Stadt der Moderne - Stadt im Umbruch
Zuerst möchte ich dem Forum und seinen Nutzern ein Kompliment aussprechen: Es ist gelungen, die derzeitigen Umbrüche in Leipzig hier lebendig werden zu lassen. Wenn man bei der Welt liest, daß Leipzig seit der Wende 40.000 Einwohner vom Stadtrand ins Zentrum gelockt hat, dann muß das zur hier gezeigten Vielfalt von anspruchsvollen Sanierungen führen. Und auch wenn wir alle wissen, wie weit der Weg noch ist, wie schwierig die wirtschaftliche Lage bleibt, so muß es doch derzeit eine Freude sein, Bürger Leipzigs zu sein.
Ich selbst sehe das aus der Perspektive eines Bewohners einer der vielen wunderschönen, aber nach der Wende darniederliegenden Kleinstädte im Herzen des Sachsendreieckes, der mehr oder weniger Beziehungen in alle drei Oberzentren hat. Weit mehr als Leipzig ist für mich jedoch Chemnitz zweite Heimat. Diese ewig zu kurz gekommene Stadt soll deshalb in diesem Thema etwas näher beleuchtet werden.
Das heutige Chemnitz hat seine Rolle vor allem in der Gründerzeit gefunden, als mit der einsetzenden industriellen Revolution sein lärmendes Herz aus Fabriken, Schloten und Maschinen zu schlagen begann. Chemnitz wurde zum sächsischen Manchester, zum Ruß-Chemnitz. Innerhalb von nur 30 Jahren verdreifachte sich die Einwohnerzahl auf 300.000 Personen. Dies ging einher mit einer völligen Überformung mit Gründerzeitbauten. Historische Bauten sind hingegen absolute Mangelware.
Seit den zwanziger Jahren hat die Stadt jedoch eine Reihe von Rückschlägen hinnehmen müssen. Schon durch die Weltwirtschaftskrise getroffen, haben die angloamerikanischen Bombenangriffe mit dem Höhepunkt am 5. März 1945 der Stadt fast den Rest gegeben. Sage und schreibe 95 % der Innenstadt wurden zerstört. Der Wiederaufbau der neuen sozialistischen Musterstadt, die seit 1953 den Namen von Karl Marx trug, geschah unter völliger Mißachtung des historischen Stadtgrundrisses. Den Planungen der SED-Bonzen verdanken wir heute die Verbauung der innenstadtnahen Bereiche mit Wohnblocks in Großplattenbauweise. Und während die Gründerzeitviertel mehr und mehr verfielen, begann 1974 der Bau des riesigen Plattenbauviertels namens "Fritz-Heckert-Gebiet". Dieses saugte bis zu 90.000 Chemnitzer auf.
Mit der Wende setzte erneut eine dramatische Entwicklung ein. 20 Prozent der Einwohner verließen die Stadt, deren bauliche Hülle für 400.000 Einwohner konzipiert war, aber nur noch 250.000 beherbergt. Bis heute haben die Stadtoberen kein schlüssiges Konzept gefunden, wie sie auf diese Entwicklung reagieren sollen. Vor allem die stadteigene GGG setzte und setzt vor allem auf die Sanierung ihrer riesigen Plattenbaubestände, während denkmalgeschützte Gründerzeitbauten nahezu wahllos aus Häuserzeilen herausgerissen werden. Das Ergebnis ist beiderseitig verheerend: Die Gründerzeitviertel sind bis auf die leuchtende Ausnahme Kaßberg noch immer verfallen und perforiert, trotzdem ist der Bevölkerungsschwund in den Plattenbaugebieten unaufhaltsam.
Den Chemnitzer jedoch scheint all das nur wenig zu interessieren. Deshalb befürchte ich auch, dass dieses Thema bald wieder im Nirvana verschwindet. Ich kann mich jedenfalls aus Baden-Württemberg nicht wirklich darum kümmern.
Jetzt zu den heute gemachten Impressionen aus Chemnitz. Ihr könnt meinen Weg gerne bei Google Earth mitverfolgen. Hauptsächlich war ich auf dem Sonnenberg, einem übel beleumundeten Gründerzeitviertel, und in der Innenstadt unterwegs. Beginnen wir in der Reinhardtstraße. Hier will die GGG kurz vor knapp schnell noch die Häuser Reinhardtstraße 18 und 20 und Palmstraße 21 wegreißen:
Reinhardtstraße (die Sanierungswürdigkeit steht bei einem Blick ins Innere außer Frage)
Palmstraße 21
Solcherlei Abrisse bieten fantastische Einblicke ins Stadtgebiet und werten auch die umliegenden Gebäude auf. Vor allem der Abriß von Eckgebäuden ist empfehlenswert.
In der Sebastian-Bach-Straße waren vor Jahren schon große Sanierungspläne in der Zeitung. Wer kennt solche Ankündigungen nicht. Das ist daraus geworden:
Doch auch auf dem Sonnenberg gibt es Lichtblicke – folgende Sanierungen sind allesamt von der Firma Wahl + Partner in Angriff genommen worden. Die scheint für meinen externen Blick die Chemnitzer Entsprechung zur Leipziger Stadtbau AG zu sein. Auf allen Baustellen wurde tatsächlich gewerkelt.
Sebastian-Bach-Straße 20
Würzburger Straße 43
Markustraße
In den Kasernen auf der Heinrich-Schütz-Straße sollen demnächst mehrere Schulen untergebracht werden. Mal schauen...
Vielleicht wird das Ergebnis ähnlich sehenswert wie die Humboldtschule:
Ein Beispiel für sehenswerte Industriearchitektur (Hofer Straße)
Der Hort des Bösen (GGG in der Clausstraße, bezeichnendes Foto):
Auch das Gebäude Humboldtstraße 50 wird fallen – trotz der ruhigen Wohnlage und des guten Zustandes. Hier habe ich aber auch eine Unterhaltung von zwei Rentnern aufgeschnappt, die sich über 10 Chaoten und ihre laute Musik ereiferten. Man darf nicht vergessen, dass 30% der Sonnenberg-Bewohner Hartz-4 beziehen. Nur wenige schwarze Schafe darunter reichen aus, um allen umliegenden Häusern das Leben zur Hölle zur machen.
Abschließend noch ein paar Eindrücke der Innenstadt, die seit einigen Jahren wieder aufgebaut wird. Man darf nicht vergessen, dass hier vorher wirklich eine große Leere war. Es gab schlicht und ergreifend kein urbanes Zentrum, die Kaufkraft war komplett in die neuen Einkaufscenter auf der grünen Wiese abgewandert – eine politische Entscheidung der Nachwendezeit, unter der die Stadt bis heute bitterböse zu leiden hat.
Der zentrumsnahe Volksfestplatz. Dieser ist gerade erst für eine Million Euro hergerichtet worden und wird jetzt wohl wieder für den Neubau eines Porta-Möbelhauses geopfert. Porta sucht seit sage und schreibe neun Jahren einen Standort – damit ist alles zu den stadtplanerischen Leistungen der Stadtspitze gesagt.
Vermutlich wird auch die Hartmannfabrik weichen müssen, das Herz der Chemnitzer Industriegeschichte. Allerdings handelt es sich hierbei um eine Ruine, für die ich keine sinnvolle Nutzung sehe. Schwierige Entscheidung...
Der vorletzte Neubau der Innenstadt ist dieses abscheuliche Parkhaus. Aber wer mit dem Chemnitz-Center konkurrieren will, muß für günstige Parkmöglichkeiten sorgen.
Die eigentliche Innenstadt mit Galerie Roter Turm und Markt: