Wirtschaft, Politik, Forschung, Gesellschaft

  • ^ Das muss dieser Fortschritt sein, von dem immer alle reden.


    Zwei Möglichkeiten zur Interpretation fallen mir ein. In Variante eins ist das ein Drohszenario des Bezirks gegenüber dem Senat, um mehr Kohle rauszuholen (der Regierende kann schließlich kein Interesse an Eskalation in Problemschulen und schmutzigen Parks haben). In Variante zwei ist das echt – und das würde mich persönlich erschrecken, aber gut in die Denke der CDU passen, wonach Sozialausgaben falsche Anreize setzten und Probleme eher mit der Polizei als mit Stadteilkoordination und Sozialarbeit bekämpft gehörten. Warten wir es ab.

  • Seit Jahren war jedem klar, dass zuviel Geld ausgegeben wurde, von daher ist es wohl kaum als Überraschung anzusehen, dass es äußerst schwierig werden wird. Dazu verengen die steigenden Zinsen für die niemals abgebauten Schulden von 60 Milliarden jeglichen Spielraum.


    Die jetzige Regierung wird andere Schwerpunkte setzen müssen, die letzten 10 Jahre wurde - auch unter CDU Bezeiligung - zu wenig investiert und zu viele Geschenke bzw konsumptive Ausgaben verteilt, zu wenig Schulden abgebaut und durch völlig sinnlose sozialistische Vorzeigeprojekte wie dem Haus der Statistik (700 Millionen) Wohnungsankäufen in Millionenhöhe, Mietpreisbremsen, freie Kitajahre, zu wenig Digitalisierung, usw einfach über den Verhältnissen gelebt.


    Klar kann man sich's leicht machen und alle Sozialausgaben als sakrosankt erklären und die CdU Denke - was immer das sein soll - als böse hinstellen, das wird aber erstens der Wirklichkeit nicht gerecht und löst kein Problem.


    Strukturell und finanzpolitisch hat vor allen RRG die letzten Jahre - verstärkt und erschwert natürlich durch Corona - einen finanzpolitischen Kamikazekurs gefahren, der eben nun an seine natürlichen Grenzen stößt.


    Wie praktisch, dass man die Suppe jetzt nicht auslöffeln muss.

  • Ich weiß nicht was ich davon halten soll. Mir ist noch im Kopf wie man letztens ein unerwartetes Wirtschaftswachstum von 4,9% statt 2,5% für 2022 erreicht hat (Bundesschnitt 22 war 1,8%). Zitat: "In Euro gemessen bedeutet das für das Land Berlin ein kräftiges Plus von fast 7,4 Milliarden Euro bei der Bruttowertschöpfung."


    Entsprechend müsste der Logik nach auch die zusätzlichen Steuereinnahmen gewesen sein. Hat RRG wirklich so eine Misswirtschaft betrieben, das in Kombination mit den steigenden Zinsen auf die Schulden es trotz jahrelangem überdurchschnittlichem Wachstum der Wirtschaft auf rote Zahlen hinaus läuft?! Und wer kalkuliert das? Was wären denn die Folge dieser Rechnung gewesen, wenn die Wirtschaft wirklich "nur" 2,5% gewachsen wäre? Und sind 22 Millionen für die schwächsten der Gesellschaft und Weihnachtsmärkte einsparen jetzt das, was da im Verhältnis zu den Milliarden-Summen von denen wir hier reden, was den Unterschied macht?! Vllt. sollte man mal den kranken Wasserkopf entschlacken und endlich mal wirklich digitalisieren um effizienter Arbeiten zu können. Wir leben in einem Land, wo nach über 30 Jahren öffentlichem www in Europa das DIN-A4 immer noch das gängigste Dateiformat ist. Und Digitalisierung stellt man sich so vor, das man zusätzlich zum Papierkrieg denselben Mist als PDF oder mit Glück auf einer Webseite die aussieht wie in den 90ern erledigen kann - oft ergänzt durch den postalischen Weg. Und Rückantworten per Post. Großes Kino. Aber am Weihnachtsmarkt, Obdachtlosen- und Suchthilfe sowie Spielgeräten sparen...

  • Es ist eigentlich hinlänglich bekannt, dass zuletzt sehr viel Geld verteilt wurde und die Haushaltsdisziplin vernachlässigt wurde. Damit macht man sich natürlich schon beliebt(er) bei vielen Menschen.


