Ich bin zunächst einmal unglaublich traurig, dass ein Weltkulturerbe ersten Ranges wie Notre Dame abgebrannt ist und nur um ein Haar der völligen Zerstörung entgangen ist. Man sollte sich in Demut verneigen vor dem Einsatz der Feuerwehrleute, die ihr Leben riskiert haben, um diesen Schatz europäischer Kultur zu bewahren. Wenn man zum Beispiel die aktuelle Diskussion im APH verfolgt und auch in Teilen der sozialen Medien, dann wird einem fast schlecht, welch krude Theorien hier zur Brandursache unters Volk gebracht werden. Ich für meinen Teil bin sehr dankbar, dass man die wesentliche Struktur der Kirche retten konnte und dass ein so ikonischer Bau wie Notre Dame nicht verloren ist und der Menschheit in weiten Teilen erhalten bleibt.
Doch bei allem Aufatmen wiegen auch die Verluste schwer, denn gerade Dinge, die man ja auch immer wieder beim Wiederaufbau des Schlosses kritisiert, sind jetzt auch bei Notre Dame in Teilen verloren, nämlich Authentizität. Gerade der Dachstuhl aus der Entstehungszeit wird so nie wieder zu rekonstuieren sein und die Geschichte und die Schaffenskraft, die darin erzählt wurde, ist für immer verloren. Ohne Zweifel wird die Kirche als 1:1 Kopie wieder entstehen, den typisch deutschen Reflex, Spuren von Katastrophen zu konservieren oder Kontraste oder Neuinterpretationen zu schaffen, traue ich den Franzosen nicht zu. Zum Glück. Aber trotzdem wird Notre Dame nicht mehr die gleiche Kirche sein.
Um zum Stadtschloss zurück zu kommen, muss man hier gezogene Vergleiche zur Spendensumme aber auch etwas einordnen. Erstens ist Notre Dame eines der ikonischsten Bauwerke der Welt, wenn man 5 Kirchen, die man weltwelt kennt, aufzählen soll, wäre sie bei fast jedem immer dabei. Und zweitens ist es etwas völlig anderes, ob ein bestehender, seit Jahrhunderten existenter Bau beschädigt wird oder ob ein Bau nach 70 Jahren Verschwinden völlig neu gebaut wird. Fast niemand, der heute noch lebt, hat das Schloss je live gesehen. Somit verbietet sich ein Vergleich eigentlich. Und bei aller Liebe zum Berliner Schloss, aber Notre Dame ist dann auch von der Bedeutung her nochmal eine andere Hausnummer.
In Deutschland ist da wirklich nur der Vergleich zum Kölner Dom zu ziehen und ich kenne so viele Kölner und glaubt mir, wenn da nur eine Spitze abbrechen würde, jeder Kölner würde die Arbeit stehen und liegen lassen und erst wieder heim gehen, wenn der Dom wieder steht. Ich habe mit einem gebürtigen Kölner gestern drüber gesprochen und er meinte, in Köln hätte der Wiederaufbau noch in der Nacht der Zerstörung begonnen. Aufgrund der föderalen Struktur gibt es in Deutschland diese starke Verbindung zu einer Hauptstadt eben nicht, wie es diese in Frankreich gibt, aber dafür ist der Regionalstolz viel stärker ausgeprägt, was durch die geschichtlichen Entwicklungen im 20. Jahrhundert nochmal verstärkt wurde.
Der Kölner an sich ist viel mehr an den Menschen interessiert und am Kölner Lebensgefühl. Daher sieht die Stadt auch aus, wie sie aussieht, aber das gilt nicht für den Dom. Köln ohne den Dom ist undenkbar, ich prophezeihe, dass im Härtefall die Kölner aus sich heraus 1 Milliarde oder mehr für den Dom zusammen bringen würden, wenn es nötig wäre. Niemals würde man in Köln den Dom aufgeben.
Vor diesem Hintergrund finde ich es daher umso bemerkenswerter, dass es gelungen ist, im Falle des Berliner Schlosses über 100 mio für einen Bau zusammen zu bringen, der seit fast einem dreiviertel Jahrhundert aus dem Bewusstsein der Menschen verschwunden war, der emotional nie den Stellenwert hatte, wie z.B. der Dom in Köln und der insbesondere in der Anfangszeit sehr stark von Spenden aus dem gesamten Bundesgebiet finanziert wurde. Mir ist weltweit kein einziger Fall bei ähnlicher Voraussetzung bekannt, wo dies so gelungen ist. Das Geld für die Dresdner Frauenkirche wurde zentral über emotionale Werte eingesammelt. Dieser entscheidene Faktor fehlte in Berlin vollkommen.
Und der Wiederaufbau in Dresden kam aus der Stadtgesellschaft selber, in Berlin war es lange eine recht teilnahmslose und eher sogar sehr kritische Haltung. Von daher sehe ich die gesammelte Spendensumme als extrem beachtlich. Wobei es natürlich schon schön gewesen wäre, wenn sich einige der reichsten deutschen Familien in ähnlicher Art und Weise an diesem nationalen Projekt beteiligt hätten, wie es entsprechende Familien nun in Frankreich tun. Das schließt auch die großen deutschen Unternehmen ein.
Das Mäzentum ist in Deutschland extrem ausbaufähig und im Vergleich zu anderen Ländern nur als rudimantär zu bezeichnen, zum großen Nachteil für den öffentlichen Kultursektor, der aus sich heraus kaum noch in der Lage ist, Sammlungen oder Projekte eigenverantwortlich zu finanzieren. Diese fatale Lage sieht man beispielhaft auf dem Kunstmarkt, wo Meisterwerke europäischer Kunst reihenweise vom Markt verschwinden, weil europäische Museen nicht mehr in der Lage sind, auch hier nur ansatzweise die aktuellen Preise am Kunstmarkt zu zahlen, mit der Folge, dass viele Werke nicht mehr in Museen hängen und der Allgemeinheit zugänglich sind sondern in Depots als Geldanlage oder in privaten Palästen landen. Eine weitere traurige Entwicklung!