Neubebauung am Schinkelplatz/Werderscher Markt

  • ^ Warum es ein "vielbeklagenswertes (sic!) Übel" der Architektur sein soll, dass "über den angeblichen Willen des Architekten fabuliert wird", erschließt sich mir nicht. (Oder meintest Du: Der Architekturkritik?
    Ebenso wenig verstehe ich diesen Satz in diesem speziellen Kontext: In der von Dir abgelehnten "Interpretation eines fassadenflächigen Ornamentes als Bossierung" beziehe ich mich ja explizit auf eine dezidierte Aussage des Architekten, der sich also in diesem Fall gerade nicht "durch Schweigen der Beurteilung" entzogen hat: Zur Erinnerung noch einmal der vollständige Satz im Wortlaut:


    "Die geschlämmte Betonfassade wird mit einem an die Bossierung historischer Sockelgeschosse erinnernden Relief versehen, das nach oben zunehmend feiner wird und geschossweise über Gesimse gegliedert ist."
    http://www.staab-architekten.com/


    Also: Weder Schweigen die Architekten, noch wird hier über Architektenintentionen fabuliert.


    Was Deine Interpretation der Bosse angeht, so kann ich sie nachvollziehen und halte sie für vertretbar - so wie ich es für vertretbar und nachvollziehbar halte, im nach oben hin abnehmenden Relief eine Erinnerung "an die Bossierung historischer Sockelgeschosse"
    zu erkennen (der Übergang ist kontinuierlich und nicht diskret). Diese Interpretationsmöglichkeit aber als "unlogisch" zu bezeichnen, verlagert die Beurteilung in den Bereich der Logik, wo sie nicht hingehört. Und dass Du auf der Grundlage einer (gewiss möglichen, aber ebenso gewiss nicht logisch notwendigen) Interpretation den Architekten die vorsätzliche Negation von Wettbewerbsforderungen vorwirfst, lässt mich fragen, ob Du vielleicht viel grundsätzlicher ein Problem mit Freiheit und Gestaltungsfreiräumen hast.

  • Ich wusste nicht, dass der Architekt diesen Unsinn auch noch selbst erklärt. Eine ornamentierte Fassade, die sich auch noch nach oben verändert, hat mit einer Bossierung soviel zu tun wie eine Mondrakete mit einem ägyptischen Obelisken. Ich ging immer davon aus, dass Volker Staab wenigsten soviel Bildung besitzt - aber man wird immer wieder eines besseren belehrt.


    Was die "Freiheit der Kunst" betrifft: Herr Staab kann auf seinem Grundstück, solange es keine Auflagen der Kommune gibt, bauen was will und die Bauordnung zuläßt.


    Die Ausschreibung aber hatte zur Gestaltung Vorgaben (Ausbildung von Sockelzone, Mittelteil, Dach) gemacht. Niemand hat VS dazu gezwungen, teilzunehmen. Diese nicht zu beachten ist keine Ausübung von "Freiheit" sondern ein Grund ihn aus dem Wettbewerb auszuschliessen, weil die Vorgaben nicht zur Gängelung der Architekten gewählt wurden, sondern um ein qualitätvolles Quartier zu generieren - wie notwendig das war, zeigt das dürftige Ergebnis.

  • ^
    Der Architekt wird sich schon was dabei gedacht haben. Wenn ein DAFler das nicht nachvollziehen kann und ihn sogar für dumm erklärt kann ihm das aber eh egal sein. Für mich ist das eher ein klassischer "Konstantin" ;)


    Sockelzone, Mittelteil, Dach ist vorhanden. Was fehlt denn?


    Wegen der Alterung...mal sehen. Mit einer entsprechenden Lasur kann das noch eine ganze Weile gut aussehen. Ansonsten empfiehlt sich halt ab und an eine Fassadenreinigung mit neuer Lasur.

  • Bato, dass sich "der Architekt schon was dabei gedacht hat" steht doch ausser Frage. Das ist aber ein Totschlagargument, das, liesse man es gelten, jede Diskussion unterbände.


    Ich habe zudem Herrn Staab nicht für "dumm" erklärt, sondern seine Gleichsetzung von Ornament und Bossierung für architekturhistorischen "Unsinn" und an seiner Bildung in dieser Frage gezweifelt. Diese Kritik kann ich angesichts der dankenswerten Aufnahmen von KaBa1 nur bekräftigen.


