Dimension des Stadtschlosswiederaufbaus

  • Die Komplexität der Zeit der Teilung Berlins wird dadurch - am zentralen Ort - zugebaut, mit preussischer Fassade.


    Es gibt keine "preussische Fassade" und auch keine "Hohenzollernfassade", der Stil heisst Barock. Da gibt es ein Vorbild, wo es ebenso ein Königsschloss mit Barockfassaden (zumindest an der Westseite) gibt, aus der Ferne sichtbar, zentral, heute als Museum genutzt - ohne des Bezugspunkts wäre die kristallisierende Achse des Westens einer Weltstadt ein Weg ins Nichts. Ich vermute, hätte der deutsche General 1944 auf seinen Boss gehört und alles gesprengt, hätten die Franzosen längst alles wiederaufgebaut.


    Es gibt auch ein Schloss, welches zerstört und wiederaufgebaut wurde. Ich wüsste keine einzige Person in Polen, die diesen Wiederaufbau in Frage stellen würde, nicht mal die Kommunisten. (Immerhin haben die selbst das Schloss in den 1970ern wiederaufgebaut.)


    Nun bin ich ganz neu hier und habe das bereits bestehende Thema aufgegriffen.


    Ich glaube, selbst ein Besucher vom Mars hätte rasch darauf kommen können, dass es zum Thema bereits ein paar Milliarden Diskussionen gab. Da der Rohbau fast fertig ist, scheint mir etwas überflüssig, es noch zum 100.000.000.000+1-ten Mal vom Anfang an breitzuwälzen. Nicht nur mir, wie ich sehe.


    Dass das Thema darüber hinaus in diesem Forum schon oft diskutiert wurde - was soll ich mit dieser Aussage anfangen?


    Akzeptieren? Sich einfach am wiederaufgebauten Schloss erfreuen und wenn nicht - es mit großem Bogen meiden?


    man kann sich vielleicht für neue Aspekte interessieren oder es lassen


    Nach einigen Milliarden Anläufen gibt es keine neuen Aspekte, alle wurden oft besprochen.

  • von der Aussage aber letztlich nicht, oder eine falsche.


    Aber nur aus deiner Sicht. Es wurde ja schon mehrmals erwähnt, dass durch die Ansiedlung der außereuropäische Sammlungen im HF die Museumsinsel enorm gestärkt wird und auf der Welt als zusammenhängende Museumslandschaft ihresgleichen sucht. Für mich ist die Aussage - Berliner Mitte --> Bildungsstandort für Kulturgeschichte und Wissen - durchaus eine positive.

    Daher wäre mir der freie Raum lieber gewesen. Die umliegenden Gebäude finde ich ihrer Wirkung für sich sehr stark und spannungsvoll im Gegenüber, das aufzugreifen und den leeren Raum dem Betrachter zur Verfügung stellen, der die "leere" Mitte dann selbst füllen kann.


    Aus meiner Sicht war diese Weite, der leere Raum dann doch deutlich zu offen und undefiniert; als ob etwas gefehlt hat um den städtischen Raum (vor allem in Bezug auf Altes Museum und Lustgarten die sich ins Leere wandten) zu begrenzen.

    Dann ist der individuelle Betrachter der zentrale Bezugspunkt.


    Naja, das liegt natürlich im Auge des Betrachters. Schließlich bleibt zwischen HF, Dom, Altes Museum und Lustgarten immer noch genügend Raum um die Umgebung auf sich wirken lassen zu können.


    Im Bau-Thread des HFs habe ich eine Übersicht der HF-Threads zusammengestellt und darauf hingewiesen, dass Diskussionen wie diese auch in diesem Thread stattfinden können. Insofern, passt schon.

  • Alles was ich schreibe ist meine subjektive Sicht, da geht es mir wie allen anderen :)



    Batō:


    Ich verstehe deine Hinweise zur zenralen nationalen wie internationalen kulturellen Bedeutung der Museumsinsel und teile sie natürlich.


    Meine Überlegungen zum "offenen Raum" explizit an diesem Platz sollen dazu gar kein Gegenargument bilden sondern eher einen anderen Aspekt der Bedeutung dieser besonderen Stadtgestaltung an diesem besonderen Ort hinzufügen. Reflektion über die Wirkung von Historie nicht nur durch ihre museale Ausgestaltung resp. in diesem Fall Rekonstruierung, sondern im Hinblick auf das Individuum, die Stadtgesellschaft und ihrem lebendigen Anteil an der eigenen Geschichte, zumal wenn es die der deutschen Geschichte des 19./20. Jhdts. ist.


