Wilhelm-Leuschner-Platz + Areal an der Nonnenmühlgasse

  • Ivar Schon ein Widerspruch, dem Denkmal eine erdrückende Wirkung zu attestieren und ihm gleichzeitig abzusprechen, den Wahnsinn des Krieges zu vermitteln bzw. zu unterstellen, manches sei gar nicht so weit weg von heutigen Ideen, das Denkmal andererseits zu beschuldigen, dass es auch den Zeitgeist von vor hundert Jahren repräsentiert.


    Es ist ein Denkmal der Völkerschlacht und zugleich ein Denkmal der Zeit um 1913. Und es ist so ambivalent wie die Geschichte selbst. Dennoch wird nicht die Ambivalenz zum Prinzip erkoren wie beim Fahnenmeer. Das Völki will präsent sein, will aufrütteln, hält auch nicht hinterm Berg mit seiner Aussage. Im Übrigen würde ich dem Völki positiv anrechnen, dass es die namenlosen Krieger thematisiert und nicht etwa große Reiterstandbilder von Herrschern platziert wurden.


    Heutige Denkmäler flüchten sich oft in eine Ungreifbarkeit, um unangreifbar zu sein. Haltung und Aussage bleiben dabei auf der Strecke und die Denkmäler wirken eher wie Spielgeräte. Zum Glück haben wir die Nikolaikirche. Ohne sie hätte die Friedliche Revolution wenig örtliche Präsenz im Stadtbild. Die Runde Ecke und die Ringbespielung am 9. Oktober könnten die Erinnerungslandschaft mit verbesserten Konzepten nochmal deutlich nach vorne bringen. Das neue Denkmal wird der Fremdkörper bleiben, der es jetzt schon ist.

  • Zum Völkerschlachtdenkmal und seiner Lesart gibt es ja eine Menge Interpretationen.

    Wenn man sich vorstellt, dass zur Zeit des Geschehens sich eine bis dahin nie dagewesene Menge an Truppen, Kampfhandlungen etc. in und bis weit um die Stadt herum entfaltete, kann man den Eindruck auf die Bevölkerung wohl nur schwer oder besser gar nicht nachvollziehen.


    Es mag, mit dem Pulverdampf, dem Kanonenlärm und den Bränden aus der Ferne betrachtet, für Augenzeugen wohl wie ein gewaltiges Unwetter gewirkt haben, dem man sich besser nicht weiter näherte.


    Genau diese beklemmende Stimmung kann das Völkerschlachtdenkmal wie kein anderer Entwurf dem Besucher fühlbar machen.


    Man sieht von Weitem schon die schiere Baumasse, wird von den Besucherströmen näher geschoben, wird zum winzigen Zahnrad im großen Kriegsgetriebe, fühlt die Härte und Unnachgiebigkeit des Steins, kann von den Treppen und Plateaus nicht einfach schnell verschwinden, so, wie auch die Soldaten damals sich dem Gemetzel nicht entziehen konnten. Man fügt sich dem Geschehen, fühlt sich klein.

    Und dann umfängt einen im Inneren diese Stille und Kühle, egal, wie warm es draußen sein mag.

    Dazu die Masken der sterbenden Krieger...so erging es den getroffenen Soldaten, denen im Sterben kalt wurde und das Geschehen ringsum jede Bedeutung verlor.


    Und es stimmt, kein Feldherr wurde hier namentlich oder figürlich geehrt, sondern dem hunderttausendfach gestorbenen einfachen Soldaten, der großen Masse und ihrem traurigen Schicksal.

    Vielmehr wurde auch versucht, Trost darin auszudrücken, dass mit dem Sieg bei Leipzig das Opfer der Soldaten für Befreiung von Fremdherrschaft nicht vergeblich gewesen war.

    Auch diese Mühsal kann der Besucher zu einem winzigen Teil nacherleben, wenn er sich die vielen Stufen nach oben aufmacht und von der Aussichtpattform einen Blick über das damals befreite Land werfen kann.


    Die Formen- und Bildsprache des Völkerschlachtdenkmals ist ein Abbild seiner Entstehungsepoche, über die es schon zu Bauzeiten geteilte Meinungen gab. Die vielen feinen Fäden zeitgeistlicher Strömungen, welche da hineinspielten, will ich da gar nicht auffassen.


