Baugeschehen: Zentrum

    Kaufkraft bringt man in eine Stadt, indem man sie interessanter und attraktiver macht, aber nicht durch unnötig teure Wohnungen und vielleicht noch Verdrängung bisheriger Bewohner. Wenn nebenan neugebaut wird ist es ebenso, aber warum sollte man deshalb zwangsläufig den gegenüberliegenden Plattenbau sanieren. Kann man machen, muss man aber nicht.


    Bewohner gibt es ansich durch Platte eben auch, ob abends durch "gehobene Wohnansprüche" mehr Leben einzieht ist eine andere Frage. Und ehrlich gesagt möchten viele Abends auch, dass irgendwann Ruhe einzieht 😉

    Nur mal so nebenbei, warum soll sich jemand mit Kaufkraft nicht auch über eine günstige, aber dennoch gute Wohnung freuen. Umso mehr bleibt vielleicht auch zum Ausgeben für andere Sachen.

    Zitat von waldkauz

    Kaufkraft bringt man in eine Stadt, indem man sie interessanter und attraktiver macht, aber nicht durch unnötig teure Wohnungen und vielleicht noch Verdrängung bisheriger Bewohner.


    Nimm es mir bitte nicht übel, aber ich finde du hast ein seltsames Verständnis von "Innenstadt". Eine Innenstadt ist keine Art Shopping Center, in das ich mit dem Auto fahre, wenn ich Lust dazu habe, sondern sie ist das normalerweise pulsierende Zentrum einer Stadt, bestehend aus zahlreichen Funktionen und Menschen, die hier ihrem alltäglichen Leben nachgehen, der kulturelle und infrastrukturelle Knotenpunkt einer Stadt. Das ist aber nur möglich, wenn es eben auch eine Vielzahl an Funktionen und Menschen gibt, die sich ganz natürlich durch ihre Stadt bewegen und diese eben nicht nur als Shopping Center betrachten und mit Geschäfts-Schluss mit ihrem PKW wieder abreisen. Aufgrund des Städtebaus in Chemnitz - wie in vielen deutschen Städten - ist dieses Verhältnis aber gestört. Das gilt es zu reparieren - durch Dichte, durch teuren und günstigen Wohnraum in Kombination oder eben auch durch eine Nacht-Kultur.


    Menschen, die in der Innenstadt leben und Ruhe fordern, sollten dann bitte auch aufs Land ziehen. Derartige Forderungen machen mich immer wütend. Es gibt in einer Innenstadt kein Recht auf Ruhe. Die Innenstädte von Wien, von Marseille, von Odessa - name it, egal welche Innenstadt - sind sehr vieles (viele Nutzungen, unterschiedliche Bewohnerschaft, Vielfalt in Bau- und Wohnformen, kulturelle Vielfalt, etc.) - aber sie sind mit Sicherheit nicht ruhig. Und das sollen sie auch nicht. Ich sitze nicht so gerne im Barfußgässchen in der Leipziger Innenstadt, weil es dort so schön ruhig ist. Wenn ich Ruhe will, besuche ich meine Großeltern im Erzgebirge. Und ich ziehe eben auch nicht ins Barfußgässchen, wenn ich ruhig wohnen will.


    Zitat von waldkauz

    Nur mal so nebenbei, warum soll sich jemand mit Kaufkraft nicht auch über eine günstige, aber dennoch gute Wohnung freuen. Umso mehr bleibt vielleicht auch zum Ausgeben für andere Sachen.

    Soziale Mischung ist enorm wichtig für Städte. Das - auch wieder natürliche Nebeneinander - von Menschen mit unterschiedlichem Einkommen trägt zum sozialen Frieden bei und verhindert das Entstehen von sozialen Brennpunkten. Hier ist Wien ein ganz großes Vorbild. Es existieren in der Stadt kaum soziale Brennpunkte weil die Stadt schon immer auf soziale Mischung setzt und günstiger Wohnraum in Form von Gemeindebauten neben teurem Wohnraum überall in der Stadt existiert - oft sogar innerhalb eines Gebäudes.