    Umgekehrt kann es mE aber auch nicht sein, dass man die notwendigen Korrekturen dann ausgerechnet auf dem Rücken der Bezirke vornimmt, die direkt mit den Menschen arbeiten müssen. Zumindest hätte man erstmal die Notwendigkeit und Berechtigung der Finanzierung prüfen sollen. Das sollte man immer gründlich tun, bevor man Gelder verteilt und ebenso bevor man Gelder einstellt.


    Ich glaube leider auch nicht, dass der Bezirk hier nur Druck aufbauen will. So schätze ich die Neuköllner Bezirksregierung jedenfalls nicht ein. Und dann wiederholt die CDU teure Einsparfehler wie damals einst die SPD u.a. bei der Abschaffung der Vorschule.

  • Naja ganz so ist es nun auch wieder nicht.

    Ich denke es ist dem Bezirk überlassen wo und wie er einspart. Der Senat wird bestimmt nicht überalle spezifische Vorgaben machen können. Ich bin zu wenig mit Haushaltsrecht der Bezirke vertraut um wirklich verifizieren zu können, ob das alles so nicht anders geht wie es Neukölln jetzt vorlegt oder ob es auch andere Möglichkeiten gäbe.

    Dass es nicht so weitergeht wie bisher, sollte allerdings jedem klar sein, da beisst die Maus keinen Faden ab.


    Und ein Wachstum von 4 oder 5 % ist jetzt auch nicht soviel mehr übersetzt in Steuereinnahmen, dass man alle Wünsche erfüllen kann.

    Berlin hat ja überall nochmal draufgesattelt, wo der Bund schon Hilfen gegeben hat, die Bezirke teilweise ebenso, Bürgerämter ist natürlich ein Riesenthema und mehr als mehr Personal einstellen fällt keinem dazu ein. Hier rächt sich die langsame Digitalisierung.


    Man wird sicherlich jeden Posten durchgehen, allerdings wird dies natürlich ziemlich politisch kommuniziert werden, je nachdem welche Klientel man bedienen möchte und Objektivität wird es kaum geben, wenn eine Bezirksregierung anders als der Senat zusammengesetzt ist, zu verführerisch ist es da, polititisches Kapital draus zu schlagen. Und der Neuköllner SPD Verband, der ja auch den Bezirksbürgermeister stellt, hat sich auch mehrheitlich gegen Frau Giffey ausgesprochen, wer weiss, was da noch für Rechnungen offen sind.

  • ^Das ist ein (vermutlich häufigeres) Missverständnis.


    Herr Hikel hat die Problematik auf seiner Facebook-Seite ziemlich stringent erläutert. Der Bezirk darf die bewilligten Gelder rein formell in der Tat selbst aufteilen. Allerdings werden die größten Ausgabenposten faktisch bereits durch gesetzlich verpflichtende - und ohnehin dringend notwendige - Posten ausgemacht: Schulsanierungen, Sozialleistungen, Pflegeleistungen, Bearbeitung von Anträgen, vorgeschriebene Kinder- und Jugendförderung.

    Danach bleibt so oder so nicht mehr viel Geld zu verteilen, mit denen der Bezirk gezielt die drängendsten Baustellen bearbeiten kann. Nennen wir es Mal Topf 1 (gesetzlich vorgeschriebene Maßnahmen) und Topf 2 (gesellschaftlich dringend notwendige oder stark wünschenswerte Maßnahmen).


    Das Problem ist also keinesfalls, dass der Senat dem Bezirk vorschreibt: "So dreckig sind Eure Parks gar nicht. Fahrt doch Mal etwas die Frequenz runter. Wozu wollen Eure Schulen denn bitte einen Wachschutz? Und was ist das mit Euren Spielplätzen? Einfach Mal Mut zum Flatterband oder eben Geräte abbauen." Der Senat sagt stattdessen sozusagen pauschal: "Ihr schafft Eure Aufgaben sicher auch mit 23 Mio Euro weniger oder strafft etwas Eure Prioritäten. Wir glauben an Euch."