    In summa kann man nur sagen: das Ornament ist zurück. Und zwar durchaus im Loosschen Sinne. Schade, dass es trotzdem (vorerst) beim Kosten bleibt - die Ausbildung einer sich von einem Mittelteil absetzenden Sockelzone kann ich nicht erkennen.

  • Bossierung

    Immer, wenn ich diese Bossierung sehe, kommt mir eine Idee zur farblichen Gestaltung.
    Moderne Lüftelmalerei sozusagen:
    Man könnte mit grüner Farbe die unteren Fassadenflächen vorsichtig über rollen und die tieferen Stellen weiß belassen.
    Es entstünde dann der Eindruck von Efeu-Bewuchs. :daumen:

  • ^^
    Da steht aber was von "erinnern" was für mich keine Gleichsetzung ist.


    Einen ggü. der Sockelzone ausgearbeiteten Mitteilteil gibt's auch nicht bei Steidle. Bei Schultes kommen nur die Balkone dazu, ansonsten gleich. Moneo ist in der Hinsicht eigentlich der einzige der einen deutlichen Unterschied zwischen Sockel und Mittelteil ausgearbeitet hat.
    Vielleicht wurde das zu wenig spezifiziert, so dass der Jury schon leichte Unterschiede ausreichten um die Vorgaben des B-Plans zu erfüllen.

  • Mir gefällt das Zusammenspiel der "rauen" Fassade mit der glatten Fensterumrandung, die dadurch wie organisch/zufällig geformter Stuck aussieht.
    Auf den Alterungsprozess bin ich gespannt, ich könnte mir sogar vorstellen dass dieses Gebäude irgendwann einmal auf den ersten Blick älter wirken wird als die Kommandantur.
    Bis man sich die Fenster anguckt:)
    Aber so richtig begeistern tut das Ergebnis nicht , vorallem wenn ich sehe was da sonst noch so hingeklotzt wird...

  • Mir gefällt der Bau ganz gut. Was mich stört ist die markante Fuge an der Stelle, wo die Fassade abknickt, das hat was von Plattenbau. Auch hätte ich mir noch einzelne markantere Gliederungselemente gewünscht, die das Gebäude auch aus der Entfernung ein wenig optisch gliedern, z.B. ein stärker hervortretendes Gesims und einen markanteren Dachabschluss.

  • ^ also markant finde ich den Dachabschluss schon, wenn auch im negativen Sinne, denn schärfer kann diese glatte Kante ja kaum sein. Und genau das ist es, was mir am meisten aufstößt.
    Der Entwurf hat mir nie gefallen, auch wenn ich zugebe, dass die Reliefstruktur der Fassade aus der Nähe betrachtet doch recht schick geworden ist.


    Aber wie tief ist unser Anspruch gesunken, wenn wir allein dadurch einen Entwurf als gelungen oder auch nicht bezeichnen? Wenn man das Relief nämlich mal weg lässt, sehe ich da nur einen Bau, der an Langeweile und Trivialität nicht zu überbieten ist und an so einer Stelle nichts zu suchen hat. Und "dezent in seine Umgebung einfügen" tut er sich auch nicht. Weder farblich, noch stilistisch (er hat ja keinen erkennbaren Stil).


    Besser wäre es m.E. gewesen, wenn man zumindest, wie mein Vorposter bereits erwähnt hat, einen Dachabschluss mit etwas mehr Struktur gebaut hätte, z.B. eine angedeutete Balustrade. Die hätte dann nämlich sehr wohl etwas von "in die Umgebung einfügen" gehabt (siehe Kommandantur).

    Einmal editiert, zuletzt von Sidious ()

  • @ Jan85: Sorry, hatte Deine Antwort auf mich übersehen, sonst hätte ich meinen Beitrag stehenlassen. Kurz für alle: Ich hatte ElleDeBE's ersten Beitrag hier so interpretiert, dass er den Freiheitsbegriff nicht politisch nimmt, sondern rein ästhetisch – als die Freiheit, sich nicht an einen traditierten Architektur-Stil zu halten, sondern mit Elementen der Tradition und der Moderne gleichermaßen zu spielen. Dem hatte ich mich angeschlossen. Jan schrieb:


    Architektenkind: Über Freiheit und sklavische Unterordnung/ Nachahmung lässt sich mE gar nicht rein ästhetisch argumentieren, weil das keine ästhetischen Kategorien sind.