    Dein Arzt oder Anwalt oder das Lehrer-Ehepaar deiner Kinder, die eben gut verdienen, werden kaum in eine dem Mindeststandard entsprechend sanierte Wohnung im Plattenbau im Zentrum ziehen wenn sie stattdessen einen gehobenen Wohnstandard haben können. Das magst du jetzt doof finden, aber der Mensch möchte immer auch repräsentieren. Ohne entsprechende Angebote in der Innenstadt - und die gibt es in der Chemnitzer Innenstadt nicht - ziehen diese Menschen im besten Fall in den Speckgürtel am Rand der Stadt und gehen in die Shopping-Center, im schlechtesten Fall ziehen sie aber nach Leipzig oder Dresden. Genau diese Kaufkraft geht der Stadt verloren, sie geht den Geschäften im Zentrum verloren, sie geht den Restaurants im Zentrum verloren, sie geht den Theatern und Kinos der Stadt verloren und im Endeffekt wird dadurch auch irgendwann dein Leben beeinflusst werden, weil eben dein Lieblings-Italiener im Zentrum schließen muss, weil es sich für ihn nicht mehr lohnt. In der Gastro-Szene in der Innenstadt sieht man das doch schon seit Jahren sehr deutlich. Was hier noch existiert sind Take-Away-Imbisse oder Ketten - wie der neue Peter Pane. Nach einem richtigen Restaurant mit Bedienung und Tischtüchern auf den Tischen muss man schon lange suchen. Das heißt jetzt nicht, dass das eine schlechter ist als das andere, aber das Verhältnis stimmt eben nicht mehr.


    Das Problem was Chemnitz hat: Es wird seit Jahrzehnten an dem Symptomen herumgedoktert. Hier ein paar Blumenkübel, dort eine neue Bank, der Deutsche liebt schließlich Blumen. Aber auch der neue Springbrunnen, den ich sehr mag, wird an den Problemen nichts ändern. Her fehlt ein Masterplan - ein Plan, angelegt auf mehrere Jahrzehnte, der ein Entwicklungsziel für die Innenstadt definiert: wo will man mit der Chemnitzer Innenstadt hin? Was soll die Innenstadt leisten? Alles andere wird an der aktuell depressiven Gesamtsituation nichts ändern können. Dresden ist das einigermaßen gelungen durch sein Reko-Projekt rund um den Neumarkt und die Neubebauung am Postplatz. Leipzig hatte aufgrund seiner geringeren Kriegszerstörungen da eine bessere Ausgangslage - was man der Stadt auch anmerkt.


    Zitat von waldkauz

    Zufällig habe ich gerade diese Projekte/Entwürfe in Magdeburg gesehen. Da ist sehr Interessantes dabei: RE: Magdeburg


    Gefällt mir gut, aber wer soll denn die Fassade bezahlen, wenn hier nur für 4,50 Euro pro Qm vermietet wird? Wirtschaftlich wäre das nicht darstellbar. Auch ein Grund für die geringe architektonische Qualität der Chemnitzer Innenstadt.

    arnold, schön geschrieben, sehe ich in weiten Teilen ebenso. Einwerfen möchte ich aber noch, dass es wohl leider gar nicht möglich ist, eine Innenstadt zu planen. Was in Jahrzehnten oder gar in Jahrhunderten gewachsen war und dann zerstört wurde, kann man wohl leider nicht wiederbeleben. Wenn man den Dresdner Neumarkt in den Zeiten besucht, wenn keine Touristen da sind, dann ist der zwar sogar noch schöner, aber leider auch mausetot. Andere Teile der Altstadt funktionieren auch nur mit jeweils einer Funktion. Als lebendiger Stadtteil im Sinne einer City funktioniert die Äußere Neustadt. Hier gibt es alles was Du als Charakter einer Innenstadt definierst. Das wurde aber eben nicht geplant, sondern ist gewachsen. In Chemnitz hat man ja durchaus vieles richtig gemacht. Wenn ich mich an die Stadt Anfang der 90er erinnere, ist das schon ein krasser Unterschied. Doch an der schieren Unmöglichkeit, hier ein totes Herz zum Schlagen zu bringen, ändert das leider nichts.

    Als erstes bräuchte es mal einen permanenten Reinigungstrupp für die Innenstadt, am besten gleich mit Graffitibeseitigern.


    Dann bräuchte es mal jemanden, der sich mit Innenstadtmöbiliar befasst (ich weiß nicht ob es da einen Zuständigen gibt). Sorry, aber das sieht an manchen Stellen aus, das kann man nicht bringen.

    … oder eben ein Shopping Center. Dort ist alles septisch sauber und Blumen gibts meistens auch.


