Leipzig: Wilhelm-Leuschner-Platz + Areal an der Nonnenmühlgasse

  • Ein nicht zu lösendes Problem bei der Sache ist die mangelnde Akzeptanz des Denkmals und insbesondere des Standortes Wilhelm-Leuschner-Platz. In den letzten Jahren nach dem ersten Desaster, war das Ziel, dieses Denkmal in der Stadtgesellschaft zu verankern. Meines Erachtens ist das nicht geschehen und die Mehrheit der Leipzigerinnen und Leipziger wünscht eine adäquate Gestaltung des Nikolaikirchhofes (Erklärungstafeln, ein sicher begehbares Pflaster und einiges mehr).


    Schade, dass es nun so kommen wird. Es sei den der Rat stellt sich im letzten Moment noch dagegen.

  • Erstens ist die Symbolik klassischer Denkmäler der Neuzeit heute verbraucht und nicht zu retten. [...] Die Abstraktionen, die heutige Entwürfe anbieten, funktionieren aber auch nicht.

    Ja und nein. Klassische Denkmale darf und soll es weiterhin geben und ich finde sie auch nicht verbraucht. Ein ganz und gar klassisches Beispiel ist das jüngst eingeweihte Grabmal für Caspar David Friedrich in Dresden. Das hat sehr viel Zuspruch gefunden. Auch die Figuren am Burgplatz erregen Aufmerksamkeit. Häufiger sieht man Leute nach oben schauen, die sich Mühe geben, den Bezug zu verstehen. Auch der "Jahrhundertschritt" von Mattheuer ist ein eher klassisches Denkmal, obwohl gar nicht als solches konzipiert, und sehr bekannt und beliebt.


    Mir fallen eigentlich fast nur klassische, ältere Denkmäler ein, wenn ich im Gedächtnis eigentlich nach gelungenen abstrakten Beispielen suche, obwohl ich das Gefühl habe, mir sollte etwas einfallen. Irgendein modernes Konzept wird mich doch bestimmt mal überzeugt haben. Aber immer wieder biege ich gedanklich zu missratenen Exemplaren ein: das Goerdeler-Denkmal? Das Goldene Ei? Die Synagogen-Gedenkstätte? Die Panzerketten in Leipzig oder Dresden? Alles bestenfalls unbeachtet. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin? Wohl das beste, was bei der Unmöglichkeit der Aufgabe herauskommen konnte. Aber gerade wegen dieser Unmöglichkeit auch irgendwie sehr daneben.


    Die Stolpersteine sind umstritten, funktionieren nach meiner Wahrnehmung aber hervorragend, weil sie eine sehr persönliche Nähe zur Geschichte herstellen. Dadurch repräsentieren sie durchaus eine modernisierte Auffassung von Denkmal. Andererseits folgen sie auch einem traditionellem Konzept, dem der Gedenktafel, nur eben am Boden.


    Hat jemand gelungene Beispiele für vollkommen abstrakte Denkmäler? Das für die unterdrückte 1956-er Revolution in Budapest kenne ich nur von Fotos, finde es aber beeindruckend und aussagekräftig:

    GA Budapest | STAHL STATT STALIN (ga-budapest.net)

    Abstrakt Denkmal Für Freiheitskämpfer In Budapest, Ungarn Lizenzfreie Fotos, Bilder und Stock Fotografie. Image 40905591. (123rf.com)


    Zweitens, weil das zu erinnernde Ereignis politisch zu umstritten ist, als dass man sich auf eine ästhetisch-symbolische Interpretation einigen könnte.

    Das wiederum glaube ich nicht. Natürlich ist ein politisches und nah zurückliegendes Groß-Thema wie 1989 und Deutsche Einheit schwierig und provoziert daher eher Kritik.


    Die Denkmäler auf dem Nikolaikirchhof, vor allem die Säule, sind meines Wissens aber sehr gemocht und unumstritten. Übrigens wurde sie, das wusste ich auch noch nicht, zu zwei Dritteln aus Spenden finanziert. Spenden einzuwerben, ist meines Erachtens ein geeignetes Mittel, um herauszufinden, wie gut eine Idee in der Bevölkerung ankommt.


    Wenn man sich von der Vorstellung löst, dass nur ein nutzloses Etwas ein Denkmal sein kann, lässt sich auch das umgebaute Reichstagsgebäude als Denkmal der deutschen Einheit verstehen, mitsamt der Verhüllung durch Jean-Claude und Christo. Und zwar als eines, das heute unumstritten ist, trotz damaliger Diskussionen.


    Bei den frühen Montagsdemos gab es kaum Transpis, das stimmt. Damals fürchteten die Leute noch die "Chinesische Lösung". Für die späteren Demos (aus der kurzen Ära Krenz und danach des Runden Tisches) waren Spruchbänder und Schilder mit wütenden, oft aber auch witzigen Parolen ein zentraler Bestandteil.

