Das heutige Bauen - das damalige Bauen

  • Fachwerkhäuser ähneln sich bei grober Betrachtung sehr, das selbe gilt für barocke Bauten und ebenso, bzw sogar vor allem für Gründerzeitler.


    Eben!!! Deshalb machte Gropius die von ihm gewünschte 'Einheit in der Vielfalt' in vielen Epochen aus, an die er gerade anknüpfen wollte - er sah seine Moderne also als in einer Tradition stehend an (vgl. z. B. Aufsatz "Einheit in der Vielfalt - ein Paradox in der Kultur")!

    Bei der "Moderne" gibt es hingegegen soviele verschiedene Strömungen, Gebäude die stark Bauhausgeprägt sind oder hypermoderne Bauten die genausogut in "Starwars" stehen könnten, aber auch historisierende Gebäude, wie sie momentan oft in Berlin gebaut werden sind ja ein Teil der heutigen "Moderne".


    Na ja, mit "Moderne" würde ich mich lieber als auf etwas beziehen, wogegen die Postmoderne reagierte (also nicht einfach das Zeitgenössische) - vgl. „Was ist Postmoderne?“ Charles Jencks, Zürich und München, 1990; und Roland Posner "Semiotik diesseits und jenseits des Strukturalismus: Zum Verhältnis von Moderne und Postmoderne, Strukturalismus und Poststrukturalismus",
    zusammengefasst unter: http://www.semiotik.tu-berlin.…_hft_3u4/?id=55974#174468

  • Architekten können innerlich so "kreativ" sein wie immer sie wollen, dadurch dass die Bauten einfach so dermaßen reduziert sind und auch gar kein Budget für mehr als "Bruttogeschossfläche" da ist bleibt das Repertoire weitgehend ungenutzt. Mein Lieblingsstil ist der bayrische Jugendstil (der ja seinen "Namen" von einem münchner Kulturmagazin hat, ist also weit mehr als nur Architektur). Gerade weil es kein "Stil" in dem Sinne ist sondern die Architekten ihrer persönlichen Kreativität freien Lauf gelassen haben. Da ist alles dabei, jedes Material, von der Loggia zum Attikageschoss; die haben gezeigt was sie können, Unikate geschaffen.


    Der Planungsaufwand hat sich doch potenziert! Von der Grundrissgestaltung von Büros und Wohnungen in puncto Flexibilität, bis hin zu Energieoptimierung, Baukonstruktion etc..
    Versuch eines Vergleichs: Heutzutage entspricht ein Haus technisch einem Mercedes, früher einer Postkutsche mit ein paar Schnörkeln dran.


    Bei allem Verständnis für das Unverständnis gegenüber moderner Gebäudegestaltung, man sollte sich in einem Architekturforum doch mit der Materie besser auseinandersetzen.


    Energieoptimierung und das Beackern der ganzen Regelwut mag einen Architekten beschäftigen; hat aber mit Architektur soviel zu tun wie die Bürokratie die einen Großteil der Arbeitszeit der Ärzte in Anspruch nimmt etwas mit dem eigentlichen Medizinerberuf zu tun hat. Ausufernde Bürokratie ist halt ein Merkmal unserer Zeit, damit muss aber jeder Berufsstand irgendwie klar kommen.


    Wenn wir mal dabei bleiben dass Architektur eine Kunst ist, und nicht nur Bautechnik, dann ist das sog. "Schnörkel" die Essenz des Ganzen. Moderne Architektur ist all zu oft in meinen Augen nur eine leere Leinwand, das ist so als ob ein Maler einfach eine leere Leinwand aufhängt. Hier und da mag man das spleenig finden und beklatschen, wenn das aber alle machen...der Maler kann sich verwirklichen wie er will, ich bin neugierig auf alles und habe keine Vorbehalte. Aber ich verlange dass sich der Maler, der Architekt, und jeder andere Künstler anstrengt und nicht einfach jede Kritik als Majestätsbeleidigung Unwissender abtut. Des Kaisers neue Kleider....


    Und wenn ich mir den letzten und vorletzten Satz so durchlese kann ich nur sagen "Arzt heile dich selbst", wenn man sich nämlich mit den planerischen Leistungen früherer Baumeister auseinandersetzt, was diese mit den beschränkten technischen Möglichkeiten ihrer Zeit vollbracht haben, dann ist eher von einer De-Evolution der Architektur und Kreativität zu sprechen. Gerade weil heute die bautechnischen Möglichkeiten nahezu unbegrenzt sind gibt es für mich keine Entschuldigung mehr für uninspirierte Architektur.