    Für mich gehören Graffitis, Tags und auch mal eine unsaubere Ecke zu einer Innenstadt dazu…

    Man sieht eben in der Stadt, dass Viele der Bauten nach dem sie vor einigen Jahren neugebaut oder saniert wurden mittlerweile in die Jahre kommen. Mit der Zeit wirkt dann eben teilweise einiges auch gammlig, fleckig und schmutzig, verschmiert, beklebt oder ist auch zerstört.


    Und speziell dagegen müsste es speziell für die Innenstadt vielleicht eine Art Reinigungs- und "Erneuerungsdienst" geben.


    Beispiel auch die beklebten Mülleimer und Laternenmasten. Sieht einfach nicht schön aus.


    Gibt Städte wo es nicht so aussieht ;)

    Ja, ich glaube in Singapur gibts das tatsächlich nicht.

    Stockhiebe für Kaugummi ausspucken, wird man in Deutschland eher nicht durchsetzen können.

    Es ist doch Polemik, die Zustände in der Innenstadt mit einem "der will es septisch, wie im Einkaufszentrum oder Singapur" abzutun.


    Ich brauche auch nicht alles auf Hochglanz, was sich aber optisch und hygienisch in vielen Ecken der Chemnitzer Innenstadt abspielt (Stadthallenbrunnen, Aufgänge aller Parkhäuser, gesamte Zentralhaltestelle*, Umfeld Nischel usw.) ist nicht vorzeig- und akzeptierbar. Dort wird sich einfach mit dem jahrelangen Missstand abgefunden. Schaut euch das doch bitte einmal mit offenen Augen an.


    Zum Rest Zustimmung zu Arnolds Text oben mit dem einschränkenden Hinweis, dass es in 90% der Leipziger Innenstadt (im Sinne von im Ring) nach 21 Uhr auch sehr ruhig ist. Ebenso ist es in der Dresdner Altstadt und z.B. auch in allen Bereichen, die man in Berlin als "Innenstadt" bezeichnen könnte.


    *ist hier eigentlich inzwischen etwas passiert?

    Genauso ist es.


    Und genau diese Art der "Verschmutzung" -wenn in einer Stadt etwas älter wird- ist es, die normalerweise keiner sehen will.


    Und das sind teilweise ganz offensichtliche Stellen. Von dem Parkhaus am Wall möchte ich gar nicht erst reden. Aber das ist nicht normal und damit sollte man sich auch nicht abfinden. Ich gehe wie viele andere auch nicht deshalb einer Erwerbstätigkeit nach, damit es schlussendlich dann in der Innenstadt dreckig aussieht. Da läuft einfach organisatorisch was schief oder wird zu wenig beachtet. Aber das ist ein Anliegen.


    Was ich damit auch sagen will, wer will in einer unsauberen Innenstadt eigentlich eine "teure" Wohnung.

    Einmal editiert, zuletzt von waldkauz ()

    Zitat von arnold

    … oder eben ein Shopping Center. Dort ist alles septisch sauber und Blumen gibts meistens auch.

    Warum ist es in der City eigentlich nicht genau so sicher und sauber wie in so einem "Chemnitz-Center"? ;)

    Zitat von waldkauz

    Chemnitz ist leider nicht Leipzig


    http://www.mdr.de/nachrichten/…suedvorstadt-100~amp.html

    ... ich sehe hier leider keinen Zusammenhang zu den vorhergehenden Beiträgen, auch nicht zu einem Zentrum, auch nicht zu Chemnitz, aber interessant und schön ist es allemal. ;)


    Meine Frage von oben kann ich inzwischen selbst beantworten: Nein, die Ecke an der Zenti (Chemnitz Plaza von vorn rechts) ist seit zweieinhalb Jahren Baustelle. Kannste dir nicht ausdenken.

    Hier werden aber unterschiedliche Zuständigkeiten sehr stark verallgemeinert: Ich finde, dass die städtischen Flächen im Großen und Ganzen in Ordnung sind - dazu gehört für mich auch der Stadthallenbrunnen oder die Fläche um den Karl-Marx-Kopf. Dass es bei der Frequenz nicht 24/7 tipptopp sauber sein kann, ist für mich akzeptabel. Und dass das Gebiet um Chemnitz größte Sehenswürdigkeit mal eine Auffrischung benötigt - da schließe ich mich an. Eine mangelnde Sauberkeit würde ich da aber ungern als Grund vors Loch schieben.