    Vielleicht klingt das alles etwas spinnert, aber ich gebe das wieder, was ich selbst empfunden habe an diesem Ort, nämlich: lass mir Platz, ich möchte nachdenken, in der Betrachtung der Gebäude, die ich um mich herum sehe.


    Man hätte etwas wagen können an diesem Ort, das nicht nur durch rein architektonische Gesichtspunkte gewichtet gewesen wäre.


    Aber wer weiß, wie letztlich die Aussage dieses Platzes nach Fertigstellung des HF sein wird. Ich fürchte sie wird sein: seht her - ein Schloss.


    "Aus meiner Sicht war diese Weite, der leere Raum dann doch deutlich zu offen und undefiniert; als ob etwas gefehlt hat um den städtischen Raum (vor allem in Bezug auf Altes Museum und Lustgarten die sich ins Leere wandten) zu begrenzen."


    Dieses Argument verstehe ich - "zu" offen und undefiniert.



    --------------------------------


    "dass Diskussionen wie diese auch in diesem Thread stattfinden können"


    gut.

  • Der herausragende Barockbau in Deuschland ist wohl eher die Würzburger Residenz.


    Ich weiss nicht, ob man das so sagen kann. Sagen kann man definitiv, dass der "Berliner Barock" kein Kulturschatz nationalen Ranges war, wenn es um Barock geht. Der Prunk des bayerischen Barock ist natürlich eine ganz andere Kategorie. Wenn man sich nur die Asamkirche in München einmal anschaut, so springt dort sofort in's Auge, was ich meine:


    http://de.wikipedia.org/wiki/D…C3%BAnich,_Alemania02.JPG


    Das macht aber nichts. Für die Lokalgeschichte ist es unbestreitbar ein prägendes Gebäude gewesen, man muss nicht immer gleich Superlative bemühen. Berlin war ja historisch auch eher von Arbeitern geprägt, als eine bürgerliche Metropole. Und die berliner Monarchen waren eher "Soldatenkönige", als "Sonnenkönige". Insofern passte die eher "graue Maus" Berliner Stadtschloss, dessen Zugehörigkeit zum Barock man auf den ersten Blick auch nicht unbedingt erkennt, wunderbar zu Berlin. Die von dir genannte Würzburger Residenz, für die bayerischen Monarchen erbaut, ist übrigens ein schönes Beispiel dafür, dass Rekonstruktionen "funktionieren" können und von der Nachwelt auch unumwunden als perfektes Faksimile anerkannt werden, das seinerseits nun unter Denkmalschutz steht. Im Krieg wurde die Würzburger Residenz nämlich größtenteils zerstört und so, wie sie jetzt dasteht, ist sie eine vollständige Rekonstruktion. Denn auch jene Teile, die nicht ganz zerstört wurden waren doch zu Ruinenresten ausgebrannt und zersplittert. Es war de facto nichts mehr vom barocken Prunk übrig.


    Die Würzburger Residenz zeigt auch, wo die Reise hingehen könnte. Denn obwohl man direkt nach dem Krieg mit der Sicherung und dann dem Wiederaufbau begann: es dauerte bis 1987, bis mit dem Spiegelsaal der letzte Teil der Rekonstruktion vollendet war. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass spätere Generationen das "Haus in Haus" Konzept nutzen, um das Humboldtforum in der nun geplanten Form wieder zu entfernen und die Rekonstruktion des Schlosses fortzusetzen. Beispielsweise wenn das Humboldtforum nach ein paar Jahrzehnten einmal eine Kernsanierung braucht. Die Barockfassade erhält ja einen eigenen Unterbau aus Vollziegel während das Humboldtforum ein eigenständiger Stahlbetonbau ist.


    Somit ist es zwar kein Kinderspiel aber doch möglich, das Humboldtforum abzureißen, ohne die Barockfassade dabei zu gefährden. Dies funktioniert ja selbst bei Gebäuden, deren Fassaden nie dafür konstruiert wurden, sich selbst zu tragen, insb. in Paris ist es inzwischen üblich, dass das Gebäude hinter denkmalgeschützten Fassaden komplett entfernt wird und wirklich nur noch die Fassade übrig bleibt, hinter die wird dann ein komplett neues Gebäude errichtet, mit deckungsgleichen Fensteröffnungen. Das heißt, für eine Vollrekonstruktion ist nichts verloren.