  • Das ist mir allerdings zu hundertwasserisch. In erster Linie ist Architektur für mich soziale und ästhetische Problemlösung. Dabei müssen die jeweiligen technischen Anforderungen natürlich erfüllt werden. 'Kreativität' soll sich jedenfalls in diesen Grenzen abspielen, und der Jugendstil taugte für schöne Villen und Kunstschulen, aber nicht für den sozialen Wohnungsbau.

  • und der Jugendstil taugte für schöne Villen und Kunstschulen, aber nicht für den sozialen Wohnungsbau.


    Hier findet man einige Projekte des sozialen Wohnungsbaus, die durchaus nett anzusehen sind. Die Erklärung für die abgesenkte Messlatte nach dem ersten Weltkrieg: Man benötigte in kürzester Zeit viel zusätzlichen Wohnraum. Im Jahr 2010 liegen beide Weltkriege sehr lange her und dieses Problem ist nicht vorhanden.


    Noch ein Link zur Siedlung in Düsseldorf, die darüber als Beispiel der vielfältigen modernen Gestaltung diente. Soweit ich weiß, sie kommt gut an und die Wohnungen sind begehrt - so sehr, dass auf dem restlichen Areal weitere Wohnungen statt Büros entstehen sollen.


    Hier finde ich einen Satz, nach dem die Entwicklung des modernen Designs auf der Idee beruht, dass Kunst im Alltag überall präsent sein sollte. Wie Schade, wenn sie gerade in der gegenwärtigen Architektur fehlen sollte! Wie Augsburger schreibt - die gegenwärtigen bautechnischen Möglichkeiten erlauben mehr als zuvor.

  • Das mag alles sehr schön anzusehen sein, aber nüchtern betrachtet ist es deswegen noch lange nicht Kreativ oder?


    Nach einer etwa 2000-jährigen Geschichte des Wohnungsbaus sollte sich eigentlich herauskristallisiert haben, was eine gute Wohnung ausmacht, aber die Menschheit scheint hier wenig lernfähig zu sein.


    Seit einigen Monaten suche ich in Hamburg eine neue Wohnung, und was man da zu sehen bekommt, ist wirklich erschreckend:
    - zu einer lauten Hauptstraße ausgerichtete Wohnungen, oft sogar das Schlafzimmer
    - Wohnungen mit Nachtspeicherheizungen
    - Wohnungen mit Dachschrägen
    - hellhörige Wohnungen
    - Wohnungen in tristen Siedlungen
    - als "herrlich hell" angepriesene Wohnungen mit riesigen Südfensterfronten (ich wohne in einer solchen, und die unkontrollierbare stark schwankende Wärmeeinstrahlung empfinde ich eher als Last als als Lust)
    - feuchte Souterrainwohnungen, bei denen man sich auf die Zehenspitzen stellen muss, um einen Blick nach draußen zu erhaschen
    - Wohnungen, bei denen der Blick aus dem Fenster nach 1 m an einer Mauer endet


    Insgesamt kann man sich nur wundern über soviel schlechte Qualität. Häuslebauer haben es da einfacher und können sich die Eigenschaften ihres Heims weitgehend aussuchen. Aber Investoren, die Mietshäuser errichten, haben offenbar wenig Qualitätsansprüche. Es wird einfach irgendwas in die Gegend geklotzt, und dank Wohnungsnot wird sich schon ein kompromissbereiter Mieter finden. "Dank" Mietpreisbindung müssen schlechte Wohnungen ja nicht mal billig sein. Und bei halbwegs guten, bezahlbaren Wohnungen reicht am Besichtigungstag die Schlange der Interessenten um den halben Block herum.

  • dass Kunst im Alltag überall präsent sein sollte


    war DER Gedanke sowohl von Werkbund als auch von Bauhaus - allerdings bezogen auf die Bedingung der industriellen Fertigung standardisierter Teile! Sofern der Jugendstil (u. ä.) massentauglich sein wollte, konnte er sich nicht durchsetzen. Interessant ist er aus meiner Sicht daher in erster Linie nur insofern, als er (Morris, Ruskin, Avenarius, ...) ebenfalls schon "im Alltag überall präsent sein sollte", also als Vorläufer.
    Übrigens: Ich - als Bewohner der Siedlung Otto Haeslers, die sogar von Bruno Taut als zu sparsam kritisiert wurde - liebe meine Wohnung, vermisse hier keinen Platz (sie war einst für zwei vorgesehen, und ich bewohne sie nun allein) und schätze den großen Keller sowie den Garten. Ein Wohnungsbauarchitekt, der nicht für Ärzte und Staatsanwälte plant, sollte Schwerpunkte setzen können. Eben das konnten Haesler, Gropius, Taut, May, ... Und sie ist sehr hell und freundlich, das Licht der Nachmittagssonne löst die Vormittagssonne ab, dabei stört kein großer Flur. Und nun noch zur Ästhetik: Was ich außerdem an diesem modernen Altbau schätze, ist, dass er nicht knallbunt konzipiert war und nun schäbig aussieht, sondern vor allem durch seine Formen wirkt.

