Dimension des Stadtschlosswiederaufbaus

  • Selbstverständlich ist ein Neubau, wenn er sich bewusst auf ein Gebäude einer bestimmten Epoche beruft, sowohl durch deren Probleme als auch durch deren Vorteilen positiv und negativ gespiegelt.


    Und die Qualität der Rekonstruktion (mit, sagen wir, den beiden Extrempunkten "Aus den Originalsteinen zusammengebaut" und "Mit Farbe angesprühte Polyethylen-Elemente"), hat damit nichts zu tun, denn es zählt nur die Intention.


    Das Disneyland-Argument und das "Geschichtlich belastet"-Argument schließen sich also keineswegs aus.

  • Dieser und die darauf folgenden Beiträge wurden aus dem Stadtschloss-Thread hierhin verschoben.


    Naja, besonders demokratiefördernd ist die dargestellte Unterwerfungsgeste nun gerade nicht, aber die historische Fassade wurde bestellt und wird geliefert. Ich persönlich finde das in Ordnung.

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    Wenn ich mich nicht irre, stellt die Reliefplatte die Gründungslegende des Schlosses im 15. Jh. dar. Inwiefern das Auswirkungen auf demokratische Prozesse haben soll, erschließt sich mir nicht.

  • ^^ Tomov: Ich finde man muss den Ball auch mal flach halten. Das Relief ist eindeutig ein Produkt aus einer vergangenen Epoche und zeigt dementsprechend die Gesellschaftsordnung aus dieser Zeit. Somit erzählt es schlicht einen Teil unserer Geschichte und jeder Betrachter wird das auch so verstehen.

    Ich finde es völlig absurd zu glauben, dass irgendwelche Menschen davon ihr Demokratieverständnis beeinflussen lassen. Das gilt mMn ebenfalls für die ganzen anderen verkopften Debatten über das Schloss und einige seiner baulichen Elemente.^^


    Unnötiges Vollzitat gelöscht.

  • Ich habe doch geschrieben, dass ich es als historisches Zitat in Ordnung finde, vielleicht nochmal lesen.


    Dennoch zeigt das Relief eine Unterwerfungsgeste und natürlich ist diese als Darstellung des Baubeginns, im historischen Kontext mit dem Berliner Unwillen zu sehen:

    Berliner Unwille – Wikipedia

    Eine Volkserhebung gegen die erwartete feudale Kontrolle Berlins durch den Fürsten als zukünftiger Hohenzollernsitz mit der Errichtung des Schlosses.

    Das Relief zeigt sozusagen den Sieg der Hohenzollern über den demokratischen Selbstverwaltungsanspruch der Berliner.

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    So etwas wie Demokratie hat es im ausgehenden Mittelalter noch gar nicht gegeben. Das, was du hier beschreibst, ist der in fast jeder Stadt aufkeimende Konflikt zwischen städtischer Selbstverwaltung und der Stadt- bzw Landesherrschaft. Aber auch die Selbstverwaltung war alles andere als demokratisch, denn die Ratsmitglieder wurden in aller Regel nicht von der Stadtgemeinde gewählt, sondern die Posten wurden unter den Eliten vergeben. Nachzulesen auch hier: https://www.kleio.org/de/gesch…telalter/alltag/kap_vii3/

  • Natürlich gab es im Mittelalter demokratische Grundzüge mit gewähltem Bürgermeister und Stadtrat. Auch heute darf übrigens nicht jeder wählen, der in Berlin lebt. Dass es auch anderswo Konflikte zwischen Landesherren und Städten gab, ändert nichts am beschriebenen Sachverhalt.

  • Ich habe doch geschrieben, dass ich es als historisches Zitat in Ordnung finde, vielleicht nochmal lesen. ...

    Wenn du täglich dutzende Male brav an der Ampel wartest ist das auch eine Unterwerfungsgeste. Gesellschaftlicher Konformismus und für die Allgemeinheit gemachte Regeln eines von dir nicht beeinflussbaren Gesetzeswerkes siegen über dein angeborenes Bedürfnis nach Freiheit und Selbstbestimmung sowie deine Entscheidungsgabe und Deinen gesunden Menschenverstand. Die Ampel symbolisiert sozusagen den Sieg der Bürokratie über deinen Selbstverwaltungsanspruch.


    Zitat gekürzt.

  • Tomov


    Als Mediävist versuche ich es nochmals, es dir anders zu erläutern: Das Motiv der Reliefplatte ist Ausdruck der mittelalterlichen Verfassungsstruktur und der sozialen und herrschaftlichen Ordnungsgefüges. Sie mit heutigen Werturteilen zu deuten, verbietet sich bereits im Ansatz. Insofern ist an der Darstellung auch nichts undemokratisch. Das Relief zeigt einen historischen Akt, der von den damaligen Zeitgenossen als nicht unüblich oder ungebührend erniedrigend empfunden worden sein dürfte.