    In seiner Konzeption jedoch, das bis dahin unfassbare Geschehen durch Materialwahl und räumliche Aufführung von Monumentalität physisch und emotional erlebbar zu machen, kann man die Umsetzung aber durchaus als Genial bezeichnen.


    Und letztlich auch durch die immerwährende Auseinandersetzung mit ihm zeigt das Völkerschlachtdenkmal, dass seine mahnende und gedenkende Aufgabe in der realisierten Form vollkommen gelungen ist.


    Vielleicht hilft ja die obige Interpretation dem ein oder anderen zu neuen Ansichten über das Denkmal, das bei genauerer Betrachtung eben alles andere als ein abstoßender Koloss ist.


    Den Ansatz des räumlichen Erlebens auf den Denkmalsentwurf für den Leuschnerplatz übertragen, könnte ich mir einerseits schon vorstellen, dass bei ausreichender Frequentierung des Denkmalsplatzes ein gewisser "Demonstrationseffekt" für die Besucher erlebbar werden könnte.

    Dazu bedürfte es neben genügend hoher Besucheranzahl jedoch auch authentischer und aktueller Beschriftungen auf den Transparenten.

    In einer gut besuchten Straße wie zb. der Grimmaischen anstatt auf einem expliziten Denkmalsplatz würde der Effekt wahrscheinlich besser und leichter erzielbar sein.

    Einmal editiert, zuletzt von Lipsian ()

  • Da ich mich beruflich näher mit dem Völki beschäftigt habe und im Studium und Berufsleben mit Denkmalskulturen beschäftige, möchte ich (wie bereits getan) die Völki-Diskussion im Zusammenhang mit dem Freiheits- und Einheitsdenkmal (FED) gerne noch einmal kommentieren:

    • Das Völki war bei vielen, vor allem demokratischen, Kommentatoren seiner Zeit verschrien. Der Zeitungsartikel Joseph Roths ist wohl der bekannteste. Ich finde es erstaunlich (eher problematisch), dass ein Kriegsdenkmal herangezogen wird, wenn es um den Vergleich mit einem demokratischen Freiheitsdenkmal geht. Wie man überhaupt in die Verlegenheit kommt, ein Nationaldenkmal (erbaut in der Kaiserzeit ein Jahr vor dem Ersten Weltkrieg) dafür zu bemühen, ist mir wirklich schleierhaft. Die Demokratie tut gut daran, sich von diesem „abschreckenden Irrtum“ (Joseph Roth) zu distanzieren. Das steht nicht im Widerspruch dazu, dass das Völki keine historische Bedeutung oder kunsthistorische Qualität hat. Im Gegenteil, siehe folgenden Punkt.
    • Zum Gebrauch des "See der Tränen". Das ist und bleibt eine Wortschöpfung der Nazis, bzw. Hitlers, und hat nichts mit dem Entwurf Thiemes zu tun. Dieser Ausdruck sollte die "Volkstrauer" im Zusammenhang mit der Dolchstoßlegende verdeutlichen. Das allein zeigt gleichzeitig, wie lange sich einerseits faschistische und diktatorische Sprachbilder erhalten, genauso wie sich andererseits durch Denkmäler wie dem Völki der Wunsch nach kolossalen Denkmälern für historische Ereignisse erhalten hat (wie man bei meinen Vorrednern sieht). Das FED illustriert hier das Gegenteil mit seinen weißen Flächen. Es verengt nicht den Blick und kaut dem Betrachter vor, wie er das historische Ereignis für seine Zeit zu interpretieren hat. Zumal das Völki durch seine Architektur von Ideologen und Verschwörungstheoretikern belastet wurde (und wird).