    Allerdings steigen parallel die allgemeine Inflation und das Lohnniveau inkl. vorgeschriebener Mindestlöhne. In Topf 1 kann man qua Gesetz kaum noch einsparen, allerdings werden zusätzlich zur Tabula Rasa in Topf 2 auch hier Menschen entlassen werden müssen, sodass Schulsanierungen, Anträge etc künftig noch mehr verschleppt werden. In Summe übertreibt Herr Hikel mE kein Stück, wenn er von potentiell katastrophalen Auswirkungen inkl. massiven gesellschaftlichen und mittel- bis langfristig auch wirtschaftlichen Folgen spricht. Ich sehe auch schon sehr viele fähige, leidenschaftliche und leidensfähige Menschen in andere Bundesländer abwandern, weil sie nicht selbst zum Sozialfall werden wollen. Sprich Mal mit Sozialarbeitern, was die den ganzen Tag (oft über das vorgeschriebene Maß weit hinaus) leisten und wie ihnen das Herz blutet, weil man so viel mehr tun könnte/sollte/müsste. DAS ist der soziale Kitt, der Bezirke wie u.a. Neukölln noch zusammen hält.


    Und sorry yourrulez

    Die Bezirke müssen (!) mit den vorhandenen Strukturen arbeiten, die Ignoranz und Unfähigkeit von oben und den oft nachvollziehbaren Frust von unten ertragen.

    Dann ausgerechnet die Bezirke fehlende Fortschritte bei der Digitalisierung oder auch die generelle Ineffizienz der Berliner Verwaltungsstrukturen inkl massiver Redundanzen ausbaden zu lassen und mit einem Achselzucken kommentieren (tja, hätte man halt mal schneller modernisiert), ist mE entweder fehlende Kenntnis und Reflexion der Verhältnisse und Zusammenhänge oder blanker Hohn. Ersteres ist ja auch halbwegs entschuldbar, da die meisten Menschen (auch ich) sich eher wenig mit Bezirkspolitik beschäftigen und nachvollziehbarerweise einfach nur erwarten, dass sie halbwegs sinnvoll funktioniert. Gerade wenn es so dramatisch läuft wie jetzt, sollten sich aber viel mehr Menschen ernsthaft damit beschäftigen. Das ist unsere Stadt, in der wir leben müssen und wollen. Und die Probleme bzw konkret die dadurch in ihrer Entwicklung belasteten Menschen schwappen früher oder später auch von einem Bezirk in den anderen.

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  • Nio eröffnet Entwicklungszentrum in Berlin

    Der chinesische Elektroauto-Hersteller Nio hatte bislang ein Marken- und Designzentrum in München. Jetzt etabliert man auf immerhin 1.500 Quadratmetern einen "europäischen Technologiehub". Dort sollen 5 verschiedene Teams arbeiten und u.a. bei Themen wie autonomem Fahren, digitalen Systemen und digitaler Entwicklung arbeiten. Neben Software-Entwicklung soll auch die europaweite Tauschakku-Infrastruktur von Berlin aus gesteuert werden. Der Standort soll dafür möglichst viele europäische Talente anlocken.

    Quelle Electrive.net

    Quelle Tagesspiegel


    Wieder eine sehr erfreuliche Entwicklung für die Automobilwirtschaft in der Hauptstadtregion.

    Einmal editiert, zuletzt von jan85 ()

  • Kannst du bitte erklären, inwiefern es gut für unsere Automobilwirtschaft ist, wenn Chinesen hier Autos verkaufen?

  • Wenn man nur berichtet, was gut für Berlin ist, spielt d i e Automobilwirtschaft natürlich keine Rolle. Aber zu d e r Automobilwirtschaft zählen fraglos auch ausländische Unternehmen.

  • Die Chinesen verkaufen ihre Autos hier doch ohnehin. In dem Fall entwickeln sie ihre Autos dann aber auch teilweise hier, womit die hiesige Automobilwirtschaft auch insgesamt mehr Gewicht in Europa und der Welt gewinnt. Das Entwicklungszentrum für Europa hätte ja auch in Polen, Italien oder England entstehen oder aber ganz wegbleiben können (zuletzt hatte Deutschland schon einen Rekordabfluss bzw ein negatives Rekordsaldo beim Kapitalfluss von Investitionen da andere Standorte teils cleverer gemanagt werden, hier fließt immerhin mal wieder Kapital in unsere Richtung). Dann wären entsprechende deutsche Ingenieure sowie Spezialisten für Softwareentwicklung, maschinelles Lernen, Autonomes Fahren, Künstliche Intelligenz und automobile Sprachsysteme ggf. ins Ausland abgewandert oder aber ggf gar nicht erst in der Entwicklung angekommen. So entstehen hierzulande hoch innovative Arbeitsplätze/Wertschöpfungsglieder und es werden derartige Spezialisten in Schlüsselbereichen angelockt (mit 25 Spezialisten startet man und will bis auf 100 aufstocken). Ist ähnlich wie beim Amazon-Turm, wo auch viele Entwicklerjobs dran hängen. Das ist zwar nicht ganz das Gleiche wie nebenan bei Zalando mit seinem Hauptsitz, es hilft der Wirtschaft aber auf jeden Fall.


