Stadterneuerung im Bestand - Leipzigs gerettete Gründerzeit
Ich möchte hier eine neue Galerie aufzumachen, die – so wie es im Leipziger Bauerbe-Thread Usus ist – die zum Teil spektakulären Sanierungen und Teilrekonstruktionen erlebbar macht: mit jeweils einem Bild des oftmals ruinösen Vorzustandes, mit zugemauerten Fensteröffnungen, verschlissenen Notdächern, abgeplatztem oder mutwillig entferntem Stuck, großflächigen Grafitti etc., und einem, das die frische Pracht der wiederhergestellten Fassaden mit ihrem reichen Bauschmuck, die rekonstruierten Dächer mit ihren Giebeln, Gauben, Zwerchhäusern und Türmchen zeigt. In dieser Weise sind in den vergangenen Jahren auch in mehreren Büchern mit Titeln wie „Leipzig – Stadt des Wandels“ die umfassenden Veränderungen im Stadtbild festgehalten worden. Der Übersicht halber möchte ich nur darum bitten, möglichst im Format „vorher – nachher“ zu bleiben. Wenn die oft denkmalgerecht sanierten Foyer- und Treppenhausbereiche fotografiert wurden, sollen sie uns natürlich nicht vorenthalten bleiben. Auch eine historische Ansicht, soweit vorhanden, kann das Bild komplettieren. Ich werde nach einigen einleitenden Worten mit meinem eigenen Bildmaterial beginnen.
Zunächst aber einige Hintergründe. Leipzigs Stadtbild befand sich zum Zeitpunkt der Wende in einer besonderen Situation. Zum ersten hatte die Stadt eine enorme bauliche Hinterlassenschaft aus der Epoche, die oft (nicht ganz zutreffend) als Gründerzeit bezeichnet wird. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Leipzig im 19. Jahrhundert geradezu explosiv anwuchs, von kaum 30.000 Einwohnern um 1800 auf fast 590.000 Einwohner um 1910 (später stieg die Bevölkerung bis zum 2. Weltkrieg noch auf über 700.000). Zu diesem Zeitpunkt war man dicht hinter München auf dem vierten Platz der bevölkerungsreichsten Städte, bezogen auf den heutigen Gebietsstand der Bundesrepublik; und als erster deutscher Verlagsstandort, größte deutsche Messestadt, Industriestadt von europäischem Rang, Sitz des höchsten deutschen Gerichts und einer damals international sehr renommierten Universität, schließlich auch als eine der reichsten deutschen Städte, erheblich bedeutender als heute (ein Umstand, der sicherlich zu der vielzitierten Leipziger Tendenz zum Größenwahn beiträgt). Die Wälder, Äcker und Wiesen im Umland, viele davon durch aufwändige Flussregulierungen den Elster- und Pleißeauen abgetrotzt, wurden im Geschmack der Zeit, dabei jedoch stets großzügig und repräsentativ bebaut. Neben reinen – bürgerlichen wie proletarischen - Wohnvierteln entstanden gemischte Gebiete mit kleinerem Gewerbe in den Blockhöfen, daneben ausgreifende Industrieareale mit eigenem Gleisnetz und Villenviertel entlang der Auen, strukturiert durch Alleen und Plätze, durchzogen von Kanälen und aufgelockert von großen Parks und Grünstreifen, Kleingärten und Friedhöfen. Das, was gemeinhin als Gründerzeit summiert wird, ist tatsächlich die in sich sehr differenzierte Baukultur einer ganzen Generation, von den nüchternen spätklassizistischen Gebäuden um 1860, den Neostilen mit vereinzelten romantischen neugotischen, häufiger aber auf Repräsentation bedachten Neorenaissance- und –barockbauten, gelegentlichen eklektizistischen Experimenten, bis hin zu den teils typisierten, teils sehr individuell und originell gestalteten Reform- und Jugendstilhäusern. Ein ganz eigenes Kapitel öffnen die zahllosen Industriegebäude, die manchmal die Anmutung von Burgen oder Kathedralen haben. Auch die städtebaulichen Zusammenhänge variieren zwischen überbauten Dorfkernen und planmäßig gerasterten Straßenzügen, engen gewundenen Gassen und ehemaligen Dorfstraßen und Boulevards mit weitreichenden Sichtachsen.