  • Am hellsten ist's unter freiem Himmel, ich will von einem Gebäude auch Sonnenschutz. Mag an meiner väterlicherseitigen "Latino"-Herkunft liegen dass ich die Vorliebe der Deutschen, sich mit Fensterfronten nach Süden blenden und die Schweiß auf die Stirn treiben zu lassen, nicht verstehen kann (es gilt wohl als "südländisch" sich eifrig jedem Sonnenstrahl auszusetzen den man nur erhaschen kann). Ich kann an deutschem Städtebau und Architektur sowenig gutes finden dass es halt rascher geht das aufzuzählen was mir gefällt/wo ich mich wohl fühle als Bewohner oder Nutzer: Bayrischer Jugendstil; Renaissance wie in Augsburg; konservative Landbauweise mit zentralem Kachelofen, weit auskragendem Satteldach und dicken Ziegelwänden.


    Ich wär eh schon lang "ausgewandert" wenn es nicht Bayern gäb', meine Abneigung gegenüber Deutschland mag daher zugegebenermaßen in meine Ablehnung der deutschen "Moderne" reinspielen. Aber die pure Objektivität gibt es ja eh nicht. Übrigens finde ich da immer ehm pikant dass (nach dem Selbstbild) progressive Modernisten, die ja in der Regel auch "Linke" sind, die Industrialisierung der Architektur so unreflektiert bejubeln wo doch sonst keine noch so abwegige Möglichkeit ungenutzt bleibt "den Kapitalismus" und "Materialismus" und "Konsumkultur" und "Wegwerfgesellschaft" etc. zu kritisieren. "Paläste für Alle" müsste doch eine sozialistische Parole sein (anstatt "Friede den Hütten, Krieg den Palästen").

  • Am hellsten ist's unter freiem Himmel, ich will von einem Gebäude auch Sonnenschutz.


    Keine Sorge, meine Haesler-Wohnung bietet genug fensterfreie Flächen.

    wo ich mich wohl fühle als Bewohner oder Nutzer: Bayrischer Jugendstil; Renaissance wie in Augsburg; konservative Landbauweise mit zentralem Kachelofen, weit auskragendem Satteldach und dicken Ziegelwänden.


    Ja, aber Bauen für viele wird nicht jedem sein Wunschhaus bieten können - daher schrieb ich, dass Wohnungsbau vor allem soziale Problemlösung ist; dazu übrigens: Für Le Corbusiers und Mies' Bungalows habe ich deshalb wenig übrig. Mich reizt also nicht 'DIE Moderne', sondern der Aspekt der Moderne, für möglichst viele möglichst zweckrational zu planen. Dem wurden Leute wie Haesler, Taut, Gropius, May besser gerecht als jene Museumsästheten Mies usw., frühe gigantomanische Stararchitekten, für die ich eher schon Verachtung übrig habe.

    Übrigens finde ich da immer ehm pikant dass (nach dem Selbstbild) progressive Modernisten, die ja in der Regel auch "Linke" sind, die Industrialisierung der Architektur so unreflektiert bejubeln wo doch sonst keine noch so abwegige Möglichkeit ungenutzt bleibt "den Kapitalismus" und "Materialismus" und "Konsumkultur" und "Wegwerfgesellschaft" etc. zu kritisieren.


    Dazu: Ich denke, dass sie sich - unabhängig davon, ob sie die Industrialisierung bejubelt haben - der Industrialisierung des Bauens gestellt haben. Sie wäre ohnehin gekommen. Gropius betonte immer, dass es ihm um möglichst gute Prototypen für die Serienfertigung geht - aus der Erfahrung bzw. Annahme heraus, dass es ihnen sonst an Qualität mangeln würde. Was das Verhältnis der Modernen zum 'linken' Denken betrifft, sieht es sehr viel komplizierter aus: Es handelte sich wohl eher um eine gewisse Neigung dazu, dem Totalitären zu dienen; vgl. z. B. Niels Gutschow: "Ordnungswahn". Das muss man nüchtern so sagen: Aber ich finde, dass man die Errungenschaften dieser Architekten unabhängig davon betrachten kann, wenn man es nicht ganz aus dem Blickwinkel verliert.