    Und nebenbei ist Nio gerade technologisch sehr spannend (so spannend, dass u.a. Porsche sie laut eigener Aussage eng beobachtet). Ähnlich wie Tesla mit den Super Chargern gehören sie sogar zu den Pionieren des Feldes, weil sie eine eigene Infrastruktur für Wechselakkus hochziehen wollen, wo hiesige Autokonzerne eher zögern. Für unser Gewerbe ist das jedenfalls schon jetzt hoch interessant. Die Berliner Taxi-Innung etwa hat erst kürzlich geäußert, dass sie genau so eine Infrastruktur gerne nutzen möchten.


    m.Ro80 In/Bei München sitzt die Zentrale für die Markenentwicklung und Design. Die Europazentrale für technologische Entwicklung in 5 Sektoren ist nun trotzdem in Berlin und nichts anderes hatte ich auch geschrieben (s.o.). Und laut den zitierten/paraphrasierten Aussagen im Artikel weiß Nio auch dabei genau warum: Es ist leichter, entsprechende internationale Spezialisten hierher zu locken und zu bezahlen.

    5 Mal editiert, zuletzt von jan85 ()

  • Deutschland macht für ausländische Hersteller als Standort Sinn, weil man sich hier - zumindest in der Vergangenheit - was abgucken konnte. Hier wurde Geschmack geprägt (zB Design) und wurde Technologie geprägt. Und es gab "Engineering Talent". Das alles ändert sich ja gerade.

    Im Kern aber macht es einen grossen Unterschied, ob man von Ablegern leben muss - oder selber innovative Kerne entwickelt.


    Leider ist die Erfahrung von Tesla mit dem deutschen Standort so überwältigend negativ gewesen, dass es so schnell niemand mehr wagen wird, hier eine Fabrik zu bauen. Genehmigungsverfahren (-> Zeit, Kosten und die ausgeprägte Unflexibilität, Dinge an neue Erkenntnisse anzupassen), aber auch niedrige Produktivität der Mitarbeiter im Vergleich zu anderen Standorten.

    Die traurige Realität ist - vom Prinzip her: Wenn Tesla in einem "Fabrik-Ableger" mit zB 10.000 Mitarbeitern eine Mio Autos baut, ersetzt das 30.000 Mitarbeiter eines deutschen Herstellers - weil dort inclusive deutscher Wertschöpfungskette bei Zulieferern, Entwicklung, Forschung, Marketing, Verwaltung. Durch die De-Gobalisierung-Hürden sind die Hersteller mehr denn je gezwungen, dort hinzugehen, wo ihre Autos verkauft werden. Das ist für deutsche Hersteller auf keinen Fall mehr das Inland. Dafür sorgt schon die Politik.

    In diesem - meines Erachtens - nicht mehr zu stoppenden Prozess der De-Industrialisierung wird allerdings Berlin überdurchschnittlich gut weggekommen - ua weil es viele junge, motivierte Talente aus Süd- und Osteuropa anzieht.

  • Leider ist die Erfahrung von Tesla mit dem deutschen Standort so überwältigend negativ gewesen, dass es so schnell niemand mehr wagen wird, hier eine Fabrik zu bauen.

    Ach ja? Das Land Brandenburg hat ihnen ein Wasserschutzgebiet zu Füßen gelegt. Und Herr Musk hat es dafür noch ausgelacht.

    Genehmigungsverfahren (-> Zeit, Kosten und die ausgeprägte Unflexibilität, Dinge an neue Erkenntnisse anzupassen), aber auch niedrige Produktivität der Mitarbeiter im Vergleich zu anderen Standorten.

    Das Ding wurde in Rekordzeit und mit Duldung der Landesregierung letztlich ohne endgültige Genehmigung aus dem Boden gestampft. Und nur weil sich Arbeiter anderswo effektiver ausbeuten lassen – das muss man sich nicht zum Vorbild nehmen.

    In diesem - meines Erachtens - nicht mehr zu stoppenden Prozess der De-Industrialisierung wird allerdings Berlin überdurchschnittlich gut weggekommen - ua weil es viele junge, motivierte Talente aus Süd- und Osteuropa anzieht.