    Und letztlich hast du v. a. recht, wenn du sagst, dass dieses Gebäude eine Art von Stadtreparatur ist. Flächendeckend bleibt Berlin von der Nachkriegsmoderne von Ost und West beherrscht, in seinem Stadtbild. Nur dort, auf der Museumsinsel, wird es in Zukunft, wenn der Masterplan und das Humboldtforum ausgeführt wurden, ein geschlossenes Ensemble des kaiserzeitlichen Berlin geben, als historisches Herz.


    Man muss sich nur München anschauen um zu sehen, wie wichtig ein geschlossenes, historisches Ensemble im Herzen einer Stadt ist. München ist in seinen zahllosen Außenbezirken auch nicht schöner als Berlin, hat aber ein gänzlich anderes Lebensgefühl und nicht das Selbstbild einer grauen Industriestadt. Weil München zentrale und identitätsstiftende Bereiche hat, die von mehr zeugen, als von automobiler Effizienz in der Stadtentwicklung. Identifikationspunkte wie der englische Garten mit seiner historischen Gestaltung, die Maximilianstraße, der Frauenkirche und dergleichen mehr.


    Wenn ich mir vorstelle, wie man in naher Zukunft vom Brandenburger Tor über Unter den Linden bis zur Museumsinsel lustwandeln kann, ein Bereich der zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg wieder als geschlossener Stadtkern erlebbar sein wird, dann kann ich mir sehr gut vorstellen, dass das genau der Bereich ist, den man in Jahrzehnten als sowas wie eine "Berliner Altstadt" bezeichnen wird. Wo die ex-sowjetische Botschaft aus dem "Spätstalinismus" ebenso zur steingewordenen Lokalgeschichte und somit zur Altstadt gehört, wie die Reko der Barockfassade des Stadtschoss oder das Brandenburger Tor, welches seit 1990 weltweit nicht mehr als preußisches Kriegs-Siegestor bekannt ist, sondern als Symbol für Frieden, Versöhnung und überwundene Teilung des Nachkriegsdeutscland gilt.


    Wenn man es aus dieser Warte betrachtet, dann kann ich auch die Altlinken nicht verstehen, die darin immer versuchten eine Art Revisionismus oder Chauvinismus zu erkennen. Der preußische Stechschritt und die Selbstherrlichkeit des alten, preußischen Obrigkeitsstaates gehören nun einmal genauso zur Geschichte Berlins wie das sowjetische Ehrenmal im nahen Tiergarten. Und solange alles gleichermaßen gepflegt und bei Bedarf und nach Diskussion rekonstruiert wird sehe ich mehr verantwortungsvollen und offenen Umgang mit der Geschichte, als alles andere.


    Ja, alleine dieses Symbol. An dem Ort und hinter dem Prunk, hinter dem früher autoritär geherrscht wurde sind nun die Kulturen der Welt respektvoll repräsentiert, statt ein Zentrum preußischer Deutschtümelei ein Zentrum der bunten Weltkulturen. Mein Gott, wie könnte ein Triumph unserer offenen Gesellschaft über die Schatten der Vergangenheit denn besser zelebriert werden? Also auch politisch kein Grund zur Sorge, sondern ein Grund zur Freude.



    Ich freue mich sehr auf den Tag der Eröffnung und auf die Zeit danach, wenn dieses Gebäude zum alltäglichen Teil Berlins und der Republik wird. Und ich habe soeben beschlossen, meinen Teil zu diesem wahren Volkspalast, gestiftet durch das Volk, beizutragen und etwas für die Barockfassade zu spenden, damit das Kunsthandwerk unserer Vorfahren nicht mehr nur als "tote Asche" auf alten Fotographien in irgendwelchen Archiven verwahrt wird, sondern wieder lebendig von einer längst vergangenen Epoche zeugt.


    PS: die Würzburger Residenz ist laut Wikipedia sogar seit 1981 von der UNESCO als Weltkulturerbe geführt; d. h. auch international wird dieses in großen Teilen rekonstruierte (und in den Ruinenresten intensivst restaurierte) Gebäude als gleichwertiger Ersatz zum im Krieg zerstören Originalbau anerkannt und gilt nicht etwa als "Disneyland" oder "Kulissenzauber" und was man hier im Forum schon so alles in der Diskussion zur Rekonstruktion der Barockfassade des Stadtschloss Berlin liest.