      Ich sage immer: Das Denkmal ist so gebaut worden, damit man es durch sein beeindruckendes Äußeres mag. Es sollte für alle klar eine Meinung vorgeben: "Die Größe des Deutschen Volkes". Das Individuum ist nichts (siehe die Figur Opferbereitschaft), das Volk ist alles. Also „Wir sind das Volk“, nicht im positiven Sinne wie am 09.10.1989. Denn im demokratischen Begriff des "Volkes" geht es darum JEDES Individuum zu schützen und diese nicht für die große Sache zu Opfern. Das Völki ist das Paradebeispiel für die Instrumentalisierung der Geschichte sowie Geschichtsklitterung durch politische Akteure (hier eben völkische Denker). Nicht nur die Nazis, auch die DDR fand ja Gefallen am Völki, genauso wie die NPD bis in die 2000er Jahre. Das kann meiner Ansicht nach dem FED nicht passieren. Es sei denn, Ideologen schreiben etwas drauf. Das FED mit seinen weißen Flächen steht damit als Symbol für die Anfälligkeit von Demokratien durch Ideologien. Demokratien müssen geschützt und verteidigt werden. Demokratien fordern eine starke Zivilgesellschaft. All das braucht ein Völki nicht. Das diente lediglich als Kulisse für bombastische Inszenierungen der Diktaturen.
    • In der Architektur des Denkmals finden wir NICHTS, was an die Völkerschlacht erinnert. Lediglich von außen ist das Datum ein Indiz. Kurzum, das Denkmal könnte überall auf der Welt stehen. Das Völki kann also meines Erachtens auch nicht als Argument herhalten, etwas typisch Leipzigerisches zu sein. Das ist es erst im Laufe der Zeit geworden. Auch durch massive Propaganda.
    • Und zuletzt: die Anzahl der Toten: sukzessive haben die Historiker die Anzahl zum Ende des 19. Jahrhunderts von 90.000 auf 120.000 erhöht. Da deutscher Nationalismus und Imperialismus vielleicht Einfluss auf die Anzahl der Toten gehabt haben und es keine Namenslisten oder Totenzähler gab, sind die Zahlen doch etwas schwer historisch einzuordnen. Festzuhalten ist, dass die Schlacht bei Borodino (1812) fast 80.000 Tote bei lediglich 250.000 Soldaten hatte... (Somit auch als die blutigste Schlacht des 19. Jahrhunderts gelistet). Ein 80 Meter hohes Denkmal gibt es dort nicht. Warum also ein 90 Meter hohes Denkmal in Leipzig, das angeblich für die vielen Toten stehen soll? Es lag nicht allein an den vielen Toten. Sicherlich lag es auch an der schieren Größe der Schlacht. Das führte zu den vielen kleinen Denkmälern der Bevölkerung (wie auch in Borodino). Aber am Ende ging es um die nationalistische, imperialistische und vor allem völkische Gesinnung der Geldgeber. Bzw. Clemens Thiemes, der über das Völki quasi allein entschieden hat. Leipzig sollte dem weltweit bekannten Waterloo Konkurrenz machen. Dass die vielen Toten sich durch EIN symbolisches Grab EINES symbolischen Soldaten ausdrücken, sich hingegen das Volk durch zahlreiche Figuren ausdrückt, zeigt den Schwerpunkt, den das Denkmal als Interpretation der Völkerschlacht durch Thieme setzt. Die vier Kolossalfiguren zeigen, wie "das Volk" zu sein hat und spiegelt wider, wie man versucht hat Einfluss auf den Zeitgeist des 19. Jahrhundert zu nehmen. Hier vertreten durch Thiemes Sicht auf die Welt: die Frau als Geburtsmaschine, der muskulöse Mann als Tapferkeitssymbol, usw. ... Auch hier zeigt sich, das Völki kann per Definition kein Vorbild für das Freiheits- und Einheitsdenkmal eines modernen, demokratischen Deutschen Staates sein.
      Auch der Prozess zum Entwurf kann kein Vorbild für das FED sein. Denn Thieme hat, wie gesagt, allein entschieden. Dagegen wirken die als undemokratisch gescholtenen Prozesse zum FED doch sehr demokratisch.
  • LEt's go! : Danke für die Einordnung - v.a. die Hintergründe zur Wasserfläche kannte ich noch nicht. Der weiteren Argumentation kann ich mich nur anschließen (war leider nicht in der Lage, das so fundiert und differenziert zu tun - stelle aber ebenfalls den Vergleich in Frage).


    Ziegel : da sind m.E. keine Widersprüche - etwas erdrückend wirkendes mahnt nicht zwingend (es macht klein - sehr gut dargelegt im Beitrag oben), mit der vermeintlichen Parallele zu heute (wie oben jedoch beschrieben offenbar anders intendiert) bezog ich mich nur auf ein Element.

  • LEt's go! Da hast du in deiner offenkundigen Abneigung gegen das Völki leidenschaftlich gegen eine These argumentiert, die hier niemand aufgestellt hat. Das wäre dir vielleicht nicht passiert, wenn du dich mit der einleitenden Frage beschäftigt hättest:

    Wie man überhaupt in die Verlegenheit kommt, ein Nationaldenkmal (erbaut in der Kaiserzeit ein Jahr vor dem Ersten Weltkrieg) dafür zu bemühen, ist mir wirklich schleierhaft.