    Die De-Industrialisierung ist in Deutschland wesentlich weniger weit gediehen als zum Beispiel in den USA. Wahr ist allerdings, dass es die Bundespolitik geschafft hat, zigtausende Arbeitsplätze in den Zukunftsbranchen Photovoltaik und Windenergie zu vertreiben. Aber ich nehme mal an, das meinen Sie nicht – denn echte Industrie ist nur, wenn's qualmt und stinkt.

  • Leider ist die Erfahrung von Tesla mit dem deutschen Standort so überwältigend negativ gewesen, dass es so schnell niemand mehr wagen wird, hier eine Fabrik zu bauen. Genehmigungsverfahren (-> Zeit, Kosten und die ausgeprägte Unflexibilität, Dinge an neue Erkenntnisse anzupassen), aber auch niedrige Produktivität der Mitarbeiter im Vergleich zu anderen Standorten.

    Entschuldige, es war doch genau umgekehrt. Die Tesla-Fabrik wurde für deutsche Verhältnisse wahnsinnig schnell durch die behördlichen Prozesse gepeitscht, dass man sich die Augen gerieben hat, was hier plötzlich möglich ist. Von was für überwältigend negativen Erfahrungen im Zusammenhang mit Tesla redest du?

  • Architektenkind  spandauer: Aus meiner Sicht verkörpern Eure beiden Kommentare das deutsche Problem: Man nimmt in grossen Teilen der Gesellschaft nicht mal mehr war, welche Standards anderswo gelten. Man hat es sich im gehobenen Mittelmass bequem gemacht. Das wird aber auf Dauer nicht reichen. Der Wohlstand in Deutschland wurde durch Weltspitzenleistungen geschaffen. Nicht durch Mittelmaß.


    1. Es dauert in der deutschen Tesla Fabrik sehr viel länger ein Model Y zu bauen als in der chinesischen. Und das bei höheren Gehältern. Schlechtere Leistung - aber mehr verdienen. Früher war es so: Mehr Produktivität - aber dafür auch mehr verdienen. Das trifft auf immer weniger Teile unserer Gesellschaft zu - und auch nicht auf Tesla. Und sogar die Spaltmasse sind inzwischen in China mindestens genauso gut ;-).

    2. Aus deutscher Sicht mag man Tesla beim Genehmigungsverfahren etwas zu Füssen gelegt haben. Aber eben nur aus deutscher Sicht. Aus internationaler Sicht war das Genehmigungsverfahren eine Katastrophe - und die Bauzeit länger als irgendwo sonst - was richtig, richtig teuer ist. Wenn Tesla nicht von einem dominanten, sehr risikobereiten Einzelunternehmer geführt geworden wäre, wäre es noch schlechter gelaufen. Denn Tesla hat sich darauf eingelassen, ständig nur mit vorläufigen Genehmigungen zu bauen. Und mit der Verpflichtung zurückzubauen, wenn die Genehmigung am Ende nicht erteilt wird. Kein normaler Vorstand einer normalen Aktiengesellschaft könnte so ein Risiko in der Regel vertreten. Sonst hätte der Bau 4 oder 5 Jahre gedauert - im Rest der Welt 18 Monate.


    3. Auch die Rekrutierung der Mitarbeiter war eine Katastrophe (allerdings auch, weil Tesla für Berlin-Standards zwar viel - aber mit Branchenstandard wenig bezahlt).


    4. Obendrein musste man sich noch mit lokalem Widerstand und schlechter Presse auseinandersetzen. Warum soll man sich das antun? Aber auch ganz objektiv: Was wäre gewesen, wenn die Klagen des BUND etc Erfolg gehabt hätten? Milliarden-Invesititonsruine... Wer geht so ein Risiko ein? Also ich würde es nicht verantworten wollen.


    Die Gerüchte verdichten sich auch, Tesla werde die nächste Fabrik in Spanien bauen - statt in Grünheide auszubauen. Kann man gut verstehen - ausser man hat halt eine sehr deutsche (meiner Erachtens provinzielle) Sicht. Erinnert mich an etwas, das ich heute gelesen habe. Wenn man in Deutschland mit einem Mobilkran von A nach B fahren will, dauert die Genehmigung 80 Tage und involviert 20 Stellen. Findet sogar unser Verkehrsminister irgendwie doof. Man will jetzt von 80 Tage auf 40 kommen. In Dänemark, zum Beispiel, dauert sowas aber halt 4 Tage. Dass Deutschland die komplexesten Genehmigungsverfahren der Welt hat - und daher stolz ist, wenn man dann mal etwas schneller ist, beeindruckt vielleicht hier - aber der Rest der Welt rollt eben trotzdem mit den Augen.