Anders als in den meisten vergleichbar großen Städten, die durch viel stärkere Zerstörungen im Luftkrieg und/oder durch radikale Umgestaltung in den 60er und 70er Jahren (Stichwort „Autogerechte Stadt“) ihre Erscheinung völlig verändert haben, war hier die grundsätzliche Textur der kaiserzeitlichen Anlage noch fast überall zu erkennen. Natürlich war diese Bausubstanz in denkbar schlechtem Zustand. Die meisten Gebäude waren seit Beginn des 2. Weltkriegs, also seit einem halben Jahrhundert nicht ausreichend unterhalten worden, viele Wohnungen waren faktisch unbewohnbar („verworfen“), ganze Häuser dauerhaft eingerüstet. Die Reportage „Ist Leipzig noch zu retten?“, die zunächst nicht ausgestrahlt werden durfte, zeigte schließlich im November 1989 die ungeschminkte Realität. Die Frage hätten die meisten damals sicherlich mit „nein“ beantwortet.
Allerdings hatten finanzielle und technische Schwierigkeiten in der DDR nicht nur die Sanierung, sondern den andernorts vielfach umgesetzten flächenhaften Abriss mit anschließender Neubebauung im Zeitgeschmack verhindert. Die Großsiedlungen in Plattenbauweise waren glücklicherweise zunächst am Stadtrand entstanden. Aber die Einschläge kamen näher, wie in Volkmarsdorf, Reudnitz und Connewitz begann bereits der Flächenabbruch (aufgrund mangelnden Geräts zum Teil mit Panzerwagen) und WBS 70 füllte die freiwerdenden Räume. Ohne jeden Zweifel wäre diesem brachialen „Stadtumbau“, hätte die DDR einige Jahre länger bestanden, ein Großteil des Bauerbes geopfert worden. Ohne Zweifel war der drohende Verlust der eigenen Stadt für viele Bürger auch ein Grund, um gegen Bevormundung und ständigen Mangel auf die Straße zu gehen.
1990 begann dann unter dem Schlagwort „Erneuerung im Bestand“ eine Sanierungswelle ungeahnter Quantität und Qualität, die immer noch anhält. Über 12.000 Baudenkmale aus der „Gründerzeit“ sind in Leipzig verzeichnet. Mehr als 80 % der Wohngebäude aus der Zeit von 1840 bis zum ersten Weltkrieg, das sind immerhin über 100.000 Wohnungen in mehr als 15.000 Einzelgebäuden (Ein- und Zweifamilienhäuser allerdings mitgezählt) sind mittlerweile gerettet, ein Großteil davon wurde entsprechend den Maßgaben des Denkmalschutzes behandelt. Dabei sind die Wiederherstellung des Fassadenschmuckes aus Stuck, Werk- oder Naturstein, die differenzierten Dachlandschaften, aufgearbeitete oder originalgetreu nachgestaltete Fenster, Türen und Tore praktisch Standard. Auch im Inneren wurden Treppenhäuser wieder hergerichtet, Parkett und Stuck aufgearbeitet. Nicht selten wurden nachträgliche Verschlimmbesserungen beseitigt, verlorene Geschosse wieder aufgemauert, ganze Gebäudeteile rekonstruiert. Gleichzeitig wurde den Wohnansprüchen der Gegenwart Genüge getan - Innenbäder, Zentral- oder Fernwärmeheizungen, Balkone, Tiefgaragen, Aufzüge, der ganze Wohnkomfort des 21. Jahrhunderts wird geboten. Gerade die meist gelungene Synthese aus den Nutzungsansprüchen und den Forderungen des Denkmalschutzes sind, denke ich, bemerkenswert und bieten eine hervorragende Wohnqualität, gegen die auch Neubauten meist nicht ankommen.
Die verbliebenen Ruinen, die in der Regel entmietet sind und vor sich hin bröckeln, sehe ich wie viele Leipziger mit wachsender Unruhe. Auch bei der hohen handwerklichen Qualität ist die Lebensdauer vieler Gebäude nunmehr erschöpft. Jahr für Jahr gibt es Abgänge durch Notabbrüche oder dadurch, dass Gebäude einfach in sich zusammenfallen. Leider spielt auch Vandalismus und Brandstiftung eine Rolle. Gleichzeitig wird immer noch saniert, weniger und bedächtiger, gleichzeitig oft mit besonders hoher Qualität. Eine Reihe ortsansässiger Firmen hat sich ganz auf dieses Segment spezialisiert und sich eine hohe Expertise erarbeitet. Nachfolgend zeige ich zunächst eine Karte, die die abgeschlossenen und laufenden Sanierungen des Jahres 2009 zeigt, ohne Anspruch auf Vollständigkeit (es sind mehr oder weniger die Projekte, die im Forum reflektiert wurden). Dunkelblau sind denkmalgerechte Sanierungen, violett vereinfachte Sanierungen, hellblau zum Stichtag (1. Januar) noch laufende Baumaßnahmen, orange sind die Gründerzeitgebäude, die im selben Zeitraum abgebrochen werden mussten. Kleine Punkte stehen für Wohn(und teilweise Geschäfts-)häuser, große für öffentliche Bauten, zum Beispiel Schulen.
Karte von mir.