    Das liegt an folgenden Parallelen: beide Denkmäler sollen an weltverändernde Ereignisse erinnern und beide Denkmäler sollen explizit deutschlandweite und internationale Beachtung finden, und zwar dauerhaft. Dem Völki gelingt beides, beim Fahnenmehr ist das zweifelhaft.


    Die Hinweise auf Vereinnahmung durch unschöne politische Systeme führen völlig ins Leere, schließlich ist das Völki ebenso Kulisse für die Demokratie, ob es die Courage-Konzerte gegen Rechts waren, das WGT oder demnächst das "PEACE!"-Konzert. Umgekehrt wurden auch Rembrandt und Tierschutz von den Nazis vereinnahmt. Das Denkmal ist ein Identifikationsobjekt für Menschen verschiedenster Coleur und die erwähnten 300.000 Besucher jährlich sind ja wohl nicht alle Neonazis oder DDR-Nostalgiker, ne?


    Die begleitende Ausstellung erfüllt die Ansprüche an eine detaillierte Darstellung historischer Ereignisse, was ein Denkmal natürlich nicht leistet. Ein Denkmal ist ein Denkanstoß.


    Dass Clemens Thieme über das Denkmal "quasi allein entschieden" habe, ist eine alberne Aussage. Auch für das Leipziger Fahnen-Denkmal haben sich nur wenige Personen aktiv eingesetzt, letztlich sogar sehr, sehr viel weniger Menschen als für das Völki. Für die Blechfahnen wurden und werden, wenn ich es richtig überblicke, keine einzige Münze gespendet.


    Das Völki hat natürlich seine Ambivalenzen. Es hat einen kriegerischen Habitus, aber für die damalige Zeit wenig Hurra-Patriotismus. Es ist ein Nationaldenkmal, aber kein nationales Denkmal. Es idealisiert, zeigt aber traurige, nachdenkliche Gesichter. Zurecht würde man heute kein solches Denkmal bauen. Aber man schafft es umgekehrt auch nicht, etwas von gleichrangigem architektonischem und künstlerischem Wert, mit einem solchen Identifikations- und Anziehungspotenzial zu schaffen.


    Die verschiedenen Lesarten zum Völki allein hier im Forum bereichern die persönliche Auseinandersetzung mit Geschichte und jede Perspektive hat dabei ihre Berechtigung. Von einer "Verengung des Blicks" kann gar keine Rede sein, wie allein unsere Diskussion zeigt. Alle Perspektiven zusammengenommen ergeben ein stimmiges Bild dieses vielschichtigen Denkmals.


    Genau dieses Bild ergibt sich beim Fahnenmeer eben nicht. Keine der Interpretationen, die ich bisher gelesen habe, passt zum historischen Ereignis, das Anlass der Würdigung sein soll. Wofür ist dies ein Denkmal? Ein Denkmal für die Freiheit, dann aber nur für die Demonstrationsfreiheit? Eine erstarrte, eine sprachlose, eine leise Demonstration? Welches sinnliche Erlebnis, wie User "Lipsian" es eindrücklich beschrieben hat, bieten die Fahnen? Welche Verortung? Die Kritik, das Völki könne überall stehen, gilt für die Fahnen umso mehr. In Bezug auf das Völki ein Quatsch-Argument, schließlich hätte die Schlacht auch genauso gut woanders stattfinden können. Die Geschichte macht sie zu einem Leipziger Ereignis und das Denkmal zu einem Leipziger Denkmal. Und nicht die Größe und der Blutzoll der Schlacht macht sie so bedeutsam, sondern ihre Wirkung auf die Europäische Ordnung.


    Das Völki sollte - zurecht - Waterloos Bekanntheit Konkurrenz machen, die Fahnen sollen Berlin Konkurrenz machen. Waterloo bleibt bekannter und auch die Bilder vom Mauerfall am Brandenburger Tor werden die Nr. 1 im Bildgedächtnis bleiben. Und im Gegensatz zur Völkerschlacht gibt es mit Brandenburger Tor oder Nikolaikirche ja authentische Erinnerungsorte der Revolution bzw. mit dem Reichstag für die Einheit. Schon daher das Befremden, die Frage nach dem Wozu für ein neues Denkmal.


