken würde während attraktive Quartiere mit komfortablen Wohnungen rarer würden und im Preis stark anziehen. Wobei ich nicht weiss ob es schon "Radikal-Entmietungen" im großen Stil wie in München gibt (da gibt es Horrorgeschichten... und die stimmen meistens leider auch).


    Ich glaube wir sind uns einig dass der Staat sich die letzten Jahre zu sehr aus der Wohnraumplanung (sei es Eigenheimzulage, sozialer Wohnungsbau oder staatliche Wohnungsbaugesellschaften) zurückgezogen hat.

  • Die Diskussion über 'Stadtrückbau' ist zumindestens für Berlin völlig unangebracht, eher für das Berlin-ferne Brandenburg wie Guben, Eisenhüttenstadt und Schwedt. Man kann eine klare Entwicklung sehen, die Bevölkerungszahl im Großraum Berlin hat seit der Wende zugenommen während die Berlin-fernen Gemeinden teilweise dramatische Rückgänge erlebt haben. Einige Gemeinden im 'Speckgürtel' haben enorm hohe prozentuale Zuwächse, teiweise sogar im dreistelligen(!) Bereich erlebt (Spitzenreiter Wandlitz +356,6%). Es gibt so weit ich weiß in Berlin auch nirgens verwaiste Innenstadtquartiere - sogar die Plattenbauwohnungen sind äußerst beliebt.

  • @ bayer:


    Na klar lassen sich Berlin und München vergleichen, eben wegen ihrer Unterschiede. Du tust ja nichts anderes. Im Grunde sind wir uns ja auch einig, dass Berlin wie Du es nennst "ein eingegrenzter Ballungsraum" ist (=wenig zerfranst), München dagegen in einem stark besiedelten Großraum liegt (ergo eher zum Zerfransen neigt)


    Bezüglich:

    Die pessimistischen Prognosen

    Was genau meinst Du denn damit? Wie kommst Du darauf?

  • Hallo Bayer. Ohne mich jetzt in Penisvergleiche begeben zu wollen, da wir hier aber eine Diskussion führen, sollten wir schon die richtigen Angaben als Ausgangsbasis haben:
    Berlin ist nicht ein Ballungsraum und drumherum das öde Brandenburg, während München das bayrische Ile de France darstellt.
    De Facto bildet der große und somit auch dichtbesiedelte Teil Brandenburgs den Speckgürtel Berlins.


    Ballungsraum München: 5,20 Mio Einwohner
    Ballungsraum Berlin: 5,95 Mio Einwohner


    <a href="http://de.wikipedia.org/wiki/Metropolregion">Metropolregionen</a>

  • Wohin es führt wenn man dem nicht entgegenwirkt zeigt sich exemplarisch in Detroit, sog. "Urbane Wüsten" entstehen.


    Ich denke, es sind vor allem grundsätzlich die öffentlichen Subventionen, die zu verhindern vermögen, dass Berlin ähnlich entvölkert wird, wie es das Schicksal Detroits ist, um das sich kein starker Staat kümmert. Interessant ist es dabei anzumerken, dass das BIP pro Kopf der Einwohner Detroits immer noch doppelt so hoch ist wie das der Berliner, wie zumindest hier zu lesen steht: http://www.newsweek.com/id/197808


    Die Informationen in dem von Bato beschriebenen Zeitungsartikel empfinde ich als ziemlich ungenau beobachtet. Nach meinem Kenntnisstand sind die beiden größten der angesprochenen Gebiete, nämlich die (bald) stillgelegten Flughäfen, überhaupt noch nicht fertig geplant. Weder für Tegel noch für Tempelhof wurde bisher ein Architekturwettbewerb entscheiden, für beide Areale gibt es noch kein städtebauliches Konzept. Insofern können auch die Flächen dort nicht zur Bebauung ausgeschrieben werden, von einem „Wetteifern um Investoren“ kann also nicht die Rede sein.