    Das halte ich a) für falsch, denn Freiheit ist ein schillernder Begriff, der schon solange in der Sprache unterwegs ist, dass er für die verschiedensten Zusammenhänge die verschiedensten Bedeutungen angenommen hat: die Freiheit von politischer Unterdrückung; die Willensfreiheit; die Freiheit dank Entlassung aus dem Knast; die Freiheit als Gefühl beim Blick über ein Alpen-Panorama; die Freiheit des Rauchers, sich für Gauloises und gegen Marlboro zu entscheiden; usw. usf. Warum also sollte der Freiheitsbegriff nicht für Architekten gelten, die mit Stilen spielen?


    Das halte ich b) aber auch für richtig, denn der Freiheitsraum, in dem Staab sich bewegt, ist keiner persönlichen Genialität entsprungen, sondern einem sozial, historisch und technisch bedingten Rahmen. 1910 hätte Staab nicht die Freiheit gehabt, derart von traditionellen Stil-Elementen zu abstrahieren; 1960 hätte er nicht die Freiheit gehabt, in einem modernen Gebäude so viele Zitate der Tradition unterzubringen. Staab verdankt seine Freiheit den technischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts und einer Postmoderne, die eben kein Stil mehr ist, sondern das Spiel mit Stilen zum Prinzip erhoben hat. Und deshalb ist, ganz richtig, Freiheit kein rein ästhetischer Begriff.


    Das Elend der Postmoderne ist allerdings ihre Beliebigkeit – und diesem Elend entgeht Staab m.E. durch eine sehr klare Zuordnung von traditionellem Zitat zur modernen Form. Was mich zu Sidious bringt:


    Zitat von Sidious

    Wenn man das Relief nämlich mal weg lässt, sehe ich da nur einen Bau, der an Langeweile und Trivialität nicht zu überbieten ist und an so einer Stelle nichts zu suchen hat.


    Wenn man das Relief weglässt, bleiben immer noch:


    1. Die klar aus historischen Formen abstrahierten Fensterlaibungen.
    2. Die nach oben breiter werdenden Fenster.
    3. Die nach oben zunehmende Breite des Gebäudes (die Bänder sind keine Gesimse, sondern Vorsprünge).
    4. Die Unterlichter, die durch handwerklich hervorragend gegossene Betonstreifen von den Fenstern abgegrenzt sind.
    5. Die vertikal geteilten Messingrahmen vor den Fenstern, die oben mit der Fassade abschließen und nach unten immer weiter nach innen rücken.


    Genau hinschauen Du solltest, junger Padawan, sonst der dunklen Seite der Architekturkritik verfallen Du wirst!*


    *(Dunkle Seite der Architekturkritik = Patzschke-Fans ;))

  • Damit hast Du - nolens volens - das Hauptproblem dieses Gebäudes hervorragend beschrieben: Man muss schon GENAU hinschauen, um die Charakteristika dieses Gebäudes zu erkennen. Dem "gemeinen Passanten" fallen diese Besonderheiten gar nicht auf. Schon gar nicht aus der Ferne. Von hier aus wirkt das Gebäude wie eine weiße belanglose Kiste.


    Es fehlt eigentlich nur noch, dass auf das kupferne Dach als Highlight hingewiesen wird, das man allenfalls von der Spitze des Fernsehturms bzw. beim Blick aus einem Helikopter erkennen kann.


    Letztendlich bleibt zu hoffen, dass die Bauakademie wieder errichtet wird, um dem Platz zumindest ein wenig alten Glanz zurück zu verleihen.

  • ^ Das ist kein Problem, es ist eine Stärke, wenn man genau hinschauen muss. Warum sollten sich Architektueinteressierte und Architekturkenner mit dem oberflächlichen Blick des "gemeinen Passanten" gemein machen? Das wäre doch die Abdankung jeglichen höheren Anspruchs.