    Die Interpretation, die "Let's go" anbietet, verstört mich: die weißen Fahnen als Symbol für die Anfälligkeit der Demokratie, die geschützt werden muss. Muss die Demokratie vor ihren eigenen Bürgern geschützt werden, ist das jetzt unser Selbstverständnis?


    Es würde zur Genese dieses Denkmals passen.

  • Die einfache Antwort auf die letzte Frage: Natürlich muss die Demokratie vor Ihren Bürgern geschützt werden. Das ist nicht verstörend, sondern Realität.
    Und wir alle wissen um das historische Beispiel in der Deutschen Geschichte. Das ist ja nun wirklich kein Geheimnis, dass Demokratie innere und äußere Feinde hat...


    Und ich habe gar keine Abneigung gegen das Völki. Ganz im Gegenteil. Ich finde es absolut faszinierend und in seiner Ästhetik ziemlich einmalig auf der Welt. Nur finde ich, man lernt am Völki viel darüber, wie heutzutage Denkmäler nicht mehr gebaut werden sollten. Aber ich merke auch, dass ich hier einen Völki-Liebhaber und FED-Kritiker sehr verärgert habe.


    Clemens Thieme hat (nach meinem Kenntnisstand) den Entwurf allein zu verantworten. Bspw. Bruno Schmitz ist lediglich ausführender Architekt gewesen. Lasse mir aber da gerne neue Horizonte eröffnen.


    Die Vereinnahmung durch "unschöne politische Systeme"... Nunja. Warum du hier sprachlich so ausweichst - keine Ahnung. Wir reden davon, dass Hitler und die Nazis großen Gefallen am Denkmal fanden und REGELMÄßIGE Veranstaltungen dort abhielten. Das auch zu DDR-Zeiten (NVA-Vereidigungen, Turnfesteröffnungen etc.). Das ist ja wohl wirklich kein Vergleich zu heute. Im Gegenteil, das Denkmal versucht weitergehend staatlicher und politischer Vereinnahmung zu entgehen. Die "Leipzig zeigt Courage"-Konzerte waren ja dort, um den NPD-Aufmarsch zu verhindern... da ist deine Argumentation nicht so konsistent. Und nein, natürlich sind nicht alle Besucher Neonazis oder DDR-Nostalgiker. Hab ich auch nicht behauptet. Habe natürlich keine Statistik, aber dass unter den Touris, neben Kritikern auch viele Nostalgiker sind, den Eindruck habe ich schon. Genau das habe ich ja in Punkt zwei kritisiert. Ich erlebe immer wieder, wie sich meine Mitbürger genau so einen Koloss als Vorbild für heute Denkmäler wünschen. Du ja in gewisser Weise auch. Bzw. kritisiere ich, dass das Denkmal bis heute völkische und nationalistische Elemente unkommentiert an die Besucher abstrahlt. Unsere "Diskussion" dreht sich (anders als von dir behauptet) wenig um die Interpretation des Denkmals (da sind wir einigermaßen der gleichen Meinung, gibt ja auch kaum Spielraum), sondern darum ob es für ein Freiheitsdenkmal gewinnbringende Erkenntnisse bereithält - Zumindest ist das meine Diskussion hier im Strang.


    Deine Ausführungen zum Thema Freiheit und Demonstrationsfreiheit sind argumentativ auch wenig stichhaltig, denn es soll natürlich im Zusammenhang mit den Leipziger Ereignissen im Herbst 1989 stehen. Das waren halt Demos. Also geht es in diesem Freiheitsdenkmal eben um den historischen Bezug zur Demonstrationsfreiheit. Dass Argument, dass das Denkmal "Eine erstarrte, eine sprachlose, eine leise Demonstration" sei, ist wirklich ein bisschen platt. Dass die Flächen weiß sind, das ist ja gerade der Freiheitsaspekt: Niemand schreibt den Menschen vor, was auf die Schilder soll. Oder wie wäre ein Freiheitsdenkmal mit vorgegebener Meinung? Und gerade die Leere, "schreit" (um in deinem bild der Sprachlosigkeit zu bleiben) danach, mit der Meinung und Haltung des Betrachers gefüllt zu werden...