    Zudem stimmt es nicht, dass man sich in München „auf einen einzelnen Standort konzentriert“. Neben dem Arnulfpark wird derzeit eine Reihe von Gebieten neu entwickelt, in Umsetzung befinden sich z.B. Parkstadt Schwabing, Ackermannbogen, viele weitere Areale an der großen Bahnlinie nach Westen, der ehemalige Flughafen Riem etc. Konkret fertig geplant und kurz vor der Umsetzung sind u.a. die Umgebung des Ostbahnhofs, Funkkasernen-Areal Domagkstrasse und Freiham. Zusammen dürfte das mindestens gleich viel Fläche sein wie Europacity, Mediaspree, Alexanderplatz und BBI Airport City.

  • Berlin mit Detroit zu vergleichen ist absoluter Humbug. "Urbane Wuesten" sieht man eher im Ruhrpott als in Berlin... Wer dies Berlin unterstellt, dem unterstelle ich noch nie dort gewesen zu sein.
    Und zum Detroiter BIP: Die Stadt beheimatet immer noch einige der groessten Automobilhersteller der Welt, der Teil der Bevoelkerung, der es sich aber leisten kann, ist sehr stark ins Umland abgewandert. Nicht umsonst gibt es dort einige der teuersten und feinsten Suburbs der USA.
    In der Stadt sind die geblieben, die es sich nicht leisten koennen. Das kann man mit Berlin bei weitem nicht so vergleichen.

  • Detroit ist geradezu ein Lehrstück was Überpezialisierung für eine Stadt bedeuten kann. In seinen besten Zeiten galt Detroit als Boomtown schlechthin, aber seit die amerikanische Automobilindustrie siecht, ist der Niedergang nicht zu verbergen. Es gibt ganze Stadtviertel die kollabiert sind. So etwas hat es zu Friedenszeiten in Deutschland nicht gegeben, ansatzweise vielleicht in Gelsenkirchen oder Guben(?). Ob es so dramatisch ist, wie Wikipedia schreibt, weiß ich nicht, aber es ist eindrucksvoll: Im Jahr 2009 ist General Motors im Insolvenzverfahren und die Stadt gleicht im Stadtzentrum einer Geisterstadt. Viele Häuser stehen leer und verfallen zunehmend, auf den Straßen sind ab dem frühen Abend nur wenige Menschen unterwegs, die Stadt wirkt fast tot.

  • Der Tagesspiegel greift ein interessantes Thema auf "Berlin lässt seine Baudenkmler der Spätmoderne verkommen".


    Viele Bauwerke der Spätmoderne kommen so langsam in ein alter, dass eine Sanierung oder Modernisierung unerlässlich macht. Es tauchen sowohl Probleme bei der Materialität auf, als auch die Schwierigkeit Strutktur und Aussehen bei Sanierungen beizubehalten.


    Welche Bauten erhaltenswert und Baudenkmäler sind, ist nicht vernünftig erfasst und auch nicht wissenschaftlich aufgearbeitet. Als Beispiele werden hier etwa das ICC oder auch der „Umlaufkanal des Instituts für Wasser- und Schifffahrtstechnik der TU". In beiden Fällen scheint ein Abriss nicht völlig ausgeschlossen.


    http://www.tagesspiegel.de/kul…s-Stimmann;art772,3021521

  • Mischgenutzte Kleinteiligkeit

    Beiträge 663-666 azs Fischerinsel/Petriplatz/Breite Straße hierhin verschoben. Bei Bedarf bitte hier weiterdiskutieren. Danke! Jo-King


    In der Tat: Ich halte eine kleinteilige Bebauung mit Mischnutzungen, wie sie vor 1900 üblich war, für das Zukunftskonzept. Das heißt nicht, daß ich hier Fassaden rekonstruieren will und die Straßenbahn wieder mit Pferden gezogen werden soll. Aber die Stadtformen des 20. Jahrhunderts haben sich - in Europa und an vielen anderen Orten der Welt - als Irrweg erwiesen, weil sie den Menschen als Maßstab verloren haben.


    Ein Blick auf die in Berlin beliebtesten Wohnquartiere beweist dies im übrigen, bei Altbauten wie bei neuerrichteten Wohnanlagen. Da habe die Menschen seit der Wende mit den Füssen abgestimmt, wo und wie sie wohnen wollen. Vorbei an jeder Diskussion unter Architekten und Stadtplanern.


