Leipzig: Matthäi-Viertel (Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft)

  • Da geht es doch aber "nur" um die Dynamik. Gut ist es dennoch, ich gönne es Halle. Die beiden Nachbarstädte partizipieren voneinander.

    Einmal editiert, zuletzt von Nuperus ()

  • Laut LVZ tritt zum Thema der zukünftigen Gestaltung nun die zweite Phase ein. Nachdem aus 66 Einreichungen nun neun erste Entwürfe zur zukünftigen Nutzung und Gestaltung in die zweite Runde gehen. Diese werden ab dem 19.09. öffentlich gezeigt.


    Was mir nicht klar war und mich wundert ist das nun der Block aus den späten 1970er Jahren doch noch in den Wettbewerb reingeredet wurde. Hier fällt es mir sehr schwer eine städtebauliche Relevanz - dann doch eher eine geschichtliche - zu erkennen. Geschweige denn eine Synergie für die zukünftige Nutzung. Aber evtl. lassen sich die Büros hier etwas einfallen.

  • Soweit ich weiß, kommt die Initiative maßgeblich von Architekturkritiker und Professor Bartetsky, der innerhalb eines Seminars mit Studenten den Stasi-Bau bewertete und einordnen ließ: mdr Dokumentation


    Tenor:

    - Abriß von Zeugen der DDR-Baugeschichte | Kontext Brühl-Bebauung etc.

    - fehlende Nachhaltigkeit bei Abriß und Neubau

    - kreative Nutzungskonzepte für den Bestandsbau

    - Erhalt von baulichen Zeitzeugen

    - die Studierenden hätten keinesfalls für den Abriß plädiert

    - Frage der Nutzung noch nicht geklärt, erst danach könne über Abriß entschieden werden

    - skeptisch, daß mit dem Forum Freiheit und Bürgerrechte Leben ins Areal einzöge

    ("es sei völlig realitätsfern anzunehmen, daß es das Bedürfnis gebe, dort 365 Tage im Jahr über Diktaturerfahrung und Demokratie zu diskutieren [...]"

    - Stasi-Bau böte "preisgünstige Räume für Kreative, Künstler, Handwerker ..."

    - "Allein die Zementherstellung ist für 8 % des Kohlendioxidausstoßes ... verantwortlich. Statt durch immer wiederkehrenden Abriß und Neubau ... weitere Klimasünden zu begehen, könne die Kommune als Eigentümerin ... ein Signal für ein Umdenken setzen."

  • ^ Ich hoffe wir bekommen in Leipzig nicht diese "Berlinisierung", in der jede Veränderung welche eine noch so arbiträre "DDR-Bebauung" betrifft, zum Erhalt bzw. Konservierung jener als notwendig stilisiert. Da diese ja eine Zeitzeugin ist.


    Dabei haben wir in Leipzig für die Stadt-Silhouette prägende Bauten zwischen 1949 und 1990, welche sogar alle Stil-Epochen abbilden, vorhanden. Was dann an einem "Plattenbau" als Hofgebäude ohne musealen Charakter eine erhaltenswerte Struktur bilden soll, grenzt für mich an Absurdität. Vor allem wenn der noch zu sanierende Teil auf eben jenem Hof steht, welcher ja wieder zurückgewonnen werden soll. Da bekomme ich fast schon Kopfschmerzen.

  • Und nicht zuletzt ist ärgerlich, wie verkürzt der Begriff Nachhaltigkeit verwendet wird. Eine nachhaltig negative städtebauliche Situation wird dazu führen, dass dann in einigen Jahrzehnten wieder über Abriss nachgedacht wird.