  • Die Würzburger Residenz ist kein bayrischer Bau. Sie wurde für die Würzburger Fürstbischöfe und nicht die bayrischen Könige errichtet, zu einem Zeitpunkt an dem Franken noch nicht zu Bayern gehörte. Sie ist damit eher mitteldeutsch. Ich finde sie sieht auch nicht bayrisch aus.
    "Die UNESCO begründet die Aufnahme ins Welterbe damit, die Würzburger Residenz sei das einheitlichste und außergewöhnlichste aller Barockschlösser, einzigartig durch ihre Originalität, ihr ehrgeiziges Bauprogramm und die internationale Zusammensetzung des Baubüros, eine Synthese des europäischen Barock. Sie veranschauliche zudem einen der strahlendsten Fürstenhöfe Europas." (Wiki)


    Aber damit genug zur Würzburger Residenz.


    In der gestrigen Reportage zum Bau des Humboldtforums (http://mediathek.rbb-online.de…ssort=tv&bcastId=16269336) sagt Frau Grütters etwas, das ich teile.
    Eine Vollrekonstruktion des Berliner Schlosses hätte sie immer kritisch gesehen, da das urprüngliche Schloss, aufgrund der hohen Fenster im EG, einen sich abschottenden Charakter hatte. Erst durch die Stella-Fassaden bricht die Hülle auf und das Gebäude kann Teil der Stadt werden.
    Weiterhin verweist Neil McGregor auf die viel höhere Komplexität und Verwobenheit mit der Stadt, die inhaltlich durch Institutionen der Weltkulturmuseen mit der internationalen Metropole Berlin entstehen.
    Diese beiden Punkte sind m.E. sehr wichtig und werden eine Vollrekonstruktion des Hohenzollernschlosses für alle Zukunft verhindern.
    Ich denke, der Bau wird so, wie er jetzt errichtet wird, sehr erfolgreich werden.

  • Die von dir genannte Würzburger Residenz, für die bayerischen Monarchen erbaut, ....


    Würzburger Residenz ... für bayerische Monarchen erbaut? Die Würzburger Residenz wurde für die Würzburger Fürstbischöfe erbaut. Und die Würzburger Fürstbischöfe hatten bis zur Auflösung des Heiligen Römischen Reichs nichts mit Bayern zu tun. Würzburg, genauso wie Bamberg, waren eigenständige Machtzentren. Nürnberg (samt Umland) war freie Reichsstadt.
    Erst als das alte Reich durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 aufhörte zu existieren, erst dann kam Würzburg und andere zuvor eigenständige, fränkische Territorien an Bayern. Zu Zeiten des Heiligen Römischen Reichs hatten die nördlich von Ingolstadt liegenden Gebiete nichts mit dem Staat Bayern zu tun.


    Vergleichbar ist das Verhältnis von Baden und Kurpfalz:
    Mannheim war zum Zeitpunkt der Entstehung des Mannheimer Barockschlosses kein badisches Territorium. Das Schloss in Mannheim wurde für die kurpfälzischen Kurfürsten erbaut. Die Kurpfalz war ein eigenständiger politischer Machtfaktor, dessen Hauptstadt zunächst Heidelberg, später Mannheim gewesen ist. Das Mannheimer Barockschloss war also das Machtzentrum der Kurpfalz, die mit Baden nichts zu tun hatte.
    Erst als das alte Reich durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 aufhörte zu existieren, erst dann kam Mannheim und die rechtsrheinischen Gebiete der Pfalz an das neugeschaffene Großherzogtum Baden.


    Wenn man heute von der Pfalz spricht, denkt man immer nur an die linksrheinischen Gebiete (Pfalz = Kaiserslautern und die Roten Teufel vom Betzenberg). Tatsächlich breitet sich die Pfalz auf beiden Seiten des Rheins aus. Und so wie man heutzutage die alten pfälzischen, rechtsrheinischen Territorien als badisch bezeichnet, so bezeichnet man alte fränkische Territorien als bayerisch. Solange man Baden und Bayern als politische bzw. staatsrechtliche Begriffe nützt, sind diese Bezeichnungen sicherlich richtig. Mannheim ist tatsächlich badisch, weil es seit napoleonischer Zeit zu Baden gehört. Würzburg ist tatsächlich bayerisch, weil es seit napoleonischer Zeit zum (Frei-)Staat Bayern gehört. In kultureller Hinsicht laufen diese Bezeichnungen allerdings ins Leere.