    Deshalb lehne ich Großwohnsiedlungen, stadtautobahnähnliche Strassen und "nutzungsentflochtene" Quartiere ebenso ab wie ich die gesamte Tertiärisierung des Stadtkerns, die um 1871 eingesetzt hat und die ich für eine Fehlentwicklung halte.


    In der Konsequenz heißt das: kleinteilige Wohnnutzung fördern, Parzellen für die Wiederbebauung klein schneiden, Großbüros und weitere Tertiäsierung vermeiden, Straßen zurückbauen um eine lebenswerte Aufendhaltsqualität zu erzeugen. Nur um nicht mißverstanden zu werden: das heißt nicht sklavische Rekonstruktion von Architektur und Stadtraum, aber ein (wieder)erzeugen einer vergelichbaren Aufendhaltsqualität.

  • Was ist eine "sklavische" Rekonstruktion? Abgesehen von diesem wertenden Adjektiv, was mir etwas seltsam erscheint, gebe ich Konstantin vollkommen recht ^^ Ein gewichtiger Punkt ist der anstehende Wandel der Arbeitswelt, Arbeit und Wohnen werden wieder weitaus stärker verbunden sein. Man wird quasi wieder eine "Werkstatt", egal ob Schreibtisch für die Buchhalterin oder Leinwand für den Künstler, bei sich im Parterre haben und Abends hoch in die Wohung gehen oder dergleichen (damit es halt bisl abgeteilt ist und man mental auch mal "abschalten" kann).


    Denn mit dem Ende der Industriegesellschaft als Dominante werden auch die Stadtentwicklungen der Industrialisierung obsolet. Das war keine "gewollte Modernisierung" der Städte, zu was der Moloch gern nachträglich stilisiert wurde, sondern letztlich handelte es sich nur um Funktionsräume für die industrielle Gesellschaft. Die riesigen Fabriken und Großbüros (die es aus organisatorischen Gründen brauchte, heute ebenfalls recht obsolet - die Workstation könnte bei den meisten Bürojobs auch daheim auf dem Schreibtisch stehen) wurden von den Wohnorten abgetrennt. Gründe waren u.a. Schichtarbeit, Lärm, Verschmutzung.


    Das war eine banale Notwendigkeit an der die Städte ausgerichtet wurden. Dass sich die starke Trennung von Arbeitsort und Wohnort auflöst merkt man ganz besonders in den Städten und bei den jüngeren Generationen die andere Erwerbsbiographien aufbauen als noch deren Eltern. Deren Leben ist zwar weniger "geregelt", also immer seltener feste 38 Stunden Woche etc., aber auch weniger (orts)gebunden.


    Wer in keine Fabrik fahren muss und auch in kein Großbüro weil die Kommunikation heute eh meist elektronisch läuft und man die wenigen notwendigen Treffen auch in einem Cafe oder einem Mietbüro abhalten kann dem wird es schlicht auch lästig zu "pendeln". Weil es ja auch einfach sehr viel Tageszeit, Nerven und Geld kostet.


    Wenn man bedenkt dass 1/3 unseres Primärenergieverbrauches auf Mobilität entfällt und ein weiteres Drittel auf Gebäude dann ist auch klar dass durch das großflächige überflüssig werden von Büroräumen und Pendelverkehr massive ökonomische und ökologische Spielräume entstehen.


    Wir werden in 20 Jahren entsetzt an die Gegenwart zurückdenken, wie selbstverständlich es für uns war dass unser Lebensraum - nichts anderes sind unsere Städte - zu Zwecken der Industriegesellschaft so entstellt wurde.


    Dies Thema auf Architektur und Zeitgeschmack zu reduzieren greift also viel zu kurz.


  • Wer in keine Fabrik fahren muss und auch in kein Großbüro weil die Kommunikation heute eh meist elektronisch läuft und man die wenigen notwendigen Treffen auch in einem Cafe oder einem Mietbüro abhalten kann dem wird es schlicht auch lästig zu "pendeln". Weil es ja auch einfach sehr viel Tageszeit, Nerven und Geld kostet.