    Übrigens: die Solarbranche "raucht" im Verhältnis zu Wertschöpfung genauviel wie die Elektro-Autobauer Branche. Und ja: Niemand will zurück zu den Schloten der Stahlindustrie. Deutschland löst das Problem so, dass es die Stahlherstellung nach Brasilien (Thyssen hat's die Zukunft gekostet), den Atomstrom nach Frankreich, Solarzellen nach China, Fracking/LNG-Gas in die USA und die Armee in die Ukraine auslagert. Dann kann man sich so schön moralisch überlegen fühlen.


    Aber Zynismus beiseite: Man muss der Tatsache ins Auge sehen, dass Grünheide so etwas ist wie der BER: Nicht gut für den Ruf des Standorts Deutschland.

    4 Mal editiert, zuletzt von Oranien ()

  • Ohne mich extrem doll im vorliegendem Thema auszukennen: Das Narrativ der German Angst, die uns weltweit vorauseile, zieht bei mir so gar nicht mehr. Das kommt zu gefühlt 80 Prozent aus Deutschland selbst und scheint meist von rein wirtschaftsliberalen Interessen geprägt.


    Gerade bei Musk sind eher links stehende angelsächsische Medien mittlerweile tausendmal schonungsloser und aufklärerischer unterwegs als ihre deutschen KollegInnen. (Vielleicht haben die ja German Angst...)


    Zum China-Thema: Ich muss zugeben, da relativ stabil auf der Falkenseite des De-Risking Camps stehe. Wobei es ja auch heißt "De-Risking, nicht De-Coupling".

    Freuen tue ich mich jedenfalls über die allgemeine Dynamik in Berlin.

  • Zu Tesla: Diese Gerüchte zu einem "Ausbaustopp" sind mE nicht plausibel, da die Ausbaupläne gerade erst offiziell bestätigt und erste entsprechende Vorbereitungen getroffen wurden. Der spanische Standort war mW ohnehin zusätzlich geplant, wurde aber vorerst gecancelt, weil Herr Musk kaum etwas mehr hasst als Indiskretion und eben solche Gerüchte. Wenn überhaupt hat das Grünheide also eher zusätzliche Zeit und Perspektive verschafft. Und es mag negative Presse in Deutschland geben, die hat Tesla in den USA aber auch. Und auch China ist nicht gerade ein verlässlicher Partner was die Langzeitperspektive von ausländischen Investitionen und selbst Joint Ventures mit chinesischer Beteiligung betrifft. Ja, Deutschland macht gerade eine Menge merkwürdiger Dinge auf ökonomischer und außenpolitischer Ebene. Aber alles muss man jetzt auch nicht schwarz malen.


    Zu Nio: Nochmal, es ist mE absolut eine gute Nachricht für den regionalen Wirtschaftsstandort aber auch für den nationalen. Genau solche Investitionen wie von Tesla und kleinerem Maßstab Nio zeigen doch die hohe Wertschätzung des Standortes und beugen einer übermäßigen Erosion vor. Viele halten Nio sogar für ähnlich spannend wie Tesla, weil sie ebenfalls mit sehr viel Wagnis (und Wagniskapital) neue technologische Nischen besetzen. Wenn die Wette aufgeht, haben sie einen wertvollen Innovationsvorsprung. Auf mich wirken ihre Autos auch schon ziemlich reif und wertig. Sie werden also nicht alleine über Volumen kommen und hohen Wert auf die Entwicklung legen (ähnlich wie Tesla sehen sie Autos auch nicht mehr vorrangig als reines Fortbewegungsmittel, sondern als integriertes Mobilitäts- und Kommunikationsmedium). Ich denke daher, dass mancher hier die Ansiedlung tendenziell eher unterschätzt. Die Leute, die bei Nio arbeiten werden/sollen, sind international extrem gefragt. Und es ist auch nicht der erste Autokonzern, der so eine Einheit in Berlin ansiedelt. Auch Tesla hat(te) das ja vor, braucht aber ziemlich lange damit. Vielleicht spornt die Nio-Entscheidung sie ja etwas an.

  • Die Rahmenbedingungen sind zu schlecht geworden: Energie zu teuer, Bildung zu schlecht, Regulierung zu aufwendig, Infrastruktur zu alt. Der Kapitalstock Deutschlands ist inzwischen älter als der in Italien oder Frankreich! In den 70iger oder 80iger Jahren wäre man noch für verrückt erklärt worden, hätte man so etwas vorausgesagt. Nur in Grossbritannien ist der Verfall des Kapitalstocks noch grösser.