    Ja, aber bei den späteren Demos hatte man auch nichts mehr zu riskieren. Der ungeheure Mut der ersten Demonstranten ist denkmalwürdig!


    Würde man die Transparente einfach als Denkmal für Meinungsfreiheit deklarieren, wären weder der Standort Leuschnerplatz, noch der falsche historische Bezug, noch die mangelnde Monumentalität problematisch. Aber als Denkmal für 1989 geht das einfach nicht.

  • Über das Völkerschlachtdenkmal kann man denken, was man will: aber fast jeder kennt es. Rund 300.000 Menschen besuchen es jährlich und setzen sich damit auch mit dem historischen Ereignis auseinander. Die Größe des Denkmals gibt intuitiv eine Vorstellung von der Bedeutung der Völkerschlacht. Die Initiative zum Bau ging von einem Verein aus und es wurde viel dafür gespendet, ebenso für die Sanierung.


    Das alles wird man über die Cocktailfähnchen nicht sagen können.

    Mit dem Geld kann man aber das bestehende, großartige Denkmal Nikolaikirchhof oder auch die Runde Ecke ertüchtigen.

    Das klingt mir doch sehr nach: "Heute ist in 25 Jahren die schönste Zeit...". Das Völki war in seiner Zeit nicht unumstritten. Vom Erbauer bis zur Idee. Es gibt einen spannenden Artikel von Joseph Roth (aus den 1920er meine ich) zum Denkmal. Sein Fazit: eine "gewalttätige Sinnlosigkeit" und "historisierender Alpdruck". Vielleicht wird die Äußerung "Cocktailfähnchen" in 100 Jahren auch belustigt zitiert.

    Auch wenn es nicht ums Völki geht, ist es doch eine gute Referenz und auch wenn ich es beeindruckend finde, ist es ein negativ Beispiel für demokratische Denkmäler (außerdem möchte ich auch ein paar Sachen richtig stellen). 300'000 Menschen besuchen es. Schön! Und nu? Die Größe gibt mitnichten Eindruck von der Bedeutung der Schlacht, sondern lediglich einen Eindruck davon, was die Menschen als bedeutend empfanden, oder schlimmer noch was man wichtig machen wollte. Viel wichtiger und international bekannter ist Waterloo und mit 90'000 Toten nah an Leipzig. Ihr kennt sicherlich alle das große Waterloo-Denkmal? Nein?

    Wie viele davon sehen also dieses Kriegsdenkmal kritisch und als deutsche Übertreibung der eigenen Geschichte? (Immerhin verkörpert es als "Ruhmesmal für das deutsche Volk" die Lüge, dass die deutschen Truppen Napoleon geschlagen hätten). Was lehrt es uns über Demokratie? Clemens Thieme hat über die Gestaltung des Koloss' fast alleine entschieden. Der Verein wurde von Thieme für sein Denkmalsprojekt angestoßen und hat lediglich die Mittel eingetrieben. Die völkische Idee kommt mMn. obendrein noch klar hervor (die Figuren "Volkskraft", "Opferbereitschaft", ...) Und es bedient einfachste Mechanismen: Groß, einfache Formsprache, massiger Eindruck durch Granit. Bisschen Kirchenatmosphäre hier, tolle Aussicht dort. Diese plumpe Überzeugungskraft des Völki funktioniert natürlich bis heute. Und ja es ist eine architektonische Meisterleitung und natürlich beeindruckend. Doch weder finde ich das schön noch ansatzweise erstrebenswert für eine Demokratie. Im Gegenteil, eigentlich sollte genau das die Lehre aus solchen Denkmälern sein: Seid kritisch mit Denkmälern, vor allem (!) wenn sie groß sind. Das nehmen wohl die wenigsten der 300'000 Besucher mit nach Hause. Wohl im Gegenteil eher mit einem "Früher war alles größer und besser"-Gefühl.

    Und genau das hat die Ausschreibung des Freiheits- und Einheitsdenkmal auch mit der Festsetzung der Mittel von 5 Mio zu verhindern gewusst. Man kann sich sicher um die politische Idee des Völki und der Personen Thieme, Schmitz und Co streiten, doch unstrittig ist, dass es Projektionsfläche für beide Diktaturen bot. Ganz ohne Änderung der Bausubstanz. Da wird mit dem Freiheitsdenkmal definitiv anders sein. Schon jetzt sehen wir, wie die "Freien Sachsen" und andere rechte Gruppen die Montagsdemo erinnerungspolitisch für sich nutzen. Ihre Schilder lassen wohl aber keinen Platz für Meinungsfreiheit und freie Denkanstöße.

    Ich möchte auch nicht in die Haltung kommen den Entwurf zu verteidigen, da ich selbst ambivalent dazu bin. Doch ich finde, die Art und Weiße ("Cocktailfähnchen" und "ein Schlag ins Gesicht") der Diskussion etwas sehr aufgebracht. Ich frage mich, was die Erwartung war?