    Überhaupt ähneln sich Diskussionen um den Erhalt von DDR-Bausubstanz in der Verkürzung vorgetragener Argumente, ob nun beim Potsdamer Staudenhof oder Rechenzentrum, der Dresdner Robotron-Kantine und den Platten am Neustädter Markt oder eben hier beim Matthäikirchhof. Berliner Beispiele gibt es auch zuhauf, ja. Als wäre z. B. der Erhalt eines Gebäudes automatisch umweltfreundlicher oder günstiger und damit sozialer als ein Neubau. Das sind Thesen, die keineswegs unangreifbar sind. Und ebenso ist fraglich, ob ein Gebäude historisch wertvoll ist, nur weil dort historisch relevante Vorgänge stattgefunden haben.


    Nunja, auf die Veröffentlichung der aktuell noch strengstens geheimen Vorschläge bin ich sehr gespannt. Es ist ja immer eine Wundertüte und vollkommen unberechenbar, ob man bei solchen Wettbewerben etwas Hervorragendes, Mittelmäßiges oder Grottenschlechtes zu sehen bekommt.

  • Für mich ist der Entwurf von Hinrichsmeyer der ganz klare Favorit. Da wäre in erster Linie die Wiederherstellung des Matthäiplatzes zu nennen, aber auch die Schließung der klassischen Blockrandstrukturen, und die dadurch entstehenden sinnvollen Wegebeziehungen im und durch das Quartier. Der Kubus in der Mitte vom Platz ist sicherlich noch überarbeitungswürdig, da würde ich mir in jedem Fall eine Referenz des historischen Kirchenbaus in irgendeiner Form wünschen.


    Die anderen Entwürfe sind für mich nicht erstrebenswert, weil sie zum großen Teil die Stasi-Platte erhalten, und damit die Teilung des Stadtgrundrisses in die Zukunft fortführen würden.

  • Hinrichsmeyer hätte tatsächlich Qualitäten. Wobei ich den Kubus gerne höher sehen würde. Da es keine Reko werden soll, kann man an der Stelle auch mutiger sein. Die anderen Kirchen der Innenstadt ragen auch aus dem Häusermeer raus. Da kann es an dieser Stelle - ich weiß, dass da keine Kirche gebaut wird - gern auch etwas prominenter werden. Meine erste Meinung dazu.

  • Wichtiger, als hier zu diskutieren, finde ich es, die Diskussionsmöglichkeiten auf der offiziellen Website der Stadt zu nutzen. Ich finde es beeindruckend und mehr als vorbildlich, was da geleistet wird mit Visualisierung, Erklärung, Umfrage und Kommentarfunktion.


    Ich hoffe, dass sich viele, viele Menschen daran beteiligen und werde meine Freunde und Bekannten darauf aufmerksam machen.


    Nun gibt es übrigens auch überhaupt keine Ausrede mehr, mit den Fassadenentwürfen dann nicht genauso zu verfahren.

  • Und noch eine Empfehlung: die Kommentare besser nicht direkt in den Browser schreiben, sondern in ein Textdokument und dann mit Copy and Paste in das Kommentarfeld kopieren. ;) Ist eigentlich klar, aber ich hab trotzdem gerade einen Text verloren.

  • Hinrichsmeyer hätte tatsächlich Qualitäten. Wobei ich den Kubus gerne höher sehen würde. Da es keine Reko werden soll, kann man an der Stelle auch mutiger sein. Die anderen Kirchen der Innenstadt ragen auch aus dem Häusermeer raus. Da kann es an dieser Stelle - ich weiß, dass da keine Kirche gebaut wird - gern auch etwas prominenter werden.

    Ich bin komplett bei Dir. Der Kirchturm war 57 Meter hoch - diese Höhe könnte man als Reminiszenz nehmen. Anstelle des simplen Kubus würde mir eine schmalere, extravagantere bzw. skulpturalere Form besser gefallen. hedges hatte hier mal auf das Obama Presidential Center verwiesen was in diese Richtung geht. So etwas ähnliches mit begrünten Aussichtsplattformen würde mir an dieser Stelle sehr gefallen. Das könnte dann z.B. als Archiv für die Stasi-Unterlagen dienen.

  • ^ Danke für den Verweis.