    ^^ Ich stimme Dir zu und möchte das auch noch einmal bekräftigen und präzisieren: Wer sagt, Freiheit sei keine ästhetische Kategorie, hat leider, ich muss es so deutlich sagen, schlicht keine Ahnung. In der wohl bedeutendsten ästhetischen Schrift überhaupt, der Kritik der Urteilskraft Kants, wird die ästhetischen Erfahrung gerade als das freie Spiel der Erkenntniskräfte (Einbildungskraft und Verstand) definiert. Und diese ästhetische Freiheit ist von der Politischen nicht absolut getrennt, wie Schiller versuchte zu zeigen, wenn er im 2. Brief seiner "ästhetischen Erziehung des Menschen" meinte, der Mensch könne nur durch die Schönheit zur Freiheit gelangen.


    Unabhängig davon, ob man soweit gehen will, halte ich es für fatal, wenn man, wie Konstantin, mit Verweis auf Logik (oder eigentlich: auf einen normativen Begriff der "Tradition", sprich: Einer als heteronom gedachten Vergangenheit, die uns vorgeblich vorschreibt, wie wir heute zu bauen haben) dieses freie Spiel unterbinden zu können meint. Jenes eigentümliche und vieldiskutierte Element des Staab-Baus, das Relief, kann an die Bossierung erinnern, aber gerade weil es keine reine Nachahmung dieser Bossierung ist, lässt es uns die Freiheit, auch andere Begriffe zu erproben und zu entwickeln (etwa: „Rückkehr des Ornaments“ oder "Efeu").


    Und wenn man nicht erkennt, dass diese Uneindeutigkeit, diese Unmöglichkeit, verstandesmäßig exakt bestimmen zu können, was es genau ist, das uns aber zugleich anregt, nach einem Begriff zu suchen, in ästhetischer Hinsicht gerade die Stärke und nicht die Schwäche eines Objekts ausmacht, dass also, ästhetisch betrachtet, es eben das freie Spiel von Einbildungskraft und Verstand ist, durch das wir ein Objekt als „schön“ bezeichnen, der ist, ob es weiß oder nicht, ein Gegner dessen, was unsere Klassiker als Schönheit verstanden haben und damit ein Gegner der Klassik und jener Tradition, die er glaubt zu verteidigen.

  • Architektenkind: Danke für Deine nachträgliche Antwort und den Erklärungsversuch. Folgen kann ich Deinem Ansatz aber (noch immer) nicht.


    Nach "Deiner" Logik müsste gelten:


    Ästhetik eines bewusst historisierenden Entwurfs: unfrei/ sklavisch nachahmend
    Ästhetik eines bewusst mit Traditionen brechenden modernen Entwurfs: unfrei/ sklavisch abweichend
    Ästhetik eines historische Elemente aufgreifenden, diese jedoch neu interpretierenden/ variierenden Entwurfs: frei


    Das ist mE nicht, wie ElleDeBe das Ganze gemeint hat, noch ist es sinnvoll. Natürlich ist Ästhetik zunächst einmal kein objektiver und somit unabhängig von Zeit, Kultur und Individuum funktionierender universeller Wert. Er wird aber allgemein doch primär mit Schönheit, teils auch mit Harmonie, Symmetrie oder Proportionalität verknüpft. Den Aspekt der Freiheit/ Unfreiheit bekomme ich da einfach nicht unter. Es sei denn, mir kann etwas partout nicht als schön erscheinen, weil ich dabei beklemmende Gefühle bekomme. Oder ich empfinde es umgekehrt als schön, weil ich ein erhabenes Gefühl der Freiheit damit verbinde. Das kann ja durchaus sein. Und vielleicht haben Menschen mit entsprechenden Vorkenntnissen UND Präferenzen wie ElleDeBe und Du ja tatsächlich primär ein ästhetisches Aha-Erlebnis bei dem Projekt, weil ihr diese neue Variation bewusst als neue Spielart wahrnehmen und goutieren könnt.