  • Ohje, ich wollte da keinen Lokalpatriotismus verletzen. Es ging mir auch nicht um historisch korrekte Bezeichnungen, aus heutiger Sicht waren die Bauherren natürlich bayerische (Kirchen-)Monarchen, da Würzburg nun einmal heute in Bayern liegt. Zur Bauzeit des Stadtschloss Berlin bzw. im Barock existierte ja auch kein "Deutschland" und trotzdem reden wir von einem Vertreter deutschen Barocks. Also bitte keine Wortklauberei, gleich zwei Beiträge in kurzer Abfolge, die sich an meiner Formulierung "bayerische" Monarchen stören, nun beruhigt euch bitte wieder. ;)

  • Keine Angst, ich bin Westfale ;) .
    Ich finde dieses Gerede, es hätte vor 1871 kein Deutschland gegeben falsch. Es gabe 1000 Jahre lang das Heilige Römische Reich deutscher Nation. Auch wenn es kein Zentralstaat war, so war es mindestens doch eine staatliche Einheit, in der sich dessen Bewohner als kulturell deutsch definierten.

  • Tomov


    .. kann ich so nicht stehen lassen. Die Sizilianer fühlten sich bestimmt nicht deutsch und Kaiser Friedrich II (der Staufer) fühlte sich auch eher als Sizilianer deren König er war, von Kaiser Karl V der ja auch König von Spanien war und kein Wort deutsch sprach möchte ich das auch nicht unbedingt annehmen. Es war wohl ein Vielvölkerstaat ähnlich der späteren KuK-Monarchie.

  • Sizilien war nie Teil des Heiligen Römischen Reiches. Friedrich II war Kaiser und und König von Sizilien in Personalunion. Auch der Bestandteil König von Italien wurde von den (Nord)Italienern ja nicht so ernst genommen. Aber Du hast Recht, natürlich haben sich z.B. Böhmen eher nicht deutsch gefühlt. Ich bezog mich auf die deutschsprachigen Gebiete, die in späterer Zeit (z.B. Barock) ja doch 90% ausmachten. Tatsächlich vom damaligen deutschen Standpunkt aus betrachtet, selbstverständlich war das Reich darüber hinaus noch komplexer.


    (Und eigentlich war das HRR eher das Gegenteil der KuK-Monarchie. Ein föderales Reich das durch dynastisches Erbrecht in immer kleinere Fürstentümer zerfällt vs. eine Dynastie welche durch Erbpolitik immer neue ethnisch unterschiedliche Gebiete erwirbt. Oder?)

    Einmal editiert, zuletzt von Tomov ()

  • "Im Gegensatz zum (langobardischen) Königreich Italien nördlich des Kirchenstaates, wurde das Königreich Sizilien nie Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation."


    http://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%B6nigreich_beider_Sizilien


    Die obrige Karte (aus Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage von 1911) war wohl eher Wunschdenken deutscher Nationalisten. :p Und dessen soltest Du, Camondo, doch unverdächtig sein.

  • Es gabe 1000 Jahre lang das Heilige Römische Reich deutscher Nation. Auch wenn es kein Zentralstaat war, so war es mindestens doch eine staatliche Einheit, in der sich dessen Bewohner als kulturell deutsch definierten.


    Keineswegs: Der moderne Begriff des Staates und auch der der Nation lassen sich auf das Heilige Römische Reich in seiner mittelalterlichen Phase überhaupt nicht anwenden. Ein Bauer des 11. Jahrhunderts fühlte sich seinem Dorf und der Christenheit zugehörig, aber gewiss keiner "Deutschen Nation" – das Reich war Sache des Adels, der sich aber wiederum allein dem Adel zugehörig fühlte und gewiss keine "kulturelle Identität" mit dem "Pöbel" fühlte, von dessen Arbeit er sich ernährte. Und als sich ab der frühen Neuzeit, mit dem beginnenden Absolutismus, allmählich tatsächlich Staaten herausbildeten, entstanden diese unterhalb der Hülle des Reiches und waren eben noch keine Nationalstaaten sondern Feudalstaaten oder (z.B. in den freien Reichsstädten) Adelsrepubliken.