  • Bauen für viele wird nicht jedem sein Wunschhaus bieten können - daher schrieb ich, dass Wohnungsbau vor allem soziale Problemlösung ist


    Leider wird das Problem des Wunsches nach individuell gestaltetem Umfeld nicht gelöst. Modernistisch entworfene Siedlungen werden als Käfige betrachtet, sie vertreiben die Menschen in Einfamilienhaussiedlungen. Währenddessen gelten viele (Innen-)Städte mit vielfältiger Gestaltung und abwechslungsreichen, intimen Räumen als begehrt - obwohl sie zum Teil noch dichter bebaut sind.


    Es sollte funktional gebaut werden, allerdings den Menschen optische Befriedigung zu geben ist eine der wichtigsten Funktionen überhaupt. Alleine irgend ein Dach über dem Kopf zu gewährleisten, das wurde bereits in den ersten Jahrzehnten nach dem letzten Krieg gelöst.


    Was das Verhältnis der Modernen zum 'linken' Denken betrifft [...] Es handelte sich wohl eher um eine gewisse Neigung dazu, dem Totalitären zu dienen


    Diese Neigung ist dermassen bekannt, dass jeder Versuch, den Modernismus als fortschrittlicher als andere Stile darzustellen (solche Versuche gibt es immer wieder), stark wundern muss.

  • Was heißt schon "Modernismus"?

    Es sollte funktional gebaut werden, allerdings den Menschen optische Befriedigung zu geben ist eine der wichtigsten Funktionen überhaupt.


    Eben gerade ihrer Ästhetik wegen liebe ich die Haesler-Siedlung, in der ich wohne.

  • ^ Hier erfahre ich, dass große Teile dieser Siedlung derzeit wegen mangelnder Vermietbarkeit abgerissen werden. Die billigsten Sozialwohnungen der Weimarer Republik mochten damals derer Funktion entsprechen, aber die Zeiten haben sich längst geändert. Die spartane Gestaltung war vielleicht den Arbeitern der frühen 1930er Jahre weitgehend egal und heute mag sie zwar Anhänger finden, die jedoch bestimmt nicht der Mehrheit angehören. Ich las bereits viele Artikel der Anhänger dieser Gestaltung, die bereitwillig zugaben, dass die eher elitäre Kreise anspricht.


    Unter dem Begriff Moderne findet man primär eine bestimmte Einstellung, die die Gegenwart von der Vergangenheit abgrenzt. Mit ihm nur einen einzigen (besonders kahlen) Architekturstil zu bezeichnen ist als ob man meinen würde, dass dieser bis in alle Ewigkeit die einzige und unabänderliche architektonische Wahrheit darstellen sollte. Dies steht jedoch im Widerspruch zur ganzen westlichen Kultur, die das Bestehende niemals als endgültig betrachtet. (Und nach einem Jahrhundert wäre auch die höchste Zeit...)

  • Der Begriff "Moderne" grenzt in den gängigsten Verwendungsweisen NICHT Gegenwart von Vergangenheit ab. Genaueres hierzu Jencks über Postmoderne und Roland Posner: <1993a: Semiotik diesseits und jenseits des Strukturalismus: Zum Verhältnis von Moderne und Postmoderne, Strukturalismus und Poststrukturalismus. Zeitschrift für Semiotik 15: S. 211-233> Gerade gegen ein solches Verständnis von Moderne wehre ich mich - das ist aber für die ästhetische und vor allem für die SEMIOTISCHE Sicht auf das 'Neue Bauen' der 20er recht unerheblich.

    Hier erfahre ich, dass große Teile dieser Siedlung derzeit wegen mangelnder Vermietbarkeit abgerissen werden. Die billigsten Sozialwohnungen der Weimarer Republik mochten damals derer Funktion entsprechen, aber die Zeiten haben sich längst geändert.

    Nein. Der erste Bauabschnitt der Siedlung wurde vor sieben Jahren abgerissen, der zweite steht und ist voll vermietet. Zum einen besteht zwischen beiden Abschnitten der Unterschied, dass der erste Tiefkeller hatte, die der Nähe zu einem Fluss nicht dauerhaft gewachsen waren - der zweite weist diesen Nachteil nicht auf (noch zur Bauzeit wurde die Planung von Haesler dementsprechend geändert.) Zum anderen dürfte für den Abriss des ersten Abschnitts auch eine Rolle gespielt haben, dass einem Architekten mit politischen Mitteln ein Auftrag zugespielt werden sollte; wie auch immer, der Teufel steckt in gewissen Details.