    Ich kann hingegen zwar irgendwo abstrakt nachvollziehen, was Ihr meint. Aber solche recht abstrakten (mE mehr akademischen) Erwägungen tangieren meine ästhetische Wahrnehmung kein Stück (ich sehe vielleicht anders/ bewusster, aber für mich wird dadurch nichts schöner oder weniger schön) und ich assoziiere auch weiterhin kein Gefühl der Freiheit mit dem Betrachten der Fassade. So viel Auto-Suggestion kann ich wohl nicht aufbringen. Ich denke, 90% der Leute werden nicht mal im Ansatz nachvollziehen, was der Architekt dem Insider damit vermitteln wollte. Von den restlichen 10 werden einige dennoch lieber historische und andere lieber moderne Architektur mögen. Und von denen, die dieses neue Verhandeln des alten prinzipiell goutieren (da zähle ich mich auch dazu), werden nicht alle das konkrete Ergebnis schön finden. Umgekehrt mag die Fassade vielen gefallen, ohne dass sie irgendwelche Gedanken über die Loslösung von Historismus/ Anti-Historismus wälzen und Freiheit empfinden. Umgekehrt werden viele (auch ich) einen Patzschke nicht als unfrei wahrnehmen (der weiß auch, was er tut und was er nicht tut). Oder seine Werke nur deshalb schön oder hässlich finden, weil sie etwas nachahmen. Im Zweifel wissen viele Betrachter das Baujahr nicht mal oder es ist ihnen (wie mir) einfach nicht primär für ihre ästhetische Bewertung. Ich habe zwar Literatur studiert, lese aber auch nicht lieber Bücher voller Selbstreferenzen für Insider. Gerade die finde ich oft genug richtig öde, auch wenn ich die Leistung stets als solche anerkennen werde.


    Um das lange Gefasel endlich auf einen Punkt zu bringen: In meinen Augen geht es hier allein um persönliche Präferenzen im Umgang mit unserer Baugeschichte. Diese haben mE nicht primär mit Ästhetik zu tun (auch wenn sie natürlich prägen können, was uns gefällt und was wir ablehnen). Aber erst recht haben diese Präferenzen nichts mit Freiheit oder Unfreiheit zu tun, so wenig wie bewusste Nachahmung sklavisch ist, nur weil sie manchen nicht gefällt.

    Einmal editiert, zuletzt von jan85 ()

  • Wer sagt, Freiheit sei keine ästhetische Kategorie, hat leider, ich muss es so deutlich sagen, schlicht keine Ahnung. In der wohl bedeutendsten ästhetischen Schrift überhaupt [...] wird die ästhetischen Erfahrung gerade als das freie Spiel der Erkenntniskräfte (Einbildungskraft und Verstand) definiert. Und diese ästhetische Freiheit ist von der Politischen nicht absolut getrennt, wie Schiller versuchte zu zeigen, wenn er im 2. Brief seiner "ästhetischen Erziehung des Menschen" meinte, der Mensch könne nur durch die Schönheit zur Freiheit gelangen.


    Nach Kants Aussage setzt ästhetisches Empfinden das freie Spiel (und damit natürlich zunächst das Vorhandensein) von Einbildungskraft und Verstand voraus. Ok, so weit nachvollziehbar. Das bedeutet mE aber noch lange nicht, dass Freiheit auch eine ästhetische Kategorie ist. Wie soll dass denn sinnvoll korrellieren? Steht das auch irgendwo in dem wichtigsten Werk zur Ästhetik?


    Diese Uneindeutigkeit, diese Unmöglichkeit, verstandesmäßig exakt bestimmen zu können, was es genau ist, das uns aber zugleich anregt, nach einem Begriff zu suchen, [macht] in ästhetischer Hinsicht gerade die Stärke und nicht die Schwäche eines Objekts aus. Ästhetisch betrachtet, [ist] es eben das freie Spiel von Einbildungskraft und Verstand, durch das wir ein Objekt als „schön“ bezeichnen.


    Aha, wir können erst ästhetisch empfinden und etwas schön nennen, wenn bestehende Kategorien überwunden/ angegriffen werden, sodass wir kein festes Konzept mehr davon haben was wir eigentlich gerade so schön finden? Klingt ja irgendwie ganz blumig, deckt sich aber nicht mit meiner Wahrnehmung. Für viele ist etwas doch gerade dann schön, wenn es möglichst genau mit etwas harmoniert (seien es bestimmte Formen/ Proportionen oder Objekte). Aber die sind dann wohl alle zu simpel gestrickt für wahres ästhetisches Empfinden? Dann bleibe ich lieber dumm und glücklich. Euer avantgardistischer Weg der Erleuchtung ist mir zu anstrengend und ich kann mich vielleicht zugleich an viel mehr erfreuen.