    Die kulturelle Zugehörigkeit zu so etwas wie einer Nation hat es vor dem 18. Jahrhundert überhaupt nicht gegeben: Die Vorstellung, dass eine Masse von Menschen kulturell zusammengehöre und deshalb auch in einem gemeinsamen Staat leben solle, ist erst mit der Neuzeit und der bürgerlichen Revolution entstanden. Als Lektüre hierzu empfehle ich Benedict Andersons Studie "Imagined Communities", die in Deutschland unter dem leicht irreführenden Titel "Die Erfindung der Nation" erhältlich ist.


    Was bedeutet das für das Berliner Schloss? Nun, dass es zum Zeitpunkt seiner Errichtung garantiert kein nationales Symbol für Deutschland war, sondern ein feudales für den Machtanspruch der Hohenzollern und für die Identität von Dynastie und preußischem Staat. Das ist es letztlich auch bis 1918 geblieben, nur dass es ab 1871 zusätzlich noch zum Symbol nationaler Macht wurde. Dass es für beides stehen konnte – für die neue Nation und die alte Dynastie – ist nun keineswegs selbstverständlich, sondern eigentlich ein Widerspruch, der sich nur durch den deutschen Sonderweg erklärt. Möglich war das nur wegen des Bündnisses zwischen den Feudalherren und der bürgerlichen Nationalbewegung, das Bismarck im Zuge der Reichsgründung schmieden konnte.


    Ich halte das Schloss deshalb übrigens für das Symbol einer staatlichen Fehlkonstruktion – aber das zu diskutieren, ist hier nicht der Ort... :)

    Einmal editiert, zuletzt von Architektenkind ()

  • Ich sehe es genauso wie Tomov. Ich vermute auch, daß die Karte fehlerhaft ist.


    Sizilien war niemals Teil des HRR. Eine Verbindung gab es nur - wie Tomov es bereits gesagt hat - durch den Stauferkaiser Friedrich II, der in Personalunion Kaiser des HRR und König Siziliens gewesen ist. Siehe dazu die Geschichte Siziliens auf Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Siziliens. Staufer und Habsburger haben in Sizilien mitgemischt, aber bei Wiki kein Hinweis darauf, daß Sizilien irgendwann einmal zum HRR gehört hätte.

  • … und eigentlich betrifft die ganze Diskussion auch nicht Berlin als Hauptstadt und die Hohenzollern, da das Heilige Römische Reich Deutscher Nation am 6. August 1806 mit der Niederlegung der Reichskrone durch Kaiser Franz II. von Habsburg, erlosch.
    Aber trotzdem ein netter Discours hier :)

  • Keineswegs: Der moderne Begriff des Staates und auch der der Nation lassen sich auf das Heilige Römische Reich in seiner mittelalterlichen Phase überhaupt nicht anwenden. Ein Bauer des 11. Jahrhunderts fühlte sich seinem Dorf und der Christenheit zugehörig, aber gewiss keiner "Deutschen Nation"


    Das trifft aber wohl auf alle Gebiete in Europa zu diesem Zeitpunkt zu.
    Aber ich dachte wir reden hier vom Barock. Man sollte sich vielleicht mal Goethes Erinnerungen an die Krönung von Kaiser Joseph II in Frankfurt durchlesen, sowie dessen Beurteilung an das HRR. Da wird der deutsche Nationengedanke deutlich. Das preussische Schloss ist überhaupt nicht deutsch intendiert, stimmt. Der brandenburgische Kurfürst hat sich ja auch außerhalb des HRR zum König krönen lassen (aber unter Zustimmung des Kaisers).

  • Und eigentlich war das HRR eher das Gegenteil der KuK-Monarchie. Ein föderales Reich das durch dynastisches Erbrecht in immer kleinere Fürstentümer zerfällt vs. eine Dynastie welche durch Erbpolitik immer neue ethnisch unterschiedliche Gebiete erwirbt. Oder?


    Eine erstaunliche off-topic Diskussion, aber gut, dazu möchte ich dann doch etwas sagen.