  • OB Jung hatte beim Beschluss des Denkmals die Wichtigkeit für die Wiedervereinigung Europas betont. Insofern würde ich es auch passender finden, das Einheitsthema aufzugreifen, und nicht die Demonstrationen, die dazu geführt haben.


    Wie sowas künstlerisch anspruchsvoll, schön (Geschmackssache, of course) und in der Aussage nicht abstrakt, sondern für jeden verständlich geht, zeigt die neue Skulptur für die Städtepartnerschaft am benachbarten Addis-Abeba-Platz:


    […]

    4imwem3l.jpg

    […]


    Den Entwurf von Kleihues für das vermurkste Berliner Denkmal hätte ich mir auch gut vorstellen können, vielleicht mit reflektierender Oberfläche wie beim Cloud Gate:


    6ueugau7.jpg

    kleihues


    Aufbruchstimmung und Stärke versprüht das jetzt umgesetzte Denkmal in keinem Fall, sondern vermutlich eher die Zerbrechlichkeit und Schwäche der Demokratie, wenn die ersten Blechpfeiler demoliert, besprüht und beklebt worden sind.


    Und auch städtebaulich fehlt einfach ein zentraler Bezugspunkt in Form einer weithin sichtbaren Skulptur in der Mitte des weitläufigen Platzes.

  • Die Essenz der Demokratie sollte sein, dass sie den Mehrheitswillen ihrer Bürger berücksichtigt (und dabei Rechte von Minderheiten schützt). Gerade mit Blick auf die Überwindung der DDR und die Friedliche Revolution. Da war es eine Mehrheit, die sich die Demokratie wünschte. Wenn das heute nicht mehr so gewiss scheint, sollte man dem nicht noch ein Denkmal setzen.


    LEt's go! Wenn du schon selbst die These aufstellst, dass sich heute viele Menschen "so einen Koloss als Vorbild für heut[ig]e Denkmäler wünschen", sollte dich das doch auch zum Nachdenken anregen, ob es nicht legitim sein könnte, diesen Wunsch aufzunehmen. Vielleicht geht es weniger um das Kolossale, sondern um das Sinnliche, das Würdige, das Greifbare des Völkerschlachtdenkmals. Die Fahnen sind in einer Hinsicht gar nicht mal so schlecht: ihre Symbolik ist ablesbar, während viele Entwürfe völlig abstrakt waren. Nur ist es eben eine schiefe Symbolik, die nicht zum Ereignis passt und daher nach meinem Eindruck viele Menschen verärgert. Auch dem Völki kann man diesen Vorwurf in Teilen machen! Da haben wir dann eine Parallele im Negativen.


    Es würde mich reizen, deine erneut aufgestellten Behauptungen ausführlich durchzugehen. So spielt es doch gar keine Rolle, wie hoch der Anteil Thiemes am Entwurf war, das Denkmal wurde und wird trotz den Kritikern und der teils berechtigten Kritik, die es immer gibt, breit unterstützt. Und regelmäßige Demokratie-Kundgebungen gibt es dort auch bis heute, so war dort zuletzt das Lichtfest zu Gast. Inkonsistent ist da eher deine Argumentation. Aber hier soll es ja eher um den Fahnen-Entwurf gehen. Und da könnte ich auch ein gelungenes modernes Beispiel anführen: die Säule auf dem Nikolaikirchhof. Kürzlich sagte eine Besucherin zwar, deren Bedeutung würde man auch nur mithilfe einer Erklärung verstehen, aber ich glaube, das ist mit Denkmälern immer so.


    Die Säule ist:

    - symbolisch verständlich und schlüssig

    - ortsbezogen

    - städtebaulich gut eingeordnet

    - schön

    - spendenfinanziert


    So weit ich weiß, hat sich nie jemand über Vandalismus Gedanken gemacht und sie wurde auch nie demoliert. Einziger Nachteil, wenn man das so sehen mag: sie ist nur regional bekannt und ein Denkmal nur für Leipzig. Ich denke aber, dass dies durch das Fahnenmeer nicht ausgeglichen wird. Kein Eisenacher wird das neue Denkmal als Denkmal für die Eisenacher auffassen und nach anfänglicher Berichterstattung wird das neue Denkmal zum "Geheimtipp" absteigen. Die städtebauliche Einordnung tut ihr übriges, weil es nur aus Drohnenperspektive möglich sein wird, das Denkmal bildlich zu erfassen. Beim unmittelbaren Erleben, wie es auch die Visus zeigen, wird man nur wenige Fahnen sehen. Allzu eindrucksvoll stelle ich mir das nicht vor. Dagegen wird die Wippe in Berlin, obwohl auch ihre Symbolik voll daneben geht, einen wesentlich höheren und dauerhafteren Bekanntheitsgrad haben und auch als bundesdeutsches Denkmal verstanden werden.