    Man müsste die Rahmenbedingungen wieder verbessern - aber das ist politisch kaum durchsetzbar.


    Beispiel: Die Investitionen in die Erneuerung der Bahn-Infrastruktur sollen im neuen Bundeshaushalt halbiert werden. Im meine, von 48 Mrd auf 24Mrd. Ausgaben für höhere Zinsen und konsumtive Ausgaben wie Sozialtransfers und Beamtenpensionen sind halt unantastbar. Also baut man wohl oder übel Zukunft ab. Bei der Bahn, bei Digitalisierung von Behörden oder beim Ausbau von 5G. Oder, noch schlimmer, bei der Grundlagenforschung. Es hat bis 1967 gedauert dass die USA in Summe mehr Nobelpreise hatten als Deutschland. Heute ist die Sache gelaufen - bei Spitzenforschung, bei Patenten usw usw. ...abgehängt im Vergleich zu dem was war.


    In Summe wird das massive Wohstandsverluste und Verteilungskonflikte nach sich ziehen. Davor verschliessen wir noch kräftig die Augen.


    Ich sage das nicht, weil ich Berlin oder dieses Land schlecht reden will. Ich sage es, weil mir dieses Land sehr viele Chancen geboten hat - unter anderem die Chance auf Bildung. Diese Chancen wird es zukünftigen Generationen nicht mehr bieten können, wenn wir die Probleme nicht benennen und die Dinge statt dessen weiter schönreden.


    Inzwischen spricht die Abstimmung mit den Füssen eine ziemlich klare Sprache: Ausländer investieren immer weniger bei uns - und Inländer immer mehr im Ausland. Wenn deutsche Unternehmen überleben wollen, müssen sie dort Investieren wo sie wettbewerbsfähig produzieren können. Das ist zunehmend weniger im Inland. Hinzu kommt: Leider sind wir Deutschen historisch ungeheuer schlecht was eine gewinnbringende Auslands-Invesition vom Vermögen angeht ("Stupid German money").


    Es gab einmal ein paar Jahre in denen ins das Berliner Tech-Ökosystem mehr Geld floss als das in Paris und sogar das in London - das war vor den Pandemie. Unfassbare & tolle Leistung! Heute fliesst nach London fast doppelt soviel Geld in Tech-Startups als nach Berlin. Kann man sagen: Was interessiert mich das. Aber dort entstehen die zukünftigen Daimlers, Thyssens und Deutsche-Banks. Pro Kopf ist es sogar noch extremer - über einen Vergleich mit Israel braucht man erst gar nicht zu reden. Berlin zu Tel-Aviv pro Kopf ist wie 1:10. Die Mehrzahl der deutschen Studienabsolventen will heute zum Staat.

  • Wenn man nur berichtet, was gut für Berlin ist, spielt d i e Automobilwirtschaft natürlich keine Rolle. Aber zu d e r Automobilwirtschaft zählen fraglos auch ausländische Unternehmen.

    Sehr gut erkannt. Nur fließt das Geld nach China und bleibt nicht bei uns.

  • Zu Nio: Nochmal, es ist mE absolut eine gute Nachricht für den regionalen Wirtschaftsstandort aber auch für den nationalen. Genau solche Investitionen wie von Tesla und kleinerem Maßstab Nio zeigen doch die hohe Wertschätzung des Standortes.

    Für den regionalen Standort ja, aber auch nur dort. Klar profitieren jede Menge Zuliefererfirmen von der Ansiedlung, aber die hätten auch profitiert, wenn dort eine VW/BMW/Daimler-Fabrik entstanden wäre. Tesla und Nio sind natürlich hier, um unseren Herstellern Anteile abzunehmen.

    Es gab einmal ein paar Jahre in denen ins das Berliner Tech-Ökosystem mehr Geld floss als das in Paris und sogar das in London- das war vor den Pandemie

    Wir haben KnowHow, die Historie und die gesellschaftlichen Umstände (großer Mittelstand, Ausbildungssystem etc.), um eine Veredlungsindustrie unterhalten zu können, die mit ihren Produkten absolute Weltspitze ist, aber wir konnten beim Aufbau dieser Industrie davon profitieren, dass wir energetische Planungssicherheit und freie Handelswege hatten. Ich wusste als Betrieb, dass ich damit rechnen kann, dass ich hier über 20,30,40 Jahre vor Handelsschwankungen preislich einigermaßen stabilen Zugang zu Energie (Russland, Norwegen), sowie Vorprodukten/Ressourcen (China, USA, Brasilien) habe. Diese Sicherheiten sind vor allem für Mittelständler, Familienbetriebe etc. elementar, denn diese können anders als die großen Holdings keine eigenen Delegation nach Übersee schicken, um großvolumige, private Handelsverträge abzuschließen.