    Ja schade, dass generell nicht nur der Block wieder in die Überlegungen hineingezogen wurde sondern nun auch bei allen, bis auf einen, Entwürfen tatsächlich noch vorhanden ist.


    Auch ich sehe 'Hinrichsmeyer' als den einzig wirklich guten Entwurf. Da er nicht nur die Riegel auflöst sondern eine neue Hofsituation als eine Art Plattform schafft. Mit dem Wagner-Aufgang zum Ring offen und erreichbar, stellt diese Plattform eine gelungene Lösung und Translation zwischen dem dort leicht erhöhten Innenstadtquartier und der Ringstraße und angrenzender Stadtviertel dar. Diese Erhöhung kann dann noch - wie einige Vorredner geschrieben - gelungen mit einer Dominante die alte Inszenierung des Kirchenbaus unterstreichen und wiederherstellen. Die Große Fleischergasse bekommt den historischen Blockrand wieder. Bei diesem Entwurf sehe ich eine gelungene Brücke zwischen einer Wiederherstellung der Quartierstruktur, dem Nutzungsanspruch, und den Möglichkeiten diese besondere Stelle der Stadt zu inszenieren.


    Für mich brechen zumindest 'Dichter Architektur' sowie 'Riele Koeth' etwas die Riegelstrukturen auf und setzen einen historischen Blockrand an die Große Fleischergasse. Wobei leider nur letzteres von den beiden genannten Büros den Wagner-Aufgang auch unterstreicht und in das Quartier führt. Was übrigens auch alle sonstigen vermissen lassen, ist eine Lösung für den Treppenaufgang in das Quartier und nicht dieses absurde tote Ende vor dem Querblock.



    Grundsätzlich bin ich schon sehr überrascht von den Entwürfen und das es wirklich nur einen gibt, der eben nicht die Blöcke integriert. Das finde ich ziemlich schwach. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass es nicht nur um eine Neuinterpretation des ehemaligen Kirchhofs an einer prominenten Stelle geht sondern um die erste befestigen Siedlungsstrukturen der Stadt Leipzig. Überhöht über den Flussläufen und an der Kreuzung der beiden europäischen Handelswege. In diesem Kontext sind diese größtenteils zu Studien an geänderten Nutzungsfunktionen von "DDR-Riegel" geratenen Entwürfe einfach zu uninspiriert und kaum kontextualisiert. Setzen jene die Gegenwartssituation, in der Höhe geschliffen und in der Integration ins Quartier mangelhaft, fort. Das ist wirklich sehr sehr mager! Und auch peinlich provinziell für eine Stadt, welche ja die europäische Bühne sucht.

  • Ich denke, der Bedarf für solitäre Kuben ist mit dem MdbK für den Altstadtbereich gedeckt. Da sehe ich ehrlich gesagt keinerlei städtebaulichen Mehrwert. Insofern sind tatsächlich alle Entwürfe ziemlich enttäuschend. Unter Beibehaltung der Stasi-Platte ist es außerdem m.E. nicht möglich, diesen historisch bedeutsamen Stadtbereich adäquat zu neu zu gestalten.

  • ^Ganz genau, unter Beibehaltung der Stasi-Platte ist es gar nicht möglich, diesen historisch bedeutsamen Stadtbereich adäquat zu gestalten. Nur 'Hinrichsmeyer' löst die gestellte Aufgabe überzeugend.

  • Es sollte unbedingt dazu gesagt werden, dass 66 Entwürfe eingereicht wurden. Wer weiß, was da noch so dabei gewesen wäre... Peinlich ist doch die Auswahl des "Preisgerichts".