    P.S.: Ich lese jetzt erst Deinen ersten Absatz. Vielleicht solltest Du neben Kant mal Umberto Ecos theoretische Werke wälzen. Der geht viel auf den naiven und den kritischen Leser ein und inwiefern das Werk für sie genussbringend ist.Ich persönlich denke ja, dass zumindest ein öffentliches Bauwerk zunächst den halbwegs unbedarften 99% Genuss bringen und sie neugierig auf mehr machen sollte. Dann kann man immer noch ein paar subtile Schmankerl für den wahren Connaisseur einbauen. Wobei letzterer ohnehin meist genug eigene Ideen hineinlegen kann, sodass man gar nicht erst was verstecken braucht.

  • ^ Nur noch kurz: "Harmonisch" ist nach Kant nicht ein äußerer Gegenstand, eine äußere Proportion od. etw. dergl., sondern eben das freie Spiel zwischen Einbildungskraft (Phantasie) und Verstand in uns. Gerade weil im Schönen kein klarer Begriff vorliegt, wird die Einbildungskraft angeregt, nach Begriffen zu suchen. Und was wir als "schön" genießen, ist das freie Spiel, also die Harmonie unseren Erkenntniskräften (Einbildungskraft und Verstand). Der Verstand bestimmt nicht die Einbildungskraft, sondern beide harmonieren, indem sie sozusagen miteinander spielen. Das ist nicht Avantgarde, das ist deutsche Philosophie des ausgehenden 18. Jahrhunderts!

  • ^Dadurch wird es mir leider auch nicht klarer.


    Könntest Du vielleicht herunterbrechen, weshalb das konkrete Projekt jetzt besonders prädestiniert für ästhetische Aha-Erlebnisse sein soll und inwiefern das Ganze bei einer schnöden Reko oder einem historisierenden Entwurf zum Scheitern verurteilt ist? Und etwas ketzerisch gefragt: Muss mich mein ästhetisches Empfinden im Zweifel erst nach Baujahr und Kontext jedes Details fragen, bevor es etwas schön finden darf?

  • Also ich verstehe - wenn man sich auf das Gedankenspiel des Architektenkindes einläßt und ElleDeBe vermutete Freiheit als Freiheit von der Kovention interpretiert - die Sache dennoch nicht wirklich, zumindest nicht im Kontext von Freiheit.


    Staab entwickelt hier eine eigene Welt (die wohl die Jury fasziniert hat):
    - statt der traditionellen Bossierung (des EG) setzt er das Ornament (wie Ader&Sullivan!).
    - statt der nach oben kleiner werdenden Fenster setzt er größer werdende.
    - statt der traditonellen Sockelbetonung macht er das Gebäude nach oben breiter.
    - statt des Trends zu französischen oder gar raumhohen Fenstern setzt er Unterlichter.
    - statt der starren Rasterung der Fenster verjüngt er diese nach unten.


    Wenn ich die Kategorie der Freiheit hier prüfe, ist festzustellen, dass sich Staab sich hier nicht vordergründig nur über die Tradition hinwegsetzt sondern auch über das Bauhausdogma. Alle o.g. Entscheidungen, so mißlungen ich sie empfinde, sind dennoch der Versuch sich der Tradition in zwei Aspekten zu nähern: Ornament und Perspektive.


    Gerade letzteres (das Ornament hatte ja seit 50 Jahren viele mißglückte Renaissancen) halte ich für wichtig. Ist plötzlich Perspektive, mithin Dreidimensionalität, wieder gefragt? Daraus folgend: Licht und Schatten? Wenn das ein Nucleus einer Entwicklung wäre könnte ich mich mit dem dürftigen Bau versöhnen. Sonst bleibt nur Manierismus.

  • Konstantin: Ich vermute, des Pudels Kern soll in folgendem Abschnitt zu finden sein, den ElleDeBe ja extra noch einmal nachgeschoben hat.