    Die Rahmenbedingungen stimmen nun nicht mehr. Es ist auch im Kern nicht die Pandemie, der Krieg und die Inflation, -das sind nur Symptome für eine Entwicklung, die man grob damit zusammenfassen kann, dass das Vertrauen in eine gemeinsame globale Zukunft, die auf freien Handelswegen und Verträgen zum "mutual benefit" beruht, schwindet. Es wird immer behauptet, dass die USA/NATO die freie, westliche Werteordnung verteidigen würden, aber das ist nur eine Worthülse. Es geht um die Verteidigung freier Handelswege und der Welthandel ist synonym mit dem Seefrachtverkehr. Über 90% der Güter werden auf dem Seeweg verschickt und es sind US/NATO-Schiffe, die dafür sorgen, dass dieses Blut ungestört fließen kann.

    Niemand erinnert sich noch daran wo wir herkommen. Was für ein Chaos auf den Weltmeeren herrschte, als Briten, Franzosen, Spanier und Holländer noch die Ordnungsfunktion über den Welthandel hatten. Die haben ihre Fregatten irgendwann regelmäßig zu Piratenschiffen umgeflaggt und sich die fettesten Frachter der anderen Nationen ausgesucht. Dieses Spiel wurde solange betrieben, bis eine Firma wie die east india trading company mächtig werden konnte, indem sie Geleitschutz für Handelskonvois organisierte. Das zweite große Problem des Welthandels waren Handelsblockaden aufgrund von Staatenkonflikten, die ständig für gestörte Lieferketten sorgten. Beide Probleme wurden von den USA gelöst. Sie haben nach dem zweiten Weltkrieg die größte hochseetaugliche Flotte der Welt aufgebaut und patroullieren damit die Seehandelsrouten. Durch die militärische Dominanz sorgen sie dafür, dass wir Handelsblockaden aufgrund von Staatenkonflikten, sowie Piraterie(durch Staaten) kaum noch kennen. Diesen Ordnungsdienst (ordo ab chao) am Welthandel lassen sie sich von der Welt damit bezahlen, dass die den Dollar als Weltreservewährung weit vor allen anderen Währung hält, was den USA erlaubt, sich weit über ihre Verhältnisse zu verschulden (bis zu 750Mrd. pro Jahr) um damit ihre Militärmacht zu finanzieren.


    Dieser Zyklus endet nun aus vielen Gründen (Öffnung NordOst-Passage, SCO, BRICS). Der Welthandel braucht perspektivisch neue Schutzmächte und es entstehen bereits neue "east india trading companies". Wir bezeichnen diese zunehmend als Söldnerfirmen und sie sind ein Indiz für eine wieder unsicherer werdende Zukunft des Welthandels, ebenso wie die ganzen Lieferketten-Reduktionsprogramme und sonstige protektionistische Vorkehrungen wie die "chip acts" Anzeichen für einen Weg zurück in alte Zeiten unsicherer Seewege und Staatenbeziehungen sind. Wenn die Welt wieder die Rolläden voreinander hochzieht, ist Deutschland ganz besonders schlecht darauf vorbereitet. Mit zwei Hand voll Fregatten, diplomatischen Chors, die sich um afrikanische Kunst und das Verbreiten ideeller Werte, statt neuer Schürfrechte kümmern, einer zarten Fin-Tech/Internet-Tech Branche, die aber trotzdem am Tropf der US-Giganten hängt und einem kommenden eisernen Vorhang zu seinen wichtigsten Handelspartnern in kritischen Vorprodukten und Energiefragen (Ru und China) sind wir machtpolitisch nicht sehr gut aufgestellt in dieser neuen Weltordnung. Der Job des "Ressourcenveredlungsprimus" ist uns nun nicht auf ewig exklusiv, nur weil wir ihn immer gut gemacht haben. Den übernehmen jetzt die Nationen, die auch tatsächlich große Teile der dafür notwendigen Ressourcen und Vorprodukte im eigenen Land haben. Tesla und Nio verdeutlichen das.