    Ich meine das nicht polemisch, aber die heute gefestigte Vorstellung, es gäbe sowas wie eine "deutsche" Ethnie, ist ein Kunstprodukt des 19. Jh. und wurde spätestens durch den Faschismus der NS Zeit ganz massiv in die Köpfe der Menschen im In- und auch Ausland gehämmert. Das hatte auch in der Nachkriegszeit enorme Nachwirkungen, vgl. Zuwanderer, die als "Gastarbeiter" bezeichnet wurden, ganz im Gegnesatz zu Zuwanderern in anderen westlichen Industriestaaten oder unser deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, welches die NS Ideologie von "Blut und Boden" noch bis zur Reform im Jahre 2000 zum Prinzip hatte. Bis dahin galt ausschließlich das Abstammungsprinzip (von deutschen Juristen etwas kaschierend ius sanguinis genannt, lat. für "Recht des Blutes"); d. h. auch wer in Deutschland geboren wurde und aufwuchs galt als "Ausländer"; wer aber in Russland geboren wurde und aufwuchs und irgend eine "deutschblütige" Großmutter vorweisen konnte, der konnte als "Volksdeutscher", politisch korrekter später "Spätaussiedler" genannt, Heim ins.. in die Bundesrepublik übersiedeln und galt rückwirkend als deutscher Staatsangehöriger mit allen Rechten und Pflichten.


    Wir haben also bis kürzlich ein sehr ideologisches, von völkischem "Wunschdenken" geprägtes, Deutschlandbild gepflegt, auch die Tatsache, dass wir eine multikulturelle Einwanderungsgesellschaft sind wurde ja erst eher kürzlich akzeptiert (in der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und FDP hatte es 1983 geheißen: „Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Einwanderungsland. Es sind daher alle humanitär vertretbaren Maßnahmen zu ergreifen, um den Zuzug von Ausländern zu verhindern.“, diese Realitätsverweigerung machte schwarz-gelb bis 1998 zur Staatsräson!). Und sowohl die "Einigkeits"-Befürworter rund um Bismarck, die die Vielfalt der deutschen Regionen als "Kleinstaaterei" diffarmierten und auszumerzen versuchten, wie auch die Gleichschaltung durch die Nazis, gepaart mit der Fiktion einer "deutschen Rasse", haben da tiefe Spuren im Geschichtsbewusstsein hinterlassen, auch bei NS Ideologie unverdächtigen Mitbürgern.


    In der Genese ist die heutige Bundesrepublik nämlich ebenso ein Vielvölkerstaat. Die Bajuwaren sind beispielsweise ein slawischer Volksstamm, dessen Ursprung im heutigen Tschechien lag, vor der Völkerwanderung. Und die Niedersachsen sind nicht nur bzgl. ihrer Königshäuser mehr mit den Engländern verbandelt und verwandt, als mit den Alemannen des Südwestens. Die Verwandtschaft mit den Polen im Nordosten sieht man noch heute an zahlreichen Familiennamen Einheimischer, die auf -sky/-ski enden oder sonstige eindeutig osteuropäische Schreibweisen wie "Cerny" (gesprochen "Tschärni", so hieß mein früherer Mathelehrer, der sich natürlich für "urdeutscher Biodeutscher" hielt) aufweisen, Rostock hieß bis vor wenigen Generationen noch Rostov, siehe die zahlreichen Ortsnamen die noch heute auf -ow enden (Pankow, Güstrow, usw.).


    Ja, bis in das 20. Jh. hinein war die Vielvölkervergangenheit des Kunstproduktes "Deutsches Volk" noch markant sichtbar. Wenn sich einheimische Landbevölkerung Niederbayerns und Niedersachsens jeweils in ihrer Alltagssprache, heute "Dialekt" genannt und in dieser Reinform gar nicht mehr existent, unterhielten, dann verstanden sie sich schlicht nicht. Es waren unterschiedliche Mundarten - unterschiedlicher Sprachen! Das Platt ist eine Mundart des Niederdeutschen, wie es zB auch die Niederländer sprechen.


    Wo man also hinblickt, in der Abstammung, in der Sprache, in der Architektur, dieses Deutschland war in seinem Ursprung definitiv ein Vielvölkerstaat - selbst jene Teile die noch heute zu diesem Deutschland (Bundesgebiet) gehören. Dementsprechend hatte das Stadtschloss Berlin bis 1871 (Reichsgründung unter preußischer Führung) auch nur regionale Bedeutung.


    Das sind die eigentlich im historischen Verständnis wichtigen Punkte, nicht die Frage, ob man nun rückblickend die Würzburger Residenz als "bayerisches" Bauwerk bezeichnet oder nicht.

  • Die Diskussion ufert ja nun etwas aus. Nur ein par kleine Anmerkungen noch von mir.