  • ^ Nur sind die Reliefs halt nicht mittelalterlich, sondern neuzeitlich. Die Originale stammen von 1902 – aus einer Zeit, in der die Legitimität fürstlicher Herrschaft, vorsichtig ausgedrückt, umstritten war. Die Botschaft ist eine ähnliche wie bei der 50 Jahre älteren Kuppelinschrift: Sie unterstreicht einen Machtanspruch, über den die Zeit eigentlich schon hinweg war. Das war nicht nur undemokratisch gemeint, sondern dezidiert antidemokratisch ("Gegen Demokraten helfen nur Soldaten", wie es Friedrich Wilhelm IV. 1849 so feinfühlig ausdrückte).


    Aber sei's drum. Meinetwegen können die Dinger da gerne hängen, sehen ja ganz gut aus. Ich verstehe bloß den Impuls nicht, solche Kunstwerke unbedingt als harmloseste L'Art pour l'art zu interpretieren und den politischen Kontext ihrer Entstehung auszublenden.

  • ^ Natürlich sollen solche Kunstwerke den Herrschaftsanspruch der Hohenzollern verdeutlichen. Die Historienmalerei ist sogar ein eigenes Kunstgenre, das seine Wurzeln bereits in der Renaissance hatte. In diesem speziellen Fall bezieht sich die Darstellung unmittelbar auf die Berliner Geschichte. Wir müssen damit aufhören, historische Prozesse mit den heutigen Werten zu messen, sonst enden wir in einem Bildersturm, denn die Darstellung von Herrschaftsansprüchen ist über Jahrhunderte allgegenwärtig in der Kunst und vor allem auch in der Architektur. Wollen wir die Dome in Mainz, Speyer oder Worms als antidemokratisch bezeichnen? Sind alle Burgen, Schlossbauten und Bischofskirche antidemokratisch, weil sie explizit die Macht der Eliten zum Ausdruck bringen sollten?


    Ich verstehe bloß den Impuls nicht, solche Kunstwerke unbedingt als harmloseste L'Art pour l'art zu interpretieren und den politischen Kontext ihrer Entstehung auszublenden.

    Nein sie sind selbstverständlich Bedeutungsträger in ihrer Zeit gewesen. Sie haben aber gar nichts mit den heutigen Verhältnissen zu tun. Sie transportieren daher heute eine historische, aber keine antidemokratische Botschaft. Soviel Differenzierung traue ich auch den schlichtesten Zeitgenossen zu. Niemand fühlt sich durch diese Darstellungen direkt angesprochen. Das war 1902 natürlich ganz anders.

  • Im Endeffekt ist das Eosanderportal mit der Kuppel, so wie es wiederhergestellt wurde, ein Museum und dazu gehören m.A.n. entsprechende Erläuterungen, wie es sie für das blaue Spruchband schon gibt.


    Aber das gilt nicht nur für das Portal, auch die anderen Darstellungen und Gestaltungen am Schloss und auch drum herum, bis hin zu Karl und Friedrich auf dem MEF und selbstverständlich das doppelte Portal im ehemaligen Staatsratgebäude, gehören sauber abgegrenzt kommentiert. Sonst besteht die Gefahr, dass das ganze Umfeld zur "Kuriositätensammlung" wird, die keiner versteht.

  • tegula: Sie bauen mich als Pappkameraden auf. Ich habe explizit geschrieben, dass die Dinger da ruhig hängen sollen – wie also kommen Sie auf "Bildersturm"?


    Und auch als schlichtester aller Zeitgenossen möchte ich doch noch ein wenig stärker differenzieren als Sie: "Burgen, Schlossbauten und Bischofskirchen" können bis in die frühe Neuzeit hinein nicht antidemokratisch sein, weil Demokratie im Denken ihrer Erbauer keine Rolle spielte. Sie sind a-demokratisch (was etwas anderes ist). Versailles etwa dokumentiert den Machtanspruch der monarchischen Zentralgewalt gegenüber dem Adel, das Volk kam den Bourbonen als Subjekt von Herrschaft gar nicht in den Sinn (bis es ihnen die Hälse abschnitt).