    "Harmonisch" ist nach Kant nicht ein äußerer Gegenstand, eine äußere Proportion od. etw. dergl., sondern eben das freie Spiel zwischen Einbildungskraft (Phantasie) und Verstand in uns. [...] Und was wir als "schön" genießen, ist das freie Spiel, also die Harmonie unseren Erkenntniskräften (Einbildungskraft und Verstand).


    Diesen beiden Sätzen entnehme ich primär: Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Sie entsteht für diesen stets dann subjektiv, wenn sein Verstand und seine Einbildungskraft zugleich angeregt und in ein Zusammenspiel, eine Art Gleichklang oder Harmonie gebracht werden. So weit würde ich dem auch zustimmen können. Nur weiß ich dann immer noch nicht, weshalb der Staab-Bau als das zu betrachtende Objekt hier besonders gelungen sein sollte. Ich verstehe ja abstrakt, was ElleDeBes Erkenntniskräfte daran anregt, aber für mich sind diese subtilen Spielereien (nicht abwertend gemeint) dennoch nicht inhärent ästhetischer und/ oder gar freier als die Details bei einer gut gemachten Reko oder einem möglichst authentischen historisierenden Entwurf. Oder aber die Details eines ambitionierten bewusst modernen Baus. Auch bei diesen findet der naive wie auch der geschulte Betrachter einiges, was seine Erkenntniskräfte anregen kann. Vermutlich wird auch manch ein Anhänger der Moderne, einige traditionelle Bauwerke wunderschön finden und vice versa.


    Bei der Literatur gibt es übrigens einen ähnlichen Diskurs analog auch für den Textbegriff und die aktive Rolle des Lesenden beim Entstehen von Sinn und auch über ästhetisches Erleben. Texte werden ja auch im Zusammenhang mit dem gedeutet, was schon da ist und dabei wird natürlich auch nach Parallelen (meinetwegen Nachahmung) und Innovationen bzw. Variationen gesucht. Und da immer mehr Autoren diese Diskurse kennen, arbeiten viele auch ganz bewusst intertextuelle Bezüge (das alles kenne ich und beziehe mich darauf) sowie Selbstreferenzen (ja, ich weiß dass ich Literatur bin und wie diese funktioniert) ein. Nach Eco versuchen solche Texte dann, sowohl den naiven Leser als auch den "Nerd" zu erfreuen. Ein Professor riet uns, Texte erst möglichst spontan und naiv (insofern möglich), dann sehr gründlich und kritisch und zuletzt noch einmal rasch zu lesen. Das versuche ich seit jeher und es hat sich gut bewährt, sodass ich das Verfahren auch gerne auf Architektur übertrage. Und durchaus schätze ich manche Texte und Bauwerke für ihre mE gelungenen Verweise nachträglich noch mehr. Bei anderen geht es mir wiederum auch nach der zigsten Betrachtung und Erklärung nicht an. Da komme ich mir teils eher wie bei des Kaisers neuen Kleidern vor. Gerade, wen scheinbar mit Gewalt irgendwas ganz Tolles und Erhabenes in ein Detail hineininterpretiert wird, was mE vielleicht ganz nett und witzig ist, aber weder optisch "schön" noch DAS ganz große Ding. Das gelingt bei mir im konkreten Fall weder spontan noch mit allen Erklärungen und erneutem Betrachten ( Suggestion und Verstand sind da eher angestrengt als angeregt). Gefällig ja. Eine interessante Ergänzung mE auch. Ein ästhetisch erhabenes Gefühl eher nein.

  • ^ Das ist kein Problem, es ist eine Stärke, wenn man genau hinschauen muss. Warum sollten sich Architektueinteressierte und Architekturkenner mit dem oberflächlichen Blick des "gemeinen Passanten" gemein machen? Das wäre doch die Abdankung jeglichen höheren Anspruchs.


    Ja, man kann sich Missstände natürlich auch schön reden, indem man einen höheren Anspruch irgendwelcher elitären Kreise herbei fabuliert. Selbstverständlich sollte gute Architektur nicht nur 'Eingeweihten' auffallen, sondern auch und vor allem dem gemeinen Passanten. Erst recht in einer so hervorgehobenen Lage.