    Die kulturelle Zugehörigkeit zu so etwas wie einer Nation hat es vor dem 18. Jahrhundert überhaupt nicht gegeben: Die Vorstellung, dass eine Masse von Menschen kulturell zusammengehöre und deshalb auch in einem gemeinsamen Staat leben solle, ist erst mit der Neuzeit und der bürgerlichen Revolution entstanden.


    Wenngleich es heute en vogue ist, immer wieder daraufhinzuweisen, die Nation sei ja eigentlich eine neuzeitliche Erfindung, so sollte man es auch nicht übertreiben. Selbstverständlich gab es schon im Hochmittelalter so etwas wie ein deutsches Bewusstsein. Es wurde auch klar zwischen "Germanien" und anderen Reichsteilen unterschieden. Deutscher war der, der Deutsch sprach, ganz simpel und erstmal ohne weitere politische Konsequenz. Dass sich dadurch innerhalb des deutschen Dialektkontinuums auch ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelte, ist ja völlig normal.



    Was das Berliner Schloss angeht, so sollten wir uns doch klar machen, dass man den katholischen Barock schwerlich mit dem protestantischen Barock in einen Topf werfen kann. Ich bin auch kein Freund der nationalgeschichtlichen Überhöhung des Schlosses, aber es ist für norddeutsche protestantische Verhältnisse ein zweifelsohne opulenter Bau. Dass er viel von seiner Bedeutung aus einer Retrospektive gewinnt, ist wohl den historischen Begebenheiten geschuldet. Das moderne Deutschland ist spätestens nach dem auch mentalen Austritt der Österreicher aus der deutschen Nation ein in der preußischen Tradition stehender Staat. Dementsprechend wird Berlin bisweilen wichtiger gemacht, als seinerzeit tatsächlich war. Aus heutiger Sicht hat das ja auch eine gewisse Berechtigung.

    Einmal editiert, zuletzt von Saxonia ()

  • Das trifft aber wohl auf alle Gebiete in Europa zu diesem Zeitpunkt zu.


    Selbstverständlich.

    Aber ich dachte wir reden hier vom Barock. Man sollte sich vielleicht mal Goethes Erinnerungen an die Krönung von Kaiser Joseph II in Frankfurt durchlesen, sowie dessen Beurteilung an das HRR. Da wird der deutsche Nationengedanke deutlich.


    Du hattest von 1000 Jahren HRR gesprochen, und da ist ja sogar Karl der Große mit drin. Und Goethes Erinnerungen entstammen ja bereits einer nach-barocken Ära, in der Aufklärung und Aufstieg des Bürgertums der Nation im modernen Sinne gerade den Weg bereiten.

    Zitat von Saxonia

    Deutscher war der, der Deutsch sprach, ganz simpel und erstmal ohne weitere politische Konsequenz. Dass sich dadurch innerhalb des deutschen Dialektkontinuums auch ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelte, ist ja völlig normal.


    Normal erscheint uns das nur aus heutiger Sicht. Noch im 15. und 16. Jahrhundert war die hochdeutsche Sprache nichts als eine Kanzleisprache, die von analphabetischen Bauern und Bürgern weder gesprochen noch verstanden wurde. Für diese gilt: Bayern und Friesen sind einander nicht nur (fast) nie begegnet, sie hätten sich, wenn sie einander begegnet wären, auch nicht verstanden. Tatsächlich spielte die Sprache bei der Entwicklung der Vorstellung "Nation" eine zentrale Rolle – nur bedurfte es eben erst den Buchdruck und einen gewissen Bildungsstandard zumindest in Städten, bis diese Rolle zum Tragen kommen konnte.


    Aber nun meinerseits Schluss mit Off-Topic. Sorry!

  • Ich sprach auch nicht von der hochdeutschen Sprache sondern vom Dialektkontinuum. Friesen und Oberbayern haben sich wohl auch im 19. Jahrhundert nicht oder kaum verstanden. Aber es wäre, auch im Hochmittelalter, immer noch einfacher gewesen als sich mit Tschechen oder Sorben zu unterhalten. Dennoch widersprichst du dir ja selbst. Denn aufgrund der eingeschränkten Mobilität der dazu noch vergleichsweise ungebildeten Masse der Bevölkerung, war "Deutschland" immer auch ein von den bürgerlichen und adeligen Eliten reproduziertes und tradiertes Gebilde.