  • Mich wundert ebenfalls diese übergroße Mehrheit an Entwürfen mit Erhalt des DDR-Baus bzw. die Auswahl derer. Hieß es nicht ursprünglich es solle eine hochkarätige europ. Ausschreibung geben?! Nun haben wir neun Arbeiten von dt. Büros in der Endauswahl, von denen acht unzureichend sind da, wie man sieht, der Stasi/Vopo-Block eben eine Situation schafft, die nicht zufriedenstellend (im Sinne von Stadtreparatur) gelöst werden kann. Von einer internationalen Ausstrahlung gar - die man seitens der Stadtoffiziellen immer angestrebt hat - sind diese, in der Tat provinziellen Wettbewerbsergebnisse, weit entfernt. Evtl. hätte mit dem Leitprojekt "Zukunftszentrum" hier mehr Drive entfaltet werden können - so bleibt dann halt der diffuse Mischmasch "von möglichst viel, möglichst etwas".


    Edit:


    Noch einmal zum Verständnis:

    Dieses Gebäude hat erst vor kurzem nach Überprüfung keinen Denkmalstatus erhalten. Der für die jüngere Geschichte relevante Bau ist auf diesem Areal ganz eindeutig die „Runde Ecke“. Erhaltenswerte Teile wie das Direktorenzimmer und die Ohrentürme wären problemlos bei einem Neubau integrierbar. Zur Erinnerung an das Stasi-Vopo-Ensemble könnte man dann im selben Haus eine frei zugängliche Ausstellung mit Hilfe großformatiger Fotos, Videos, VR usw. installieren um die heutige Anmutung präsent zu halten. All dies ist kein Hexenwerk und wurde schon tausendmal weltweit umgesetzt. Btw.: Der Zentrenplan Innenstadt, den sich die Stadt selbst auferlegt hat, sieht innerhalb des Rings übrigens die Wiederherstellung des histor. überlieferten Stadtgrundrisses bzw. der Raumkanten vor (daher wurde z.B. damals auch die Reichsstraße verschwenkt). So gesehen macht eine Annäherung zur urspr. Struktur schon allein aus diesem Grund Sinn auch weil Leipzig eben in weiten Teilen seinen histor. Stadtgrundriss erhalten konnte.

    2 Mal editiert, zuletzt von LEonline () aus folgendem Grund: Ergänzung

  • Zur Erinnerung über was für hier eigentlich sprechen: Es handelt sich um die Wiege der Stadt(!) und um ein Gebäude was 10 Jahre in Funktion war:

    matthikirchhof1h7fty.jpg


    Einer der Ohrentürme, der m.M.n. erhaltenswürdig ist und an einem Neubau angebracht werden sollte:

    matthikirchhof1b2wdds.jpg


    Mit ein bisschen Grün wird das bestimmt ganz toll...

    matthikirchhof2d3egl.jpg


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    matthikirchhof4t9civ.jpg


    matthikirchhof595d2l.jpg


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    matthikirchhof8rdfuh.jpg


    matthikirchhof9s8dye.jpg


    matthikirchhof9b7sibt.jpg


    hedges hat es angesprochen - die Zuwegung von der Klingertreppe aufs Areal und hindurch (die man ja ausdrücklich wollte) endet abrupt am Riesenblock:

    matthikirchhof1054iwd.jpg


    matthikirchhof14l4i2p.jpg


    Im Hintergrund der ehem. Saalbau für die Stasileute inkl. Kegelbahn:

    matthikirchhof11by5d0y.jpg


    Hier von vorne. Heutige Heimat des Schulmuseums:

    matthikirchhof134tddu.jpg


    matthikirchhof14bqufrj.jpg


    Rückwärtige Ansicht:

    matthikirchhof15czcv0.jpg


    Zum Schluss noch einmal der Allerwelts-Typenbau aus DDR-Produktion, der hoffentlich keine Zukunft hat.

    matthikirchhof1661ipo.jpg

    Bilder aus eigener Produktion


    Fun-Fact am Rande: Prof. Scherzer-Heidenberger von der HTWK, der einer der ersten war, der öffentlich für den Erhalt das Bauwerkes plädierte begründete dies damit, dass man ja schließlich in seiner Heimatstadt Nürnberg das Reichsparteitagsgelände auch nicht beseitigt hat... :S