    An die Verteidiger der Nikolaisäule: Sie ist ein eindeutig christlicher Verweis und daher unzureichend. Denn auch wenn die Nikolaikirche eine wichtige Rolle gespielt hat, kann sie nicht pars pro toto für die Gänze der friedlichen Revolution stehen und wohl auch nicht für ein "Freiheits- und Einheitsdenkmal".

    Aber immer wieder biege ich gedanklich zu missratenen Exemplaren ein: das Goerdeler-Denkmal? Das Goldene Ei? Die Synagogen-Gedenkstätte? Die Panzerketten in Leipzig oder Dresden? Alles bestenfalls unbeachtet. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin?

    Ich widerspreche vehement (Das Ei mal ausgenommen).

  • Der Entwurf "Banner, Fahne & Transparente" törnt auf den ersten Blick enorm ab. Ernüchterung liest sich ja hier auch aus vielen Kommentaren heraus. Ich habe ein paar Tage gebraucht, um am tiefsten Punkt der Enttäuschung einen Stimmungswandel hinzubekommen: es muss Teil der Strategie der beteiligten Architekten & Künstler sein, mit so wenig Versprechen wie möglich anzufangen, um für das weitere Verfahren das Momentum auf der eigenen Seite zu behalten.


    Mit dem ersten Wohlwollen kamen Erinnerungen an Christos Projekt "The Gates", das 2005 im New Yorker Central Park umgesetzt wurde.


    fey3uj8p.jpg

    https://en.wikipedia.org/wiki/…s#/media/File:Gates_f.jpg



    Bekommen wir so etwas? Als wehende Fahnen und Transparente mit Windschlitzen??



    vxql79ts.jpg

    https://en.wikipedia.org/wiki/…k_City_LCCN2011633978.jpg



    Von Bannern gesäumte Wege, die sich auch in andere Leipziger Gegenden verlaufen können?



    Wie herrlich, wenn es wahr würde, und das das himmlische Kind die Einladung annähme...

  • 2030? 🤣


    Quelle honte !


    Zum Glück bin ich regelmäßig in Städten wie Dijon, Narbonne oder auch Béziers und kann in den dortigen Markthallen regionale Produkte kaufen und Einkaufskultur genießen.


    Leipzigs Innenstadt ist immer mehr verzichtbar. Leider. Um meine Heimatstadt tut es mir nur noch leid... Vor allem wenn man aus Frankreich zurück kommt, spürt man das sehr heftig.


    Da passt es vollkommen ins Bild, die hiesige Markthalle weiter zu verzögern... Und mal ehrlich. Bis 2030 findet man auch Gründe, den Baubeginn auf 2040 oder später zu schieben...


    Meine Generation wird es nicht mehr erleben, dass Leipzig wieder eine Markthalle bekommt!

  • Das Datum hatten wir schon im April diskutiert.


    Es wird doch daran gearbeitet, die erhoffte Einkaufskultur zu stärken, insofern verstehe ich die Kritik nicht so ganz. Was machen die genannten französischen Städte denn besser, außer dass ihre Markthallen vielleicht nicht zerstört wurden und keine sozialistische Diktatur zu bewältigen war? Dresden hat seit etlichen Jahren eine Markthalle, die interessantere Einkaufsstadt ist es trotzdem nicht.


    Immerhin gibt es nun ein in Teilen noch etwas vages Bauherren-, Betreiber- und Finanzierungskonzept. Das komplette Gebäude soll in städtischer Regie gebaut und wohl auch betrieben werden. Für ersteres ist das Kulturreferat verantwortlich, das mir schon jetzt mit einigen seiner Aufgaben überfordert scheint. Auch Dienberg hat in dessen Richtung schon Kritik geäußert, weil es nicht mit der Konzeption für das "Forum für Freiheit und Bürgerrechte" vorankommt. Umgesetzt wird laut Vorlage der komplette Bau dann von der LWB.


    Betreiber sollen dann sein: LWB (Wohnungen), LGH Leipziger Gewerbehof GmbH (Musik- und Volkshochschule) und Marktamt (Markthalle). Für letzteres käme auch eine private Firma infrage.


    Ein Architekturwettbewerb soll nächstes Jahr abgehalten werden. An die versprochene "herausragende Architektur" glaube ich ohnehin erst, wenn ich sie vor mir sehe, in dieser Gesamtkonstellation aber noch weniger.


    Der Stadtrat muss diesem Vorgehen zustimmen. Ich würde mir durchaus wünschen, dass die Wirtschaftlichkeit und die erzielten Effekte hinterfragt werden. Wenn man sich aber entscheidet, das ganze durchzuziehen, dann gehen keine halben Sachen. Dann muss wirklich rangeklotzt werden.

  • ^^


    In Dresden sieht die Markthalle auf Bildern eigentlich wie ein Rewe aus, der in ein Industriegebäude gezogen ist.