    Die Parkhaus-Aufgänge - wie die des "Grusel-Parkhauses" am Wall sind nicht im städtischen Eigentum und daher vom Eigentümer des Objektes zu pflegen. Bei der schlechten Auslastung der Parkflächen und der Verwahrlosung des Gebäudes hoffe ich aber langfristig auf eine Aufgabe und eine Neubebauung mit - tadaaa - hochwertigem Wohnraum, weil der fehlt trotz unserer Diskussion hier noch immer :P Das Parkhaus an dieser Stelle war schon immer einer der größten Fehler der Chemnitzer Innenstadt-Entwicklung.


    Im Übrigen: Weil hier teurer Wohnraum stark verteufelt, gleichzeitig die Sauberkeit in der Innenstadt aber bemängelt wird. Soziale Mischung führt auch zu einer stärkeren sozialen Kontrolle. Noch ein Grund mehr, das Wohnraum-Angebot hin zu teurerem Wohnraum zu diversifizieren.


    Und: Wo in Berlin treibst du dich bitte nach 21 Uhr herum, wo es ruhig ist? Würde mich wirklich brennend interessieren :P

    Zitat von waldkauz

    Beispiel auch die beklebten Mülleimer und Laternenmasten. Sieht einfach nicht schön aus.


    Gibt Städte wo es nicht so aussieht ;)

    Zitat von waldkauz

    Was ich damit auch sagen will, wer will in einer unsauberen Innenstadt eigentlich eine "teure" Wohnung.


    Müll und Dreck finde ich auch störend in der Stadt. Beklebte Papierkörbe oder Laternen gehören aber nun mal zu einer Großstadt dazu. Tut mir echt leid - aber wer da ein Problem mit hat, ist echt ein bisschen weltfremd. Auf welche Städte spielst du an, wo es das nicht gibt? Kenne keine europäische Großstadt, in der es das nicht gibt. Wien ist eine sehr sauere Stadt - dennoch findest du überall in der Stadt beklebte Laternen und Papierkörbe, Graffiti und Street-Art - selbst im teuren ersten Bezirk. Fände es auch krasse Geldverschwendung hier ständig zu übermalen oder Sticker zu entfernen. Und Auch hier: Warum sollte die Stadt Privateigentum renigen oder pflegen?


    Auch das zweite Zitat finde ich sehr naiv. Sagt dir das Konzept der Gentrifizierung etwas? Anfänglich günstige und eher vernachlässigte Viertel die aufgrund von Subkultur, einem Lebensgefühl, etc. schrittweise hohe Einkommen anlocken und so teurer werden: Soho, Kreuzberg, Sternschanze, Brooklyn, etc. Man zieht dort nicht hin, weil es sauber ist.

    Zitat von chemnitz_er

    ... ich sehe hier leider keinen Zusammenhang zu den vorhergehenden Beiträgen, auch nicht zu einem Zentrum, auch nicht zu Chemnitz, aber interessant und schön ist es allemal. ;)


    Meine Frage von oben kann ich inzwischen selbst beantworten: Nein, die Ecke an der Zenti (Chemnitz Plaza von vorn rechts) ist seit zweieinhalb Jahren Baustelle. Kannste dir nicht ausdenken.

    Der Zusammenhang sollte wohl sein, dass man interessante Architektur auch mit bezahlbaren Wohnungen liefern kann, wenn man will.


    Und desweiteren ist Leipzig eine Stadt, wo sich eine Stadt wie Chemnitz viel Inspiration herholen kann und sollte. Es tut Chemnitz schon allein gut, wenn Leipziger Bauprojektentwickler hier tätig sind.. :)

    Man kann das nicht vergleichen. In Leipzig sind die Kaufpreise auf einem ganz anderen Niveau als hier in Chemnitz, natürlich kann man dafür aufwändiger bauen. Zudem gibt es hier keinen Wohnungsmangel und somit auch keine Förderung für sozialen Wohnungsbau wie unter dem Link bzw. in Leipzig und Dresden.

    Zitat von kt_kb

    Man kann das nicht vergleichen. In Leipzig sind die Kaufpreise auf einem ganz anderen Niveau als hier in Chemnitz, natürlich kann man dafür aufwändiger bauen. Zudem gibt es hier keinen Wohnungsmangel und somit auch keine Förderung für sozialen Wohnungsbau wie unter dem Link bzw. in Leipzig und Dresden.


    Da hast Du schon Recht. Trotzdem darf in Chemnitz auch schöner gebaut werden ;)