    Ein Blick auf die Bilder von 1989 ist immer wieder ein Gänsehautmoment und diese Dokumente sind wirklich Denkmäler der Demokratie. Das Fahnenmeer mit seiner "Top down"- Logik, mühsam bemäntelt mit sogenannter Bürgerbeteiligung, die ganz klar kommunizierte, dass die Bürger diesmal nichts mitzuentscheiden haben, ist vielleicht wirklich ein Denkmal dafür, dass die Wenigen ihre Entscheidungsmacht vor den Vielen schützen wollen.

  • […] Und da könnte ich auch ein gelungenes modernes Beispiel anführen: die Säule auf dem Nikolaikirchhof. […]

    - symbolisch verständlich und schlüssig

    - ortsbezogen

    - städtebaulich gut eingeordnet

    - schön […]


    Oder der Chipperfield-Brunnen, der ja für den Tropfen steht, der das Fass zum überlaufen bringt…

  • Der Leipziger Witz wird schon eine passende Interpretation für das FED finden.

    Die Leere der Transparente als Freiheitsausdruck zu interpretieren kann man in der Tat ebenso diametral sehen, als Ausdruck der Sprachlosigkeit in Zeiten der, allgegenwärtiger Political Correctness, Wokeness und Shitstürmen gegenüberstehenden großen Probleme unserer Zeit.

    Aktuell scheint mir diese Auslegung passender als historische Parolen.


    Eine Verengung des Freiheitsdenkmals auf die Demonstrationsfreiheit aufgrund dessen Form fände ich überdies abwegig, denn um diese ging es ja bei den Kundgebungen und den Parolen auf den Transparenten, besonders anfangs, gar nicht hauptsächlich sondern mehr um Reisefreiheit, Meinungsfreiheit, Bürgerrechte, freie Wahlen, die Bekräftigung des Souveräns und erst später auch um die Einheit.

  • Ich sehe beim geplanten Denkmal gar keine wirkliche kreative Leistung. Par Blechfahnen zwischen Bäume zu parken - wenn das das Produkt von jahrzehntelangen, demokratischen Debatten ist, dann gute Nacht Johanna.

  • Die Essenz der Demokratie sollte sein, dass sie den Mehrheitswillen ihrer Bürger berücksichtigt (und dabei Rechte von Minderheiten schützt). Gerade mit Blick auf die Überwindung der DDR und die Friedliche Revolution. Da war es eine Mehrheit, die sich die Demokratie wünschte. Wenn das heute nicht mehr so gewiss scheint, sollte man dem nicht noch ein Denkmal setzen.


    Wenn du schon selbst die These aufstellst, dass sich heute viele Menschen "so einen Koloss als Vorbild für heut[ig]e Denkmäler wünschen", sollte dich das doch auch zum Nachdenken anregen, ob es nicht legitim sein könnte, diesen Wunsch aufzunehmen. Vielleicht geht es weniger um das Kolossale, sondern um das Sinnliche, das Würdige, das Greifbare des Völkerschlachtdenkmals.


    (...)

    In unserem demokratischen System wählen wir Vertreterinnen und Vertreter, die dann Entscheidungen treffen. Dabei sind sie ihrem Gewissen verpflichtet. Wir haben nur wenige Elemente direkter Demokratie, bei denen die Menschen unmittelbar über Dinge entscheiden.


    Wie ist den Dein letzter Satz im ersten Absatz zu verstehen? Wenn heute von verschiedenen Seiten die Demokratie in Frage gestellt wird, muss doch erst recht daran erinnert werden (neben vielen weiteren Anstrengungen - Demokratie ist nicht perfekt, sie macht auch Probleme, ist aber besser als alles andere was wir hier bisher hatten) wie hart sie erkämpft wurde!


