Oranien Du hast zwar grundsätzlich nicht ganz Unrecht. Etwas genauer sollte man aber schon hinschauen. Es erscheint sonst fast, als wenn der BER kaum noch ausländische Besucher in die Stadt bringt, der Tourismus komplett am Boden liegt und es absehbar auch nur noch schlimmer und schlimmer kommen wird.
1) primär der nationale Flugverkehr "fehlt" und kommt absehbar auch nicht zurück - internationaler Flugverkehr erholt sich langsam aber sicher
Wenn man sich mal die neueste verfügbare deutsche Flugverkehrsstatistik von 08/24 ansieht, dann kommt man in den ersten 8 Monaten insgesamt auf 87% der PAX aus 2019. Dabei erreicht der innerdeutsche Verkehr noch nicht einmal 50% des Vorkrisenwerts aus 2019, der europäische Verkehr liegt hingegen aber bereits wieder bei 90% und der interkontinentale Verkehr sogar bei 93,3%.
Dieser Trend gilt für den BER sogar noch stärker und setzt sich hier auch stetig weiter fort. Laut aktuellster aktuellster Berliner Verkehrsstatistik von 09/24 gab es am BER von Januar bis September gegenüber dem Vorjahr 13% Wachstum bei ausländischen Fluggästen, aber nochmals knapp 1% Rückgang bei deutschen Fluggästen. Insgesamt erreichten die PAX rund 70% der Werte von 2019. Auffälligerweise erreichte aber vor allem der inländische Verkehr nur noch knapp 35%(!) der alten Werte, der ausländische Verkehr jedoch immerhin schon wieder 81% (keine Aufschlüsselung auf Europa und interkontinental). Auch letzteres ist sicher kein überragender Wert, allerdings doch weit besser als teilweise angenommen wird. Zuletzt wurde das Angebot an internationalen Verbindungen stetig ausgebaut und die Nachfrage ließe laut Angaben diverser Airlines wohl sogar noch deutlich mehr Wachstum zu, die gegenüber anderen Standorten aktuell nur noch nicht lukrativ genug erscheinen (da die Lieferengpässe nach und nach abgebaut werden und neue Jets andere Kalkulationen zulassen, wird diese Nachfrage jedoch zunehmend bedient werden können).
Die Konnektivität innerhalb Europas ist dabei bereits jetzt schon wieder ziemlich stark und wird absehbar besser statt schlechter. Zudem nahm zuletzt gerade auch das Angebot an interkontinentalen Verbindungen und Langstrecken merklich zu und wird dem Vernehmen nach ebenfalls weiter wachsen.
2) Berlins Tourismus erholt sich deutlich stärker als Berlins Flugverkehr
Dann sollte man auch nicht den Fehler machen, Flugverkehr mit Tourismus gleichzusetzen. Schon die Daten für das Gesamtjahr 2023 zeigen, dass der Tourismus gerade die vermeintlich "fehlenden" Fluggäste aus dem Inland (s.o.) recht gut kompensierte. Damals lag die Auslastung des BER bei gerade einmal 64% der kombinierten Werte für Tegel und Schönefeld aus dem Rekordjahr 2019. Dagegen erreichte der Tourismus bereits wieder rund 87% der alten Rekordmarke.
Wie oben beschrieben, steuern wir für 2024 auf 70% der PAX zu, wobei der ausländische Anteil immer weiter zunimmt. Und nach den bisher für 2024 verfügbaren Daten für Januar bis Juni gab es zuletzt 6,5% mehr Touristen (+13,4% ausländische Touristen). Hier sollten wir uns also 90% der alten Werte annähern. Heißt mit anderen Worten, dass die Touristen inklusive Auslandstouristen Berlin im Zweifel auch auf anderen Wege erreichen (Bahn, Fernbus, Auto) und sich die Nachfrage auch einen Weg bahnt. Da die Fluggesellschaften in Berlin aber überwiegend ohnehin auf- statt abbauen, kann auch nicht von einem Abwärtsstrudel die Rede sein. Wir kommen zwar aus einer Delle, es wird aber besser statt schlechter.
Fazit: Sicher ist gerade beim Billigtourismus einiges weggebrochen und das wird speziell den Clubs in ihren komplexen strukturellen Problemen nicht helfen (monokausal ist deren Lage aber nicht und zugleich weder unerwartet noch völlig aussichtslos - siehe bspw. hier). Was den Kunstmarkt angeht, kann ich ehrlich gesagt nicht wirklich mitreden. Damit habe ich mich noch nie intensiver beschäftigt.
Aber schon in der Vergangenheit wurde oft der Fehler gemacht, den Anteil des - durchaus umstrittenen - Billigtourismus am Berlintourismus dramatisch überzubewerten. Sicher war und bleibt der Anteil größer als in anderen Großstädten. Berlin wird aber auch so eine starke Tourismusindustrie sowie eine attraktive und vielfältige Kulturlandschaft aufweisen. Beides wird wohlgemerkt zumindest teilweise in frühere Randbezirke abwandern. Das ist aber auch kein rein berlinspezifisches Phänomen und hat paradoxerweise oft eher mit zu viel statt mit zu wenig Tourismus und Kapital zu tun. Der (frühere?) Visit Berlin Chef sagte einmal sinngemäß: Wenn der (Massen-)Tourismus ein Stück authentischer Kultur vorfindet und aufsucht, dann transformiert und zerstört er es (leider) meist früher oder später. Oder wie die Deutsche Welle im oben verlinkten Bericht schreibt: Es ist in der Regel ohnehin nicht das Wesen von (Berliner) Clubs, dass sie über Jahrzehnte in identischer Form sowie am selben Standort überdauern.