    Das ist im 2. Kaiserreich ganz anders: Als die Reliefs ans Schloss gehängt wurden, war die Feudalzeit längst Geschichte und das Reich im Kern ein bürgerlicher Nationalstaat. Die Sozialdemokratie war stärkste Partei im Reichstag, die Legitimität der deutschen Throne wackelte spätestens seit 1848 ganz erheblich. Und es war nicht der abgesunkene Adel, der an ihnen sägte, sondern eine Bevölkerung, die längst aufgehört hatte, Dritter Stand zu sein. In dieser Zeit war der Verweis auf das 15. Jahrhundert nicht nur antidemokratisch gemeint, er war auch anachronistisch.

    Wir müssen damit aufhören, historische Prozesse mit den heutigen Werten zu messen

    Zweifellos richtig. Aber gerade als Mediävist sollten Sie nicht den Fehler machen, dem Heute ein abstraktes "Früher" gegenüber zu stellen. Bei Ihnen klingt eine ungebrochene Kontinuität von 1440 bis 1902 an. Als wäre das wilhelminische Berlin keine moderne Millionenmetropole gewesen, sondern noch immer eine spät-mittelalterliche Kleinstadt. Das war es nicht: Auch wenn die kaiserlichen Wilhelms mit den Arbeitermassen ihrer Zeit gerne so umgeprungen wären wie die markgräflichen Friedrichs mit den unbotmäßigen Bürgern des Berliner Unwillens - die Zeit des Kniens war vorbei.

  • Sie bauen mich als Pappkameraden auf. Ich habe explizit geschrieben, dass die Dinger da ruhig hängen sollen – wie also kommen Sie auf "Bildersturm"?

    Das war sicherlich nicht meine Absicht, denn meine Worte richteten sich vor allem an Tomov. Ich möchte mit meiner Argumentation lediglich davor warnen, historische Herrschaftsdarstellungen reflexartig als demokratiefeindlich darzustellen. Denn damit sind wir ganz schnell dabei, jegliche Form von Herrschaft mit unseren Maßstäben zu verdammen. Dass dies nicht erstrebenswert ist, darüber sind wir uns aber doch sicher einig.

  • Ich habe auch explizit geschrieben, dass ich für die Wiederanbringung bin. Kann man die Dinge nicht bitte differenziert betrachten?

  • Die Künstler der Relief-Platten haben zwei Ereignisse abgebildet: Die eine Platte zeigt das Gründungszeremoniell von 1443 mit Knienden und die andere Platte die Vorstellung des Schlossmodells von 1699 mit einem vom Thron herabblickenden, prächtig gekleideten Barockfürsten. Beide Platten in den damals jeweils selbstverständlichen Verhaltensmustern ihrer Zeit. Beide historischen Rituale zeigen natürlich keinen Hauch von demokratischer Gesinnung im heutigen Sinne. Wie also kommen Mitdiskutanten nun auf die Idee, zu unterstellen, dass die Künstler oder Auftraggeber dieser Platten eine ganz bewusste antidemokratische Positionierung der Hohenzollern gegen die Bevölkerung des ausgehenden 19. Jahrhunderts beabsichtigt haben? Die Platten sind dekorativ. Basta. Wir müssen nicht ganz Berlin und alle Schmuckstücke früherer Jahrhunderte mit Kontextualisierungstafeln vollhängen, um entschuldigend richtigzustellen, dass wir wenigstens heute politisch korrekt denken. Denn zukünftige Generationen könnten uns unsere zeitgemäße Gesinnung ebenso um die Ohren hauen!


    Übrigens: Die neuen Bronzeplatten kontrastieren gegen den Sadstein sehr dunkel. Auf alten Bildern erscheinen die ursprünglichen Platten sehr viel heller. Wurden die neuen Platten in dunkler Tönung behandelt? Werden sie noch heller?

    Einmal editiert, zuletzt von Bauaesthet () aus folgendem Grund: Ergänzung

  • "Basta" ahja...


    Ich denke einigen geht es eher darum, dass es einen Beigeschmack hat, wenn man in den 20er Jahren des 21. Jahrhunderts solche Reliefs und Schriftzüge NEU herstellen und anbringen lässt. Als Befürworter von Rekonstruktionen sollte man daher wenigstens versuchen anzuerkennen, dass es Teile der Bevölkerung gibt, die diese "Kunst am Bau" zumindest kritisch sehen und dass dieser Standpunkt durchaus legitim ist.


    Jetzt grüßt uns der Spruch an der Kuppel und die Reliefs, das wird auch so bleiben. Hoffentlich wird irgendwo am oder im Gebäude darüber aufgeklärt und in einen Kontext gesetzt, ansonsten kann man eh davon ausgehen, dass bis auf ein paar Kunstinteressierte, die meisten Passanten einfach daran vorbeilaufen, drei Fotos knipsen und sich nie mit den Details der Fassade auseinander setzen werden.