    Und schließlich: ob sich viele Menschen so einen Koloss (wo ist der übrigens in irgendeiner Weise "sinnlich"?) als Vorbild für heutigie Denkmäler nehmen bezweifle ich ohne natürlich eine empirische Grundlage dafür zu haben. In jedem Fall aber müsste dies zuvor ermittelt werden (und nicht mit einer Umfrage in der LVZ o.ä.). An dieser Stelle aber noch einmal der Verweis auf meinen ersten Satz: Wie wäre wohl eine Entscheidung durch Wählerinnen und Wähler zum Holocaust-Mahnmal ausgefallen? Jetzt haben wir ein würdiges Mahnmal, für welchen bspw. zahlreiche Menschen uns Respekt zollen (die Mahnung in der Mitte der Hauptstadt).

  • Bei der Diskussion ums Völkerschlachtdenkmal ist anzumerken, dass es erkennbar kein "Siegesdenkmal" ist. Dafür meine ich in Bezug zu Napoleon Bonaparte eine gewisse Verklärung sowohl in Frankreich als auch in Deutschland und anderswo erkennen zu können. Wer hatte gleich die Koalitionskriege mit zu verantworten bzw. gegen wen richteten sich die "Befreiungskriege" ?


    Und zuletzt: die Anzahl der Toten: sukzessive haben die Historiker die Anzahl zum Ende des 19. Jahrhunderts von 90.000 auf 120.000 erhöht. Da deutscher Nationalismus und Imperialismus vielleicht Einfluss auf die Anzahl der Toten gehabt haben und es keine Namenslisten oder Totenzähler gab, sind die Zahlen doch etwas schwer historisch einzuordnen. Festzuhalten ist, dass die Schlacht bei Borodino (1812) fast 80.000 Tote bei lediglich 250.000 Soldaten hatte... (Somit auch als die blutigste Schlacht des 19. Jahrhunderts gelistet). Ein 80 Meter hohes Denkmal gibt es dort nicht. Warum also ein 90 Meter hohes Denkmal in Leipzig, das angeblich für die vielen Toten stehen soll?

    JEDER Tote eines Krieges ist einer zuviel. Meine ich. Die Gegenaufrechnung der Gefallenen finde ich makaber und unwürdig. Manchen scheint es an Phantasie und Empathie zu mangeln.


    In Leipzig lebten 1813 ca. 30.000 bis 35.000 Menschen. Zu den direkt auf den Schlachfeldern gefallenen Soldaten kamen noch die Tiere. Dann hätten wir noch die Menschen, die den 18. Oktober 1813 zwar überlebt hatten, aber verwundet waren. Wieviele davon haben wohl tatsächlich überlebt?


    Der Totengräber vom Johannisfriedhof Johann Daniel Ahlemann war jedenfalls nicht so abgebrüht und musste seine Erlschütterung niederschreiben. Vierzehn Tage nach der Schlacht erlebte er den Johannisfriedhof so: "Jetzt sah man erst die Verwüstung des vorher so schönen Gottesackers ... welcher einen abscheulichen Geruch verbreitete...in den Grüften lagen die Leichen ... mit grinsenden Schädeln umher, inmitten mancher hinabgestürzte Soldat, der da unten seinen Geist ausgehaucht hatte...

    Durch die Schrecknisse der vorhergehenden Tage und die verpestete Luft starben viele Einwohner Leipzigs an ansteckenden Krankheiten. Die Sterblichkeit in den Monaten November und Dezember 1813 war so groß, daß ich oft nicht wusste, wie ich die Toten beerdigen sollte, und oft geschah es, daß die für den folgenden Tag...gemachten Gräber schon von den Soldaten mit ihren Leichen belegt und zugemacht waren..."


    Später sah man das mit den Toten offensichtlich pragmatischer: Gastwirte sollen die Knochen aufgesammelt und ausgestellt; Rittergutsbesitzer sich Knochenmühlen zur Düngergewinnung angeschafft haben.


    In der Zeit, als das Völkerschlachtdenkmal errichtet wurde, hat die Bevölkerung einen anderen Umgang mit dem Tod gepflegt. Man sehe sich nur die Grabmale der Gründerzeit auf dem Südfriedhof an. Sind die nationalistisch?



    Einmal editiert, zuletzt von Stahlbauer ()

    • Denn im demokratischen Begriff des "Volkes" geht es darum JEDES Individuum zu schützen und diese nicht für die große Sache zu Opfern.

    Und genau das haben die Völker Europas erkannt und sich zusammen vom Joch des Massenmörders Napoleon befreit, der Millionen Menschen für seinen Größenwahn geopfert hat.