    Ich gebe Dir recht dass Arbeiten immer mehr individualisiert wird und die Großraumbüros auf dem Rückzug sind. Aber das ist sicherlich kein Trend der langfristig zur kompletten Abschaffung von größeren Büros führen wird - die Verteilung (Menschen die von zu hause arbeiten gegenüber Menschen die im Büro sitzen) wird sich nur ändern. Daneben stellt sich die Frage, wo größere Büros sonst untergebracht werden sollten. Die Stadtzentren mit ihrer guten Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr bieten sich da einfach an.


    Außerdem: gegen die Aufteilung der innerstädtischen Flächen in kleine Parzellen spricht m.E. eindeutig die Flächeneffizienz - denn niemand wird auf einem "Townhouse-Grundstück" einen 12-stöckigen Wohnturm errichten, der vergleichbare Renditen abwerfen könnte wie ein Bürokomplex auf einem großen Grundstück. Ansonsten, also bzgl. der Aufenthaltsqualität bei kleinteiliger Bebauung, stimme ich durchaus zu.

  • In der Tat: Ich halte eine kleinteilige Bebauung mit Mischnutzungen, wie sie vor 1900 üblich war, für das Zukunftskonzept. Das heißt nicht, daß ich hier Fassaden rekonstruieren will und die Straßenbahn wieder mit Pferden gezogen werden soll. Aber die Stadtformen des 20. Jahrhunderts haben sich - in Europa und an vielen anderen Orten der Welt - als Irrweg erwiesen, weil sie den Menschen als Maßstab verloren haben.



    ich denke nicht das der blick in den rückspiegel die probleme der heutigen städte lösen kann, auch wenn ich deine argumentation insgesamt schon nachvollziehen kann.



    denn auch ich bin für eine nutzungsmischung in innenstadtlagen - diese soll aber doch hier auch verwirklicht werden!
    würde man den ursprünglichen stadtgrundriss und die parzellen exakt rekonstruieren, hättest du sicher keine nutzungsmischung gemäß heutiger ansprüche sondern eine art puppenstube in der urbanes leben höchstens museal inszentiert werden könnte. so wie beispielsweise im "Handwerkerhof" in Nürnberg (ein ort in der innenstadt, der aufgebaut wurde wie zu zeiten der frühen neuzeit. dort wird das alles der zeit entsprechend inszentiert.)



    aber die diskussion hier entzündete sich nicht aufgrund großer gegensätze was die generelle linie des dortigen "wiederaufbaus" betrifft, nur eben an der frage der anlehnung an den vorkriegsbestand.



    man kann doch gewisse tatsachen des modernen lebens der stadtbürger nicht ignorieren!



    - der anspruch an wohnraum hat sich dramatisch verändert. der flächenverbrauch des einzelnen ist heute um ein vielfaches größer als vor 1900


    - der anspruch an technik hat sich verändert. moderne haustechnik braucht platz (bäder, belüftung, feuerschutz)


    - der anspruch an konsum ist ein anderer. moderne gastronomie und moderner einzehandel brauchen zulieferbreiche, toilettenanlagen, parkplätze


    - der anspruch an mobilität ist ein grundweg anderer. frei fahrt für freie bürger ist auch weiterhin teil der städtischen realität.



    letztlich sind all diese punkte für eine echte und praktikable, das heißt dann auch funktionierende nutzungsmischung nach heutigen kriterien zu beachten!




    und die von dir erwähnte abstimmung mit den füßen sah in den 50ern genau anders rum aus. gut, du wirst einwenden das in die altbauten nicht mehr investiert wurde. aber interessant ist doch, das erst die kernsanierung unter großem finanziellen aufwand, nur ermöglicht durch enorme steueranreize durch den staat die aufwertung der heute beliebten altbauquartiere in prenzlauer berg oder anderswo ermöglichte!
    ergo: erst die nachträgliche aufwertung und der radikale umbau, finanziert durch subventionierung führte hier zum erfolg.


    Und auch diese viertel sind ja bei weitem nicht so kleinteilig wie eben die ecke an der fischerinsel vor 1900.



    D.